key: cord-0064480-8v9l319m authors: Kramer, Victoria; Thoma, Andreas; Kunz, Miriam title: Medizinisches Fachpersonal in der COVID-19-Pandemie: Psyche am Limit date: 2021-06-25 journal: InFo Neurologie DOI: 10.1007/s15005-021-1975-8 sha: 13c4606a5d47be51415a901fb4fd1e7bf95567a3 doc_id: 64480 cord_uid: 8v9l319m nan Seit Beginn der Pandemie wurden weltweit zahlreiche Studien zur psychischen Belastung bei Mitarbeitern des Gesundheitswesens durchgeführt. Nicht nur in medizinischen Zeitschriften tauchen Titel wie "Deutschland verliert in der Pandemie tausende Pflegekräfte" auf [1]. Am 11. März 2021 veröffentlichte zum Beispiel der Spiegel einen Artikel mit der Überschrift "Viele Pflegekräfte wollen Beruf aufgeben" [2] . Zu Zeiten des Pflegenotstands und der zunehmenden Unzufriedenheit von Assistenzärzten im Krankenhaus [3] sollten die Nöte, Sorgen und psychischen Belastungen von Mitarbeitern des Ge-sundheitswesens während der Pandemie ernst genommen und Hilfsstrategien etabliert werden. Die COVID-19-Pandemie hat zu massiven Veränderungen im Gesundheitswesen auf der ganzen Welt geführt. Die meisten Regierungen haben in Form von Lockdown und Quarantäne starke soziale Restriktionen eingeführt, um die weitere Ausbreitung der Erkrankung zu stoppen. Diese Maßnahmen ha-ben die Lebensqualität der Menschen deutlich reduziert, da sie zu einschneidenden Veränderungen des Alltags-und des Arbeitslebens führen und mit Reduktion sozialer und emotionaler Kontakte einhergehen [4] . So ist es nicht verwunderlich, dass die Allgemeinbevölkerung unter erhöhter psychischer Belastung und emotionalem Stress leidet [5] . Mitarbeiter des Gesundheitswesens stehen in der ersten Reihe bei der Bekämpfung des Virus und sind großen Stressoren ausgesetzt. Sie sind in dieser Situation gefordert, sich neuen Arbeitsbedingungen spontan anzupassen und eine Erhöhung der Arbeitsbelastung in Kauf zu nehmen, was zu einer deutlichen Zunahme der psychischen Belastungen führt [6, 7] . Studien zur psychischen Belastung von Mitarbeitern des Gesundheitswesens bei früheren Pandemien zeigten klinisch relevante Ausprägungen von Angst, psychischer Belastung und Burnout [8, 9, 10] . Die meisten Studien, die zur psychischen Belastung von Mitarbeitern des Gesundheitswesens während der aktuellen Pandemie durchgeführt wurden, stammen aus China und wurden in der Anfangsphase der Pandemie durchgeführt. Lai et al. zeigten zum Beispiel, dass 50,4 % der Mitarbeiter des Gesundheitswesens Symptome einer Depression, 44,6 % Symptome von Angst und 34 % einen gestörten Schlaf hatten. 71,5 % hatten Disstress. Diese Studie stellte zudem fest, dass Pflegepersonal, Frauen und Frontline-Arbeiter ein größeres Risiko haben, psychischen Stress zu entwickeln als andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens [11] . Mittlerweile gibt es auch zahlreiche Studien aus Deutschland, Italien, Spanien und anderen europäischen Ländern, welche die Ergebnisse aus China größtenteils bestätigen. Inwieweit sich kulturell bedingte Unterschiede und Unterschiede im Gesundheitswesen auf die Ergebnisse auswirken, ist nicht hinreichend bekannt. In einer Situation wie der COVID-19-Pandemie sind die Mitarbeiter des Gesundheitswesens einem hohen Risiko ausgesetzt, sich zu selbst zu infizieren [12] . Wie auch bei der Depression wurden die meisten Studien anhand validierter Fragebögen durchgeführt (z. B. Patient Health Questionnaire, PHQ; Generalized Anxiety Disorder 7, GAD-7). Wie auch bei der Depression treten Angstsymptome während der Corona-Pandemie sowohl bei der Allgemeinbevölkerung als auch bei Mitarbeitern des Gesundheitswesens gehäuft auf [22] . In den meisten Studien zeigten mehr als 50 % der befragten Mitarbeiter des Gesundheitswesens klinisch relevante Angstsymptome. Wie auch bei der Depression zeigten Mitarbeiter des Pflegepersonals in den meisten Studien deutlich höhere Werte als Ärzte. Dies ist vermutlich, wie bei der Depression, unter anderem durch längeren, engeren Patientenkontakt mit größerer Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung zu erklären. Welche Rolle die Sorge vor eigener und der Ansteckung Angehöriger hat, wurde bereits beschrieben. Außerdem könnte auch die Geschlechterverteilung eine entscheidende Rolle spielen, da in der Berufsgruppe der Pflegenden überproportional häufig Frauen (> 70 %) vertreten sind und Angststörungen bei Frauen häufiger auftreten. Fehlende oder mangelnde Schutzausrüstung korrelierte mit Angst, Depression und Stress [21] . Eine Früherkennung der PTBS bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen ist wichtig, weil diese sonst chronifizieren oder zu anderen psychischen Folgekrankheiten wie zum Beispiel Depression oder Sucht führen kann. Es ist bekannt, dass die Prävalenz für PTBS unter Mitarbeitern des Gesundheitswesens auch unter Nicht-Pandemiebedingungen höher als in der Allgemeinbevölkerung ist. Die Lebenszeitprävalenz für PTBS in der Allgemeinbevölkerung liegt in Deutschland zwischen 1,5 und 2,3 %. Insgesamt dürfte die Prävalenz für Mitarbeiter des Gesundheitswesens etwa doppelt so hoch sein. Für Notärzte wurden sogar PTBS-Raten von bis zu 16 % berichtet [23] . Im Kontext der COVID-19-Pandemie zeigten sich hohe Trauma-Scores, insbesondere bei weiblichen, jungen "Frontline-Mitarbeitern", die der Berufsgruppe der Pflegenden angehören und die einen infizierten Kollegen haben [5]. Unabhängig von ande-ren Variablen zeigten Gorini et al., dass allein der direkte Kontakt zu COVID-19-Patienten einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung intrusiver Gedanken und Hyperarousel hat [18] . In einer anderen Studie zeigten 63,2 % der Teilnehmer COVID-19-assozierte traumatische Erfahrungen von der Arbeit, und 53,8 % PTBS-Symptome. Frauen hatten ein 1,62-fach erhöhtes, Frontline-Mitarbeiter ein zweifach erhöhtes Risiko, eine PTBS zu entwickeln [15] . Wie auch bei Depression und Angst spielen der unmittelbare und längere Patientenkontakt von Pflegenden vermutlich eine entscheidende Rolle. Außerdem könnte auch hier die Geschlechterverteilung von Bedeutung sein, da in der Berufsgruppe der Pflegenden überproportional häufig Frauen (> 70 %) vertreten sind. Viele der angeführten Stu dien zeigen, dass Frauen ein höheres Risiko haben, eine PTBS zu entwickeln, als Männer [19] . [25] . ▶Tab. 1 zeigt für die Beweiserbringung prinzi piell notwendige Voraussetzungen. Aufgrund der unspezifischen Symptome ist ein zeitnaher Erregernachweistest zu erbringen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs aufgrund eines bloßen Verdachts nicht ausreicht [26] . Diese rechtliche Ausgangssituation könnte in der Situation resultieren, dass Berufsgenossenschaften in Zukunft derartige Fälle zunächst nicht als Berufskrankheit beziehungsweise Arbeitsunfall anerkennen werden. Begründet wird dies damit, dass aus haushaltsrechtlichen Gründen zweifelhafte Fälle nicht von der Berufsgenossenschaft übernommen werden dürfen. Dieser Umstand sollte aber Betroffene nicht von der rechtlichen Überprüfung abhalten. Es empfiehlt sich auf jeden Fall eine entsprechende Beratung durch einen Sozialverband beziehungsweise durch Fachanwälte für Arbeits-und/oder Sozialrecht. In Anbetracht der Tatsache, dass sowohl das Widerspruchsverfahren als auch das Prozessverfahren vor dem Sozialgericht für die Beteiligten im Regelfall kostenfrei ist, besteht also lediglich das Risiko, die Kosten des eigenen Rechtsvertreters übernehmen zu müssen. Betroffene, die diese nicht übernehmen können, sollten versuchen, über die Prozesskostenhilfe den Zugang zum Rechtsschutz zu erhalten. Letztendlich würde es sich positiv auf die Mitarbeiterbindung auswirken, wenn entsprechende Gesundheitseinrichtungen die Mitarbeiter hier beratend, personell und auch finanziell unterstützen würden. Neben der rechtlichen Unterstützung von Mitarbeitern ist eine psychosoziale Unterstützung unabdingbar. In der bislang vorhandenen Literatur geht es vor allem um die Verbesserung der psychischen Gesundheit von Patienten in der Pandemie. Eine adäquate psychosoziale Versorgung von medizinischem Personal wird kaum thematisiert. Alle Studien zum Thema psychische Belastung bei Mitarbeitern des Gesundheitswesens kommen länderübergreifend zu dem Er-gebnis, dass unter dieser Bevölkerungsgruppe eine deutliche Belastung vorliegt. ▶Tab. 2 fasst die Risikofaktoren zusammen, die für die Entwicklung von psychischen Störungen im Kontext der berufsbedingten Belastungen der COVID-19-Pandemie identifiziert werden konnten. Diesen in ▶Tab. 2 dargestellten Gruppen sollte also besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Hierbei geht es nicht nur um die intraindividuelle Bewältigung der Stressoren und die Prävention der Manifestation einer klinisch relevanten psychiatrischen Diagnose, sondern auch um die Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Durch eine Steigerung der Erkrankungen in diesem Berufsfeld kann es zu einer deutlichen Zunahme der Krankheitstage und somit zu einer Mangelversorgung im ohnehin angeschlageneren Gesundheitswesen kommen. Auch ist die Qualität der Patientenversorgung gefährdet. Ärzte, Pflegekräfte und andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die psychisch belastet sind, zeigen sich beeinträchtigt in der Patientenversorgung. Es ist bekannt, dass psychisch stark belastete Mitarbeiter des Gesundheitswesens ihren Patienten gegenüber weniger Empathie zeigen (können) [27] und häufiger medizinische Fehler machen [28] . Dadurch kann der sozioökonomische Schaden in dieser Pandemie noch weiter vergrößert werden. Die Ergebnisse der zum Thema psychische Belastung bei Mitarbeitern des Gesundheitswesens durchgeführten Studien zeigen, dass Maßnahmen zum Schutz dieser Menschen ergriffen werden müssen (▶Tab. 3). Die Mitarbeiter des Gesundheitswesens benötigen im Rahmen von Pandemien psychosoziale Unterstützung. Dies könnte in Form von einsetzbaren Krisenteams umgesetzt werden, wobei die Art der Unterstützung vom Stadium der Pandemie abhängen soll [29] . Die befragten Mitarbeiter der Universitätskliniken Augsburg gaben zum einen an, dass sie vor allem eine Verbesserung der Infrastruktur benötigen, um besser durch die Pandemie zu kommen. 51 % gaben an, dass mehr Personal benötigt werde. Als weitere wichtige Faktoren wurden eine bessere Organisation und Planung, Stabilität im Team, Kommunikation, finanzieller Ausgleich, Freizeitausgleich, adäquate Schutzmaßnahmen und bessere psychologische Unterstützung angegeben [30] . Eine transparente Information der Mitarbeiter scheint ebenfalls eine große Rolle zu spielen, da gut informierte Mitarbeiter eine geringere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung psychischer Probleme aufweisen [22] . Auch Länder-und studienübergreifend lässt sich zusammenfassen, dass Mitarbeiter des Gesundheitswesens während der COVID-19-Pandemie ein erhöhtes Risiko aufweisen, psychische Symptome beziehungsweise Erkrankungen zu entwickeln. Unter den Mitarbeitern des Gesundheitswesens ist die Gruppe des Pflegepersonals besonders hervorzuheben, da diese in allen untersuchten Symptomgruppen höhere Belastungen zeigten als Ärzte und andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Die besondere Vulnerabilität des Pflegepersonals ist wahrscheinlich auf den intensiveren Patientenkontakt, das höhere Ansteckungsrisiko und die geringeren Gestaltungsmöglichkeiten zurückzuführen. Unter Berücksichtigung der besonders gefährdeten Risikogruppen sollte allen Mitarbeitern des Gesundheitswesens psychosoziale Unterstützung angeboten werden. Zusätzlich sollten eine Umsetzung der Arbeitsschutzmaßnahmen und gegebenfalls eine rechtliche Unterstützung erfolgen. the COVID-19 pandemic in Italy The psychological impact of the COVID-19 outbreak on health professionals: A cross-sectional study Psychological impact of the 2015 MERS outbreak on hospital workers and quarantined hemodialysis patients Psychological effects of the SARS outbreak in Hong Kong on High-Risk Health Care Workers The immediate psychological and occupational impact of the 2003 SARS outbreak in a teaching hospital Factors associated with mental health outcomes among health care workers exposed to coronavirus disease 2019 COVID-19 pandemic, healthcare providers' contamination and death: an international view Mental health conditions of italian healthcare professionals during the COVID-19 disease outbreak The relationship between post-traumatic stress and positive mental health symptoms among health workers during COVID-19 pandemic in Lombardy, Italy Mental health and risk perception among Italian healthcare workers during the second month of the Covid-19 pandemic Fragile heroes. The psychological impact of the COVID-19 pandemic on health-care workers in Italy Mental health impact of the first wave of COVID-19 pandemic on Spanish healthcare workers: A large cross-sectional survey. Rev Psiquiatr Salud Ment 2020 Mental health impact of CO-VID-19 pandemic on Spanish healthcare workers Trauma and stress-related disorders in German emergency physicians: the predictive role of personality factors Arbeitsunfall und Berufskrankheit Kapitel 2 COVID-19 als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall: Überlegungen zu Versicherungsschutz und Meldepflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung Work-related critical incidents in hospitalbased health care providers and the risk of post-traumatic stress symptoms, anxiety, and depression: A meta-analysis Physician burnout and occupational stress: An inconvenient truth with unintended consequences Psychological impact of COVID-19 pandemic on healthcare workers in a highly burdened area of north-east Italy Psychosocial burden of healthcare professionals in times of COVID-19 -a survey conducted at the University Hospital Augsburg Umgang mit psychischer Belastung bei Gesundheitsfachkräften im Rahmen der Covid-19-Pandemie Oberärztin Clearing-Station für Covid-19 Miriam Kunz Lehrstuhlinhaberin für Medizinische Psychologie und Soziologie