key: cord-0064634-r3cl6phi authors: Ranisch, Robert; Riedel, Annette; Bresch, Friedemann; Mayer, Hiltrud; Pape, Klaus-Dieter; Weise, Gerda; Renz, Petra title: Das Tübinger Modell der „Ethikbeauftragten der Station“: Ein Pilotprojekt zum Aufbau dezentraler Strukturen der Ethikberatung an einem Universitätsklinikum date: 2021-06-17 journal: Ethik Med DOI: 10.1007/s00481-021-00635-0 sha: 0de30f8101c821781b8c526382b7070b282a6f35 doc_id: 64634 cord_uid: r3cl6phi DEFINITION OF THE PROBLEM: Clinical ethics committees form an integral part of ethics management and organizational ethics in clinical healthcare facilities. However, working mostly reactive and not being anchored in the corresponding organizational levels, such instruments are limited in terms of effectiveness. ARGUMENTS: Based on these shortcomings of clinical ethics consultation the multiprofessional working group “Ethics” at the University Hospital Tübingen, Germany has endeavored to design and implement new structures for sustainable ethical decision-making processes on its hospital wards. The Tübingen Model “Ethics Consultants on the Ward” is a pilot project intended to appoint specifically trained nursing staff on all wards as contact partners for ethical issues. Thus, the Tübingen Model represents an extension to established structures of clinical ethics consultation and complements existing top-down strategies. CONCLUSIONS: This article presents the objectives of the Tübingen Model and describes initial experiences in its implementation. After explaining their role within the existing structures of ethics consultation at the hospital, the tasks of the ethics consultants within and across the hospital’s wards are presented. Furthermore, the qualification program for ethics consultants (basic and advanced training) as well as a train-the-trainer concept are presented, which support an in-depth development of competencies in nursing as well as medical ethics and provide confidence in the reflection and decision-making processes on the ward. Strukturen der Ethikberatung haben sich an Deutschlands Kliniken in den letzten drei Jahrzehnten zunehmend etabliert (Dörries und Hespe-Jungesblut 2007; Schochow et al. 2019) . Diese Entwicklung folgte einem internationalen Trend, der in den 1980er-Jahren in den USA mit der Einrichtung von klinischen Ethik-Komitees begann (Frewer 2008) und zuweilen sogar als "Ethikboom" beschrieben wird. Angesichts neuer Behandlungsmöglichkeiten, Entwicklungen in der Intensiv-oder Transplantationsmedizin, wachsender Sensibilisierung gegenüber ethischen Fragen und nicht zuletzt auch aufgrund von Zertifizierungsmöglichkeiten stieg der Bedarf an Ethikmanagement in Einrichtungen des Gesundheitswesens zunehmend (zum Überblick: Dörries et al. 2010; Frewer et al. 2008 Frewer et al. , 2012 Schildmann et al. 2010; Simon 2020) . Mittlerweile liegen eine Reihe von Empfehlungen für die Gestaltung von entsprechenden Strukturen vor. Die Zentrale Ethikkommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer veröffentlichte bereits 2006 eine Stellungnahme zur Ethikberatung in der klinischen Medizin (ZEKO 2006) . Seitens der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) wurden 2010 Standards für die Ethikberatung in Einrichtungen des Gesundheitswesens vorgeschlagen (AEM 2010), die als maßgebend in Deutschland gelten können. Hinzu kommen eine ganze Reihe von Modellen und Methoden zur ethischen Fallbesprechung bzw. Fallberatung, die nunmehr in Einrichtungen des Gesundheitswesens Anwendung finden (exemplarisch: Albisser Schleger et al. 2019; Marckmann 2015; Reiter-Theil 2005; Steinkamp und Gordijn 2010; Riedel und Lehmeyer 2016) . Das Thema der Ethikberatung wird auch mit Blick auf Aspekte der Organisationsethik erforscht (Heinemann und Maio 2010; Krobath und Heller 2010) . Entsprechende Fragestellungen begegnen dem Thema hier aus unterschiedlichen Perspektiven: So kann nach ethischen Konfliktfeldern gefragt werden, die sich auf Ebene der Organisation stellen. Seitens der ZEKO wurden etwa zur Klärung von sensiblen Finanzierungs-oder Allokationsentscheidungen Organisationsethik-Komitees vorgeschlagen -ein Impuls, der bislang allerdings nicht aufgegriffen wurde. Organisationsethische Fragen können sich zudem hinsichtlich der geeigneten Strukturen einer erfolgreichen Ethikberatung stellen, also hinsichtlich der Organisation von Ethik. Hierzu gehören Aspekte eines verantwortlichen Ethikmanagements in Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie Fragen der Implementierung von entsprechenden Strukturen, Maßnahmen und handlungsleitenden Instrumenten. Für die erfolgreiche Umsetzung von Ethikberatung wird gemeinhin eine Verzahnung von "oberer" und "unterer" Organisationsebene vorgeschlagen (Vollmann 2010) . Die Standards der AEM formulieren hierzu: "Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ethikberatung sind die Verankerung in der Mitarbeiterschaft und die Unterstützung durch die Leitungsebene" (AEM 2010, S. 150) . Eine solche Kombination von Bottom-up-und Top-down-Elementen bildet sich auch in Ansätzen zum Ethikmanagement in Kliniken ab, etwa im klinisch-ethischen Interaktionsmodell von Norbert Steinkamp und Bert Gordijn (2010, S. 139-140) sowie anderen Vorschlägen (Albisser Schleger et al. 2019) . Während der "Ethikboom" in der Klinik als grundsätzlich begrüßenswert eingeschätzt wird, fehlt es allerdings nicht an Kritik an den bislang institutionalisierten Maßnahmen. So stellen Meinolfus W. M. Strätling und Beate Sedemund-Adib zumindest den hierzulande dominierenden Werkzeugen der Ethikberatung, den klinischen Ethik-Komitees sowie der ethischen Fallberatung, ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: So wohlmeinend und langfristig potenziell interessant das Gesamtprojekt "klinische Ethikberatung" auch erscheint, muss davon ausgegangen werden, dass zumindest bisher entsprechende "Serviceeinrichtungen" in der Regel nicht in der Lage sind, einen robusten und glaubwürdigen Anspruch zu erheben, ausgerechnet bei besonders schwierigen Zweifels-und Konfliktfällen kompetent beratend, geschweige denn vermittelnd oder gar entscheidend tätig zu werden. (Strätling und Sedemund-Adib 2013, S. A828) Die Ethik in der Klinik würde demnach weit hinter einstigen Erwartungen zurückstehen, keine nötige Akzeptanz haben und folglich auch selten in Anspruch genommen werden. Der "Ethik-Community" sei es bislang nicht gelungen, durch "Leistung, Qualität und Kompetenz" zu überzeugen. Einen Grund hierfür sehen die AutorInnen auch in verfehlten Organisationsstrukturen: Anstelle der Förderung von Ethikkompetenz in den Heilberufen, würden ethische Herausforderungen an "Experten" delegiert, die häufig "vollkommen fachfremd sind oder sich der klinischen Tätigkeit und Verantwortung weitgehend entfremdet haben" (Strätling und Sedemund-Adib 2013, S. A826). Selbst Autoren, die der benannten Ethik-Community zugerechnet werden können, sehen zumindest in der bisherigen Umsetzung von Ethik in der Klinik einige Defizite. So gesteht Ralf Jox in einer Replik auf Strätling und Sedemund-Adib (2013) ein, dass es der Ethikberatung häufig an Ressourcen und Vernetzung fehle. Sie müsse zudem ihre Sichtbarkeit erhöhen, sich niederschwelliger und bedarfsorientierter anbieten und Instrumente der Qualitätsmessung etablieren (Jox 2014 Überdies haben sich verschiedene Arbeitsgruppen des KEK formiert, die aus (ehemaligen) Mitgliedern, assoziierten oder themenrelevanten VertreterInnen der Klinikabteilungen bestehen. Hierzu zählt etwa die Arbeitsgruppe "Ethik in der Pflege" (kurz: AG Ethik), die auf Impulse von MitarbeiterInnen der Pflege und Seelsorge zurückgeht. Seit 2007 plant und organisiert die AG Ethik den "Ethiktreff" -ein vier-bis sechsmal jährlich stattfindendes Forum mit Weiterbildungscharakter. Die AG Ethik berichtet dem KEK über ihre laufenden Aktivitäten sowie den Austausch mit Pflegekräften. Zu den Kernaufgaben des KEK gehört die ethische Fallbesprechung im Einzelfall. Auf Anfrage werden kurzfristig Teambesprechungen in den jeweiligen Stationen durchgeführt. Entsprechende Anfragen werden durch die Geschäftsführung des KEK koordiniert und von ausgebildeten Mitgliedern der AG "Ethikberatung" moderiert, dokumentiert und im KEK berichtet bzw. nachbesprochen. Alle MitarbeiterInnen des Klinikums sowie PatientInnen und Angehörige können entsprechende Ethikkonsile anfragen. Ziel der Fallbesprechungen ist eine möglichst multiperspektivische Betrachtung der ethischen Konfliktsituation, die in einem strukturierten Gesprächsprozess idealiter konsensual aufgelöst werden kann. Aus diesem Grund sind Fallbesprechungen am UKT überaus inklusiv und umfassen nicht selten mehr als 10 Parteien, Gesprächsgruppen aus klinischem Personal sowie Angehörige und PatientInnen. Die Zahl an Anfragen liegt gegenwärtig bei ca. 30 pro Jahr. Obgleich die Akzeptanz und Qualität der klinischen Ethikberatung am UKT als gut einzuschätzen ist, wurde im KEK sowie der AG Ethik kontinuierlich über mögliche Hindernisse bei der Wahrnehmung des Beratungsangebots diskutiert. Dabei konnte eine Reihe von Faktoren identifiziert werden, die auf persönlichen Gesprächen mit MitarbeiterInnen, dem Austausch im "Ethiktreff" sowie den Erfahrungen aus einer fünfzehnjährigen Praxis der Ethikberatung beruhen: Zielgruppe: Per Satzung ist das KEK Ansprechpartner für alle MitarbeiterInnen des Klinikums, für PatientInnen ebenso wie für Angehörige. Die Praxis der ethischen Fallbesprechung zeigt allerdings, dass der weit überwiegende Teil von Anfragen auf das ärztliche Personal zurückgeht. Der langjährige Austausch mit Pflegekräften im "Ethiktreff" gibt anekdotische Evidenz über bestehende Hemmnisse seitens des nichtärztlichen Personals, insbesondere der Pflegekräfte, das ethische Beratungsangebot anzufragen. Reichweite: Durch Broschüren, Informations-und Weiterbildungsveranstaltungen sowie Auftritte im Inter-und Intranet wird am Klinikum über Maßnahmen der Ethikberatung informiert. Erfahrungen zeigen allerdings eine mitunter geringe Bekanntheit der Angebote des Ethik-Komitees sowie von Funktion und Ablauf der Ethikkonsile. Hierzu passend zeigt sich ein Muster an wiederkehrenden Anfragen von Stationen, die bereits in der Vergangenheit das Beratungsangebot nutzten. Einstiegshürde: Anfragen nach Fallbesprechungen stehen in aller Regel mit akuten und drängenden Konfliktsituationen in Verbindung. Dies erschwert präventive Maßnahmen, um entsprechende Konstellationen vorzubeugen. Zudem beschränken sich Anfragen häufig auf den akutmedizinischen Bereich. Vermeintlich weniger drängende ethische Fragestellungen in anderen Bereichen der Patientenversorgung werden anekdotisch berichtet, führen allerdings kaum zur Inanspruchnahme der unterstützenden Angebote im Rahmen der Ethikberatung. Zeit-und Ressourcenintensität: Da ethische Fallbesprechungen häufig als ultima ratio in Akutsituationen in Anspruch genommen werden, sind entsprechende Konfliktsituationen häufig komplex. In der Folge gestalten sich die Ethikberatungen mitunter als ein zeit-und ressourcenintensives Unterfangen für die jeweiligen Stationen. Bei vermeintlich weniger komplexen, dennoch konfliktträchtigen ethischen Fragestellungen besteht vielfach eine Hemmung der Inanspruchnahme der Unterstützung. Verankerung: Die ethische Fallbesprechung erfolgt als fallbezogene Teambesprechung auf der jeweiligen Station, die durch qualifizierte Mitglieder der AG Ethikberatung moderiert werden. Während dies die Neutralität und Qualität der Fallbesprechung unterstützt, erschwert der "externe" Zugang den kontinuierlichen Austausch mit den Stationen. Über die jeweilige Fallbesprechung hinaus kann Die Erfahrungen am UKT decken sich zum Teil mit Untersuchungen zu möglichen Hinderungsgründen, Maßnahmen der Ethikberatung in Einrichtungen des Gesundheitswesens in Anspruch zu nehmen (Tab. 1) bzw. erfolgreich zu implementieren (Ranisch und Brand 2016) . Mögliche Faktoren können sowohl auf Ebene der Organisationsformen (z. B. Ressourcenmangel), der beteiligten Personen (z. B. allgemeine Skepsis gegenüber externer Beratung) oder der Ethikberatungsleistung selbst (z. B. mangelnde Qualität) verortet werden. In der Fachliteratur werden zudem berufsgruppenspezifische Hemmnisse unterschieden: So äußerten ÄrztInnen etwa Bedenken gegenüber möglichen Einmischungen in die PatientInnen-Beziehung, der fachlichen Kompetenz und Qualifikation von EthikberaterInnen sowie dem Nutzen entsprechender Angebote (Dörries 2003; Isaacs 2018; Pedersen et al. 2009; DuVal et al. 2004; Gaudine et al. 2011; Orlowski et al. 2006) . Seitens der Pflegekräfte wird dagegen von Sorgen berichtet, mit Inanspruchnahme von Ethikberatung bestehende Hierarchien zu umgehen (Gaudine et al. 2011) . Eine gesteigerte Bereitschaft gegenüber dem Angebot scheint zudem in Verbindung zu stehen mit bestehenden Bekanntschaften zu Personen aus Ethik-Komitees (Gaudine et al. 2011 ). Die Erfahrungen am UKT sowie die berichteten Hürden bei der Wahrnehmung von klinischer Ethikberatung wurden zum Anlass genommen, weitergehende Möglichkeiten der Implementierung von Strukturen der Ethikberatung zu bedenken. Diese sollten sowohl die Qualität und Unabhängigkeit der bestehenden Angebote wahren Im Vorfeld der Projektumsetzung wurde ein Ressourcenplan erstellt, der den Zeitbedarf der Qualifizierungsmaßnahmen (Basis-und Aufbauqualifizierung) beinhaltet sowie die monatlichen Vernetzungstreffen und kollegialen Beratungen, Fortbildungen und die Aufgabenwahrnehmung auf den jeweiligen Stationen. Der Ressourcenbedarf umfasst im ersten Implementierungsjahr 200 h pro EthiktrainerIn sowie 250 h pro Mitglied der AG Ethik. Um eine kontinuierliche Projektumsetzung und -evaluation zu gewährleisten, wurde eine Projektstelle für das Tübinger Modell mit einem Beschäftigungsumfang von 50 % an der Pflegedirektion etabliert, die fachlich von der Gruppenleiterin der Stabsstelle Qualitätsentwicklung und Pflegeberatung der Pflegedirektion begleitet wird. Die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen der Stelle sind fachabteilungsübergreifend tätig. Zu den Aufgaben gehören insbesondere die Struktur-und Qualitätsentwicklung bspw. Projektevaluation, Fortbildungen und Öffentlichkeitsarbeit. Mittelfristig sollen ausgebildete EBS das Ethikmanagement des Klinikums auf allen bettenführenden Stationen unterstützen. Zur Implementierung wurde ein Rollout-Plan mit 5 Phasen definiert: Phase 1 beginnt an den "Hot-Spots", den Intensivstationen und eng angrenzenden Stationen. Phase 2 widmet sich peripheren Stationen in räumlicher Nähe der Stationen in Phase 1. Die in Phase 1 qualifizierten Mitarbeiter-Innen agieren zugleich als Multiplikatoren und entlasten die EthiktrainerInnen während der nachfolgenden Implementierungsphasen. In Phase 3 und Phase 4 werden weitere periphere Stationen qualifiziert. Phase 5 ist als übergreifende Qualifizierung geplant. Die Implementierungsphase des Tübinger Modells ist für eine Zeitdauer von vier Jahren angelegt (2020-2024). Die Anzahl der EBS pro Station ist abhängig von der Anzahl der Betten auf Station. Die interne Festlegung beinhaltet für Intensivstationen eine/n EBS pro 20 Betten und für (periphere) Stationen eine/n EBS pro 30 Betten. Pro Station wird mindestens ein/e EBS qualifiziert, so dass insgesamt 60 bis 80 EBS qualifiziert werden. Das Ausbildungsprogramm des Tübinger Modells umfasst zum einen Qualifizierungsmaßnahmen für die EthiktrainerInnen, zum anderen ein Ausbildungsprogramm der EBS durch die qualifizierten EthiktrainerInnen sowie regelmäßige Aufbauschulungen. Hinzu kommen ein kollegiales Begleitprogramm für die EBS und regelmäßige Vernetzungstreffen. Die Ausbildung der EBS erfolgt durch EthiktrainerInnen. Diese wurden in einem dreitägigen Train-the-Trainer-Workshop durch eine professionelle Trainerin auf die Qualifizierung der EBS vorbereitet. Die Trainingsinhalte dieses Workshops orientierten sich am Curriculum "Ethikberatung im Gesundheitswesen" der Akademie für Ethik in der Medizin (2019) sowie den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2019) "Ethikausbildung für Gesundheitsberufe". Diese beiden Rahmenwerke dienten als Bezugspunkte für die inhaltliche Ausgestaltung der dreitägigen Qualifizierung wie auch zur Festlegung der zu erwerbenden Kompetenzen seitens der TeilnehmerInnen. Neben den Ethikkompetenzen der zukünftigen EthiktrainerInnen stand parallel der Erwerb von methodischen und didaktischen Kompetenzen im Fokus der Qualifizierungsmaßnahme. Die Realisierung der geplanten Methoden diente zugleich der Validierung der zukünftigen Einbindung in die eigenen Schulungen. Folgende Lehr-und Lerninhalte standen bei der Qualifizierung der Ethiktrainer-Innen im Mittelpunkt: 1. Grundlagen der Ethik 2. Bedeutung ethischer Reflexion als Gegenstand professionellen Handelns 3. Relevanz der systematisierten ethischen Reflexion und Entscheidungsfindung 4. Ethische Fallbesprechung inklusive Übungen 5. Strukturierte Methode der ethischen Entscheidungsfindung 6. Eskalationsstufen in Anlehnung an das Modell METAP 7. Kompetenzen und Aufgaben der TrainerInnen und der EBS Die zuvor klar definierten Kompetenzen der zukünftigen EBS, die seitens der qualifizierten EthiktrainerInnen ausgebildet werden sollen, rahmten die Ausrichtung der Trainer-Qualifizierung im Sinne dessen, dass sie klarlegen, welche Kompetenzen es zukünftig zu entwickeln und zu vertiefen gilt, welche Kompetenzen zu antizipieren und deren Entwicklung es methodisch zu unterstützen gilt. Sowohl die Kompetenzen der EBS wie auch die Lehr-und Lerninhalte der zukünftigen Qualifizierung durch die EthiktrainerInnen und die zukünftige Performanz der EBS bildeten in der Schulung der TrainerInnen den konzeptionellen, inhaltlichen und methodisch-didaktischen Rahmen, stets verbunden mit den Zielperspektiven: Lehr-und Lerninhalte didaktisch ansprechend und praxisorientiert zu vermitteln diese (Ethik-)Kompetenzen als EthiktrainerIn methodisch zu unterstützen, zu entwickeln und zu verdichten den Erwerb der Ethikkompetenzen methodisch unterstützt zu evaluieren (summativ und formativ) Die EBS durchlaufen eine zweitägige Basisschulung sowie eine zusätzliche Aufbauqualifizierung. Diese werden seitens der qualifizierten EthiktrainerInnen realisiert. Die erste Schulungseinheit von EBS erfolgte in Begleitung der Trainerin der EthiktrainerInnen und diente zugleich einer weiteren Validierung und Evaluation der Lehr-und Lerninhalte, der methodischen Ausgestaltung und der didaktischen Konzeption der beiden Schulungstage für die EBS. Nach der ersten Schulungseinheit wurde das Schulungskonzept konsentiert. Es beschreibt die folgenden zu erwerbenden (Ethik-)Kompetenzen der zukünftigen EBS: Ethische Fragestellungen identifizieren, abgrenzen, analysieren und reflektieren können Das Bewusstsein für die existenzielle Dimension ethischer Fragen und Konflikte Die Sensibilität für die Vielfalt an situativ wirkenden Werten, Normen und Perspektiven Förderliche Rahmenbedingungen für die ethischen Abwägungs-und Reflexionsprozesse kennen und gezielt einsetzen können Als Teilnehmende bzw. in der Rolle als EBS: Sicherheit in ethischen Fallbesprechungen gewinnen (als Teilnehmende ohne eigenständige Moderation!) sowie Orientierung über Modelle und Methoden zur Strukturierung Im Wirken in der Rolle als EBS zeigen diese auf den jeweiligen Stationen dann die folgenden Fähigkeiten im Sinne der Performanz: eine ethische Fragestellung situativ zu identifizieren und als solche zu konkretisieren Spannungsfelder, Asymmetrien und ethische Konfliktfelder wertfrei zu benennen sich in Beratungs-, Reflexions-und Abwägungsprozesse konsensorientiert einzubringen Perspektiven zu wechseln und variierende Wertorientierungen zu antizipieren und zu reflektieren den Prozess der ethischen Entscheidungsfindung nachzuvollziehen und zu reflektieren den systematisierten Umgang mit ethischen Konflikten im UKT zu verorten und achtsam notwendige, entlastende und/oder unterstützende Maßnahmen anzubahnen Der Bedarf an begleitenden und vertiefenden Weiterbildungsangeboten der Ethikbeauftragten muss sich in dem weiteren Verlauf zeigen und fordert seitens der EthiktrainerInnen in der Anfangsphase der Umsetzung ein hohes Maß an Sensibilität. Um den EBS gerade in der Erprobungs-und Implementierungsphase des Tübinger Modells eine umfassende Unterstützung anzubieten, bieten die EthiktrainerInnen allen EBS eine dauerhafte kollegiale Begleitung über den Zeitraum eines Jahres an. Für jede Station mit EBS steht daher eine feste AnsprechpartnerIn zur Verfügung, die den Implementierungsprozess direkt begleiten kann. Zum Erfahrungsaustausch sowie zur Vor-und Nachbereitung von Fallbesprechungen im Behandlungsteam sind monatlich stattfindende Vernetzungstreffen der EBS vorgesehen. Diese etwa 90-minütigen Zusammenkünfte werden von der Projektstelle bzw. der Gruppenleitung der Stabsstelle Qualitätsentwicklung und Pflegeberatung der Pflegedirektion organisiert und durchgeführt. Die hier gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen können auf Wunsch der EBS zudem an das Klinische Ethik-Komitee weitergeleitet werden. Um eine kontinuierliche Vernetzung sicherzustellen, wird von den EBS eine monatliche Teilnahme an den Vernetzungstreffen oder eine Teilnahme am "Ethiktreff" erwartet. Die Erhebung wird in allen bettenführenden Abteilungen (Stationen) im Universitätsklinikum Tübingen (Vollerhebung) bei allen Pflegekräften durchgeführt und wird zur Projektevaluation alle zwei Jahre wiederholt. Die Erhebung erfolgt anonym, auf freiwilliger Basis und ist Arbeitszeit. Vor der Datenerhebung wurde die lokale Ethik-Kommission der Fakultät informiert, ebenso die Pflegedienst-und Bereichsleitungen sowie der Personalrat. Ein Pretest wurde durchgeführt. Eine erste Erhebung auf Stationen der Ethikbeauftragten, die an der Basisqualifikation teilgenommen haben, fand von März bis Juli 2020 statt und wird derzeit ausgewertet. Im Frühjahr und Herbst 2020 wurden die ersten Basisqualifizierungen mit insgesamt 14 EBS der Intensivstationen sowie eng angrenzenden Stationen des Klinikums durchgeführt, die seither durch die EthiktrainerInnen begleitet werden. Ein intensiver Austausch und eine kontinuierliche Reflektion der laufenden Praxis zwischen EthiktrainerInnen und EBS findet in den monatlichen Vernetzungstreffen sowie in der Aufbauqualifizierung statt. Bereits im Vorfeld der ersten Schulungen im Früh-jahr 2020 wurde eine Befragung der Pflegekräfte der in Phase 1 des Roll-out-Plans festgelegten Bereiche zur Projektevaluation am Klinikum durchgeführt. Erste Erfahrungen zeigen ein überaus hohes Engagement sowie große Motivation der ausgebildeten EBS. Rückmeldungen weisen darauf hin, dass durch die Qualifizierung eine erhöhte Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für ethische Frage-und Problemstellungen erlebt wird und dass der Austausch von Erlebtem anhand von konkreten Falldarstellungen wesentlich ist. Von besonderer Bedeutung für die Implementierung des Tübinger Modells zeigten sich zudem die eingerichtete Projektstelle, das proaktive Engagement der EthiktrainerInnen sowie die enge Zusammenarbeit mit der Stabsstelle Qualitätsentwicklung und Pflegeberatung der Pflegedirektion sowie dem Klinischen Ethik-Komitee. Zugleich deuten erste Erfahrungen bei der Implementierung auf bestehende Limitationen hin. EBS und EthiktrainerInnen stoßen in ihren Aufgaben an ihre Grenzen, nicht nur bezüglich der erforderlichen Zeitressourcen, sondern auch bezüglich bestehender hierarchischer Strukturen. Obgleich das Ausbildungsprogramm von den TeilnehmerInnen als überaus gewinnbringend und für die eigene Ethikkompetenz als förderlich erfahren wird, können im Rahmen einer etwa viertägigen Qualifizierung der EBS nur die Grundlagen der professionellen Pflege-und Medizinethik gelegt werden. Zugleich stießen die Lehrinhalt bei den TeilnehmerInnen auf großes Interesse, welches etwa durch eine Weiterqualifizierung im Rahmen des AEM-Programms für EthikberaterInnen im Gesundheitswesen ausgebaut werden kann (AEM 2010 (AEM , 2019 . Um entsprechende Impulse zur Vertiefung der Ethikkompetenz der EBS zu fördern, besteht die Zusage einer Kostenübernahme des Klinikums für ein solches weiterführendes Qualifizierungsprogramm. Wie allerorts hat die COVID-19-Pandemie das Universitätsklinikum Tübingen seit dem Frühjahr 2020 vor große Herausforderungen gestellt, sei es bei einer adäquaten Versorgung von PatientInnen unter Krisenbedingungen, oder auch durch Priorisierungsentscheidungen in Anbetracht einer drohenden Ressourcenknappheit (Marckmann et al. 2020) . In dieser Krisensituation sind MitarbeiterInnen des Klinikums verstärkt mit ethischen Fragen und Problemen konfrontiert. Entscheidungen in diesen Situationen können psychisch belastend sein und werfen zugleich die Frage nach der Rolle von Ethikberatung im Rahmen der Pandemie auf (AEM 2020). Gerade auch in dieser Situation möchte das Tübinger Modell Räume schaffen, in denen die Auseinandersetzung mit ethischen Aspekten in der Klinik nicht nur in Akutsituationen erfolgt, sondern zur alltäglichen professionellen Berufspraxis wird, zur Qualität und Transparenz von Entscheidungen beiträgt und schließlich eine moralische und auch psychische Entlastung bewirkt. Funding Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL. Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betref-fende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ licenses/by/4.0/deed.de. Interessenkonflikt R. Ranisch, A. Riedel, F. Bresch, H. Mayer, K.-D. Pape, G. Weise und P. Renz geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Ethische Standards Für diesen Beitrag wurden von den AutorInnen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Akademie für Ethik in der Medizin e. V. (AEM) (2019) Curriculum Ethikberatung im Gesundheitswesen AEM) (2020) Möglichkeiten und Grenzen von Ethikberatung im Rahmen der COVID-19-Pandemie 2020 Akademie für Ethik in der Medizin e. V. (AEM) (2010) Standards für Ethikberatung in Einrichtungen des Gesundheitswesens: Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin e. V Klinische Ethik-METAP: Leitlinie für Entscheidungen am Krankenbett The Ethics Liaison Program: building a moral community Moral distress of critical care nurses Development and evaluation of a moral distress scale Mixed feelings: physicians' concerns about clinical ethics committees in Germany Die Implementierung Klinischer Ethikberatung in Deutschland. Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage bei Krankenhäusern Klinische Ethikberatung: Ein Praxisbuch für Krankenhäuser und Einrichtungen der Altenpflege A national survey of US internists' experiences with ethical dilemmas and ethics consultation Moral distress, moral residue, and the crescendo effect IntegratedEthics: an innovative program to improve ethics quality in health care Entwicklung und Probleme der Institutionalisierung Klinische Ethikkomitees: Chancen, Risiken und Nebenwirkungen Barriers and facilitators to consulting hospital clinical ethics committees Ethische Konflikte und Moral Distress auf Intensivstationen. Eine quantitative Befragung von Pflegekräften Nurse-physician perspectives on the care of dying patients in intensive care units: collaboration, moral distress, and ethical climate Ethik in Strukturen bringen. Denkanstöße zur Ethikberatung im Gesundheitswesen Why do we not ask for more clinical ethics consultations? Ethikberatung im Gesundheitswesen: Wo stehen wir Wie erleben Pflegefachpersonen moralischen Stress in einem Schweizer Universitätsspital? Advancement of the German version of the moral distress scale for acute care nurses-a mixed methods study Ethik organisieren: Handbuch der Organisationsethik Clinical bioethics integration, sustainability, and accountability: the Hub and Spokes Strategy Im Einzelfall ethisch gut begründet entscheiden: Das Modell der prinzipienorientierten Falldiskussion Klinische Ethikkomitees: Erfahrungen am Universitätsklinikum Tübingen Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie Why doctors use or do not use ethics consultation Barriers and challenges in clinical ethics consultations: the experiences of nine clinical ethics committees Clinical ethics consultation and the challenge to implement what is right Klinische Ethikkonsultation: eine methodische Orientierung zur ethischen Beratung am Krankenbett Einführung von ethischen Fallbesprechungen -Ein Konzept für die Pflegepraxis. Ethisch begründetes Handeln praktizieren Empirische Daten und theoretische Überlegungen zur klinischen Ethik in einer Universitätsklinik Implementation of clinical ethics consultation in German hospitals Ethikausbildung für Gesundheitsfachpersonen Ethikberatung im Gesundheitswesen Ethische Kernkompetenzen in die Medizin zurückholen The implementation process of clinical ethics consultation: concepts, resistance, recommendations Ethikberatung in der Medizin. Stellungnahme der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei der Bundesärztekammer zur Ethikberatung in der klinischen Medizin