key: cord-0062850-qh0knuzl authors: Stadler, Christian title: Digitalisierung in der Psychotherapie: Video-Sprechstunde als Begegnung 2.0 date: 2021-05-07 journal: Z Psychodrama Soziom DOI: 10.1007/s11620-021-00597-x sha: d75ca4e01b71b6f0d33c9a2661e6fc48c4db4f5a doc_id: 62850 cord_uid: qh0knuzl In this article of the Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, the topic of digitization in psychotherapy is examined as the subject of a new form of encounter cultures in everyday psychotherapeutic life as part of the video consultation. References to the corona pandemic as well as special challenges of action and group-oriented procedures are examined. Stepped-Care-Ansätze sahen zunächst den Einsatz standardisierter Onlineprogramme vor, dann die stufenweise Annäherung an persönliche Kontakte, sollte eine entsprechende Indikation dafür vorliegen. Beispiele für solche Onlineprogramme sind moodgym (2017; erste Onlineversion 2001) für Depressionen oder www.mindable. health, eine App zur Unterstützung bei Panikattacken und Agoraphobie. Inzwischen gibt es zahlreiche webbasierte Selbsthilfe-und Psychoedukationsprogramme dieser Art (Selbsthilfeforen, Blogs, dialogische ExpertInnensysteme, Selbstdiagnostika). In den später auftauchenden so genannten "Blended-Care-Ansätzen" 3 wurde auf die Mischung von persönlichem Kontakt und online-basierten Unterstützungsmöglichkeiten, sowie auf E-Mail-und Telefonkontakte gesetzt (vgl. Spitzer 2008; Eichenberg und Kühne 2014) . Die Face-to-Face-Therapie soll durch diese Kombinationen in ihrer Wirksamkeit erweitert werden. Die so genannten IMIs, die internet-und mobilbasierten Interventionen, können sequentiell oder integriert eingesetzt werden (Paganini et al. 2018, S. 33f.) . Assmann et al. (2018, S. 40ff .) schildern ein Beispiel, wie z. B. ein so genanntes iHealth-Diary im stationären Alltag in die Face-to-Face-Behandlung integriert werden kann. Neben den Online-Interventionen wird das Internet auch für Diagnostik und Evaluation von Maßnahmen eingesetzt. Berger und Krieger (2018, S. 19 ) differenzieren therapeutische Interventionen nach zwei Kriterien, dem Grad der Begegnung und dem Grad der Automatisierung (siehe Abb. 1). Die Videosprechstunde 4 , im Englischen auch "Teletherapy", "Remote Therapy" oder "Virtual Therapy" ist ein psychotherapeutisches Behandlungssetting. Die Patient-Innen begegnen den PsychotherapeutInnen online mithilfe der Videotechnik. Dazu wird virtuell ein Behandlungsraum betreten, der aber für beide Parteien nicht sichtbar ist. Es ist, als ob sich die beiden Parteien in ihren jeweiligen Räumen besuchen, ein Praxis-und ein Hausbesuch gleichzeitig (Abb. 2). Im vorliegenden Beitrag geht es bei der Videosprechstunde vor allem um die von Berger und Krieger beschriebene Blended Therapy A in Abgrenzung zur konventionellen Psychotherapie (Face-to-Face-Sitzung) (siehe Abb. 1). Nicht behandelt werden online-unterstützte Selbsthilfeangebote wie interaktive Onlineprogramme oder automatisierte Fragebögen. Während in der E-Mail-und Chattherapie ein zeitlicher versetzter Dialog möglich bzw. notwendig ist, handelt es sich sowohl in der telefonischen als auch in der Videosprechstunde um einen 1:1-Livekontakt, der am ehesten der konventionellen Face-to-Face-Therapie ähnelt (Knaelvelsrud et al. 2016 munikation erfolgt einmal ausschließlich akustisch (Telefon) und einmal akustisch und optisch (Videosprechstunde). Während der SARS-Cov-2-Pandemie 2020 waren die meisten Menschen durch die Dynamik der Virusausbreitung extrem alarmiert, angespannt und verängstigt. Hararis Voraussage, dass die Menschheit im letzten Jahrhundert durch steigende Bevölkerungszahlen und bessere Transportwege eine höhere Vulnerabilität für Epidemien entwickelt habe (2015, S. 11) hat sich bewahrheitet. Zwar seien Häufigkeit und Folgen von Pandemien deutlich zurückgegangen, aber wie 2020 erlebbar, bleibt eine große Verunsicherung: "We cannot be certain that some [...] unknown flu strain won't sweep across the globe and kill millions" (Harari 2015, S. 15). Alltägliche körperliche Nahkontakte, die zuvor von den meisten unhinterfragt als selbstverständlich hingenommen werden, sind im Kontext extrem ansteckender Erkrankungen plötzlich mit Angst und Misstrauen behaftet, ob man sich wohl bei seinem Gegenüber anstecken könne. Angst-und Vermeidungsverhalten zeigen sich in unterschiedlichem Ausmaß. Dies gilt auch für die Besuche bei psychotherapeutischen Sprechstunden. Das dynamische Szenario rund um SARS-CoV-2 beschleunigte den Prozess in Richtung Integration der Teletherapie. Medien, die für den Kontakt als sicher erlebt wurden, wurden bereitwilliger angenommen als in den Vor-SARS-CoV-2-Zeiten. So nahmen PatientInnen, die sich wegen unterschiedlicher Symptomatik und Beschwerden in Therapie befanden, plötzlich eine Risikoabwägung vor, ob der Weg zur Therapie und die Therapiestunde an sich für mehr (psychische) Gesundheit oder im schlechteren Fall, für mehr (infektiöse) Krankheit sorgen würde. Sie wurden durch das Pandemie-Erleben in einen Veränderungsdruck gebracht, auf den einige auch mit einem subjektiven Gesundungsschub ("Ich glaube, ich bin schon ganz stabil, wir können jetzt einmal eine Pause machen") reagierten. Andere sahen die therapeutische Hilfe als für sich hilfreich und notwendig an und waren daher auch bereit, die technische Schwelle der Videosprechstunde zu nehmen. Der Wechsel des Kommunikationsmediums, also die Umwandlung der Termine in Videokontakte wurde zwar von den meisten zunächst als Einschränkung wahrgenommen, von einem Großteil der PatientInnen jedoch bereitwillig, von anderen mit zunehmender Dauer der Ausgangsbeschränkungen, nolens volens akzeptiert. Einige PatientInnen brachen den therapeutischen Kontakt ab, da sie sich weder vorstellen konnten, unter unsicheren Bedingungen die Praxis aufzusuchen, noch ihre persönlichen Themen im Rahmen von Videosprechstunden zu besprechen. Das gemeinsame Changemanagement von PatientInnen und solchen, die es werden wollten, und den PsychotherapeutInnen in Richtung Onlinetherapie unterlag dabei keiner ruhigen Prozessplanung, denn die PatientInnen hatten ihren Hilfebedarf und einige PsychotherapeutInnen hatten auch Sorge um ihre berufliche Existenz. Die (gemeinsame) Not auf beiden Seiten erhöhte die Akzeptanz digitaler Psychotherapie. Wird dies der Veränderungsschritt in Richtung Psychotherapie 2.0 gewesen sein, wird es nur die Schwelle für das Thema der Blended Therapy gesenkt haben, oder werden sich früher oder später alle PatientInnen und PsychotherapeutInnen wieder ausschließlich in Face-to-Face-Sitzungen begegnen? Die Videosprechstunde ist als Veränderung der Begegnung in der Psychotherapie also mit hohem Tempo angekommen. Was die neue Begegnung 2.0 bedeuten kann, beschreibe ich im Folgenden unter zwei Aspekten, den Orten der Begegnung und der Selbstinszenierung bei der Begegnung. Pruckner (2012) spricht von drei Arbeitsbühnen, auf denen sich PatientInnen und PsychodramatherapeutInnen begegnen: auf der Begegnungsbühne, der Spiel-Aktionsbühne und der Sozialen Bühne. Auf die Begegnungsbühne (Schacht und Pruckner 2010) begeben sich TherapeutIn und PatientIn in dem Moment, an dem sie sich zum ersten Mal begegnen. Dies kann bei der Kontaktaufnahme am Telefon sein, bei dem ersten E-Mailwechsel zur Anmeldung, im Wartezimmer einer Praxis, ... oder ebenaus heutiger Sicht -im virtuellen Behandlungsraum. "Der Ort des Psychodramas kann, wenn nötig, überall, wo immer Patienten sind, bestimmt werden, auf dem Schlachtfeld, im Klassenzimmer oder zu Hause" (Moreno 1981, S. 144) . Demnach kann auch die Spiel-Aktionsbühne (siehe unten) in den Räumen der PatientInnen stattfinden. Zuletzt begegnen die Online-TherapeutInnen ihren PatientInnen auch ein Stück weit auf der Sozialen Bühne 6 -wenn etwa die Ehefrau im Nebenzimmer ist oder wenn die ältere Patientin in einem Rundgang ihr Zimmer herzeigt (siehe Beispiele unten). Dies ist im gewohnten Therapie-Setting nicht gegeben. Den virtuellen Begegnungsraum gab es zu Morenos Zeiten noch nicht. Möglicherweise hätte er sonst vorgeschlagen, auch die Online-Bühne beherzt zu betreten. In ihrem Beitrag über die E-Mail-/Online-Beratung hat Spitzer-Prochazka (2008) die Begegnungsbühne auch bereits im virtuellen Raum verortet. Es folgen einige kurze Beispiele von Videosprechstundensituationen zur Veranschaulichung des Begegnungsbegriffs 2.0: Anna (28 J.) befindet sich in der ersten Stunde in einem ihr fremden Büro. Sie sieht sich öfters orientierungssuchend im Raum um. In der zweiten Stunde befindet sie sich in ihrem eigenen Büro. In der dritten Stunde sitzt sie in einem Raum im Haus ihrer Mutter. Sie ist auf der Suche nach einem für sie passenden Raum. Zuhause macht sie die Therapiesitzung nicht, da sie mit ihrem Freund in einer kleinen Wohnung zusammenlebt, der noch nicht von ihrer Therapie weiß. Die Patientin hat in ihrer Jugend eine starke Entwurzelung erlebt, was sie in ihren nahen Beziehungen geprägt hat. Später hat sie ihre Heimat verlassen. Das Thema von "Nähe zulassen" ist für sie bedeutsam. Dies wird im Setting der Videosprechstunde sichtbar. Wie eine szenische Wiederholung findet das Persönliche, die The-rapie, im Büro bzw. bei ihrer Mutter statt. Andere persönliche Themen, wie z. B. ihre Fragen zur Sexualität sind durch den Settingwechsel zunächst schwerer ansprechbar: Passt das Thema Sexualität ins Büro oder ins Haus der Mutter? Durch das Blended-Care-Setting wurden die Beziehung und in der Folge die Sexualität als Themen möglich. In der vierten Stunde, einer Präsenzstunde in der Praxis, erzählt sie von ihren sexuellen Problemen und vor der fünften Stunde hat sie ihrem Freund von der Therapie erzählt. Bernd (40 J.) lebt alleine und hat eine starke Sehnsucht nach einer Beziehung. Außer seinen Arbeitskollegen hat er kaum soziale Kontakte. Er nimmt die Videosprechstunde in seiner häuslichen Umgebung wahr, seinem ehemaligen Elternhaus. Während er bei den Face-to-Face-Sitzungen mich (Therapeuten) immer wieder direkt angeblickt hat, und mit Körperhaltung und Blicken um Bestätigung seines Erlebens gesucht hat, schaut er bei den Videositzungen nur äußerst selten direkt in die Kamera, i.e. mich an. Seine Schwierigkeiten in der Beziehungsgestaltung werden damit szenisch deutlich. Bei einem weiteren Termin hat er sich bereits vor der Zeit eingeloggt, d. h. seine Kamera gewährt mir Einblick in sein privates Zimmer. Es wirkt wie ein gut aufgeräumtes Jugendzimmer. Dies ist eine wichtige szenische Information für mich. Ich verstehe den Patienten auf diese Weise noch einmal neu, und kann eine Hypothese darüber bilden, wo er in seiner Entwicklung eine Blockade erlebt hat. Christoph (ca. 40 J.) lebt mit seiner Lebensgefährtin zusammen in einem Haus. Er ist für die Videosprechstunde in seinem Schlafzimmer, in dem auch sein Schreibtisch steht. Er wirkt sicherer in seiner vertrauten Umgebung als in den Face-to-Face-Situationen bei mir in der Praxis, so als ob er die Kontrolle über die räumliche Situation zu genießen scheint. In den Sitzungen spricht er häufig über seine Beziehungsprobleme. Dies geschieht auch in den Videosprechstunden, allerdings mit etwas gedämpfter Stimme. Er schaut im Laufe der Stunde ein paar Mal etwas irritiert zur Zimmertür, ob seine Lebensgefährtin, die er in der Beziehung verfolgend erlebt, außen vorbeigeht. Er zeigt mir durch den Ort und sein Handeln etwas auf seiner persönlichen Zimmerbühne. Doris (ca. 30 J.) scheint den Schutz durch ihre persönliche Umgebung zu genießen. Sie wirkt stolz auf ihre Wohnumgebung, und zeigt mir (Therapeut) von Stunde zu Stunde als Hausherrin nacheinander verschiedene Räume bei sich zuhause. Sie ist in den Videosprechstunden authentischer als während den Face-to-Face-Sitzungen. Die Videotermine wirken so, als ob sie mich zu sich nach Hause eingeladen hätte. Die Patientin war als Kind bei einer Familie zur Tagespflege und wurde dort körperlich schwer misshandelt. Die Sitzungen bei ihr zuhause geben ihr mehr Sicherheit und nehmen etwas von ihrer Anspannung. Else (ca. 80 J.), die ich schon lange kenne, nutzt ihr Tablet und sagt in der ersten Videosprechstunde: "Schauen Sie mal, wie ich hier wohne. Jetzt sehen Sie das auch mal." Sie geht, ohne dass ich sie dabei aufhalten könnte, durch alle Räume, einschließlich Bad und Schlafzimmer, zeigt mir den Blick durchs Fenster in ihren Garten und auch die steile Treppe, die sich in ihrer Wohnung befindet. Die Patientin ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und hatte kein eigenes Zim-mer. Sie ist stolz, dass sie sich heute aus eigener Kraft ihren persönlichen Raum geschaffen hat und zeigt ihn mir voller Stolz. Neben der Frage, an welchem Ort die PatientInnen ihre Videosprechstunde wahrnehmen, und was sie damit an Persönlichem und Privatem von sich dem Blick der TherapeutInnen preisgeben, war in den Beispielen erkennbar, dass sich auch das (therapeutische) Thema in der Online-Begegnung szenisch zeigt. Wie Argelander bereits 1970 für das Erstgespräch beschrieben hat, erhalten die TherapeutInnen von ihren PatientInnen neben objektiven und subjektiven, auch situative oder szenische Informationen. Um Zugang zu dieser Information zu bekommen, ist es jedoch erforderlich, den ursprünglichen raum-zeitlichen Begegnungsbegriff zur Idee einer Begegnung 2.0 zu erweitern. Diese Begegnung ist eine teil-virtuelle. PatientIn und TherapeutIn treffen sich nicht in einem Online-Raum. Der oder die TherapeutIn ist in der Regel im Praxisraum 7 , und der oder die PatientIn in dem selbst gewählten eigenen Raum (Büro, Arbeitszimmer, Wohnzimmer etc.). Der Besuch ist virtuell, aber nicht der Raum, der in dieser Begegnung sichtbar wird. Im jeweils eigenen Raum findet eine virtuelle oder als-ob-Begegnung statt. Mit dem je eigenen Raum, dem Ort der Begegnung, kommunizieren sowohl TherapeutIn als auch PatientIn etwas über sich an den anderen. Der therapeutische Rahmen wird damit neu definiert. Für einen kurzen Moment wird die therapeutische Beziehung damit zu einer Beziehung auf Augenhöhe, wenn man Morenos Worte benutzen möchte, zu einer wechselseitigen "Einladung zu einer Begegnung". Beide Parteien sind jeweils beim anderen zu Gast. Die therapeutische Beziehung erhält durch das Medium digitale Therapie automatisch mehr symmetrischen Begegnungscharakter als es die Face-to-Face-Begegnung mit dem "Hausrecht" der TherapeutInnen über den Behandlungsraum zulässt. Ein Pluspunkt für die digitale Therapie. Anschließend an die Frage nach dem Ort der Begegnung gewinnt auch die Frage nach dem eigenen Bild, das von sich selbst in der Online-Therapie gezeigt wird, Bedeutung. Gabriele (Mitte 50) trägt aufgrund einer Autoimmunerkrankung eine Perücke; durch den Haarausfall fühlt sie sich oft beschämt. Wenn sie zur Face-to-Face-Therapiestunde kommt hat, macht sie sich vor der Stunde immer die Haare. Sie kontrolliert ihr Erscheinungsbild, will als Frau attraktiv sein. Bei der ersten Teletherapiestunde zeigt sie sich (wieder) auf der beruflichen Ebene, wie auch zu Beginn der Face-to-Face-Therapie, bei der sie sich in ihrer Berufsrolle vorgestellt hatte. Es gelang ihr schrittweise, diese Schutzmaßnahme abzulegen. Zur Videosprechstunde empfängt sie mich in ihrem Büro. Sie sitzt gut gekleidet an ihrem Schreibtisch, und spricht dann zunächst darüber, dass sie sich eine neue Perücke gekauft habe, um den von ihr empfundenen körperlichen Makel zu verbergen. Sie reflektiert kritisch, dass sie sich so zum Objekt von Männerwünschen mache. Sie wolle dies nicht mehr. Das Thema "Zeige ich mich so wie ich bin?", wiederholt sich so auf verschiedenen Ebenen. Kann sie sich "unverkleidet" zeigen, kann sie sich in ihrer privaten Umgebung zeigen, kann sie sich als Patientin zeigen? Als Patientin mit grenzüberschreitenden Vorerfahrungen in Beziehungen vermeidet sie zunächst ein Einlassen in ihren privaten Bereich. Erst nach einigen Video-Stunden wechselt sie in ihre privaten Räume. Sie hat wieder Vertrauen gefasst. Auch hier, wie bereits bei den Orten der Begegnung, können also persönliche Themen szenisch sichtbar werden. Anders als bei den Face-to-Face-Sitzungen, wo persönliche Haltungen noch während des Gesprächs spontan gut anpassbar sind, müssen sich bei den Videosprechstunden beide Parteien vorab Gedanken machen, wo und wie sie sich zeigen, und wie sie gesehen werden wollen. Bei dieser Form der Selbstinszenierung werden dadurch zusätzliche Prozesse des Mentalisierens und der Theory-of-Mind-Bildung auf einer bewussten Ebene angestoßen. Die PatientInnen mentalisieren dabei ähnlich, als wenn sie einen klassischen psychodramatischen Szenenaufbau vornehmen. Sie denken über sich selbst (Selbstrepräsentanz) und darüber nach, was der Therapeut oder die Therapeutin von ihnen zu sehen bekommen soll. Mentalisierung ist die Möglichkeit sich selbst reflektierend wahrzunehmen (Fonagy et al. 2019) . Hierbei hilft auch die Kamera der Videotechnik, weil sie während der Videosprechstunde nicht nur das Gegenüber, sondern in einem kleinen Fenster auch das eigene Bild zeigt; sie fungiert als Spiegel. Um weiter darüber nachzudenken, wie man als PatientIn wahrgenommen wird, braucht es auch die Aktivierung einer Theory of Mind (Förstl 2012 Bei der ersten Onlinebegegnung entsteht meist eine gemeinsame Unbeholfenheit oder Verunsicherung über den Kontaktwechsel, besonders wenn man die Patient-K Innen zuvor bereits in der Praxis gesehen hatte. Dies kann sich auch auf den Umgang mit der Technik beziehen, auf die nötige Anpassung der Sitz-, der Kamera-sowie der Mikrofonposition, aber auch auf eine gewisse Kamerascheu der meisten Menschen. Bei dem "Fremdeln" spielen Alterseffekte eine Rolle; so ist es die jüngere Generation in der Regel eher gewöhnt, Kontakte über Telefon, Chats oder Videogespräche (z. B. über Skype, Facetime, Zoom etc.) zu pflegen. Psychodramatische Videotherapie ist durch die Handlungskomponente komplex. Wer handelt? Wo wird gehandelt? Wie kann es gehen, dass beide, PatientIn und TherapeutIn gemeinsam handeln? Während der Gesprächsteil einer Videotherapiesitzung (Sprechen und Hören) in der Regel problemlos gelingt, verhält es sich mit dem Video (Sehen und gesehen werden durch Lichteinfall, Hintergrund, Auflösung der Kamera und des Bildschirms, Abstand zur Kamera u. a.) schon schwieriger, ganz zu schweigen vom Handlungsteil, der einiger Vorbereitungen und Übung bedarf. Psychodrama ist ein handlungsorientiertes Verfahren, in dem besonders die Protago-nistInnen, die MitspielerInnen und/oder die Gruppe handeln, und bei dem therapeutische Interventionen auch oft von Handeln begleitet sind. Wenn TherapeutInnen doppeln oder spiegeln, handeln sie mit, auch wenn Instruktionen zum Rollenwechsel oder Rollentausch gegeben werden, werden diese meist zumindest durch eine körperliche Geste verdeutlicht. Und beim Szenenaufbau und Szenenwechsel bewegen sich TherapeutIn und ProtagonistIn gemeinsam auf der Bühne. Da die Psychodrama-TherapeutInnen dieses aktive Vorgehen gewohnt sind, ist die Versuchung bei der Videotherapie groß, dass sie selbst viel handeln, auch wenn die ProtagonistInnen in diesem Moment nicht mithandeln. Während dies indikationsabhängig sowohl in einer monodramatischen Sitzung sinnvoll als auch für Coachings oder Demonstrationen im Rahmen von Trainings passend sein kann, ist es im therapeutischen Setting der Videosprechstunde besonders wichtig, die ProtagonistInnen zum Handeln zu bewegen (vgl. Krüger 2021 in diesem Band). Und gleichzeitig ist es für die ProtagonistInnen wichtig, dass sie sich begleitet und nicht nur beobachtet fühlen. Damit die ProtagonistInnen gut selbst ins Handeln kommen können, müssen sie zu Beginn über hilfreiche Rahmenbedingungen aufgeklärt werden. Dazu zählen 8 : Die Bühne, auf der gehandelt wird, liegt hinter dem ProtagonistInnen im Raum. Das bedeutet, dass vom Bildschirmarbeitsplatz eine Bewegung nach hinten im Raum möglich sein sollte, ohne gleichzeitig auf dem Bildschirm zu klein zu werden. Es ist gut, wenn auf dieser Bühne schon zu Beginn der Sitzung noch zwei Stühle und/oder ein kleiner Tisch stehen, mit denen die ProtagonistInnen arbeiten können. Die TeilnehmerInnen sollten einiges an Material für die Tisch-und Zimmerbühne in greifbarer Nähe haben, die z. B. Aufstellungen möglich machen oder Rollen sichtbar machen (Tücher, Figuren, Holzkegel) . Was das Bühnenhandeln der TherapeutInnen angeht, gehen die Lehrmeinungen auseinander. In wieweit sollen sie stellvertretend für ihre PatientInnen handeln, dürfen sie etwas demonstrieren, wenn die PatientInnen sich schwer tun oder keine räumlichen Möglichkeiten haben? Wie verhält es sich beim Kinderpsychodrama, bei dem die TherapeutInnen in den Face-to-Face-Sitzungen immer mitspielen? Was passiert bei handlungsblockierten und strukturell gestörten PatientInnen? Dies sind Fragen, die im Einzelnen zu diskutieren wären und den Rahmen hier sprengen. Therapie-und Supervisionsgruppen per Skype, Zoom, Microsoft Teams und anderen Anbietern bringen zusätzliche Herausforderungen zum Einzelsetting mit sich 9 . Die fehlende physische Kopräsenz in größerem Kreis sowie die Herausforderung auf einem Bildschirm mehr als eine Person gleichzeitig im Auge zu behalten, macht das Setting anstrengender als die Face-to-Face-Begegnung. Die Gruppenpsychotherapie unterscheidet sich von der Einzeltherapie unter anderem durch die affektive und kognitive Spiegelung und Resonanz sämtlicher TeilnehmerInnen. Dieser Punkt wird auch reduziert auf die zwei Sinneskanäle Sehen und Hören. Dadurch wird die wechselseitige Empathie erschwert und die Gruppendynamik verändert. Auch beim Psychodrama macht es einen Unterschied, ob im Einzel-oder im Gruppensetting gearbeitet wird. Mit Portalen wie den oben genannten kann zumindest ein virtuelles Gruppensetting hergestellt werden, auf dem sich die GruppenteilnehmerInnen auf ihren jeweiligen Bildschirmen begegnen. Sie können Anwärm-und Auflockerungsübungen gemeinsam machen, sich zu soziometrischen Fragen positionieren, die GruppenteilnehmerInnen können als Hilfs-Ich in ProtagonistInnenspielen anderer TeilnehmerInnen Rollen übernehmen und anschließend dazu ein Rollenfeedback geben, es können Sharings dazu gegeben werden, ja, es sind sogar Gruppenspiele im Stegreifmodus oder mit festgelegten Plots möglich. All dies natürlich mit den bereits oben für das Einzelsetting beschriebenen Einschränkungen, dass sich die TeilnehmerInnen nicht im selben physischen Raum befinden 10 . In der Regel gibt es bei den Anbietern von Internetportalen technische Möglichkeiten, die auch gut für das therapeutische Gruppensetting genutzt werden können, z. B. kann die Gruppe in Kleingruppen eingeteilt werden, auch können 9 Alle diese Anbieter sind in Deutschland bislang nicht durch die sozialrechtliche Aufsichtsbehörde für den psychotherapeutischen Kontext zugelassen. In Psychotherapie-und Selbsterfahrungssettings, die nicht der Aufsicht der Kassenärztlichen Vereinigungen (in D) unterliegen, können für das Gruppensetting mit den PatientInnen persönliche Vereinbarungen getroffen werden. 10 Um ein Äquivalent zum 3D-Raum zu erreichen, kann auf Programme mit Avataren oder auf solche, die eine Shares Virtual Reality zulassen, zurückgegriffen werden. Diese Programm sind aber für den allgemeinen Gebrauch in der Regel zu aufwändig, zu teuer und erfordern Einiges an Übung, damit sich GruppenteilnehmerInnen hier sicher bewegen können. Online-Selbsthilfe-und Mailtherapie sind schon gut beforscht und weisen ähnliche Erfolgsraten auf wie Livetherapien (Knaelvelsrud et al. 2016) . Zum Outcome und zur Nachhaltigkeit von Videosprechstunden fehlen noch Evaluationen. Daher kann noch nicht fundiert beantwortet werden, für wen welche Form von Internet-Intervention von Erfolg gekrönt ist (Berger und Krieger 2018, S. 23) . Die Videotherapie hat Dinge möglich gemacht, die vorher nicht für alle denkbar waren. Es werden neue Erfahrungen gesammelt, z. B. dass Gegenübertragungsgefühle per Videosprechstunde anders sind, und dass Gegenübertragungsgefühle 11 und Einfühlung auch von so etwas wie der Größe der Person auf dem Bildschirm zu tun haben können. Auch das Thema der Abgrenzung gewinnt eine neue oder zusätzliche Bedeutung: "Das Gegenüber bleibt in sicherer Distanz. Gleichzeitig kann die mangelnde physische Präsenz im virtuellen Raum zum fehlenden Erleben von Containment führen" (Eichenberg und Kühne 2014, S. 137) . Grundsätzlich steigen mit der Onlinetherapie die Anforderungen an die Therapeut-Innen, die Komplexität der Situation wird größer. Zu den normalen Aufgaben, bei sich und den PatientInnen die Gefühle, Gedanken und Impulse im Blick zu haben, kommt die Ebene der Technik neu hinzu. The "gold standard" remains being in the bodily presence of the other person. Human beings are embodied creatures. The philosopher Wittgenstein famously said that the human body is the best picture of the human soul. While some facial micro-expressions are available in the two-dimensional picture of the face, they are much reduced in size. Likewise gestures, such as holding one's palms open and outwards as one talks are correlated with empathy; but the visual information is greatly reduced online [...] . The overall disposition of the body is attenuated to the extent that it is nearly impossible to read the body language. Smell is also a powerful way in which the presence of another human being is decisively enacted in relating. It is simply gone in an online mode. (Weinberg und Rolnik 2020 , S. 1249 Bei aller Einschränkung gibt es eine Reihe von Vorteilen der Videotherapie. Berger und Krieger (2018) nennen als wesentlichen Vorteil von Chat-, E-Mail-und Videosprechstunden, dass die Therapie örtlich flexibel stattfinden kann. Dies führt dazu, dass auch Menschen erreicht werden können, die sonst "aufgrund mangelnder zeitlicher und örtlicher Flexibilität keinen Therapieplatz finden. Zeitliche Unabhängigkeit ist allerdings nur bei E-Mailtherapie gegeben, in welchen zeitversetzt bzw. asynchron kommuniziert wird" (a. a. O., S. 21). Drexelius (2017) berichtet aus Metaanalysen zum Therapieabbruchverhalten, dass 20 % der PatientInnen mit psychischen Erkrankungen die Therapie abbrechen. Dies ist eine erschreckend hohe Zahl und möglicherweise ist von diesen 20 % ein Teil mit Videotherapie erreichbar. Allein bei Telefoninterventionen ist die Abbruchrate schon auf nur 7,6 % gesenkt (Knaelvelsrud et al. 2016) . Bocci (2019a Bocci ( , 2019b , eine klare Befürworterin von Onlinetherapie, hat zwei Listen zu Vorteilen auf PatientInnenseite und auf TherapeutInnenseite zusammengestellt. Daraus seien hier einige schlaglichtartig angeführt (Tab. 1). An dieser Stelle könnte man den Prozess auch auf den Kopf stellen und fragen, was aus der Onlinetherapie und ihren Vorteilen für die Face-to-Face-Therapie gelernt werden kann. Drei Punkte hatte ich erwähnt: Die Auswirkungen des Settings auf den Therapieprozess, die Bedeutung externer Einflüsse auf das Krankheitsempfinden, und das Thema Behandlung auf Augenhöhe. Dies sollte auch in der post-Corona-Ära nicht in Vergessenheit geraten. Schließen Das Erstinterview in der Psychotherapie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft ihealth diaries-how to do it right Internet-Interventionen: Ein Überblick Online counseling is the new frontier. Reasons to consider taking the plunge Online counseling is the new frontier. Reasons to consider taking the plunge Psychische Erkrankungen. Jede( r) Fünfte bricht die Therapie ab Einführung Onlineberatung und -therapie -Grundlagen, Interventionen und Effekte der Internetnutzung Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst Theory of Mind. Neurobiologie und Psychologie sozialen Verhaltens (2. Aufl.). Heidelberg Digitalisierung und Psychotherapie. Heil und Weh der Nutzung moderner Kommunikationsmittel Der Therapeut im Internet: Nur noch ein "human companion Online-Therapie und -Beratung Der psychosomatische Resonanzkreis. Wie man die wichtigsten Methoden des Psychodramas auch in der Online-Begegnung nutzen kann. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie Gruppenpsychotherapie und Psychodrama. Einleitung in die Theorie und Praxis Soziometrie als experimentelle Methode Internet-und mobilebasierte Intervention bei psychischen Störungen Das Modell der drei Arbeitsbühnen Digitalisierung: Ausverkauf der Psychotherapie? -Vortrag. Auditorium Netzwerk Rosa Beziehungsgestaltung in der Psychodramatherapie Einladung zur Begegnung "ohne Körper" -Psychodrama im virtuellen Raum Gehen wir einer McDonaldisierung der Psychotherapie entgegen? Theory and practice of online-therapy. Internet-delivered interventions for individuals, groups, families, and organizations Weiterführende Literatur Blended Psychotherapy -verzahnte Psychotherapie: Das Beste aus zwei Welten? Psychotherapie im Dialog Internetbasierte Interventionen bei psychischen Störungen Kann die Online-Therapie die Psychotherapie sinnvoll ergänzen? Mentalisieren durch psychodramatisches Spielen. Zur therapeutischen Wirkung des Psychodramas Internet-based interventions for posttraumatic stress: a meta-analysis of randomized controlled trials Digitalisierung in der Psychotherapie. 3 Dinge, die unweigerlich kommen werden Kann die Online-Therapie die Psychotherapie sinnvoll ergänzen? Kontra Attitudes towards internet interventions among psychotherapists and study participants with mild to moderate depression symptoms Transformationsdesign: Wege in eine zukunftsfähige Moderne. München: Oekom Akkreditiert bei der PTK Bayern für Weiterbildung, Selbsterfahrung und Supervision. Geschäftsführer, Weiterbildungsleiter und