key: cord-0061928-ndpk4qd3 authors: Niehr, Thomas title: Argumentation und Narration in verschwörungstheoretischen Youtube-Videos date: 2021-04-14 journal: Z Literaturwiss Linguistik DOI: 10.1007/s41244-021-00203-5 sha: 900c31746489a57c7a3c705e563761e992c2fc37 doc_id: 61928 cord_uid: ndpk4qd3 In this contribution, the relationship between argumentation and narration is examined in more detail. Following on from the function of narration in a court speech as described in classical rhetoric, the question is examined as to how narrative elements are used in conspiracy theory arguments and what functions they assume in the process. Using the example of selected YouTube videos by the conspiracist Heiko Schrang, we will illustrate how narrative elements can support an argumentation and ensure that the recipient is connected to his or her own body of knowledge. Das Verhältnis von Argumentation und Narration wird seit relativ kurzer Zeit in der Linguistik, der Literaturwissenschaft und Rhetorik verstärkt in den Blick genommen. 1 Dies mutet umso erstaunlicher an, als ja in der antiken Rhetorik die narratio als fester Bestandteil der (Gerichts-)Rede gilt (vgl. Bleumer/Hannken-Illjes/Till 2019b, S. 7-9; Girnth/Burggraf 2019a, S. 565-571, 2019b, S. 109 f.; Ottmers 1996, S. 56 f.) . Ihr kommt eine wichtige »Scharnierfunktion« zu (Till 2019, S. 124) , weil sie die »Basis des sich anschließenden Beweisverfahrens« ist (Ottmers 1996, S. 57 ) und ihr damit die Aufgabe zukommt, »das Publikum [...] von der Wahrhaftigkeit des Erzählten zu überzeugen« (Ottmers 1996, S. 57 ): Einen besonderen Stellenwert für die Überzeugungskraft einer Erzählung nimmt dabei die Glaubwürdigkeit des geschilderten Geschehens ein. Werden die Handlung sowie die Charaktere von Seiten der Adressaten als stimmig und plausibel empfunden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese die narrativen Ereignisse während der Rezeption mithilfe ihrer Vorstellungskraft intensiv miterleben. (Girnth/Burggraf 2019a, S. 569) Offensichtlich erscheint vor diesem Hintergrund, dass der narratio eine Schlüsselfunktion für die Argumentation einer Rede zukommt. Dass narrative Elemente auch bei politisch motivierten Argumentationen eine wichtige Rolle spielen dürften, ergibt sich aus mehreren Gründen. Erstens geht es in den meisten politischen Kontexten darum, für eine bestimmte (perspektivisch-ideologische) Sicht der Dinge -oder konstruktivistischer gesprochen: der Problemverhalte 2 -zu werben. Hermann Lübbe (1975, S. 107 ) definiert in diesem Sinne Politik als »die Kunst, im Medium der Öffentlichkeit Zustimmungsbereitschaften zu erzeugen«. Eine derartige Kunst erschöpft sich nun allerdings keineswegs darin, möglichst rationale Argumente in möglichst großer Zahl aneinanderzureihen und dadurch das angestrebte argumentative Ziel -in diesem Fall Zustimmung zu bestimmten politischen Maßnahmen -zu erreichen. Dies ist der fundamentale Unterschied zwischen Wissenschaft und Politik. Vielmehr muss die politische Überzeugungsarbeit auch »die Herzen der Menschen« erreichen, mithin emotionale Zustimmung hervorrufen. Hier ist die wichtige Rolle der narratio bzw. narrativer Elemente zu sehen. Denn die narratio ist »nicht derjenige Teil der Rede, der dem Beweis bzw. der Widerlegung dient« (Till 2019, S. 124) . Diesen dient sie jedoch als Vorbereitung, »indem sie durch die parteiliche, also bewusst einseitige Darstellung des Streitfalles eine Ausgangsbasis für die eigentliche Beweisführung schafft« (Till 2019, S. 124) . Quintilian spricht im Zusammenhang der Gerichtsrede von der Darlegung des Falles und führt aus: 1 Ein kurzer Abriss zur einschlägigen Forschung in der Kommunikationswissenschaft, Psychologie, Rhetorikforschung und Linguistik findet sich bei Till (2019) . Die Themenhefte »Narration -Persuasion -Argumentation« der Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (Bleumer/Hannken-Illjes/Till 2019a) sowie »Alltagspraktiken des Erzählens« (Spieß/Tophinke 2018) und die Beiträge im Sammelband von Olmos (2017) geben ebenfalls wichtige Hinweise. Dass der Ausdruck Narrativ seit einigen Jahren zum bildungssprachlichen Modewort geworden ist, macht Zifonun (2017) in ihrer Glosse zum Thema. 2 Vgl. zu diesem Ausdruck Stötzel (1977, S. 71 ). Sie [die narratio, Th. N.] kann nicht nützlich sein, wenn nicht vorher feststeht, was man für die Beweisführung versprechen kann. Schließlich muss man darauf schauen, wie man den Richter für sich gewinnen kann. Denn erst, wenn wir den Fall in allen seinen Teilen genau überblicken, können wir wissen, wie es sich empfiehlt, den Richter zu stimmen, wenn er ihn kennenlernt, streng oder milde, gereizt oder gelassen, Persönlichem gegenüber abweisend oder empfänglich. (Quintilian 2015, III, 9, S. 7) Der hier angesprochene Aspekt, eine Person für sich zu gewinnen bzw. positiv zu stimmen, wird von Quintilian an anderer Stelle noch einmal explizit hervorgehoben: Selbst mein Satz, die Erzählung eines Sachverhaltes, den der Richter schon kennt, sei überflüssig, ist nicht ohne Einschränkung aufzufassen: ich möchte es so verstanden wissen: sie ist überflüssig, falls der Richter nicht nur weiß, was geschehen ist, sondern auch die Auffassung hat, es sei so geschehen, wie es uns zustattenkommt. Denn die Erzählung ist ja nicht dazu erfunden, daß der Richter eine Sache nur kennenlernt, sondern weit mehr dazu, daß er ihr zustimmt. (Quintilian 2015, IV, 2, S. 20 f.) Es geht mithin bei der narratio darum, das Publikum für sich zu gewinnen, das Publikum darauf einzustimmen, den zur Verhandlung stehenden Fall auf eine spezielle Art und Weise zu betrachten und die vom Redner präsentierte Version als stimmig zu akzeptieren. Das Publikum soll also dazu gebracht werden, eine bestimmte -perspektivische -Lesart zu übernehmen und als gültig zu ratifizieren. In der narratio kommt also -um die bühlerschen Kategorien zu bemühen -insbesondere die Ausdrucks-und Appellfunktion sprachlicher Zeichen zur Geltung. Eine derartige Einstimmung wird heutzutage in politik-und kommunikationswissenschaftlichen Kontexten gerne als Framing bezeichnet. 3 Es handelt sich dabei um das Setzen eines Deutungsrahmens. Dieser bestimmt -sofern das Framing erfolgreich ist -die Perspektive, unter der der zur Verhandlung stehende Problemverhalt von den Rezipient*innen wahrgenommen wird. Gleichzeitig damit wird die grundlegende Einstellung des Publikums gegenüber eben diesem Problemverhalt gesteuert bzw. zu steuern versucht. Ein so verstandenes Framing ist ein wichtiger Bestandteil politischer Kommunikation. Diese muss nicht nur rational überzeugen, sie enthält auch Elemente narrativer Persuasion. Politik lässt sich in diesem Sinne auch charakterisieren als »die Kunst, die Einstellungen seines Publikums mithilfe von Erzählungen zu beeinflussen« (Girnth/Burggraf 2019b, S. 107). Ein zweiter Grund, Narration und Argumentation bei politischen Argumentationen zusammenzudenken, ist darin zu sehen, dass antike Rhetorik wie auch zeitgenössische Autoren die Rede bzw. Argumentation vor Gericht als Musterbeispiel ansehen. Die narratio ist die »Schilderung des Tathergangs aus der Sicht des Anklägers oder des Verteidigers« (Ottmers 1996, S. 56) . Es ist kein Zufall, dass auch Toulmin in seinem Standardwerk Der Gebrauch von Argumenten Argumentation immer wieder in juristischen Analogien denkt. Zentral für seine Theorie ist eine Feststellung, die er gleich am Beginn seiner Ausführungen trifft: »Der in einer Be-hauptung enthaltene Anspruch ähnelt einem Rechtsanspruch.« (Toulmin 1996, S. 17) 4 Diesen gilt es durchzusetzen oder zu verteidigen. Das bevorzugte Mittel dazu ist die Argumentation, innerhalb derer wiederum narrative Bestandteile als Hilfsmittel verwendet werden können, um für die eigene Position zu werben. 5 Da auch politische Kommunikation zu weiten Teilen werbende Kommunikation ist 6 , sind die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen politischer Kommunikation und der vor Gericht unübersehbar: Hier wie dort geht es darum, »Ansprüche« durchzusetzen, für die Zustimmung des Publikums zu den je eigenen Positionen zu werben. Dies wird durch die entsprechende Einstimmung mittels perspektivischer Darstellung unterstützt. Auf diese Weise wird also versucht, einer möglicherweise notwendig werdenden Argumentation gute Ausgangsbedingungen zu verschaffen. Den Ausdruck Verschwörungstheorie in einer wissenschaftlichen Abhandlung zu verwenden, kann sich als problematisch erweisen. Dies hängt mit seiner pejorativen Bedeutung zusammen, die eher an die (politisch motivierte) Abwertung eines missliebigen Standpunkts bzw. einer kritikwürdigen Haltung denken lässt als an eine durch Rationalität gekennzeichnete Auseinandersetzung. 7 Dieses Schicksal teilt Verschwörungstheorie mit anderen Termini wie Schlagwort oder Leerformel. Auch sie werden in wissenschaftlichen Kontexten verwendet und kommen gleichzeitig mit pejorativer Bedeutung in der Alltagssprache vor. Deshalb bedarf es jeweils einer exakten Begriffsdefinition, um eine Verschmelzung von (pejorativer) Alltagsbedeutung und möglichst wertungsfreier wissenschaftlicher Bedeutung zu vermeiden. 8 Aus die-4 Das literarische Genre, in dem der Zusammenhang von Argumentation und Rechtsanspruch ebenfalls deutlich wird, ist -nicht von ungefähr -der Kriminalroman bzw. -film. Typischerweise werden den Leserbzw. Zuschauer*innen hier in narrativer Form vermeintliche Tathergänge aus unterschiedlichen Perspektiven präsentiert, um die Schuld bzw. Unschuld diverser Protagonist*innen argumentativ abzusichern. Die sogenannte Lösung eines Kriminalfalls ist unter argumentationsanalytischer Perspektive mithin nichts anderes als die möglichst widerspruchsfreie und überdies psychologisch plausible narrativ-argumentative Rekonstruktion eines Tathergangs und der Motive der Handelnden. Mustergültig findet sich dieses rekonstruktive Verfahren in dem Roman Das Urteil von Paul Hengge (1998) , in dem verschiedene Zeugenaussagen zu einem Mordfall im Zentrum stehen. Die beiden Protagonisten des Romans versuchen, mittels scharfsinniger Argumentationen ihr jeweiliges Gegenüber davon zu überzeugen, dass nur sie die Motive möglicher Täter und den daraus resultierenden Tathergang korrekt einschätzen und wiedergeben. Deshalb könne auch nur ihre Version des (nicht in Zweifel stehenden) Verbrechens den Tatsachen entsprechen. 5 Richter (2008) betont in seiner Dissertation zum narrativen Urteil den Gegensatz von argumentativen und narrativen Problemverhandlungen. Im Folgenden wird dagegen eine Sichtweise vertreten, die die narratio als integralen Bestandteil einer im weiten Sinne verstandenen argumentatio auffasst; vgl. dazu auch Tindale (2017, S. 12-25) , der ebenfalls eine weite bzw. »dynamische« Auffassung von Argumentation vertritt. 6 Darauf weist bereits Dieckmann (1964, S. 71 f.) in seiner Dissertation hin, in deren Untertitel der Ausdruck politische Werbung prominent platziert ist. 7 Vgl. dazu ausführlicher Vogel (2018 Verschwörungstheorien behaupten, dass eine im Geheimen operierende Gruppe, nämlich die Verschwörer, aus niederen Beweggründen versucht, eine Institution, ein Land oder gar die ganze Welt zu kontrollieren oder zu zerstören. (Butter 2018, S. 21) Mit dem Ausdruck behaupten in diesem Zitat werden implizit zwei Merkmale von Verschwörungstheorien angesprochen. Zunächst wird die Nähe zur Argumentation deutlich: Mit jeder Behauptung wird ein Geltungsanspruch (z. B. auf Wahrheit oder Wahrhaftigkeit) erhoben. Werden derartige Geltungsansprüche in Zweifel gezogen, so besteht die Notwendigkeit einer argumentativen Aushandlung bzw. Klärung. 10 Ein wesentliches Merkmal von Verschwörungstheorien besteht nun gerade darin, dass sie gängige Deutungsmuster (und damit erhobene Geltungsansprüche) infrage stellen, indem sie andere, häufig konträre Geltungsansprüche erheben. Somit ergibt sich die Notwendigkeit einer argumentativen Legitimierung der behaupteten Verschwörung, zumindest wenn der Anschein von Rationalität gewahrt bleiben soll. Weiterhin ergibt sich aus dem bisher Gesagten, dass Verschwörungstheorien versprachlicht werden müssen, um einen intersubjektiven Geltungsanspruch zu erheben. 11 Sie treten üblicherweise in Form einer Erzählung, einer Narration 12 auf, deren Funktion darin besteht, die behauptete Verschwörung zu plausibilisieren. Nicht nur aus diesem Grunde wird im Folgenden der gängige Ausdruck Verschwörungstheorie mehrfach durch Verschwörungserzählung ersetzt. Damit soll einerseits die Bedeutung der narratio bzw. der narrativen Elemente bewusst gehalten werden, andererseits wird durch diesen Ausdruck der Tatsache Rechnung getragen, dass es sich bei Verschwörungserzählungen eben nicht um das handelt, was in der Wissenschaft üblicherweise als Theorie bezeichnet wird, nämlich ein »System wissenschaftlich begründeter Aussagen zur Erklärung bestimmter Tatsachen od. Erscheinungen u. der ihnen zugrunde liegenden Gesetzlichkeiten« (Duden 2019 (Duden , S. 1786 . 13 Ein Charakteristikum von Verschwörungserzählungen kann darin gesehen werden, dass sie nicht nur eine Erzählung präsentieren, sondern sich häufig auf gängige Wirklichkeitsbeschreibungen beziehen, denen sie eine Alternative 9 Die folgenden Überlegungen fußen auf den grundlegenden Publikationen von Butter (2018 ) und Seidler (2016 . 10 Vgl. dazu ausführlich Habermas (1981, Bd. 1, S. 25-71) , Kopperschmidt (1989, S. 15-33 Heiko Schrang, über den es keinen Wikipedia-Eintrag gibt, betreibt einen eigenen Youtube-Kanal namens »SchrangTV«, der laut Focus Online 147.000 Abonnent*innen erreicht: »Seine Videos werden bis zu zwei Millionen Mal geklickt.« 17 Schrang stellt sich selbst als bekennenden Buddhisten dar und bedient neben politischen auch esoterische Themen. Sein Kanal »SchrangTV« trägt den Untertitel: »Erkennen. Erwachen. Verändern.« Auf seiner Homepage (www.heikoschrang.de) gibt es neben Kacheln mit den Aufschriften »SchrangTV« und »Talk« auch eine mit der Aufschrift »Spirit«, hinter der sich Angebote für esoterikaffine Internetnutzer*innen finden. In den Videos bedient Schrang sich stets des gleichen Settings: Er lässt sich in naher Einstellungsgröße (head and shoulder close-up) vor einer Wand filmen, an der gerahmte Fotos zu erkennen sind (u.a. von Mahatma Gandhi und John Lennon 18 ). In dieser Einstellung sind Mimik und Gestik deutlich zu erkennen (Abb. 1). sind, die bei SchrangTV exklusiv zur Verfügung stehen. Dieser Aspekt, der von Schrang stets mit sehr deutlicher Kritik an den Qualitätsmedien und einem Aufruf verbunden wird, sich »alternativer« Medien zu bedienen, soll im Folgenden nicht vertieft werden. 20 Vielmehr steht die Art der Argumentation im Vordergrund, die Frage, in welcher speziellen Weise Schrang Erzählungen zur Unterstützung seiner Argumentation einsetzt. In Schrangs Videos finden sich Behauptungen, die Teil seiner Gesamtargumentation sind und mantraartig in den Corona-Videos wiederholt werden. Sie werden hier kurz aufgelistet, um den verschwörungstheoretischen Kontext zu verdeutlichen, aus dem die folgenden Beispiele stammen. Grundsätzlich stellt sich Schrang als jemand dar, der den Dingen auf den Grund geht, der nichts unhinterfragt lässt: »Wenn du das glaubst, was alle glauben, dann wird es höchste Zeit, dass du anfängst, deine Einstellung zu überdenken.« (SchrangTV, 23.03.2020; 00:12-00:20) Die geforderte Einstellungsänderung wird nach Schrang durch die Erkenntnis gerechtfertigt, dass die von ihm als »Mainstream« bezeichneten Medien ihrer Aufgabe nicht gerecht würden und nur im Sinne der Herrschenden berichteten und »letztendlich von dieser Elite gelenkt werden« (SchrangTV, 01.04.; 4:50 Die Funktion dieser narrativen Elemente ist in erster Linie in der positiven Selbstdarstellung Schrangs bei gleichzeitiger Abwertung seiner Kontrahenten zu sehen. Er stilisiert sich in diesen Erzählungen als unerschrockener Wahrheitssucher, der auch vor persönlichen Nachteilen nicht zurückschreckt. Obwohl er von den tatsächlichen Verschwörern mit allen Mitteln massiv bekämpft wird, gibt er nicht auf. Die Zuhörer*innen müssen Schrang nur aufmerksam folgen, um so von seiner selbstlosen Tätigkeit zu profitieren und an seinem Erkenntnisgewinn teilhaben zu können. Sie werden auf diese Weise in die Lage versetzt, die zahlreichen Ungereimtheiten zu durchschauen, die Schrang für sie als das erwiesen hat, was sie tatsächlich sind: eine Verschwörung von oben, die sich gegen »Menschen wie du und ich«, gegen das gemeine Volk richtet. Die Funktion der exemplarisch zitierten Narrationen besteht mithin darin, Schrang als jemanden erscheinen zu lassen, der stellvertretend für seine Rezipient*innen verborgene Wahrheiten aufdeckt und sodann sein exklusives Wissen über Verschwörungen den nichtwissenden Massen mitteilt. Ein dermaßen selbstloses Handeln, wie Schrang es an den Tag lege, könne nur durch altruistische Motive erklärt werden. Diese werden in den Narrationen Schrangs fokussiert. Sie fungieren als moralische Legitimation der im Anschluss erfolgenden Argumentation. Als Fazit könnten Schrangs Rezipient*innen daraus ziehen: Jemand, der so selbstlos und unermüdlich wie Schrang gegen die Mächtigen agiert, dem muss man Glauben schenken, der ist über kleinliche Zweifel erhaben. Eine weitere Funktion der einleitenden Narrationen ist darin zu sehen, die Existenz der von Schrang behaupteten Verschwörung(en) zu plausibilisieren. Werde jemand wie Schrang, der altruistisch im Dienste der Wahrheit und der Demokratie arbeite, dermaßen mit unfairen und rechtswidrigen Mitteln an seiner Arbeit gehindert, dann sei davon auszugehen, dass eine Verschwörung gegen ihn im Gange sei. Diese Verschwörung richte sich allerdings nicht ausschließlich gegen Schrang, da dieser ja stellvertretend für seine Rezipient*innen -und alle, die es noch werden wollen -tätig sei. Es dürfte sich folglich um eine groß angelegte Verschwörung der politischen Elite gegen das Volk handeln. Die Funktion derartiger narrativ entfalteter Analogien, die wie Beispiel (5) auch Parabel-Charakter haben können 24 , ist in der Stützung von Schrangs Argumentation zu sehen, indem den Zuhörer*innen Situationen vor Augen geführt werden, die sie entweder sehr leicht entschlüsseln können, weil die Symbolik überdeutlich ist (Paddelboot gegen Kriegsschiffe, im Netz gefangene/freie Fische) oder aber Alltagswissen abruft (Bananenschale, Ölspur als gefährliche Stolperfalle bzw. Unfallursache). Bei derartigen Analogien wird häufig auch noch ein David-gegen-Goliath-Frame aufgerufen und somit sowohl an das Mitleids-wie auch das Gerechtigkeitsempfinden der Zuhörer*innen appelliert. Schließlich werden die Anhänger*innen Schrangs als Gruppe bzw. Familie angesprochen, um das Gemeinschaftsgefühl anzusprechen. Im Zusammenspiel mit der Selbstpositionierung Schrangs als Wahrheitssucher, der von der herrschenden Elite systematisch bekämpft wird, ergibt sich ein Appell an die Solidarität der Zuhörer*innen, die ja allesamt von Schrangs aufopferungsvoller Arbeit profitieren. Gelingt es, Widersprüche in gegnerischen Argumentationen aufzuzeigen, so hat man die Logik auf seiner Seite und kann die erhobenen Geltungsansprüche der gegnerischen Seite delegitimieren. Schrang weist in seinen Videos häufig auf Widersprüche hin, die er mittels narrativer Elemente in Szene setzt. So galten zum Zeitpunkt der von Schrang in Beispiel (8) Virus, der nur im Ostteil bleibt, im ehemaligen Ostteil, also der geht nicht rüber, also eine imaginäre Grenze ist da anscheinend gezogen worden.« (SchrangTV, 27.04.2020; 6:49-8:02) (9) Schaut euch bitte mal das andere Bild an! Ich wusste wirklich nicht, ob ich lachen oder ob ich heulen sollte. Die Polit-Darstellerin Kramp-Karrenbauer, die ja die Nachfolge übernommen hat von Flintenuschi, Ursula von der Leyen, mit ihrer Kompetenz, ja kann ich jetzt nicht sagen, aber im Endeffekt sind es immer die gleichen Personen, die in so eine Position kommen. Fakt ist aber eins: Guckt euch mal an, wie Journalisten, die übereinander herfallen, fast kuscheln, wo ich dachte: Oh, gibt es jetzt einen Hals-Nasen-Ohren-Kuss noch, weil ihr so nah aufeinander alle hockt? Die fallen übereinander, schlecken sich fast alle ab, aber, wichtig: Wir haben aber Maskenpflicht! Heißt, die Masken kommen grad hier an, aber hamse noch nicht geschafft auszupacken für sich selber die Maske. (SchrangTV, 27.04.2020; 6:01-6:48) Durch die narrativen Elemente im Beispiel (8) werden die (absurden) Folgen szenisch dargestellt, die sich ergeben, wenn man die in der gegnerischen Argumentation propagierten Maßnahmen befolgt. Diese Szenen laufen vor dem geistigen Auge der Zuhörer*innen ab und machen ihre Absurdität konkret. Eine solche Konkretheit kann durch eine abstrakte Argumentation, mittels derer auf Widersprüche hingewiesen wird, schwerlich erreicht werden. Dies gilt für die erzählten Supermarkt-Szenen, deren Absurdität ja darin besteht, dass mit dem Übertreten der Grenze eines Bundeslandes andere Verordnungen in Bezug auf die Maskenpflicht galten, während sich das Virus ungehindert über Ländergrenzen hinweg ausbreiten konnte. Im folgenden Beispiel (9) hingegen wird bildlich und somit »auf den ersten Blick« dargestellt, welch widersprüchliches Verhalten der politische Gegner an den Tag legt: Die »Mainstream«Journalist*innen berichten über die Lieferung von Masken, die der Bevölkerung als lästiges, aber unverzichtbares Mittel im Kampf gegen die Pandemie angepriesen werden, scheinen diesen Kampf selbst aber nicht ernst zu nehmen und es daher nicht für nötig zu erachten, Masken zu tragen und die Abstandsregeln einzuhalten. Mit der narrativen Darstellung der sich ergebenden Absurditäten und Widersprüche ist bei Schrang jedoch noch eine weitere argumentative Funktion verbunden. Sie besteht darin, die von ihm -sozusagen als Grundrauschen -verbreitete These von einer großen Verschwörung der Mächtigen gegen das Volk zu plausibilisieren: Wenn es zu solchen wie den geschilderten Absurditäten kommt, kann man die Argumentation des Gegners nicht ernst nehmen -sie führt sich vielmehr selbst ad absurdum. Es handelt sich mithin nicht um eine wahrhaftige Argumentation, sondern um ein Vertuschungsmanöver, das von den wahren Motiven der Handelnden ablenken soll. Es liegt also nahe, von einem Geheimplan bzw. einer groß angelegten Verschwörung auszugehen. Verschwörungstheorien -so wurde John D. Seidler (2016) anfangs zitiert -beziehen sich stets auf ein bestehendes Narrativ, dessen Fehlerhaftigkeit sie durch ein konträres Narrativ aufzudecken suchen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Argumentation von Verschwörungstheoretikern zu großen Teilen Contra-Argumentation ist, die ein Narrativ und die mit ihm als gültig vorausgesetzten Argumente als widersprüchlich, nicht plausibel etc. darstellen will. Dies funktioniert in den Videos von Schrang in erster Linie dadurch, dass er Generalisierungen vornimmt, die es ihm sehr leicht machen, Widersprüche aufzuzeigen. So wird etwa ignoriert, dass wissenschaftlicher Fortschritt in erster Linie durch Widerspruch zustande kommt, dass wissenschaftliche Hypothesen -zumindest idealtypisch -immer auch als Einladung zu einer kontroversen Diskussion gemeint sind. Wird diese Tatsache systematisch ausgeblendet, dann fällt es leicht »den Experten« oder »der Wissenschaft« Glaubwürdigkeit abzusprechen, weil sie sich ja »nicht einig« sei(en) oder sich gar »widersprechen«. Ähnliches gilt für »die Politik« bzw. »die Politiker«. Wird negiert, dass auch eine Demokratie vom Widerspruch lebt, und wird darüber hinaus Politiker*innen nicht zugestanden, Einsichten hinzuzugewinnen, aufgrund derer sich die eigene Position ändern kann, dann fällt es nicht schwer, auch in diesem Bereich Widersprüche aufzuzeigen und anzuprangern. Während der Corona-Krise ließen sich sowohl auf Seiten der Wissenschaft, insbesondere der Virologie, wie auch auf Seiten der Politik solchermaßen konstruierte Widersprüche aufzeigen: Diese betrafen etwa Sinn und Zweck einer Maskenpflicht oder die Bedeutung verschiedener Maßzahlen (Reproduktionszahl vs. Zahl der Neuinfektionen). Auf der politischen Agenda standen insbesondere Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus wie Ausgangsbeschränkungen, Versammlungsverbote und später die sogenannten Lockerungen, die -entsprechend der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland -in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wurden. Dass die Corona-Krise tatsächlich auch für Politiker*innen eine Ausnahmesituation darstellt, macht Gesundheitsminister Jens Spahn in der Parlamentsdebatte am 22. April 2020 deutlich, wenn er selbst auf Widersprüche hinweist, die der Tatsache geschuldet seien, dass sich der Wissensstand über die Bekämpfung des Virus mit jedem Tag verändere: Bei etwas anderem bin ich ausdrücklich Ihrer Meinung -das will ich auch grundsätzlich zu anderen Debatten, etwa auch gerade zur Maske und anderem, sagen -, dass wir nämlich miteinander in ein paar Monaten wahrscheinlich viel werden verzeihen müssen, weil noch nie [...] in der Geschichte der Bundesrepublik und vielleicht auch darüber hinaus in so kurzer Zeit unter solchen Umständen mit dem Wissen, das verfügbar ist, und mit all den Unwägbarkeiten, die da sind, so tiefgreifende Entscheidungen haben getroffen werden müssen; das hat es so noch nicht gegeben. Ich bin immer ganz neidisch auf diejenigen, die schon immer alles gewusst haben. [...] Ich bin mir sicher: Jenseits von Politik wird auch für die Gesellschaft, selbst für Virologen und Wissenschaftler, eine Phase kommen, wo wir alle im Nachhinein feststellen werden, dass man vielleicht an der einen oder anderen Stelle falschgelegen hat oder an der einen oder anderen Stelle Dinge dann noch mal korrigieren und nachsteuern muss. [...] (Plenarprotokoll Deutscher Bundestag 19/155 v. 22.04.2020, S. 19211 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass -wie bereits bei Quintilian ausgeführt -die Funktion der Narration in den untersuchten Youtube-Videos darin besteht, die Rezipient*innen auf die Sicht des Redners einzustimmen, indem Problemverhalte so dargestellt werden »wie es uns zustattenkommt« (Quintilian 2015, IV, 2, 20) . Wird die perspektivische Sichtweise Schrangs von seinen Rezipient*innen über-nommen, so bedeutet dies gleichzeitig, dass sie von ihnen als »objektiv« ratifiziert wird. Ein auf solche Weise erfolgreiches Framing stellt nicht nur für verschwörungstheoretische Argumentationen wie sie von Schrang präsentiert werden eine perfekte Ausgangslage dar. Funding Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL. Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. 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In: Armin Burkhardt (Hg.): Handbuch Politische Rhetorik Narration und Persuasion in der politischen Rede Logic and Parables: Do These Narratives Provide Arguments? In: Informal Logic 32 Theorie des kommunikativen Handelns. 2 Bde. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Alltagslogik. Struktur und Funktion von Argumentationsmustern Alexander Ziem/Lars Inderelst/Detmer Wulf (Hg.): Frame-Theorien im Vergleich. Modelle, Anwendungsfelder, Methoden Methodik der Argumentationsanalyse Sprache und Herrschaft. Die umfunktionierten Wörter. Freiburg/Basel/Wien: Herder (Herderbücherei. Initiative, 5) Schlagwörter und Leerformeln in der politischen Rede. In: Armin Burkhardt (Hg.): Handbuch Politische Rhetorik Gegenöffentlichkeit revisited: Rechtspopulistische Medienkritik und der Ruf nach objektiver Berichterstattung Populistische Medienkritik im Netz. Erscheinungsweisen und Erklärungsversuche Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln: Bastei Lübbe Narration as Argument Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Herausgegeben und übersetzt von Helmut Rahn. 6. Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Das narrative Urteil. Erzählerische Problemverhandlungen von Hiob bis Kant Verschwörungstheorien -linguistische Perspektiven. Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 14 »Yes we Ken« -Corona Verschwörungstheorien unter Mainstreamlinguistischer Lupe Die Verschwörung der Massenmedien Alltagspraktiken des Erzählens. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 48 /78): Heinrich Bölls sprachreflexive Diktion Verschwörungstheorien im Diskurs Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Narratives and the Concept of Argument Der Gebrauch von Argumenten. Weinheim: Beltz Athenäum Jenseits des Sagbaren -Zum stigmatisierenden und ausgrenzenden Gebrauch des Ausdrucks Verschwörungstheorie in der deutschsprachigen Wikipedia Ein Geisterschiff auf dem Meer der Sprache: Das Narrativ