key: cord-0058246-bspvgl1p authors: Hofert, Svenja title: Postagiler Denk- und Handlungsraum date: 2020-08-13 journal: Führen in die postagile Zukunft DOI: 10.1007/978-3-658-28426-8_5 sha: fb9907973994504b7cefbc1e510248fefe53e470 doc_id: 58246 cord_uid: bspvgl1p In Kap. 5 lade ich Sie ein, sich mögliche postagile Herangehensweisen mit mir anzuschauen. Diese entwickeln die „postagilen Denkboxen“ der vorherigen Kapitel weiter. Sie können das „post“ auch gerne streichen, wenn Sie der Meinung sind, es geht immer noch erst einmal darum, das Agile in die Welt zu bringen, oder wenn Sie finden, Agil ist doch Unsinn und es geht um etwas anderes, mehr Menschlichkeit etwa. Je mehr Menschen verstehen, auch ihre eigenen Grenzen verstehen, desto komplexer wird ihr Denken. Damit können sie der äußeren Komplexität besser begegnen. Sie können leichter einfache Lösungen finden, die nicht primitiv sind. Wir müssen etwas in seinem Facettenreichtum und der Perspektivenvielfalt wahrnehmen können, um es herunterbrechen zu können. Das ist eine der wichtigsten Führungsfähigkeiten überhaupt, wenn wir die Seite der Führungskunst betrachten. Ich nenne dieses Kapitel bewusst nicht Methodenkoffer und bezeichne es auch nicht mit "Praktiken". Es bietet nichts als bescheidene Anregungen, weiterzudenken. Es ist auch in dem Sinne nichts Neues, falls Sie Neues suchen. Neues ist ja, wie wir gesehen haben, Die Originalversion dieses Kapitels wurde korrigiert. Ein Erratum finden Sie unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-28426-8_6 sehr oft die Verbindung oder Weiterentwicklung von etwas Altem. Neues ist vor allem auch die Kunst, etwas wegzulassen oder anders anzuwenden. Meine Denkräume sind Neuinterpretationen, manchmal habe ich auch einfach nur vergessene Ansätze hervorgeholt, etwas aus einer Nische genommen und neu beleuchtet. Meine Ideen wären nichts ohne diejenigen, die vorher Getrenntes zusammen und Verbundenes auseinander gedacht haben. Sie wären nichts ohne diejenigen, die mich inspiriert haben, die mein eigenes "Extended Mind" bilden. Gregory Bateson schrieb: "Information ist Information, die einen Unterschied macht." [2] Es würde mich freuen, wenn Sie Information finden, die in Ihrem Kontext einen Unterschied macht. Wenn wir einen Schritt weiterdenken und unsere Ausgangsfrage WOHIN und den Zukunftskompass (Abschn. 2.1) betrachten, sollten wir immer erst prüfen, wo wir eigentlich gerade jetzt sind und weiterentwickeln, was da ist. Sowohl-als-auch ist eine beliebte und wichtige Haltung. An ihr ist nichts auszusetzen, außer dass es ihr an Klarheit fehlt. Die ökologischen Herausforderungen vertragen kein Sowohl-als-Auch. Hier geht es um Entweder-Oder -entweder wir verändern uns radikal oder wir gehen unter. Diese neue Klarheit verlangt Führung, die eindeutig in ihrer Werteorientierung ist. Niemand folgt einem Sowohl-als-auch-Leader, wenn es ums Eingemachte geht. Wert-Entscheidungen müssen eindeutig sein. Wenn sich eine Organisation für einen 100 %-Nachhaltigkeitsfokus entscheidet, gibt es da keine Second-Agenda mehr. Will sie Ausrichtung am Team, kann sie keine Egoismen zulassen. Neue Klarheit scheint ein Gegenpol zu Sowohl-als-auch, ist es aber nicht. Die neue Klarheit kann auch bedeuten, Mitarbeiterinnen den einen Baum und nicht mehr den ganzen Wald zu zeigen, Narrative zu finden, die Wirklichkeit ganz bewusst formen. Aus den Fake-News wird eine wertefundierte Wirklichkeitskonstruktion im Sinne von Themen wie Neo-Ökologie. Die Erkenntnis: Wir haben keine Zeit mehr, jeden mitzunehmen und im Detail zu überzeugen, Entscheidungen müssen jetzt fallen. Wer folgt, der folgt. Sowohl-als-auch habe ich in diesem Buch als dialektische Fähigkeit zur Verbindung zweier Seiten dargestellt, die sich gegenseitig bedingen: Führen und Folgen etwa. Sowohl-als-auch bedeutet aber nicht, dass diese immer zeitgleich aktiv sein müssen. Sie ordnen sich den großen Zielen vielmehr unter. Die neue Klarheit muss auch eine neue Ehrlichkeit beinhalten: "Ich vereinfache hier ganz bewusst, weil …" können Menschen besser nehmen. Gleichwohl gibt es kulturelle Unterschiede, die neue Klarheit unterschiedlich auftreten lassen. Neue Klarheit kann sogar bedeuten, eine Führungskraft in einem "früheren" Leadership Level einzusetzen, damit diese erreicht, was erreicht werden muss. Auch ein Tandem, dass unterschiedliche Seiten einer Medaille verkörpert, kann eine interessante Lösung sein, solange dieses Werte und Ideen vom Wohin verbinden. Sie werden Stärke gewinnen, wenn sie begreifen, dass Führung Klarheit und Sowohl-alsauch braucht. Wenn Sie erkennen, dass nicht eine Person all das abdecken kann, sondern nur mehrere. Wenn Sie verstehen, dass Führung ein Mandat beinhalten kann und oft auch muss. Und dass es nie Karriereoption, sondern immer eine Verantwortung mit gesellschaftlicher Relevanz sein muss. Es muss künftig andere Lösungen geben als die Führung als Beförderung. Der Begriff Beförderung darf sich auf das Transportwesen beschränken. Ermächtigung bringt Verantwortung und braucht Kontrolle. Warum sollte es nicht Gremien geben, die Führungsteams ermächtigen? Gremien, die sich zuvor Werten verpflichtet haben. Wie die Treuhandgesellschaft? Vorbilder? Ich kenne sie auf Konzernebene aktuell nicht. Der Ältestenrat ähnlich der Gerusia im antiken Sparta vielleicht… Kleine Firmen können diese Fragen allerdings ganz einfach lösen. Sie können herausarbeiten, was aktuell die größte Herausforderung bei der Umsetzung von etwas ist. Und dann die Mitarbeiterinnen wählen lassen, wen sie für die jeweilige Herausforderung als ideale Besetzung sehen. Am besten ohne Namen vorzugeben. Jeden Tag treffen wir Tausende Entscheidungen, zumeist ohne darüber nachzudenken. Entscheidungen geben eine Richtung, sie erzeugen Bewegung. Deshalb sind Entscheidungen, die Gewohnheiten verändern, der wichtigste Veränderungstreiber. Aus ihnen erwächst, oft nach kurzer Desorientierung, eine neue Ordnung. Die meisten Organisationen, die ich beobachtet habe, packen "Agilität" oder was sie dafür halten, einfach obendrauf. Sie machen dann auch noch Kanban oder Scrum oder ein weiteres Meeting, die bisherigen Führungskräfte werden obendrein auch noch Product Owner oder Scrum Master, Entscheidungen für "weniger" sind weniger beliebt, aber viel wirksamer. Dabei geht es vor allem um Entscheidungen, die den Rahmen für Interaktionen verändern. Entscheidungen, etwas wegzulassen, können die formale Position, Regelungen für Arbeitszeiten, die Sitzung, das Meeting, das Organigramm, den Firmenwagen betreffen. Am besten lassen Sie genau das weg, was die Kultur am meisten in jene Richtung prägt, die sich "festgefahren" hat. Fragen Sie sich: • Was verhindert die wirksame Kommunikation der Teams? • Was verhindert, dass sich Menschen in Teams auf Innovationen konzentrieren? • Was behindert das organisationale Lernen? • Was behindert das Entstehen und das Durchsetzen guter Ideen? • Was verhindert, dass Mitarbeiter sich auf die Themen konzentrieren, die wirklich, wirklich wichtig sind? Die Fragen sind nur Beispiele, bestimmt fällt Ihnen die Frage ein, die zu Ihrer Situation noch besser passt. Beschäftigen Sie sich nicht allein damit, binden Sie andere mit ein. Nicht immer sind es Entscheidungen für weniger. Manchmal sind auch Entscheidungen vonnöten, etwas dazu zu nehmen, beispielsweise eine neue Struktur für Entscheidungen. Wir verändern uns nicht, wenn um uns herum alles bleibt wie bisher. Viele Organisationen wollen etwas verändern, ohne grundlegend daran zu gehen, den Lebensraum der Mitarbeiterinnen neu und anders zu gestalten. Die meisten Agilitätsbestrebungen finden in einem unveränderten Umfeld statt. Das wird nicht genügend Bewegung bringen. Firmen mit altgedienten Mitarbeitern, mit wenig Dynamik und viel Beharrungsvermögen, brauchen vor allem ein Umfeld, in dem sich neue Leute mit den bewegungsfreudigen Altgedienten verbinden können. Das ist im bisherigen Organigramm, in den vorhandenen Strukturen extrem schwierig. Ein Umzug kann helfen, sowohl ein realer als auch ein Umzug im übertragenen Sinn, durchaus auch in den virtuellen Raum. Nicht ohne Grund bauen die meisten Unternehmen, die ernsthaft an ihrer Neuerfindung unter digitalen Vorzeichen arbeiten, an ihren Räumen, auch den Meetingräumen. Doch der Kontext ist nicht nur das Gebäude oder das Home Office, er ist auch Es kann Bewegung ins vertraute Umfeld bringen, wenn sich Teams neu bilden oder Subteams immer wieder neue Kombinationen bilden. So wichtig stabile Beziehungen und Vertrauensaufbau ist, so wesentlich ist auch Erneuerung, Durchmischung, Überraschung. Ohne Steuerung finden sich meist nur Ansammlungen vom Gleichen, denn "Gleiches und Gleiches gesellt sich gern" und Gegensätze ziehen sich eben doch weniger an. Neues entwickelt sich nicht aus Gewohnheiten und Routinen. Führung bedeutet auch, Routinen immer wieder zu brechen. Neue Begegnungen und Erfahrungen verändern Menschen, auch und gerade, wenn sie irritieren und überraschen. Natürlich sollten Sie den Kontext nicht verändern, nur um etwas zu verändern. Wie bei den Entscheidungen gilt auch hier: Suchen Sie nach dem größtmöglichen Hebel für das, was Sie erreichen möchten. Lassen Sie sich von Protest und Widerstand nicht gleich erschüttern. Ich habe erlebt wie Führungskräfte meckerten, als sie sich im Stuhlkreis niederlassen oder auf Rollenspiele einlassen sollten, wie sie klagten, als sie ihr Büro verloren oder den gewohnten Firmenwagen… Es braucht einen längeren Atem und Konsequenz, aber keine basisdemokratischen Entscheidungen, wenn aus einem neuen Gewächs eine kräftige Pflanze werden soll. Gleichzeitig ist es wenig sinnvoll, diese Dinge allein voranzutreiben; Sie brauchen Verbündete. Und noch mal: Strukturen. Geben Sie nicht zu schnell auf, evaluieren Sie aber auch, ob das, was Sie bewirkt haben, das ist, was Sie wollten. Denken Sie an die Kybernetik aus Kap. 2. Sie haben sich mit Ihrem Team ein Bild über Ihr "Wohin" gemacht. Sie glauben, Sie kennen die Richtung, zumindest grob. Nun leiten Sie daraus ab, dass es sinnvoll wäre, mehr Personen mit der Rolle der "Nachhaltigkeitsbeauftragten" zu betrauen. Sie schalten das innere Programm "Rollenkonzepte entwickeln" ein und leiten daraus Aktionen ab. Diese sollten Sie nun anschließend reflektieren, um das Bild bewusst wieder zu verändern, zu differenzieren oder zu vereinfachen. Abb. 5.5 vermittelt dazu einen Denkrahmen. Fördern Sie die Fähigkeit, zu vertrauen Man kann auch die Vertrauensverschwendezeit messen: • Wie viel Arbeitszeit schätzen Sie geht durch fehlendes Vertrauen täglich verloren? Der Begründer der "Theorie sozialer Systeme" Niklas Luhmann schreibt, dass der einzige Zugang im Umgang mit Komplexität Vertrauen sei [4] . In "Agiler führen" [5] habe ich die unterschiedlichen Arten von Vertrauen abgegrenzt. Ich kann in die Fähigkeiten von jemandem vertrauen, nicht aber in seine Integrität. Ich kann jemanden persönlich vertrauen, nicht aber fachlich. Vertrauen ist die wichtigste Zutat für Zusammenarbeit überhaupt. Es geht dabei nicht um blindes Vertrauen, das einen vom Selbstdenken entlastet. Ich kann einer Person Vertrauen entgegenbringen und mir dennoch bewusst sein, dass auch sie Fehler macht oder in manchen Punkten nachlässig sein kann, dass sie Dinge nicht bedenkt oder etwas vergisst. Wer sich vertraut, kann auch nachfragen, nachsehen und vom anderen etwas fordern. Allein das Wort "Kontrolle" hat im Agilen oft einen schlechten Ruf. Doch es geht nicht um Command & Control, sondern "Check". Manche meinen, dass man Menschen am meisten vertraut, die einem ähnlich sind und die eine vergleichbare Denkstruktur aufweisen. Ich kann aber auch jemandem vertrauen, der die Welt völlig anders betrachtet und die Dinge, die ich sehe, nicht sieht. Das Wichtigste sind dann gemeinsame mentale Modelle über das WOHIN, und die Frage WIE die Arbeit zu erledigen ist. Woran richte ich mein Handeln aus? Darüber muss Einigkeit bestehen und man muss darüber sprechen können, dass man eben nicht immer und in jeder Beziehung vertraut. Das ist allzuoft ein Tabu. Doch die Frage "was könnte dazu beitragen, dass du vertraust?" ist eine wichtige, ebenso "wie können wir damit umgehen, dass Vertrauen fehlt?" Es gibt ein sicheres Gefühl, wenn ich überzeugt bin, meine Gegenüber tun das, was ihnen möglich ist, ohne mein Vertrauen zu missbrauchen. Ich vertraue, wenn ich daran glaube, dass auch sie lernen und sich entwickeln wollen. Jede "Action", jede den Ball der Veränderung nach vorn treibende Handlung braucht Vertrauen. Vertrauen braucht verantwortungsvolle und reflektierte Mitarbeiter, die keine Angst vor dem Selbst-Verlust haben, wenn sie vertrauen, die wissen, dass sie etwas von dem anderen "hereinlassen" müssen, so wie auch der Andere seine inneren Türen öffnen muss. Das verlangt, dass diese Öffnung keine Ängste auslöst. Narzisstisch veranlagte Menschen können das nicht, jede Öffnung nutzen sie als Chance, ihr Gegenüber zu "besetzen". Im psychologischen Sinn unreife Menschen wiederum lassen sich besetzen. Für Vertrauen ist psychologische Gesundheit -oder Reife -die Basis. Das wird in Organisationen zu wenig gesehen, psychologische Gesundheit wird auf den Umgang mit Stress und Belastungen bezogen. Dieser ist wichtig und gut. Doch ist Persönlichkeitsentwicklung der wichtigste prophylaktische Faktor überhaupt. Gesunde Persönlichkeiten können gleichzeitig vertrauen und Grenzen ziehen. Sie sind erwachsen und nicht klein gehalten. Allzu leicht entsteht in Gruppen Kollektivismus: Dann rennen entweder alle in eine Richtung und folgen dem-oder derjenigen mit der stärksten Ausstrahlung, im schlimms-5.9 Fördern Sie die Fähigkeit, zu vertrauen ten Fall ist das der Narzisst, der Feindbilder entstehen lässt. Wer Strömungen blind hinterherrennt, hat kein Vertrauen in sich. Er sucht in dem anderen das, was in ihm selbst fehlt, er versucht, die eigene Leere mit Inhalt zu füllen. Wie ist Vertrauensförderung möglich? Sie fängt mit dem Nachdenken über Vertrauen an, mit dem Hineinhorchen in sich selbst und dem ehrlichen Aussprechen des Zweifels und der Angst. Sicher sind gemeinsame Aktivitäten hilfreich und ohne Frage fördert ein ganzheitliches Kennenlernen Vertrauen. Wenn ich also weiß, was meinen Kollegen auch privat umtreibt, kann ich ihm leichter vertrauen. Er ist dann einfach kein "weißes Blatt". Teambildung ist ein Teil der Teamentwicklung und ich schreibe mit Bauchschmerzen, dass das eine wichtige Maßnahme ist. Mit Bauchschmerzen deshalb, weil viele Maßnahmen sehr oberflächlich sind und das Event höher bewerten als das Kennenlernen. Teambildung ist auch der Prozess der gegenseitigen Ausdifferenzierung. Man wächst zusammen, indem man den anderen immer besser (er-)kennt. Dafür braucht man Zeit, und zwar immer wieder. Gerade auch in virtuellen Teams, in denen fehlende Bindung zur Organisation zum großen Problem werden kann -so wie zu große Bindung in Präsenzorganisationen oft eher veränderungshemmend wirkt. Vertrauen in Maschinen? Besser nicht. "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß": Das ist einerseits richtig, andererseits führt es dazu, dass Menschen mit veraltetem und fehlendem Wissen durch die Welt laufen. Menschen, denen auch die Betriebsanleitung für sich selbst fehlt. Eine schlechte Basis für eine fruchtbare Mensch-Maschine-Zusammenarbeit. Deshalb halte ich es für zentral, die vielen Bildungslücken bezogen auf das Menschsein zu schließen, und die Säugetiere gleich einzuschließen. Neuere Erkenntnisse etwa der Neurowissenschaft sind nur bei einer kleinen Menge angekommen, die sich breit informiert. Die große Masse, auch die der Führungskräfte und Mitarbeiter, hat Bildungslücken. Die wichtigste Information wurde nie vermittelt: Dass wir nur lernen, was "zeitgemäß" ist und bestenfalls, was dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Diese ist aber nicht wahr und wirklich, sondern oft schlicht falsch und überholt. Sie unterliegt zudem kulturellen und anderen Wahrnehmungs-Verzerrungen. Vielleicht hätten zwei Weltkriege vermieden werden können, wenn früher klar gewesen wäre, dass die "Rassenlehre" vollkommener Unsinn ist, weil der Genpool von uns Menschen sowieso nahezu zu 100 % identisch ist. Es gibt unendlich viele Mythen, die uns nach wie vor steuern und die wir wie einen Schatz als Wahrheit hüten. Über uns selbst wissen wir kaum Bescheid. Deshalb halte ich es für sehr zentral und wichtig, Menschen über sich selbst aufzuklären, auch und gerade wenn sie die Schule und das Bildungssystem längst verlassen haben. Es gilt, sich die eigene Funktionsweise als emotionales und für Außenreize und Beeinflussung empfängliches Wesen, das von seinem Kontext mit unterschiedlichem Inhalt bespielt wird, bewusst zu machen. Der zeigt sich etwa kulturell: Europäer glauben daran, dass jeder Mensch sich selbst verwirklichen müsse, Araber und Asiaten an ein Aufgehen in Familie, Clique oder Kollektiv. Das allein deutet schon darauf hin, dass es keine universelle Wahrheit geben kann. Das zu verstehen ist ein wichtiger Schritt in einer Welt, in der Unterschiedlichkeit Konzept sein muss, um Probleme gemeinsam zu lösen, allen voran die existenzbedrohenden des Klimawandels. Was steuert uns? Wer das verstanden hat, kann besser mit sich und anderen umgehen. Neben einem komplexen Selbst, dem "extented self", und komplexen Gruppendynamiken steuern uns auch Urteilsheuristiken und Biasse, die unser Denken abkürzen, vereinfachen und die Wahrnehmung beschleunigen und erleichtern. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman [6] hat diese mit "Schnelles Denken, langsames Denken" berühmt gemacht. Doch obwohl es längst viele "Anti-Bias-Trainings" gibt, ist langsames Denken den meisten Menschen noch nicht verinnerlicht. Zur Erklärung: Ein Bias ist eine kognitive Verzerrung wie etwa der "Rückschaufehler", der uns die Erinnerung im Nachhinein falsch konstruieren lässt, weshalb Zeugenaussagen oft unzuverlässig sind. Berühmtes Beispiel ist Präsident George W. Bush, der sich beim Anschlag am 11. September 2001 in einer Schule wähnte, obwohl er einen ganz anderen Termin wahrgenommen hat. Wir mixen Erinnerungen, verzerren und erfinden neu -auch die Welt, in der wir leben und arbeiten möchten. Es würde so einiges ändern, wenn wir verstünden, tief verstünden, dass auch Sprache uns prägt, unser Denken vereinfacht oder komplexer macht. Die Differenzierung von Sprache steht in einem direkten Zusammenhang zur differenzierten Wahrnehmung. Der Mensch kann nur wahrnehmen, wofür er Worte nicht nur hat, sondern auch verwenden kann. Jedes neue Wissen vermischt sich mit altem, und das bisherige, Alte, steht dem Neuen immer im Wege. Etwas neu zu verstehen ist deshalb nie eine einmalige Sache, sondern ein Prozess. Er geht immer mit Anstrengung und Verwirrung einher. Suchen Sie nach Gegenbeweisen statt nach Beweisen. Stellen Sie Fragen nach dem, was Sie oder andere NICHT sehen, hören, verstehen. Fördern Sie die Widerlegung eigener Thesen. Wenn wir nicht mehr den Beweis einer These belohnen, sondern dessen Widerlegung, initiieren wir damit ganz andere Handlungen. Anreize müssen so gesetzt sein, dass nicht das "Richtige" im Vordergrund steht, sondern die Entdeckung des eigenen Irrtums. Wer darüber lachen kann, wieder mal falsch gelegen zu haben, geht damit ganz anders um. Werden Sie dabei ein "Learn-it-all" und erweitern Sie Ihre Möglichkeiten. Es wird viel geredet über die Komfort-, die Stretching-und die Growthzone. Aber mit einer Möglichkeitenraum-Expansion hat es noch niemand in Verbindung gebracht, dabei ist das ganz zentral und extrem wichtig. Abb. 5.6 übersetzt das in ein Bild. Veränderung wird nur durch die Überwindung eigener Grenzen möglich und jeder Lernprozess kostet Anstrengung. Wer sich weiter ausdehnen will, muss sich auch besonders anstrengen: Üben, wiederholen, über Grenzen gehen. Die Belohnung dafür ist, dass ich mehr erreiche, als alle in meinem Umfeld jemals für möglich hielten -weil sie eigene und andere Möglichkeitenräume begrenzen. Der Achtsamkeitstrend ist überall angekommen. Dank des Buches "Search inside yourself" von Chade-Meng Tan ist er jetzt auch businesskompatibel. Ich betrachte es mit einem lachenden und weinenden Auge, denn Mindfulness kann wie agile Methoden zu einer Karikatur werden. Dann werden einem Mantras ins Ohr gesetzt, deren Inhalt eine subtile Art der Beeinflussung ist, nicht aber den Kopf frei macht für das Jetzt. Für mich ist wahre "Mindfulness" ohne Ton und nur mit minimaler Anleitung, denn es muss darum gehen, zu sich selbst zu kommen. Immer wieder höre ich "Bei mir passiert nichts bei diesen Meditationen", und ein Grund könnte darin liegen. Die angeleiteten Meditationen sind zu eng, zu wenig offen, zu wenig individuell. Jeder Mensch spricht auf andere Bilder, Geräusche und Empfindungen an. Als Siddhartha Gautama fast 30 Jahre alt war, verließ er den Palast seiner Eltern, seine Frau und seinen kleinen Sohn. Sein Ziel war es, Frieden und Erlösung zu finden. Er wan- [7] . Siddhartha widmet sein Leben der Suche nach dem Atman, der Seele, dem Geist, der in jedem Menschen ist. Dem, was man nur im Hier und Jetzt erfahren kann, in dem Moment, in dem wir ganz bei uns selbst sein können. Die aufmerksame Leserin hat vielleicht den Bezug zu den Leadership-Leveln erkannt. Es ist der "Synergist", der diese Weisheit am ehesten mitbringt. Das sind keine Schaumschläger, keine oberflächlichen Charismatiker, sie haben immer eine spirituelle Erfahrung. Diese muss nicht, aber kann religiös sein, doch niemals will sie anderen etwas aufzwingen. Jetzt-Bezug bringt mehr (Selbst-)Bewusstsein. So investieren Unternehmen in ihre eigene Zukunft, wenn sie Mitarbeiterinnen den Raum geben, Achtsamkeit zu lernen. Sie kommen dadurch zu Ruhe, können öfter aus dem Hamsterrad austreten und werden entspannter. Es gibt zahlreiche Programme, um Achtsamkeit in ein Team zu bringen. Sie alle verlangen, dass Zeit-Räume geschaffen werden. Wir bei Teamworks haben selbst ein derartiges Programm durchlaufen, das von einer Praktikantin in ihrer Bachelorthesis ausgewertet worden ist. Das Ergebnis waren mehr Zusammenhalt und weniger Stressempfinden bei allen. Es fiel den Mitarbeiterinnen leichter, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, zudem entstand noch mehr gegenseitiges Vertrauen. Programme für Achtsamkeit im Beruf dauern für gewöhnlich sechs bis acht Wochen. Das ist die Zeit, die das Gehirn braucht, um sich an etwas Neues zu gewöhnen oder alte Gewohnheiten zu brechen. Manche dieser Programme werden sogar gefördert. Zu diesem Thema empfehle ich außerdem das Buch "Mindful Leader" von Esther und Johannes Narbeshuber [8] . Eine Übung, die ich Ihnen vorstellen möchte, stammt im Kern von Genpo Roshi [9] und nennt sich "Big Mind Process". Ich habe sie etwas abgewandelt. Sie zielt darauf, sich selbst wahrzunehmen und zu spüren. Alle Menschen können diese Übung durchführen und jeder wird damit etwas anfangen können: • Wenn Sie auf Ihrem Stuhl sitzen, setzen Sie sich auf Ihren rechten Sitzhöcker. Halten Sie diese Position ein und denken Sie an eine Zeit in Ihrem Leben, in der Sie ein Opfer waren. Versetzen Sie sich in das "Opfer". Denken Sie wirklich an "Jeder hat in seiner Wirklichkeit recht" -viele würden diesen Satz unterstreichen, doch die darin steckende Wahrheit anzunehmen, ist etwas ganz anderes. Das würde bedeuten, anzunehmen, dass es verschiedene Wirklichkeiten gibt und niemals Eindeutigkeit. Menschen mit hoher Ambiguitätstoleranz können das aushalten, ja mehr noch, es ist für sie die Realität. Das macht es ihnen leichter, damit umzugehen, dass manche heute getroffene Entscheidung morgen schon revidiert werden muss. Sie wissen, dass eine Organisation niemals Eindeutigkeit herstellen kann. Ihnen ist klar, dass es immerzu miteinander konkurrierende Wertesysteme gibt. Das macht sie wirksamer im Umgang mit Veränderungssituationen. Je nach Autor und theoretischer Ausrichtung wird die Ambiguitätstoleranz als Persönlichkeitseigenschaft oder als kognitiver Wahrnehmungsprozess gesehen. Psychoanalytische Konzepte rechnen sie den so genannten Ich-Funktionen zu. Ich-Funktionen sind bewusstes Wahrnehmen, Unterscheiden, Erinnern, Denken und Steuerung der Impulse. Ich bin nicht der Meinung, dass die Ambiguitätstoleranz eine Persönlichkeitseigenschaft ist, denn damit wäre sie eher veranlagt. Ich bin vielmehr überzeugt, sie lässt sich entwickeln und ist ein gewachsenes Element von Persönlichkeit. Einiges an Lebenserfahrung braucht man allerdings schon, um erlebt zu haben, was Ambiguität bedeutet. In der Theorie der Identitätsbildung des Soziologen Lothar Krappmann [10] Die Psychoanalytikerin Else Frenkel-Brunswik [11] definierte Ambiguitätstoleranz schon in den 1940er-Jahren als eine Fähigkeit eines Individuums, die Koexistenz von positiven und negativen Eigenschaften in ein und demselben Objekt erkennen zu können. Das setzt voraus, dass man überhaupt differenzieren kann, was einigen Menschen schwerfällt. Sie streben danach, etwas als grundlegend gut oder grundlegend schlecht sehen zu wollen. Es fehlen Schattierungen. Das Fördern von Schattierungsdenken ist deshalb sehr wichtig für Ambiguität. Laut dem Psychologen Budner [12] , der ein Messinstrument entwickelte, reagieren ambiguitätsintolerante Personen auf ambiguitive Reize mit psychischem Unwohlsein. Ambiguitätstolerante Personen hingegen tolerieren diese Reize nicht nur passiv, sondern haben sogar ein Bedürfnis danach. Damit verbunden ist also eine positive Emotionalität. Nur wenn ich selbst zeige, wie ich mit ambiguenten Situationen umgehe, können andere das lernen. In unserer Ausbildung bekommen wir oft das Feedback, dass die Art und Weise unseres Umgangs mit schwierigen Situationen besonders lehrreich war. Ambiguitätstoleranz kann man sich also auch von anderen "abgucken". Führungskräfte müssen da vorangehen. "Wissen ist Macht", sagt man. Wissen gestaltet aber auch Beziehungen. Wenn ich Wissen habe, dann brauche ich mehr Aktion als Interaktion, so könnte die Gleichung lauten. In der Vergangenheit war das auch richtig so. Da es die eine Person war, die Ansprechpartnerin für Wissens-und Entscheidungsfragen war, brauchte sie nicht mit anderen zu interagieren. Sie übertrug vielmehr die eigenen Entscheidungen auf den oder die anderen. Es war also nur nötig, dass der oder die andere hinreichend offen war, etwas als Gegeben anzunehmen. In Es müssen neue und identitätsstiftende Rollen gefunden werden: Jemand, der sich um Übersetzung und Überbrückung kümmert beispielsweise. Oder jemand, der Wissen kata-lysiert und furchtbar macht. Vor allem aber muss klar werden, dass alles was fruchtbar wird, die Gemeinschaft braucht. Die meiste Zeit reden wir heute über Dinge, die nicht existieren. "Agil" ist genauso wenig existent wie "postagil". Wir streiten uns über diese Dinge. Den wenigsten ist ihre Nichtexistenz allerdings bewusst. Dabei könnte es sehr hilfreich sein, sich das zu vergegenwärtigen. Wir könnten uns dann bewusster für oder gegen Begriffe entscheiden. c Wenn ich wahrnehme, was ein Begriff, so abstrakt er auch sei, in mir auslöst, komme ich der Bedeutung auf die Spur. Das wiederum ermöglicht Verständigung. Die Folge ist die Chance zur Differenzierung, aber auch Vereinfachung. • Abstrakte Begriffe haben Emotionspotenzial. • Abstrakte Begriffe unterliegen Moden. • Abstrakte Begriffe verändern ihre Bedeutung durch den Gebrauch. "Agil" ist ein gutes Beispiel dafür: Je weniger ich diesen Begriff differenzieren kann, desto emotional aufgeladener wird er sein. Auch die Haltungen dazu entwickeln sich entsprechend und meist sehr einfach anhand eines Gut-böse-oder Richtig-falsch-Schemas. Ein solches Schema kann man nutzen zur Stimmungsmache, für friedliche Entwicklung ist es untauglich. Was vielen Menschen kaum bewusst ist: Damit ich etwas vereinfachen kann, muss ich es zunächst in seiner Tiefe verstehen. Erst dann kann ich differenzieren. Ich muss mein Verständnis des abstrakten Begriffes erhöhen, damit ich es in eine Art Gedankenkonzentrat überführen kann. Dabei ist es wichtig, die emotionale Dimension mit zu berücksichtigen, denn diese wird maßgeblich für die Akzeptanz eines so zerlegten Wortes sein. Wenn mir also klar ist, dass "agil" vieles bedeuten kann, z. B. "lean" oder auch "kundenzentriert", verlagern sich damit auch die damit verbundenen Emotionen auf das, was sich wirklich zeigt. So kann die Luft aus vielen Wort-Blasen entweichen. Gleichzeitig besitzen neue Wörter Potenziale für die Mobilisierung von Kollektiven. Löst eine Wortschöpfung das Gefühl von Hoffnung aus, wird diese eher angenommen werden können. Das spricht für neue und unverbrauchte Begriffe. Welche das sind, ist dem Kontext vorbehalten und seiner bisherigen Sprachgeschichte. Begriffe mit Emotionspotenzial können gefühlsmäßig positiv oder negativ aufladen, wodurch sie Bewegung erzeugen. Sie können anziehen oder abstoßen, auch zuerst anziehen und dann abstoßen, wie es dort der Fall ist, wo Agilität als verbrannt gilt (wohlge-5.14 Nutzen Sie Emotionspotenziale von Begriffen merkt ein Wort). So muss die Begriffsverwendung auch langfristig gedacht werden, denn andernfalls ist das schöne neue Wort schnell zerpflückt. Wortschöpfungen können sehr hilfreich sein, um Altes abzulösen, einen Schnitt zu machen, wenn das Alte eben nicht mehr weiterführt. Wenn Sie erkannt haben, dass Worte keine Wahrheit sind, können Sie anfangen das zu nutzen. Greifen Sie Worte auf, die in Ihrem Umfeld positiv belegt sind. Lassen Sie Teams Worte finden, beteiligen Sie alle an der Neuwortsuche, wenn etwas Altes verbrannt ist. Seien Sie behutsam. Die Dosis entscheidet. Es ist schwierig, Dinge Neu-Neu oder Post-Post zu nennen. Das Spiel mit Worten darf nicht übertrieben werden, dann wird es zum Bumerang. Abstraktes erkennt man daran, dass es definiert und mit konkretem Inhalt gefüllt werden muss. Auch hier hilft der Kompass in Abb. 5.1. Verständigung auf abstrakter Basis ist nur möglich, wenn die Kommunikationspartner ein ähnliches Verständnis entwickelt haben. Wer sich mit Wortbedeutungen beschäftigt, schult sein Denken. Sprechen und Denken bedingen einander. Die digitalisierte Zukunft wird Jobs entstehen lassen, die auf der Fähigkeit basieren, dass Menschen miteinander kooperieren. Diese Fähigkeit ist in Menschen angelegt, doch wird sie vielfach im Laufe des Erwachsenwerdens verschüttet. Sie war im Wertekodex unserer Gesellschaft nicht angelegt. Im besten Fall durften Mädchen Gefühle zeigen, für berufliche Karriere aber bedeutete Emotionalität für Frauen oft das Aus. Immer noch ist es so, dass in den oberen Etagen Gefühle keinen Zugang haben, obwohl sie natürlich dauernd da sind und nur verdeckt gehalten sind. Agilität hat daran nichts grundlegend geändert. Wer seine Gefühle zeigt, gilt mancherorts als "Weichei". Das soll kein Aufruf zur dauernden Gefühlsduselei sein. Denn am Ende geht es mehr darum, Gefühle wahrnehmen und artikulieren zu können. Es bedeutet nicht, dass man diese allerorts auch zeigen muss. Es geht vielmehr um die Fähigkeit eines gesunden Umgangs damit. Emotionale Agilität ist letztendlich aus psychologischer Sicht die Voraussetzung für agiles Verhalten. Nur wer seine eigene Emotionalität beobachten und benennen kann, wer sie überhaupt wahrnimmt, kann auch den anderen in seiner emotionalen Vielheit erkennen. Das ist nicht weiblich oder männlich, es ist menschlich. Emotionalität ist sehr eng verbunden mit Intuition und Empathie. Intuition ist die Fähigkeit, ohne aktiv zu denken, einfach zu wissen, was zu tun ist. Empathie ist das Vermögen, mit-und nachzuempfinden, aber zugleich auch Grenzen zu setzen, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Sowohl Intuition als auch Empathie sind bei vielen Menschen unter einem Berg von Pseudo-Rationalität verschwunden. Viele Menschen können beides bei sich gar nicht mehr erkennen. Manch gute Intuition ist von Wissen plattgewalzt, manch wertvolle Empathie im Leistungswettbewerb verloren gegangen. Viele Menschen halten sich für empathisch, sagen, sie fühlten intensiv und sähen alles. Doch oft täuschen sie sich selbst. Meist bewegt sich Empathie auf dem Niveau oberflächlichen Mitleids. Sich selbst können viele dieser Menschen gar nicht richtig spüren. Wie sollten sie dann einem anderen nachempfinden können? In uns stecken aber stets verschiedene Schichten an Emotionserinnerungen, die in unterschiedlichen Lebensphasen entstanden sind. Das wahrzunehmen bedeutet auch zu erkennen, dass in uns immer noch das Kind von damals schlummert. Wir sind viele Teile, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Die Autorin Stefanie Stahl hat dieses Teile-Denken mit "Das Kind in dir muss Heimat finden" bekannt gemacht [13] . In unserem Gehirn und Körper sind alte und vergangene Emotionen als Markierungen gespeichert, die sich mit unseren früheren Erfahrungen verbunden haben, manche so stark, dass sie unsere Handlungsmuster bilden. Denken Sie nur an den verstorbenen Künstler Michael Jackson, der immer wieder seine Nase operieren und seine Gesichtshaut bleichen ließ. Sein Vater hatte ihn, so wird erzählt, als Kind und Jugendlicher für seine "big nose" und seine Akne gehänselt. So etwas fräst sich in einen Menschen hinein. Sind Gefühle mit traumatischem Erleben verbunden, so dissoziieren wir uns davon. Wir spalten es ab, es gehört nicht zu uns. Es ist nicht wirksam integriert. Viele Probleme auch in Organisationen entstehen dadurch. Die psychologische Lösung ist die Integration, die Annahme. Integration verschiedener Anteile von uns legt so auch eine Basis für die eigene Empathiefähigkeit anderen gegenüber. Je mehr wir mit unseren eigenen Erlebnissen, auch den schwierigen, assoziiert sind, desto gesünder und widerstandsfähiger sind wir. Es ist so einfach: Wer sich selbst in all seinen Facetten liebt, kann auch auf andere unvoreingenommen zugehen. Das Konzept emotionaler Intelligenz nach Daniel Goleman kann in Organisationen sehr hilfreich sein, um das Thema tiefer zu verankern. Goleman war ein Studienkollege von Mindfulness-Erfinder Jon Kabat-Zinn. Achtsamkeit fördert emotionale Intelligenz, zu der in Golemans Konzept auch die Empathie gehört. In Abb. 5.7 sehen Sie die verschiedenen Stufen der Entwicklung von emotionaler Intelligenz, die auch einen Rahmen für Schulungen bilden können. Dies ist die Fähigkeit, seine eigenen Gefühle und ihre Wirkung auf die Umgebung wahrzunehmen und zu verstehen. Es bedeutet, sich überhaupt spüren zu können, und ist erkennbar daran, dass jemand in der Lage ist, innerlich Stopp zu sagen und den eigenen Wahrnehmungen zu folgen. Es zeigt sich auch an der Fähigkeit, wirklich aktiv zuzuhören. Aus diesen beiden Aspekten können Sie ablesen, worauf bei der Entwicklung zu achten ist. Menschen mit hoher Selbstregulierung können auf negative Stimmungen, Feedback, Wünsche und Impulse kontrolliert reagieren. Es beinhaltet also auch die Fähigkeit zur Impulskontrolle. Ein Choleriker, der sofort in die Luft geht, hat diese Fähigkeit nicht. Er 5.15 Erkennen Sie emotionale Bildung als Schlüssel muss lernen, erst mal um den Block zu gehen und sich selbst zu beruhigen: Durchatmen, pausieren und dann weitermachen. Bis hierhin sind eher Voraussetzungen für Empathie beschrieben. In Golemans Konzept ist Empathie als Teil der emotionalen Intelligenz das Vermögen, sich in andere Menschen hineinversetzen und einfühlend reagieren zu können. Sie beinhaltet die Fähigkeit, Stimmungen anderer zu erkennen und darauf eingehen zu können, und zwar auf angemessene Weise. Empathie bedeutet auch mitzuleiden, jedoch heißt das keineswegs, dass ein sehr empathischer Mensch an der Welt verzweifelt, weil er all das Leid spürt. Das spricht eher für fehlende Selbstregulierung und ein schwaches Ich. Ein starkes Ich fühlt mit, kann sich aber auch abgrenzen. Menschen, die soziale Kontakte aufbauen und halten können, zeigen emotionale Intelligenz. Dabei geht es um das Aufbauen, aber eben auch bewahren und verändern können von Beziehungen. Es bedeutet nicht, dass man möglichst viele Kontakte hat, die Tiefe der Beziehungen ist viel wichtiger. Hier zeigt sich auch die Wechselseitigkeit von Empathie, die eben mehr ist als reines Mitfühlen. Dies ist die Fähigkeit, sich Zielen zu verschreiben und immer wieder selbst motivieren zu können. Das ist dann ganz zentral, wenn die Dinge nicht nach Plan laufen. Die Motivation in diesem Sinn bedeutet auch Selbstwirksamkeit: Menschen glauben, dass sie etwas bewirken können. Sie glauben also auch an sich selbst. In der Gefühlswelt gibt es sehr viel Sowohl-als-auch. Deshalb müssen wir lernen, über die unterschiedlichen Gefühle mehr zu sprechen. Wir freuen uns auf das Neue, aber wir haben eben auch Angst. Unterschiedliche Gefühle können unsere Handlungen blockieren. Wenn der Freude eine fast ebenso starke Angst entgegensteht, passiert am Ende … nichts. Wer widersprüchliche Gefühle zulassen kann, ist zudem wahrscheinlicher ambiguitätstolerant. Die Ich-Entwicklung zeigt, wie sich die Denk-, Fühl-und Handlungslogik nach und nach öffnet, weiter wird. Die innere Komplexität steigt. Äußere Komplexität jedoch braucht die innere. Jede Denkabkürzung entlastet, aber birgt auch die Gefahr, dass wir wichtige Informationen außen vor lassen, uns in unseren Bewertungen irren. Viele wichtige und einflussreiche Menschen haben sich über die Zukunft heftig geirrt. "Es ist so, weil ich es so sehe" ist die Haltung dahinter. Wenn wir dies erkennen können, erleichtert das den Umgang mit schwierigen Situationen sehr. An dieser Stelle möchte ich Ihnen eine sehr einfache Vorgehensweise aus dem Züricher Ressourcenmodell (ZRM) mit auf den Weg geben, die gemischte Gefühle offenlegt und besprechbar macht. Es ist die Messung von positiven und negativen Affekten zu einem Ziel oder Vorhaben. Affekte beschreiben dieses kurze Aufblitzen eines Gefühls, sie sin einfach positiv oder eben negativ. Nehmen wir an, Ihr Team möchte eine neue Lernkultur entwickeln. Sie haben das skizziert und alle sind damit einverstanden. Dennoch setzt sie niemand um. Woran liegt es? Lassen Sie die Teammitglieder sich einfühlen und spontan auf ein Blatt vermerken, wie es ihnen damit geht. Unten auf der Skala sollte einfach nur 0 und oben einfach nur 100 stehen. Danach können jeweils Zweiertandems über ihre Skizze sprechen. Was zeigt sich daran? Welche Gedanken kommen? Was müsste passieren, damit der positive Affekt viel deutlicher ausfällt und der negative geringer? Am Ende tragen Sie das Besprochene zusammen und ziehen Erkenntnisse daraus, die für alle relevant sind. Als Peter seinen Job als Abteilungsleiter verlor, fiel er in ein tiefes Loch. Er konnte sich zu nichts mehr aufraffen. Er verlor die Lust an allem. Den ganzen Tag dachte er darüber nach, was er falsch gemacht hatte. Er, die langjährige Führungskraft, die bei den Mitarbeitern doch so beliebt war! So etwas passiert in unserer Arbeitswelt täglich. Immer mehr Menschen müssen sich neu erfinden. Maria nahm es sportlich, als sie ihren Bereichsleiterposten verlor. Jetzt würde sie sich noch einmal anders ausprobieren und neue Erfahrungen sammeln dürfen. Ganz sicher wäre das eine Chance, woanders Neues zu lernen und andere Kollegen kennenzulernen. Nach einer kurzen Trauerzeit war sie bald wieder obenauf. Die beiden vorstehenden Absätze zeigen verschiedene Bewältigungsstrategien nach einem vermeintlichen Misserfolg. Die zweite zeigt Resilienz, also Widerstandskraft. Wer resilient ist, kann leichter mit Veränderungen umgehen, sich also auch einfacher an neue Bedingungen anpassen. Es ist also äußerst sinnvoll, Resilienz zu stärken In der Digitalisierung erleben wir das gerade in allen Unternehmen: Da gibt es Führungskräfte und Mitarbeiter, die produktiv mit den Veränderungen umgehen, und solche, die das nicht tun. Die einen gehen guten Mutes in die Zukunft, die anderen halten sich an Vergangenem fest. Was denken Sie, wer wird besser in der Lage sein, in unserem Sinn zu führen -also im Sinne eines dauernden Wechselspiels von Führen und Folgen? Peter hält fest: Er kann nicht folgen, er kann auch keine Richtung finden, also auch nicht führen. Er ist bei sich und nicht bei den anderen. Es kann sein, dass er früher einmal sehr gute Arbeit geleistet hat und seine Mitarbeiterinnen wirklich zufrieden waren. Ganz sicher aber hat Peter nie mit dem Gestalterblick auf den Kontext geblickt, sondern immer nur mit der Umsetzerbrille. Das heißt, er hat nie wirklich geführt, er ist immer nur gefolgt -trotz der formalen Position. Die Resilienzforschung hat herausgefunden, dass resiliente Menschen, die objektiv genauso viel Rückschläge erleben wie andere, dennoch produktiver damit umgehen. Was resiliente Menschen kennzeichnet: • Eine positive Haltung zum Leben • Handlungsorientierung statt Lageorientierung • Ein gesundes Selbst, das Grenzen um sich ziehen kann • Die Haltung "Ich bin OK, du bist OK" Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Physik und bezeichnet in der Werkstoffkunde die Fähigkeit eines Werkstoffes, sich verformen zu lassen. Übertragen auf die Beispiele heißt das also, dass resiliente Menschen sich eher anpassen an das, was ist und kommt. Unter objektiv oder subjektiv schlechten Bedingungen raffen sie sich auf und gestalten einen positiven Ausgang. Der Begriff Resilienz geht zurück auf die Forschungen der Psychologieprofessorin Emmy Werner von der University of California. Sie studierte mit ihrem Team aus Kinderärzten, Psychologen und Mitarbeitern den Einfluss einer Vielzahl von biologischen und psychosozialen Risikofaktoren auf die Entwicklung von 698 Kindern. Alle waren 1955 auf der Insel Kauai auf Hawaii geboren wurden. Die Langzeitstudie umfasste viele Phasen und begann mit einer ersten Untersuchung in der pränatalen Entwicklungsstufe, also noch vor der Geburt. Sie wurde im Alter von 1, 2, 10, 18, 32 und 40 Jahren wiederholt. Ein Drittel der Kinder hatte aus Sicht der biologischen und psychosozialen Faktoren ein hohes Entwicklungsrisiko. Sie waren in Armut hineingeboren, waren geburtsbedingten Komplikationen ausgesetzt oder wuchsen in Familien auf, die durch elterliche Psychopathologie und Konflikte belastet waren. Werner fand heraus, dass es ein Drittel Kinder gab, die sich trotz zahlreicher Risikofaktoren positiv entwickelten. Sie wurden zu leistungsfähigen, zuversichtlichen und fürsorglichen Erwachsenen. In dieser Gruppe gab es im letzten Durchlauf (40 Jahre) die niedrigste Rate an Todesfällen, Gesundheitsproblemen und Scheidungen. Niemand aus dieser Gruppe benötigte Sozialhilfe, alle hatten Arbeit und führten stabile Ehen. Diese Kinder bezeichnete Werner als resilient. Unter ähnlich schlechten Bedingungen entwickelten sich die Kinder also grundlegend verschieden. Entscheidend dazu war schlicht und ergreifend die Art und Weise, wie sie mit den Umständen umgingen [14] . Beim Austausch kann es sinnvoll sein, bestimmte Positionen und Rollen einzunehmen. Der Philosoph und Gerechtigkeitsethiker John Rawls versuchte in die Mitte seiner philosophischen Gedankengebäude die Idee der Ratio zu platzieren. Der Mensch solle sich vorstellen, er wisse nicht, als was und wer er geboren sei, und aus dieser Perspektive würde er Entscheidungen treffen. Dieses Gedankenexperiment ist anstrengend, aber lohnenswert. Eine weitere Möglichkeit bieten Rollen, die sich an den Werten orientieren. Bei einem Austausch werden dann Rollenkarten verteilt, die einen wenig gelebten, aber wichtigen Wert fokussieren, etwa "Mut". Augenöffnend kann es auch sein, wenn mehrere Personen in eine Rolle schlüpfen, die ihnen sonst fremd ist und ihre Gedanken aus dieser Perspektive zusammentragen. Hier beschreibe ich einzelne interaktive Austauschformate und deren Entwicklungspotenziale (siehe auch Abb. 5.8). Dabei habe ich eine andere Reihenfolge gewählt, da die "Synergie" eine weiterentwickelte Form des Austauschs ist, während der Monolog eigentlich so etwas wie ein "falscher Dialog" ist. Dekonstruktion bietet unendlich viele Möglichkeiten, von denen ich hier nur eine Auswahl zeige. In meinem Buch "Agiler führen" habe ich beispielsweise die Dekonstruktion des gegenwärtigen Ist-Zustands vorgestellt [5] , nachfolgend weitere Anwendungsmöglichkeiten. Jedes Verhaltensmuster lässt sich dekonstruieren, wobei deutlich wird, woraus es genau besteht. Eine Emotion gehört fast immer dazu. Um dem auf die Spur zu kommen, brauchen Sie eigentlich nur eines tun -immer wieder die Frage WARUM? stellen, auch nach jeder Antwort. Ein kleiner innerer Dialog: Wenn ich weiß, wie ich Übersicht und Klarheit erzeuge, kann ich mich fortbewegen. Es gibt jede Menge Ordnungssysteme für Interaktionen, die Selbstorganisation fördern. Das beginnt mit der gemeinsamen Ausarbeitung einer Team-und Rollencanvas, die der Arbeit eine gemeinsame Grundlage gibt. Solche Tools sind etwa in unserem Buch "Der agile Kulturwandel" beschrieben [15] . Ich möchte mich hier einige weitere Ansätze vorstellen. Diese Methode der Kommunikationsstrukturierung mit dem Ziel, Erkenntnisse zu gewinnen, habe ich zunächst von einem Lehrer kennengelernt. Seitdem setzen wir sie mit sehr guter Resonanz in unseren Ausbildungen ein. In der ersten Phase der Think-pair-share-Methode setzt sich jede Person einer Gruppe mit einer Aufgabe, einem Thema oder einer Frage auseinander (think). Die Zeit dafür ist variabel, fünf bis zehn Minuten sind meist angemessen. Darauf folgt in der zweiten Phase der Austausch mit dem Nachbarn oder einem frei gewählten Partner (pair). Ziel ist es, das Thema zu erörtern und gemeinsam die Gedanken weiterzuentwickeln oder vielleicht auch zu verwerfen. Das ist etwas, was vielen nicht leichtfällt. Die meisten beschränken sich zunächst auf ein Austauschen. Der Moderator sollte deshalb noch einmal zeigen, wie etwas weiterentwickelt werden kann. Hat der eine zum Thema "Neue Formen der Zusammenarbeit" die Idee "Sich mit anderen Unternehmen zusammentun" und der andere "Lernreisen", so kann aus den beiden Ideen etwas Neues entstehen, etwa der Gedanke des Austauschs von Mitarbeitern zwischen Unternehmen und Abteilungen mit dem Ziel, vom jeweils anderen zu lernen. Dabei sind Moderationskarten hilfreich. Diese Phase sollte in der Dauer dem Thema angemessen sein, zehn bis 20 Minuten etwa. Schließlich findet in der dritten Phase der Austausch in der Gruppe oder im Plenum statt (share). Das kann in Form von Teamvorträgen geschehen. Es ist auch möglich, dass die Ergebnisse lediglich zusammengetragen werden. Handelte es sich um die Fragestellung einer Person, so können dieser einfach die Antworten geschenkt und feierlich übergeben werden. Es kann in einer größeren Gruppe zu einer weiteren Untergruppierung kommen, bei der dann vier und später acht Personen zusammenkommen. Deren Aufgabe ist dann, das bisherige noch weiter zu entwickeln, zu verdichten oder auch wieder zu reduzieren. Sie können eigene Varianten aus dieser Vorgehensweise stricken und je nach Thema variieren. So kann es sinnvoll sein, den Fokus mehr auf viele Aspekte zu legen oder aber auf die Entwicklung von Ideen. Eine Variante könnte sein, dass niemand die Idee des vorherigen Teams wiederholen darf. Entscheidungen in der Gruppe sind eine Herausforderung, denn es gilt Gruppendenken zu vermeiden. Wichtig ist, dass alles Berücksichtigung findet, zugleich aber ein produktiver Einigungsprozess stattfindet. Diese Technik eignet sich für größere Gruppen. Im Beispiel sind es 16 Personen, das kann aber variieren: 1991 entwickelte Stafford Beer, den wir schon als Kybernetiker kennengelernt haben, die Syntegration als Format für eine strukturierte und auf Erkenntnisse ausgerichtete Gruppendiskussion. Syntegration heißt auch Team Syntegrity und funktioniert mit bis zu 42 Personen, die Entscheidungsprozesse vorbereiten wollen. Statt eines Programms gibt es einen Zeitplan und ein allgemeines Thema. Worüber die Gruppe dann konkret diskutieren will, bestimmt sie in einer strukturierten Interaktion, bei der die Themen ausgewählt werden. Stehen diese fest, tauschen sich die Teilnehmer aus. Wer wann mit wem redet und die Ergebnisse kommentiert, entscheidet der Zufall, ein Computerprogramm. Das Wort "Syntegration" setzt sich zusammen aus "Synergy" und "Integration". Es geht darum, vielfältige, interagierende Informationen und Positionen zu einem gemeinsamen Ergebnis zu integrieren. Das verdeutlicht die Ikosaeder-Körperform. Im ersten Schritt tragen die Teilnehmer die Fragen zusammen, die sie unter dem jeweiligen Haupthema diskutieren wollen. Auf einem virtuellen "Marktplatz" verkaufen sie sich ihre Themen gegenseitig. Wenn mindestens fünf Teilnehmer durch ihre Unterschrift Interesse an einem Thema bekunden, wird es angenommen. Insgesamt sind zwölf Themen möglich. Dabei versucht die Gruppe, ähnliche Themen zu verbinden. Wenn immer noch mehr als zwölf übrig bleiben, geht es in eine Abstimmung. Jede Ecke steht für ein Thema, jede Kante für einen Teilnehmer. Der Ikosaeder bringt damit Themen und Teilnehmer zusammen. Im zweiten Schritt werden die Themen diskutiert und aufbereitet. Rollen wie "Kritiker" und "Beobachter" rotieren und sorgen für zusätzliche Dynamik. Die Methode hat der Autor und Berater Fredmund Malik weiterentwickelt und unter anderem damit der Stadt Fürth beim Schuldenabbau geholfen [17] . Viel ist im agilen Umfeld von Feedback-und Fehlerkultur die Rede. Auch der Begriff Konfliktkultur macht neuerdings die Runde. Es ist für einige Teams essenziell wichtig, dass die einzelnen Teammitglieder für ihre Ideen auch streiten, vor allem wenn es um Verbesserung und neue mutige Ideen geht. Konfliktbereitschaft ist somit eine sehr wichtige Kompetenz, die aber gleichzeitig erfordert, mit anderen um die bessere Lösung ringen zu können -und nicht ums Rechthaben. Auch kreatives Denken fehlt in vielen Organisationen. Wie soll es auch dazu kommen, wenn es dazu gar keinen Raum und keine Zeit gibt? Die könnte geschaffen werden, mit wiederum kreativen Ideen, beispielsweise durch wöchentliche Kreativzeit oder Neudenk-Meetings. Es gilt, für das, was fehlt, kluge Anreize und Rahmenbedingungen zu schaffen. So genannte Nudges -Anstupser -können helfen, Mitarbeiter subtil zu beeinflussen. Ein Raum mit Stehtischen hat eine ganz andere Wirkung als ein Raum mit Sitzkissen. Stehtische fordern auf, die eigenen Ideen zu platzieren und darüber zu debattieren. Sitzkissen dienen dagegen der Entspannung. Was fehlt Ihnen am meisten? Was ist ein Anreiz das Fehlende hervorzurufen? Sammeln Sie Ideen, probieren Sie aus. Diese Vorgehensweise lässt sich bei jedem Thema denken. Die Herausforderung liegt darin, das jeweils wichtigste Thema zu erkennen und die dazu passenden Maßnahmen zu identifizieren. Ich glaube nicht, dass diese strategischen Themen agil entwickelt werden können. Das für ein Unternehmen wichtigste Thema ergibt sich meist aus dem selbst nicht wahrgenommenen Mangel an etwas, das auf die Zukunft einzahlt, etwa Lernfreude. Diese Themen muss die Führung in Struktur (über-)setzen. Unser Gehirn hat eine wunderbare Plastizität, ist aber eben auch auf Vereinfachung und schnelle Musterbildung angelegt. Denkrahmen helfen, diese zu brechen, etwa das Tetralemma, das bei Entscheidungen helfen kann. Es unterscheidet das eine, das andere, sowohl als auch, weder noch und das Neue, also fünf "Sektoren". Dialektisches Denken habe ich in "Das agile Mindset" ausführlich dargelegt [18] . Wer sich seine Umwelt dialektisch erschließt, öffnet seinen Blick und weitet den Kopf. Die Pole sind dabei unendlich. Sie liegen zwischen gut und böse, schwarz und weiß sowie autoritär und kollegial. Poldenken lässt sich auf jeden Bereich übertragen und die Frage "Was wäre das Gegenteil?" ist ein ausgezeichneter Begleiter für den Alltag. Denn eines ist klar: Wenn ich dem einen Wert folge, vernachlässige ich den anderen. Tue ich das bewusst, stärke ich mein Bewusstsein für die unternommene Handlung. Da ich bereits viel darüber geschrieben habe, präsentiere ich Ihnen hier einige neue Leitfragen: • Welche Handlung präferieren Sie? Was wäre ihr Gegenteil? • Welche Emotion ist damit verbunden? Was wäre deren Gegenteil? • Was würde passieren, wenn Sie das eine mit dem anderen verbinden? • Wie würde es sich auswirken, wenn Sie zwei Pole parallel realisieren, etwa Führen und Folgen? Sinnvolle Denkmodelle bilden das ab, was man selbst erlebt. Gleichzeitig zeigen sie Lösungen auf, auf die man sonst nicht kommt. Sie lösen Schrauben im Kopf. Diese Qualität erfüllt beispielsweise der Ecocycle von David K. Hurst [19] , Abb. 5.10. Er zeigt, wie sich Organisationen verändern und dabei Gesetzmäßigkeiten eines natürlichen Kreislaufes folgen. Sie durchleben verschiedene Zustände. Der kreativen, erfinderischen Phase folgt strategisches Wachstum und Professionalisierung der Organisation -die irgendwann in Stagnation mündet. Dann verteidigt die Organisation das Erreichte, Neuerungen werden abgewehrt, bis man in der Erfolgsfalle landet -Nokia ist ein Beispiel. Die Lösung können dann Führungspersönlichkeiten bringen, die aus der Erfolgsfalle wieder rausführen und kreative Wege beschreiten. Aber auch in diesen kreativen Wegen kann man sich verzetteln und dann aus der Erneuerungsfalle nicht mehr herauskommen. Jede Phase erfordert andere neue Personen, die sich mit den Ideen der notwendigen Seite verbinden und beherzt in die andere Richtung gehen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die gleichen Menschen den Bestand bewahren und ihn erneuern. Der Ecoycle lässt sich auch verwenden, um damit das Selbst-und Fremdbild "führender" Personen zu reflektieren -oder zu analysieren, wer in einem Team wo steht. Es lassen sich damit Geschichten des Auswegs aus der Erfolgsfalle entwickeln oder der bisherige Weg nachzeichnen. Im Coaching kann sich der Coachee in die Emotionalität der unterschiedlichen Stadien einfühlen und sich schrittweise durch Verkörperung (Embodiment) an emotional fremde Zustände annähern. "The normal way that we conduct our lives is we reason by analogy. We're doing this because it's like something else that was done or it's like other people are doing. […] It's like, slight permutations, on a theme. […] And it's, kind of mentally easier to reason by analogy rather than through first principles, but first principles is sort of a physics way of looking at the world. And what that really means is you kind of boil things down to the most fundamental truths. And say, okay what're we sure is true, or as sure as possible is true, and then reason up from there." [20] Normalerweise denken wir in Analogien. Wir verstehen das Neue analog zu dem, was wir kennen. Das bremst uns, ganz neue Ideen zu entwickeln. Wir ordnen sie meist in bereits vertraute Kategorien ein. Denken wir nur schon bestehende Produkte weiter, dann verbessern wir diese linear, beispielsweise machen wir ein Mobiltelefon noch kleiner und leichter. Überdenken wir hingegen die Funktion neu, könnten wir auf ganz andere Ideen kommen -das Mobiltelefon könnte sogar größer werden. So etwa muss das iPad entstanden sein. "A first principle is a basic, foundational, self-evident proposition or assumption that cannot be deduced from any other proposition or assumption. In mathematics and logic, a first principle is an Axiom that cannot be deduced from any other within that system. An axiom is a statement that is taken to be true." [21] Normalerweise entwickeln wir unsere Gedanken auf Grundlage dessen, was schon da ist. Wir konzentrieren uns auf die Form, nicht aber auf die Funktion. Beim First-Principle-Denken brechen Sie etwas in seine grundlegenden Bestandteile herunter. Über die Bestandteile kommen Sie zu neuen Lösungen, also ähnlich der Dekonstruktion. Elon Musk bedient sich eines dreischrittigen Denkrahmens: • STEP 1: Identify and define your current assumptions. • STEP 2: Breakdown the problem into its fundamental principles. • STEP 3: Create new solutions from scratch [20] . [22] . Wer führt, tut gut daran, sich geeignete Denkmuster anzueignen. Sie verhindern voreilige Schlüsse und helfen die eigenen Heuristiken in Schach zu halten. Die meisten Organisationen beschäftigen sich viel zu sehr mit Individuen. Sie stellen Personen ein, sie schaffen Stellen, sie entwickeln Einzelne. Ich bin der Ansicht, dass es wichtiger ist, sich auf wenige Einzelne, die eine Vorreiterrolle übernehmen, und ansonsten auf Gruppen zu konzentrieren. Transformationen brauchen das Kollektiv, die Gruppen (Inte-ressen-und Arbeitsgruppen etwa) und die Teams -in dieser Reihenfolge. Wer etwas bewirken möchte, sollte also auf der Ebene anfangen, die am meisten auf die anderen ausstrahlt: typischerweise bei der Führung. Formale Führungspersonen bekommen derzeit typischerweise Einzelcoaching, das oft auf Zielerreichung und selten auf Entwicklung ausgerichtet ist. Doch die Probleme fehlender Zielerreichung sind oft eben mit Persönlichkeitsentwicklung verzahnt. Die Kraft der Gruppe bewirkt da oft mehr als die des einzelnen Coaches. Menschen entwickeln sich besser, wenn sie mit anderen zusammenkommen, die ihr Selbstbild erweitern können. Leider sind reflexionsorientierte Gruppenformate in einem konkurrenzorientierten Umfeld schwierig umsetzbar. Typischerweise öffnet sich niemand wirklich, wenn er oder sie befürchten muss, dass das ausgenutzt wird. Hier gilt es gegenzusteuern: Reflexion kann auch jenseits des Unternehmens stattfinden. Gruppen spielten im Coaching bisher kaum eine Rolle. Entsprechend wurden keine spezifischen Ansätze für Organisationen entwickelt. Teamcoaching wird aktuell mehr als Training oder Moderation denn als eigenes Entwicklungsformat gesehen. Die Ideen für solche Formate stammen wie ehedem die Ansätze aus dem Business Coaching aus der Therapie, speziell auch Gruppentherapie. Gruppenformate scheinen speziell auch in der Ich-Entwicklung hilfreich. Im therapeutischen Bereich zeigten in einer Studie von Wolf [23] zwei von fünf Personen eine deutliche Veränderung von mehr als einer halben Ich-Entwicklungsstufe durch eine Gruppentherapie. Die restlichen drei Personen bleiben relativ stabil mit nur geringen Veränderungen. Einer der fünf Personen gelang es danach, mehr als eine ganze Ich-Entwicklungsstufe innerhalb dieses Zeitraumes dazuzugewinnen. Sie befand sich schließlich auf der spätesten Ich-Entwicklungsstufe in dieser Stichprobe, bei einer mittleren E6-mit einigen E7-Anteilen. Das heißt, diese Person hatte sich der Gruppe angeglichen. Frühere Interventionsstudien zeigen vergleichbare Tendenzen. Personen auf früheren Ich-Entwicklungsstufen scheint es leichter zu fallen, durch eine Gruppe zu späteren Ich-Entwicklungsstufen aufzuschließen. Personen mit bereits späteren Ich-Entwicklungsanteilen erzielen im Vergleich zu den Personen, mit denen sie das Entwicklungssetting teilen, geringe oder keine Ich-Entwicklungszuwächse. Das deckt sich mit meiner Erfahrung in der Begleitung von Einzelpersonen und Teams. In unserer Ausbildung machen wir oft die Erfahrung, dass Teilnehmerinnen regelrechte Entwicklungssprünge machen. Es scheint auch logisch, denn wenn es keine entsprechenden Anreize durch höher entwickelte Teilnehmer oder Moderatoren gibt, übt der Kontext diesen Reiz nicht aus. Ein bis zwei Teilnehmerinnen mit höherer Entwicklung fordern die anderen, vor allem wenn auch der Trainer, Moderator oder Ausbilder das Setting stufengerecht formen und gestalten kann. Hierzu liefern auch die Arbeiten von Thomas Binder Belege [24] . Ist der Abstand allerdings zu groß, versteht man sich kaum noch. Es empfiehlt sich deshalb immer, den Moderator oder Coach nicht mit mehr als zwei Entwicklungs-Stufen Vorsprung zu wählen. Die Gruppe wiederum sollte so gemischt sein, dass die weniger Entwickelten besonders profitieren können. Ein, zwei Teilnehmer in einer ausgereiften E6 können deshalb in einer durchschnittlich in E5 befindlichen Gruppe wahrscheinlich wirksamere Entwicklungsimpulse setzen als ein, zwei Teilnehmer mit einer E8. Gruppencoachings dienen der Reflexion über das, was ist und werden soll -und sie können Entwicklung fördern. Harte Pole könnte man als Regeln bezeichnen, die eine Struktur vorgeben, anhand derer Entscheidungen zu treffen sind. Sie stecken einen Rahmen, der Handeln ermöglicht, aber eine vorherige Reflexion, ein Nachdenken, ein Interpretieren erfordert und somit ein kleines STOP einbaut: Step back, think, organize your thoughts, proceed. Harte Pole zeigen an, wo es langgeht, ohne dabei Freiheit zu beschneiden. Sie setzen Eckpunkte für Verhalten, ohne zu erziehen und zu belehren. Sie geben Unternehmern und Führungsteams die Möglichkeit, eine gewünschte Richtung zu beschreiten, und sind des-halb für einen Kulturwandel hilfreiche Eckpfeiler. Auch das agile Manifest (vgl. Kap. 1) beschreibt in gewisser Weise harte Pole, indem es formuliert: "Individuen und Interaktionen mehr als Werkzeuge und Prozesse", jedoch sind diese zu weich und lassen noch großen Spielraum. Sie geben auch keine konkrete Handlungsanweisung. Die Formulierung "mehr als" lässt eine eigene Gewichtung zu, aber die Praxis zeigt, dass verschiedene "Interpreten" sehr unterschiedliche Handlungsweisen davon ableiten. Harte Pole müssen deshalb klar und eindeutig sein -und vor allem reflektiert und evaluiert. Autonomie ist wichtig, aber bei zu viel Freiheit fehlt es im großen Ozean der Möglichkeiten an Orientierung. Harte Pole können hier Führungsaufgaben übernehmen. Sie sagen, wo es langgeht, wenn ein Mitarbeiter oder Team vor mehreren Optionen steht. Sie sind vor allem dort angebracht, wo es um die Richtung des großen Ganzen geht -weniger im Kleinen und dort, wo die Mitarbeiter mehr Kenntnis haben und nach eigenen Routinen entscheiden können. Einen Pol kann man sich vorstellen wie einen Magneten, der Anziehungskraft ausübt. Darauf steuert man zu, er gibt die Richtung vor. Gemeint ist nicht der Pol zwischen zwei Ausprägungen wie in der Dialektik. Ein struktureller Entscheidungs-Pol könnte sein: "Du kannst alles selbst entscheiden und jede vorherige Entscheidung außer Kraft setzen, aber musst dich vorher mit mindestens zwei Personen beraten, die eine Level-1-Expertise haben." Dann müsste man die Level-1-Expertise definieren. Das könnten Personen sein, die in einem bestimmten Thema überdurchschnittlich oft erwähnt und genannt werden, aber nicht im eigenen Unternehmen arbeiten. Pole geben Autonomie, und Autonomie beflügelt Menschen, sofern sie nicht über Jahre das Gegenteil gewohnt waren. Dann befinden sie sich im Zustand der "erlernten Hilflosigkeit", wie es der Erfinder der Positiven Psychologie Martin Seligman nennt. Dieser Zustand ist für die Menschen unangenehm, das Erleben des Unangenehmen ist aber zu ihrem Selbst geworden. Das geschlagene Kind schlägt später selbst; alles, was früh gelernt wird, verfestigt sich zu Mustern. Menschen, die keine Verantwortung übernehmen wollen, sind es nicht anders gewohnt. Pole können ihnen Autonomie geben, jedoch rate ich dazu, sehr verantwortungsvermeidende Personen anfangs nur mit sehr einfachen Polen üben zu lassen. Beispiel: "Bevor du etwas freigibst, lass es von einem Kollegen lesen." Eine solche Übung hilft beim schrittweisen Übergang in mehr Freiheit, ebenso wie die Arbeit mit sehr einfachen Methoden wie Delegation Poker oder Delegation Board (Abb. 5.12). Gemeinsam mit dem Team können Sie Aufgaben und die gewünschte bzw. sinnvolle Delegationsstufe dafür festlegen. Schrittweise lassen sich so Freiheitsgrade erhöhen. Das lässt sich auch dem Bedürfnis der Mitarbeiterinnen anpassen: Während der eine sofort Verantwortung übernimmt, fühlt der andere sich mit Rücksprache sicherer. Das Board wird wie der Delegation Poker oft dem Management 3.0 zugeordnet, beruht aber auf dem Konzept des situativen Führens. Ich habe die Stufen "nicht ändern" sowie "volle Verantwortung" hinzugefügt, da diese in der praktischen Arbeit oft vermisst wurden. Am sinnvollsten ist es, wenn das Board wirklich physisch oder im virtuellen Raum sichtbar ist und das Team es immer wieder anpasst. Wir erleben oft, dass Agilisten in ihrer Euphorie diesen Punkt übersehen und gleich alle "befreien" wollen. Postagilität bedeutet auch zu akzeptieren, dass es keine Simultanveränderung geben kann, sondern dass alles seine Zeit braucht. Fangen Sie bei den Menschen und Teams an, die harte Pole mitdenken und andere mitziehen können. Die Idee der Pole geht zurück auf Johann Tikart, der Geschäftsführer der Mettler-Toledo GmbH war. Zusammen mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verwirklichte er seine Vorstellung von Selbstorganisation schon Ende der 1990er-Jahre. Er nutzte unternehmensspezifische Umsetzungen einer absatzgesteuerten Produktion, einer synchronen Produktentwicklung, freiheitlichen Arbeitszeitgestaltung und eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Harte Pole werden auch im ROWE verwirklicht, dem Results-Only Work Environment. Harte Pole bringen immer das Individuum und das Kollektiv zugleich in die Verantwortung. Kaduk et al. [25] schreiben beispielsweise von einem Unternehmer, der seinen Mitarbeitern völligen Freiraum lässt, dafür aber eine einzige Bedingung aufstellt: Jeder neue Prozess, der einen alten ablöst, und jede eine andere Regel ersetzende Regel muss im unternehmenseigenen Wiki für alle transparent gemacht werden. In einem anderen Fall dürfen Mitarbeiter das Gehalt selbst bestimmen, sind aber verpflichtet, dafür mit mindestens zwei Personen ein konsultatives Gespräch zu führen. Das sind sehr klug gewählte Beispiele, denn es sind keine einfachen Entscheidungshilfen, die im Autopiloten getroffen werden, sondern grundlegende Denkrahmen, die den Mitarbeitern einiges abverlangen. Harte Pole sind cleverer, als einfach nur zu definieren "Liefertreue mehr als Qualität". Pole sollten Autonomie stärken, neue Denkmuster ausbilden und selbst-sowie teamentwickelnden Charakter haben. Sie sollten ebenso iterativ betrachtet werden wie alles andere. Harte Pole lassen Spielraum, aber räumen auch Hürden ein, die Verantwortung bewusst machen. "Definieren Sie einen harten Pol auf maximale Freiheit zu" [25] . Ich möchte noch hinzufügen, dass es in vielen Fällen sinnvoll ist, weitere Personen in den Entscheidungskreis einzubeziehen. Beispiele für harte Pole: • Ändert Prozesse und Regeln, wenn diese dem Purpose widersprechen. Zieht dabei mindestens fünf Personen hinzu und veröffentlicht eure Entscheidung so, dass jeder sie versteht. • Du darfst alles entscheiden, was du zuvor mit dem Purpose abgeglichen hast und wofür du mindestens 10 % der Mitarbeiter als Mitstreiter gewonnen hast. • Jede Entscheidung für einen neuen Prozess oder eine neue Regel muss durch mindestens drei vierwöchige Sprints laufen, die mit Reviews und Retrospektiven abschließen. Führen ist Kunst und die hohe Kunst sind Narrative. Narrative sind Erzählungen über das, was war, das, was ist, und das, was sein wird. Narrative sind Metaphern und Geschichten, die Menschen verstehen und die sich mit ihnen emotional verbinden. In bewegten sind diese nochmals wichtiger als in stabilen Zeiten. Märchen sind Narrative mit Lehrcharakter. Sie erzählen von Dingen, die alltäglich sind, indem sie Botschaften verschlüsseln. Sie machen damit Dinge aussprechbar, die sonst nicht aussprechbar wären wie der Missbrauch im "Dornröschen". Narrative warnen, mahnen, aber sie motivieren auch. Sie verbinden und helfen, gemeinsam ein Bild zu finden, dem man folgen kann. Dieses muss sich mit dem eigenen Erleben verbinden können, mit dem, was man kennt. Je mehr unsere rechte Gehirnhälfte angesprochen ist, desto stärker die Treib-und Triebkraft des Narrativs. Was verändert wirklich? Dazu gibt es viele verschiedene Theorien. Letztendlich lässt sich die Essenz dieser Theorien in einem einfachen Modell verdichten, das auch eine Geschichte erzählt: • WUNSCH nach Veränderung durch Krise, Trauma oder Entwicklungsübergang • DRINGLICHKEIT, die nicht ignoriert werden kann • EINSICHT, dass etwas anders gemacht werden muss • KONSTRUKTIVE AKTION und graduelle Anwendung • ERHOLUNG vom unvermeidlichen Rückfall Vor allem der letzte Punkt scheint besonders erwähnenswert, denn er verdeutlich, dass Rückschläge normal sind. Wir können diese Theorie aber auch ganz einfach in die Heldenreise übersetzen, auch Quest genannt. Es stammt aus der Mythenforschung des James Campbell. Die Heldenreise erlangte in den 1970er-Jahren Popularität und liegt verschiedenen Filmen konzeptuell zugrunde, etwa dem Epos "Star Wars": • Der Ruf des Abenteuers entspricht dem Wunsch nach Veränderung. • Die Weigerung des Helden, dem Ruf zu folgen, ist eine ignorierte, aber wahrgenommene Dringlichkeit. • Die dann eintretende übernatürliche Hilfe, ist die an fremde Kräfte delegierte Einsicht. • Das Überschreiten der ersten Schwelle ist eine konstruktive Aktion und ein gradueller Schritt. • "Der Bauch des Walfischs" oder der "Drache" macht die Größe der Herausforderung bewusst und verführt zum Rückzug, also Rückfall. • Der Weg der Prüfung zahlt auf die graduelle Anwendung ein. • Es folgen in der ausführlichen Form viele weitere Prüfungen, also Versuche, etwas zu wenden. • Am Ende ist der Feind besiegt und der heilige Gral gefunden. Die Heldenreise wurde für die systemische Therapie adaptiert, denn Bildhaftigkeit ist auch heilend. Wer weiß, dass Rückschläge normal sind, kann damit anders umgehen. Und was in der Therapie funktioniert, kann auch in der Organisation funktionieren, hat diese doch oft ähnliche "Krankheitsanzeichen". Veränderung ist schmerzhaft. Sie beginnt mit einer Krise und sie kennt ein Happy End. Die Krise kann sich aus der Tatsache ergeben, dass die bisherigen Strategien an Grenzen geraten. Etwa so: "Es war einmal ein sehr erfolgreiches Traditionsunternehmen, doch es ward bedroht von schnellen, schlagkräftigen Start-ups. Erst versuchte es, mit seinen bisherigen Strategien dagegen anzukämpfen, doch es verlor immer mehr an Boden. Bis eines Tages ein Mitarbeiter aus der Rezeption diese besondere Idee hatte …". Viele Narrative folgen dem Muster der Heldenreise. Sie erzählen von Menschen, Schwierigkeiten und Lösungen. Und sie sind sehr einfach aufgebaut, weil sie ja viele ansprechen müssen. Emotions-und bildorientierte Interventionen und Narrative sind hilfreich im Kulturwandel. Die Entwicklung eines Narrativs sollte Mitarbeiterinnen einbeziehen. Vorgesetzte Bilder sind schwierig, denn es kann sein, dass sie als falsch und nicht stimmig wahrgenommen werden. Beispielsweise ist es schwierig, von einer Welle zu reden, wenn Mitarbeiter diese nicht spüren oder Angst davor haben. Geschichten brauchen Schlüssigkeit, sie müssen von allen gleich verstanden werden und sie brauchen ein "Happy End", eine Lösung, eine Aussicht, ein Versprechen. Neue Narrative" ist ein Wirtschaftsmagazin, das Heldengeschichten in den Mittelpunkt stellt. Es ist eine Fundgrube für alle, die sich in der neuen Arbeitswelt orientieren möchten Fragen zum Abschluss • Was können Sie aus dem letzten Kapitel in Ihre Praxis nehmen? • Was muss noch nachreifen, wo hadern Sie noch? • Worüber möchten Sie sprechen? • Was möchten Sie lernen? • WOHIN wollen Sie jetzt? • Wen nehmen Sie mit auf Ihre Reise in die Zukunft? • Was ist Ihr Bild von der Zukunft jetzt? Und wo ist der Unterschied zu dem Bild Denken Sie über das Bisherige hinaus Postagil denken bedeutet, die bisherige Begrenzung des Begriffs "agil" aufzulösen. Es heißt, den Rahmen größer zu ziehen Mit neuer Autorität in Führung. Die Führungshaltung für das 21. Jahrhundert Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven Der Loop-Approach. Wie du deine Organisation von innen heraus transformierst Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität Agiler führen (2. Aufl.) Schnelles Denken, langsames Denken Siddharta. Berlin: Suhrkamp Mindful leader Website Bigmind Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen Intolerance of ambiguity as an emotional and perceptual personality variable Intolerance of ambiguity as a personality variable Das Kind in dir muss Heimat finden Geschichte und Resilienz Website Der agile Kulturwandel. Heidelberg: Springer Gabler. 16. Liberating Structures Das Wunder von Fürth Der agile Mindset The new ecology of leadership: Business mastery in a chaotic world The first principles method explained by Elon Musk A framework for first principles thinking Verantwortungsvoll führen in einer komplexen Welt Ich -Explorationen: Konzeptionelle Grundbedingungen und potenzielle Wirkfaktoren zur Förderung von Ich-Entwicklung für praxisnahe beraterische Interventionen. Diplomarbeit zum Mag. Rer nat. an der Universität Wien Ich-Entwicklung für effektives Beraten. Götting: Vandenhoeck & Ruprecht MusterbrecherX: Ein Prospekt für mutige Führung