key: cord-0058195-83cpdpg1 authors: Hofert, Svenja title: Exkurs in die Psychologie des Wandels date: 2020-08-13 journal: Führen in die postagile Zukunft DOI: 10.1007/978-3-658-28426-8_3 sha: c240fbab16e7fd6dd3404f4d113e4e2e1af00c30 doc_id: 58195 cord_uid: 83cpdpg1 Wer die Psychologie der Veränderung kennt, führt sicherer in die Zukunft. Veränderung ist komplex, hat unendlich viele Varietäten und Einflussgrößen. Was sich im Großen zeigt, wiederholt sich im Kleinen: Sowohl menschliche als auch organisationale und gesellschaftliche Veränderung funktionieren ausschließlich selbstorganisiert im Innern. Wir können außen Hebel bewegen, Schrauben drehen und Strukturen bauen. Aber was Innen entsteht, wissen wir nie genau. Wir wissen aber, was einen inneren „Umbau“ unterstützt. Zu einem postagilen Denken gehört deshalb auch ein Bewusstsein für die Bedingungen von Wandel. Denn so lassen sie sich gezielter beeinflussen. rung verstehen. Es erklärt, warum so viele Maßnahmen stocken und so unendlich viel Geld in Maßnahmen gepumpt wird, die eigentlich nur der Sicherung des Status quo dienen, der Managementberater Klaus Doppler nennt es "geplante Folgenlosigkeit". Dies ist auch eine Beobachtung im agilen Kontext, die viele wunderbare Offsites, Barcamps, Workshops, Open Space und zahllose neue Formate gebracht hat. Doch was davon hat wirklich nachhaltig beeinflusst? Wenige Wochen Covid-19 haben mehr bewirkt, beispielsweise was Remote Work betrifft. Die Zukunft ist ein Raum voller Möglichkeiten, wir haben sie alle oder hätten sie haben können. Wir können aber nicht alle nutzen, unser Gehirn lässt Gleichzeitigkeit nur im Traumzustand zu. Deshalb dürfen wir laufend Entscheidungen treffen, und die Frage ist, wonach wir hier handeln. Warum tun Sie die Dinge, die Sie tun? Haben Sie eine Antwort darauf? Ich meine nicht irgendeine, sondern eine, die aus dem Herzen kommt und von Ihnen selbst. Wer die Frage beantworten kann und dabei tief mit sich selbst verbunden lächelt, hat höchstwahrscheinlich eine längere Reise zu sich selbst hinter sich und Werte als Handlungsqualitäten in sich entdeckt. Wenn Menschen bewusste Entscheidungen treffen können, ihre eigenen Wahlpunkte sehen, sind sie psychologisch gesehen bei sich angekommen. Denn bei uns Menschen gibt es ein seltsames Phänomen: Wir kommen mit unendlich vielen Möglichkeiten auf die Welt, die uns eine flexible Anpassung an die Umwelt ermöglichen. Während wir diese reduzieren, entwickeln wir unsere Persönlichkeit. Das hört sich seltsam an, aber genauso ist es. Wir kommen mit allen Möglichkeiten auf die Welt -und vermindern diese dann durch unsere Erfahrungen nach und nach. Da wird dann aus dem Kind der coole Streicher, obwohl es auch ein guter Koch hätte werden können. Wir heiraten einmal, normalerweise jedenfalls, und gewöhnen uns so immer mehr an einen Menschen. Wir werden, indem wir uns auf immer weniger konzentrieren, Themen und Menschen und Werte. Bei der Arbeit ist es ganz ähnlich: Wir entscheiden uns für einen Beruf, und früher riet man uns dann auch: "Schuster, bleib bei deinen Leisten". Auch dadurch reduzierten wir Möglichkeiten. Weiter ging es mit der Entscheidung für einen Arbeitgeber oder eine Branche. Auch das machte aus vielen Möglichkeiten weniger. Gleichzeitig bildete sich so Persönlichkeit aus und verfestigte sich immer mehr. Die Persönlichkeit passte sich in ihr jeweiliges Umfeld ganz flexibel ein, bis sie eben nicht mehr flexibel war. Das ist nicht gut oder schlecht, sondern der Umwelt geschuldet. Und so ist jede Entwicklung zu verstehen: als permanenter Anpassungsprozess an das, was um einen herum ist. Wir werden dabei, wer wir sein wollen oder wo das Umfeld uns sieht. Wir lassen uns prägen, und wir prägen. Doch ist diese Prägung in späteren Jahren vor allem dann schwieriger, wenn der innere Modus auf Festigkeit eingestellt ist. Wenn der Mensch glaubt, er ist, wie er ist, dann lässt er sich auch nur schwierig wandeln. Dieses Fixed Mindset habe ich in "Das agile Mindset" [1] thematisiert. Es wird oft missverstanden, weshalb ich es in diesem Kapitel aus der Veränderungsperspektive aufgreife und vertiefe. Wenn wir Veränderung ermöglichen wollen, ist der Glaube an Veränderungsmöglichkeiten das Schlüsselloch. Die Neugier ist der Schlüssel, der Türen zu neuen Erfahrungsräumen öffnet, und in diesen findet Entwicklung statt. Eine andere Umgebung fordert das Gehirn und fördert die Aktivität der Neuronen. Es können neue Verbindungen entstehen, und die Möglichkeiten damit wieder zunehmen. Je emotionaler die Situationen, desto prägender können sie sein. Wenn Menschen berührt werden, wird vieles möglich, da so neue Verbindungen auch im Kopf entstehen. Der beschriebene Weg des Menschen hin zu immer mehr Essenz und Konzentration war lange Zeit sinnvoll und überlebensnotwendig. Die Arbeitswelt brauchte Menschen, die ein stabiles Handwerk lernten und sich niederließen. Die Konzentration auf wenige und einfache Werte war ein Vorteil. Auch die Konzentration auf Werte, wie sie die Gesellschaft gerade brauchte: Für die arbeitende Mutter gab es den Wert der Karriere, für den treu sorgenden Vater den der Familie. Leistung war das, was alle belohnten, und ohne Fleiß gab es keinen Preis. Entwicklung aber war lange kein Wert. Entwicklung bedeutet, dass Offenheit bleibt, Flexibilität erhalten wird. Entwicklung fordert Jetzt-Bewusstsein und den Seins-Modus. "Das Leben in instabilen, turbulenten, unkalkulierbaren Umwelten ist die Normalität -und zwar aller Voraussicht nach auf Dauer. Dazu würde ein Menschentyp passen, der sich durch folgende Merkmale auszeichnet: zukunftsorientiert, sehr interessiert an den Entwicklungen, die sich um ihn herum abspielen, grundsätzlich flexibel und reaktionsschnell." [2] Also zurück zur Jäger-und Sammler-Mentalität? Was Klaus Doppler fordert, verlangt eine komplett andere Ausrichtung, als in den meisten Gesellschaftsschichten und im Bildungssystem noch bis vor Kurzem gewünscht war. Die letzte unsinnige Maßnahme, das Abitur in zwölf Jahren, zeigt, welche Werte da verfolgt worden: möglichst schnelle Verfügbarkeit, weniger Entwicklung der Persönlichkeit und ihrer Potenziale. Entwicklung wurde aber auch an anderer Stelle in der Erziehung früh gestoppt, wenn Eltern forderten, "nicht so vorlaut zu sein", oder Lehrer verlangten, eine Strafarbeit zu schreiben. Bildung wurde interpretiert als Voraussetzung, um in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Erstrebenswert war eine Karriere, waren Statussymbole und Wohlstand. Anerkennung bekamen vor allem Schüler mit guten Matheleistungen. Kunst Unter dem Stichwort "Agilität" sehen wir heute noch überall die Folgen: Anerkennung findet die Rolle des Product Owners, die strategisch und konzeptionell interpretiert wird. Der Buddhismus kennt das Leid des Leidens, das Leid der Veränderung und das Leid der Bedingtheit. Das Leid des Leidens ist die gröbste und die offensichtlichste Form, etwa das Leiden an Krankheit. Das Leid der Veränderung wird oft mit dem Glück verwechselt. Das Neue verheißt Abwechslung, in dem Moment jedoch, indem wir es festhalten wollen, verwandelt es sich. Von veränderlichen Dingen kann kein dauerhaftes Glück ausgehen. Das Leid der Bedingtheit zeigt uns die ständige Begrenzung, unsere Fremdbestimmtheit. Wer erlöst sein will, muss allen Besitz und alles vermeintliche Wissen loslassen und der eigenen Nicht-Existenz entgegengehen. Es ist eine Haltung, aus der sich nichts mehr gestalten lässt. Es geht nur noch ums Sein. Im Sein kann man sehen, was ist. Emotionen wie Trauer und Angst beispielsweise, die zum Leben dazu gehören wie Freude und Interesse. Glück ist kein Ziel, sondern Leben in Achtsamkeit. Vielleicht geht es in Wahrheit darum, Glück in den Momenten der Gegenwart zu finden. Aber das könnte man auch als die Überwindung von Leid interpretieren. In einer momentbezogenen Haltung können wir wahrnehmen und müssen nichts bewerten. Wir müssen nach nichts streben und nichts besitzen. Dieser Zustand versetzt uns deshalb in die Lage zu beobachten, was ist, ohne gleich in den Bewertungs-Modus der durch den Kultur-raum und soziale Erfahrungen geprägten Brille zu verfallen. Und dann werden wir -wahrscheinlich -entdecken, dass fast jede Erscheinung eine Funktion hat, sonst würde sie sich nicht erhalten können. Widersprüche sind notwendig. Wenn die einen auf Selbstbestimmung und Autonomie setzen und die anderen auf deren Beschneidung und Anpassung, so gehört beides zum Leben -und kann zeitweise und situativ hilfreich sein. Wenn wir nicht bewerten, können wir beobachten, ohne ein-und zuzuordnen. Wir müssen uns dann nicht dauerhaft für die eine oder andere Richtung entscheiden, sondern zeitweise für die situativ passende. Innehalten ist dabei die Voraussetzung, um zu erkennen, was werden kann. Innere Orientierung ist damit die Voraussetzung für Richtungsgebung. Denn jede Veränderung ergibt sich aus dem, was wir hinter den Dingen sehen wollen, die schon da sind. c Wenn Sie durch Ihr Unternehmen gehen, wenn Sie Menschen beobachten, betrachten Sie sie einmal unter diesem Aspekt der wahrnehmenden, nicht-bewertenden Beobachtung. Ohne ein Zukunftsbild zu haben, ohne zu planen, ohne etwas zu wollen, ohne eigene Scham, etwas nicht zu verstehen. Sehen Sie einfach das Jetzt, und spüren Sie seinen Puls. Diesen Puls braucht jede Veränderung. Wo sind Ihre Grenzen, wo hören Sie auf zu existieren? Wo ist das Ende Ihres "Ichs" -und wo beginnt das Du und das Wir? Könnte Ihr iPhone ein Teil Ihrer selbst sein, weil es so viel über Sie weiß? Weil Sie sich mit ihm weiterentwickeln? Immer mehr Informationen lagern wir schließlich in Datenwolken aus. Die Extended-Mind-Hypothese (EMH) begründeten die Philosophen David Chalmers und Andy Clark 1998 in einem Aufsatz [3] , der weitreichende Aufmerksamkeit erhielt. Die These war ebenso einfach wie revolutionär: Wir hängen alle zusammen, der Mensch oder vielmehr sein Geist hat keine direkten Grenzen. Er lässt sich durch Dinge und Technik erweitern. So weit die Sicht der Philosophie und Kognitionspsychologie. Doch es geht nicht nur um Dinge, nicht um Technik oder Bio-Updates. Das Ich erfährt vor allem und in erster Linie Resonanz durch andere. So sieht das jedenfalls der Psychiater und Neurowissenschaftler Joachim Bauer [4] . Seine Interpretation gibt der ursprünglichen philosophischen Theorie eine andere Wendung und begründet sie neurowissenschaftlich und psychoanalytisch. Ein Die neurobiologische Grundlage für die Fähigkeit des Menschen zum Perspektivwechsel sind im präfrontalen Cortex beheimatete Strukturen. Empathie ist vor allem auch eine Folge des Vermögens, in die Haut des anderen zu schlüpfen. Doch viele Menschen haben nie gelernt, dies zu tun. Sie hatten zu wenig Spiegelung, also spiegeln sie sich selbst. Der Narzissmus ist eine Folge davon. Narziss sucht nur sich selbst, nie den anderen. Er füllt sich auf mit anderen, doch die eigene Hülle bleibt leer. Das sehen wir -leider -oft gerade in den Führungsetagen. Wenn Menschen sich bemühen, die innere Welt anderer zu verstehen, werden Gehirn-Netzwerke aktiviert, die das innere Bild der eigenen Person gespeichert haben. Dies ist die so genannte "Self-Projection". Wer das geübt hat, kann etwas finden und abgleichen. Wer das nicht tut, sucht oder flüchtet. Die Extended-Mind-Theorie lehrt uns, dass das Selbst nichts anderes ist als ein Bindeglied zwischen sozialen Erfahrungen und dem Körper sowie seiner Erweiterungen. Persönlichkeit ist damit ein Werde-Prozess. Was ist der praktische Wert der Extended-Mind-Theorie? Viele Schwierigkeiten in der Transformation gehen darauf zurück, dass Menschen elementare Fähigkeiten nicht gelernt haben, dass sie zu wenig Resonanz und Spiegelung erfahren haben -sie sind emotional verkümmert. So hat manch hoch dotierter Manager und Experte die Fähigkeit zu Resonanz verloren oder nie wirklich erworben. Wenn Menschen ohne Einklang mit sich selbst Inhalte abspulen, wenn sie sich nicht in andere versetzen können oder nur nach dem eigenen Vorteil streben, so deutet das auf fehlende Resonanzerfahrung im bisherigen Leben. Nicht wenige brauchen letztendlich das, was Psychologen "Nachbeelterung" nennen. Sie müssen ihre Persönlichkeit erst entwickeln, weil sie stecken geblieben sind. Das betrifft vor allem auch diejenigen, die sich auf der Suche nach dem eigenen Kern oder den eigenen Stärken stetig im Kreis drehen, erwartend, dass sie etwas finden müssten. Doch möglicherweise ist da nichts. Es braucht erst Resonanz, damit etwas wachsen kann. Ich hatte viel mit diesen Menschen zu tun, gerade solchen, die im Beruf ihr Heil suchten. Sie dachten, es müsse nur "schnipp" machen und die Erfüllung rieselt auf sie herab. Dass Persönlichkeitsentwicklung harte Arbeit ist, dass man sein Selbst mit der Hilfe anderer gestaltet, diesen Gedanken konnten sie nicht ertragen. Solche Menschen sind höchst anfällig für Gurus und Versprechen aller Art, sie sind leichte Beute für Populisten und für Manipulationen in Massenveranstaltungen. Sie werden leicht auf neue Themen aufspringen, ohne sie in der Tiefe verstehen zu können. Unsere Aufgabe ist es, diesen Menschen einen Rahmen zu geben, in dem sie sich entwickeln können. Denn in einer Arbeitswelt, in der menschliche Fähigkeiten immer wichtiger werden, auch und gerade für Mensch-Maschine-Interaktion, ist ein verkümmerter Geist fatal. Vor einigen Jahren coachte ich einen hochrangigen Manager, einen CFO, der sich seine Entscheidungen von Engeln holte. Er trennte vollkommen zwischen Ratio und Emotionen, was ein Zeichen für Dissoziation ist -er nahm sich nicht als ganzheitliches Wesen war. Er sprach schnell, er hörte nicht zu. Aber er überzog sein ganzes Unternehmen mit Design Thinking und agilen Methoden. Er sah überall positive Resonanz, jedoch ohne hinzuschauen, denn Resonanz konnte er gar nicht wahrnehmen. Er war nicht in der Lage, sich fruchtbar mit dem CEO auseinderzusetzen, der die agile Welle des Kollegen kritisch sah. Stattdessen veranstaltete er ein Event nach dem anderen, alle ohne Tiefgang. Fachlich hervorragend, war er jemand, der therapeutische Hilfe gebraucht hätte. Darauf aber wollte er sich nicht einlassen. Bei mir nahm er nur wenige Stunden. Als klar war, dass er an sich arbeiten müsste, kam er nicht mehr. Das ist typisch für Menschen, die in Führung "geraten" sind, aber im Grunde eine gravierende Entwicklungsverzögerung haben. Und es ist auch nicht selten, dass gerade diese Menschen höhere Führungspositionen erreichen. Die in diesen Fällen immer fehlende Empathie kann an vielen Stellen eben auch zum Vorteil gereichen. ◄ Die meisten Menschen glauben, es gebe etwas Festes in ihnen, eine Persönlichkeit, die unverrückbar wäre. Das gibt ihnen Halt. Sie glauben dabei oft, dass auch bestimmte Themen, Berufe oder Lebenswege vorgegeben sind. Die Neurowissenschaften zeigen, dass dem nicht so ist. Wir werden durch andere, der präfrontale Cortex entwickelt sich. Auch unsere Gene sind weniger fest als geglaubt. Ja, wir werden durch unsere Familie über mindestens drei Generationen nachhaltig geprägt. Doch die Epigenetik sorgt für Veränderung, die Umwelt und die eigene Lebensweise, auch unser Resonanzverhalten prägen uns immer wieder neu. Entwicklung beginnt lange vor unserer Geburt. Während die Holocaust-Überlebenden oft eine starke Robustheit entwickelten, war dies bei deren Kindern genau umgekehrt. Das Erlebnis, die Krisen haben die Überlebenden stark gemacht, ein epigenetischer Prozess. Das gilt oft für Menschen, die Krisen durchlaufen mussten. Die Kinder jedoch erbten die Themen, ohne das kräftigende Selbsterleben zu haben. Aus diesem Grund haben Kinder von Überlebenden überdurchschnittlich häufig mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen [4] . Schon lange vor der Geburt findet also eine Beeinflussung statt. So ist fast unmöglich zu sagen, was eine Person von Geburt in sich trägt und was sie selbst entwickelt, ob diese Entwicklung auf der Basis der Anlagen erfolgt oder durch die Umwelt bedingt ist oder von beidem beeinflusst ist. Es ist aber ganz sicher so, dass Bindung und Resonanz der ersten Jahre einen prägenden Einfluss für die spätere Persönlichkeit haben -weniger für deren "Inhalte als vielmehr für deren Umgang mit den anderen, für Kooperationsverhalten, Neugier und Empathie". Viele Menschen suchen nach innerer Festigkeit, nach dem, was sie eigentlich sind und ausmacht. Sie wollen zum Beispiel wissen, welche Stärken sie "haben", also was da und angelegt ist. Die Einsicht, dass sie ihre Stärken selbst bestimmen, dass sie in einem Resonanzprozess entstehen, ist für sie schwer anzunehmen. Sie suchen deshalb im Außen und absolvieren im Worst Case einen Persönlichkeitstest nach dem anderen. So bin ich eben! Doch das ist ein Irrtum: Es ist jederzeit eine eigene Entscheidung, etwas Anderes aus sich zu machen. Menschen, die immer und immerzu suchen, haben sich nicht entschieden, zu finden. Möglicherweise agieren sie schlicht und ergreifend so, weil sie sich nicht entscheiden konnten, im Glauben, dass da ja etwas sein müsse, das angelegt ist. Ich glaube, dass das ein Thema der so genannten "Scannerpersönlichkeiten" sein könnte, die immer von allem ein bisschen wollen. Dieser Begriff ist in den vergangenen Jahren vor allem durch die Hochbegabung und Hochsensibilität verdrängt worden -was zeigt, dass sich in diesem Phänomen viele wiederfinden. "Es besitzt keine Farbe und keine feste Form, keinen riechbaren Duft, doch gedeiht's an der Norm. Jeder kennt es und kann schwer ohne, so gemeinsam ist ś uns und so verschieden erleben wir uns zugleich. So selbstverständlich ist ś uns, so vertraut wie unbekannt. Wer bin ich?" [5] Entwicklung ist die Entscheidung, Verbindungen in sich selbst zu finden. Sie wird begünstigt durch signifikante Andere, die uns spiegeln, was wir werden könnten. Sie wird gestoppt, wenn andere uns in eine Richtung formen, die "so sein" soll. Wie wir uns im eigenen Möglichkeitenraum bewegen, ist entscheidend durch die vorherigen Resonanzerfahrungen geprägt. Transformation braucht auch deshalb neue Resonanzerfahrungen. Damit Menschenvielleicht erstmals -sich selbst spüren und so etwas wie ein eigener Persönlichkeitskern wachsen kann. Auch Organisationen können neue Resonanzerfahrungen geben. Das Dilemma ist, dass dadurch eine Art organisierte Persönlichkeitsentwicklung angestoßen wird. Das geschieht allein schon dadurch, dass anderes Verhalten gewünscht und belohnt wird. Das tangiert ethische Fragen. Freiwilligkeit hört da auf, wo die bisherigen Führungsqualitäten nicht mehr zum geänderten Umfeld passen. c Woran erkennt man eine gestärkte Persönlichkeit mit guter Resonanzerfahrung? An ihrem Humor und der Fähigkeit, über sich selbst zu lachen. Eines der wichtigsten Zeichen für gereifte Persönlichkeiten ist deren Humor. Wer über sich selbst herzlich lachen kann, zeigt damit, dass er oder sie sich nicht schützen muss. Der Mensch ist sich selbst sicher, sonst wäre das Lachen nicht möglich. Die Extended-Mind- "In general, dominant views in the philosophy of mind and cognitive science have considered the body as peripheral to understanding the nature of mind and cognition. Proponents of embodied cognitive science view this as a serious mistake. Sometimes the nature of the dependence of cognition on the body is quite unexpected, and suggests new ways of conceptualizing and exploring the mechanics of cognitive processes." [6] Embodiment ist damit sehr ähnlich zur Extendend-Mind-Theorie. Es liefert aber darüber hinaus konkrete Ansätze für Veränderung. Beispielsweise fühlen sich Menschen körperlich in einen neuen Zustand ein. Diesen Zustand finden Sie in sich selbst durch Bewegungen, weil individuelle Erfahrungen den Körper geprägt haben und deshalb auch nur jede selbst spüren kann, wo für sie eine neue körperliche Erfahrung beginnt. Embodied Leadership, teilweise wird es auch Somatic Leadership genannt, beruht auf diesem Denken und bietet einen Ansatz für den Einsatz von Körpersprache und die Nutzung von Emotionen in Führungssituationen. Es zielt auf einen Einklang von innen und außen, über Bewegungen und Spiele oder auch spielerische Kämpfe wie im Aikido. Dadurch spürt man, was sonst im Kopf "festhängt". Man erhält unmittelbare Resonanz und kann erfühlen, was man sonst nicht denken kann. Bewegung und Körper sollten deshalb Teil von Führungskräfteentwicklung sein, die nicht trennbar von Persönlichkeitsentwicklung ist. Oft haben körperorientierte Verfahren, etwa Psychodrama, einen esoterischen Touch; sie gelten als nicht business-tauglich. Es ist an der Zeit, dass diese Sicht sich ändert. Hypnotherapeutische Ansätze beziehen ebenfalls den Körper mit ein. Auch diese sind fern von Beeinflussung und Suggestion oder billiger Manipulation. Nichts fördert Entwicklung so sehr wie die Verbindung von Körper und Geist. Auch Achtsamkeit führt in diese Richtung. Firmen wie SAP oder auch Google haben das längst erkannt. Nachdem der Weltranglistenerste im Go, der Chinese Ke Jie, 2017 dreimal hintereinander gegen den von Google entwickelten Computer AlphaGo und Nachfolger AlphaGo Zero verlor, gab er ein Interview, das bei Youtube mit englischen Untertiteln zu finden ist. In diesem bezeichnete er AlphaGo als "Gott". Sich selbst definierte er angesichts dieser maschinellen Herrlichkeit: "I think I need some time to figure out the situation. I had never doubted myself. I used to think I was the strongest and most cogitative" [7] . In diesem Satz steckt psychologischer Sprengstoff, da er zweierlei ausdrückt: • eine tiefe narzisstische Kränkung, gekennzeichnet durch Selbstüberhöhung • eine fehlgeleitete Identifikation: Das "Ich" wird nicht als Mensch gesehen, sondern als computergleiche Rechenmaschine Es spiegeln sich auch die Werte als Handlungsqualität: Stärke und Intelligenz. Das, was Ke Jie für Persönlichkeit hält, ist entstanden aus der Erfahrung, der Beste zu sein. Kann dieses Versprechen, der Beste im Go zu sein, nicht mehr eingehalten werden, schmilzt der Persönlichkeitskern, geht Orientierung verloren. Das sehen wir derzeit überall in Unternehmen: Wer sich bisher sehr stark mit Werten wie Expertenwissen und hierarchischer Status identifizierte, die durch die Digitalisierung nun nicht mehr oder weniger gefragt sind, verliert dadurch seinen Kern und damit innere Orientierung. Nicht wenige haben sich über Fachwissen oder Führungskompetenz definiert. Sie waren oder sind verschmolzen mit ihrer beruflichen Position. Ohne diese fühlen sie sich als "Nichtse". Identität wurde damit an etwas geknüpft, das von der "schwachen" künstlichen Intelligenz mehr und mehr übernommen werden wird -worin man aus anderem Blickwinkel betrachtet eine Chance sehen könnte. Identität könnte dann wieder über menschliche Eigenschaften erfolgen. Wir würden uns nicht als Konkurrenten der Computer verstehen und diese im übertragenen Sinn "in Schach" halten. Neue Aufgaben -nicht unbedingt Jobsgäbe es genug, allein durch die immer größer werdenden ethischen Fragestellungen, den Schutz der Umwelt und die Notwendigkeit der emotionalen Bildung. Diese neuen Jobs sind aber ganz anders als die vorherigen, sie finden in einem veränderten Umfeld statt und erfordern deshalb, dass sich ein neuer Kern, Identität also, wieder aufbauen muss. Damit Menschen nicht in die "Go-Falle" gehen, benötigen sie Selbsttranszendenz. Der Begriff Selbsttranszendenz stammt ursprünglich vom Arzt Viktor Frankl, der in seinem Weltbestseller "Trotzdem ja zum Leben sagen" zeigte, was Menschen wirklich ausmacht, wenn sie nichts mehr haben außer sich selbst und die Resonanz von anderen. Letztendendlich ist Selbsttranszendenz damit auch die Fähigkeit, in Resonanz mit sich und anderen zu gehen. Der amerikanische Psychiater Robert Cloninger sieht Selbsttranszendenz als das an, was Freiheit und zugleich Richtung im Leben gibt (Abb. 3.1). Es ist unwahrscheinlich, das selbsttranszendente Menschen eine so tiefe Verstörung erleben können wie Ke Jie. Sie definieren sich nicht über ihre Abgrenzung durch besonders viel Wissen und Können, sondern streben danach, wirksam für sich und andere zu sein. Sie stärken ihr Innen, indem sie sich als Teil von Anderen begreifen. Für Cloninger ist Selbstranszendenz eines von drei Merkmalen, die den Charakter eines Menschen ausmachen. Dieser ist in seiner Definition nach das, was der Mensch aus sich macht -im Unterschied zu seiner angelegten Körperchemie, die Cloninger als Temperament bezeichnet. Selbsttranszendenz beinhaltet Selbstvergessenheit, transpersonale Identifikation und spirituelle Akzeptanz. Letzteres bedeutet nicht unbedingt den Glauben an einen Gott, sondern dass man sich als Teil der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschheit sehen kann. Neben der Selbsttranszendenz gehören für Cloninger auch Kooperativität und Selbstlenkungsfähigkeit zum Charakter. Bei einer hohen Ausprägung der Dimension Selbsttranszendenz zeigt sich ein fantasievoller, idealistischer Mensch -ein Mensch also, der humorvoll sich selbst nicht immer ernst nimmt. Der Persönlichkeitskern ist dann in diesem Aspekt zu suchen -unabhängig von Themen, konkreten Verhaltensweisen oder Denkschulen. Gleichzeitig ist dieser Persönlichkeitskern individuell, denn auch die Körperchemie beeinflusst ihn. Man kann als stiller, introvertierter Mensch genauso Humor entwickeln wie als Extrovertierter. Cloningers Persönlichkeitsbild geht davon aus: Wir können uns entscheiden, die Welt als guten Ort zu betrachten. Es zeigt das, was uns nachhaltig von maschineller Intelligenz unterscheidet. Wer sich über computerähnliche Intelligenz im eigenen Menschsein definiert haben, wird Mühe haben, ein adäquates Spiegelbild in einer Welt aufzubauen, die einem die Grenzen des eigenen Verstands in seiner Interpretation als Rechenmaschine deutlich zeigt. Setzt die Maschine unseren Geist schachmatt, anstatt ihn zu erweitern, führt sie und folgt nicht, werden wir zu Nichtsen. Die Natur braucht uns nicht. Nach seiner Selbsterschütterung entschied sich Ke Jie, vom Computer zu lernen und sich die Art und Weise seines Denkens beizubringen. Er nahm also einen anderen Anlauf in die gleiche Richtung und orientierte sich am Lern-Vorbild Computer. Er suchte damit einen neuen Spiegel für sich. Narzisstische Kränkungen zeigen sich daran, dass jemandem die Identitätsgrundlage entzogen wird. Dies führt zu einem Verteidigungsverhalten, zu einem "Jetzt erst recht" oder auch zu Angriffen. Eine Reaktion von Menschen, die ihre Identität und Resonanz im Außen suchen. Dies kann bei Führungskräften geschehen, die sich ein Thema wie "agil" anziehen, es aber nicht verinnerlichen können. Dies kann Experten betreffen, die sich durch ihr enges Fachgebiet definieren oder solche die nur abspulen, was ihnen zeitgemäß scheint. Aus Perspektive der Ich-Entwicklung ist so ein Mensch in einer frühen Entwicklungsphase. Ihm ist es nicht gelungen, über das "Ich bin mir selbst die Nächste"-Denken hinauszukommen und sich voll auf andere einzulassen -oder vielmehr: Die "Entwicklungsumgebungen" -die Familie, die Kultur, die Organisation -haben das nicht zugelassen oder geradezu das Gegenteil gefördert. Ein Persönlichkeitskern in dem hier beschriebenen Sinn entwickelt sich durch Du-und Resonanz-Erfahrung. Das Ich grenzt sich ab, die Welt in ihrer Perspektivenvielfalt speist sich ein. "The essence of the ego is the striving to master, to integrate, and make sense of experience." [8] Eine Person, in der viele andere Perspektiven aufgenommen sind, kann mit Veränderungen leichter umgehen. Wenn also die innere Komplexität wächst, lässt sich auch die äußere einfacher bewältigen. Stehen mehr Lösungsmöglichkeiten und Verhaltensoptionen zur Verfügung, können auch Konflikte leichter bewältigt werden. Die Identität steht auf einer breiteren Basis. Nichts beschreibt die Ich-Entwicklung schöner als Hermann Hesses Gedicht "Stufen": "Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Persönlichkeitsentwicklung ist dabei ein Anpassungsprozess an die Umwelt, bei dem zugleich eine individuelle Position in dieser gefunden wird. Je weniger fixiert diese Position ist, desto leichter fällt das. Ich stehe mit beiden Beinen in dieser Welt, auch wenn sie bebt. Dazu haben nicht selten persönliche Krisen beigetragen. In einer relativ stabilen Welt war es zu einem gewissen Grad sinnvoll, dass Menschen sich in ihre Rollen fügten. Sie sollten einen Beruf lernen, eine Familie gründen, konsumieren -der Haben-Modus nach Fromm. In einer volatilen Welt ist es hilfreicher, wenn Menschen lernen, wie sie auf der beweglichen Welt stehen und sie selbst sind -mehr vom Seins-Modus. Kommet Gestaltungskraft dazu, wird diese globaler und holistischer und weniger dogmatisch-autoritär sein. Je beweglicher die Umwelt, desto hilfreicher ist es, dass Menschen flexible Wege finden, in ihr zu leben, wenn sie sie mitdenken und mitgestalten. c Agiler Populismus Beobachten Sie einmal die Kommunikation rund um das Thema Agilität. Da gibt es Menschen, die sehr stark das eine gegen das andere stellen. Sie bewerten und werten ab. Hierarchie ist schlecht, Selbstorganisation gut. Diese Art der Führung muss es sein, jene nicht. Sie bemächtigen sich bestimmter Begriffe, ohne diese in ihrer Bedeutung erfasst zu haben oder erfassen zu wollen. Das ist agiler Populismus, der Wesenskern ist rigide. Lebenslange Jobsicherheit kann heute niemand mehr bieten. Gefordert ist eine laufende Anpassung auch der eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Dies gelingt als stupides "Ultralearning" oder aus einer Perspektive der eigenen Veränderbarkeit. Sieht sich ein Mensch als Prozess, kann er diesen auch leichter gestalten und sich flexiblen Arbeitsbedingungen anpassen. Festgelegte Berufe gibt es kaum noch und wenn, arbeiten immer weniger in ihnen. Immer mehr Menschen sind selbstständig, das Heer der "Clickworker" steigt, was die Fähigkeit zur Selbstorganisation und persönlicher Neudefinition fordert. Kreativität geht ebenso mit Ich-Entwicklung einher, denn sie schärft die Wahrnehmung und Verbindungsfähigkeit. Man wird zudem unabhängiger von den Meinungen anderer -und interessiert sich zugleich mehr und ehrlicher für sie. Kein Wunder also, dass die Entwicklungspsychologie plötzlich relevanter erscheintso relevant, dass sogar "Spiegel" das Thema aufgegriffen hat. "Ich-Entwicklung kann auf zwei Ebenen erklärt werden. Einmal als ein abstraktes psychologisches Konstrukt und einmal auf einer konkreten empirisch-belegten Ebene von Beobachtungen. Als abstrakte Definition beschreibt die Begründerin Loevinger (1966 Loevinger ( , 1979 das Modell der Ich-Entwicklung als ,ein holistisches Konstrukt, das die fundamentale strukturelle Einheit der Organisation der Persönlichkeit repräsentiert." [5] Ich-Entwicklung lässt sich durch verschiedene Stufen abgrenzen, die aufeinander aufbauen. Im Unterschied zu Spiral Dynamics sind diese empirisch nachweisbar durch die Analyse von Sprachstrukturen. Der Mensch differenziert sich aus, in seiner Wahrnehmung, in seinen Facetten. Woran sich jemand in seiner Wahrnehmung und Handlung orientiert, zeigt einen bestimmten Entwicklungsmodus. Dabei speisen neue Stufen die älteren ein. Es geht also nichts verloren, sondern es wird immer mehr. Loevinger führte die Entwicklungspsychologie aus der Kindheit und Pubertät und zeigte, dass Entwicklung auch im Erwachsenenalter stattfindet. Piaget hatte den Verlauf der kognitiven Entwicklung mit Experimenten belegt und in eine aufeinanderfolgende Ordnung gebracht. Kindergartenkinder denken beispielsweise, dass ein anderer immer das sieht, was sie selbst sehen. Das belegte Piaget mit dem berühmten "Bergexperiment", bei dem sich eine Pädagogin und das Kind vor einem Bergmodell gegenübersitzen. Vor dem Modell stehen Tiere wie Kuh oder Pferd. Die Pädagogin zeigt das Modell so, dass das Kind auch sieht, welche Figuren auf seiner eigenen Seite stehen. Zeigt sie beispielsweise auf das Pferd und fragt "Was sehe ich denn jetzt?", so kann das Kind das nicht sagen, obwohl es das Pferd vorher gesehen hat. Es hat die Perspektive noch nicht verinnerlicht. Piaget unterschied Assimilation und Akkomodation. Während die Assimilation das neue Wissen in das bereits vorhandene Denkschemata einordnet, entstehen durch die Akkomodation neue Erkenntnisse und damit auch neue Verhaltensmöglichkeiten. Gerät nach Piaget das bisherige Gleichgewicht, also "Equilibrium" durcheinander, führt das Gleichgewichtsstreben zwischen "Assimilation" und "Akkomodation" zu einer sprunghaften Entwicklung. Dadurch wird Veränderung möglich. [5] Das heißt: Menschen müssen mit ihren derzeitigen Problemlösungsstrategien an ihre Grenzen kommen. Auch hier liefert die Covid-19-Pandemie ein schönes Beispiel: Als nichts mehr anders ging, wurde Home Office plötzlich auch für jene zur Option, die sich vorher dagegen gestellt hatten. Bis dahin war es undenkbar gewesen, Tagesworkshops im Internet abzubilden. Allein die Vorstellungen von "geht nicht" haben uns gehindert, das zu tun. Was für Kinder gilt, gilt auch für Erwachsene. Loevinger bewies mit umfangreichen statistischen Untersuchungen, dass der Entwicklungsprozess im Erwachsenenalter weiter-gehen kann, aber nicht muss. Sie untersuchte familiäre Interventionsmuster und fand Regelmäßigkeiten in ihren Daten zur Persönlichkeitserfassung. Es zeigten sich große Ähnlichkeiten zu dem, was Theodor W. Adorno als "autoritäre Persönlichkeit" beschrieben hatte: Charakterisierte Dominanz, gewissenhaft verinnerlichte Regelvorstellungen, rigides Verhalten und fehlende Empathie. Loevinger entwickelte den Fragebogen "Authoritarian Familiy Ideology" (AFI) und später WUSCT, den "Washington University Sentence Completion Test". Dies ist ein teilprojektiver Test, da Sätze frei assoziativ zu vervollständigen sind und es keine vorgefertigten Antworten gibt [5] . In der ersten Phase ihrer Forschungsarbeit, bevor Loevinger WUSCT entwickelte, fand Loevinger einen weiteren Typus von Persönlichkeit, der sich unstrukturierter verhielt [5, 8] . Dieser konnte schwer eigene Impulse kontrollieren. Sie nahm an, dabei müsse es sich um eine Vorstufe handeln -sie fand das, was sie später als E3 (Ego-Modus) bezeichnete. Loevinger definierte anhand ihrer Studien schließlich neun statistisch nachweisbare Stufen, Susanne Cook-Greuter wies später eine zehnte in ihrer eigenen Doktorarbeit nach. Damit begannen Loevingers vier Jahrzehnte währenden empirischen Forschungen. Sie nannte den von ihr entdeckten Unterschied einen "Master Trait der Persönlichkeit". Dieser entscheidet, wie eine Person sich und die Welt wahrnimmt und interpretiert. Der Trait ist also den anderen Eigenschaften übergeordnet, verhält sich wie eine Moderatorvariable. Er bestimmt auch, wie sich beispielsweise Gewissenhaftigkeit oder Offenheit zeigt -Eigenschaften aus dem Big-Five-Persönlichkeitsmodell [5] . Auch Motive wie etwa Macht können je nach Ich-Entwicklungsstufe ganz unterschiedlich ausgelegt werden. Loevinger definierte "Self as a process". Sie etablierte damit eine dynamische Sicht auf das Ich, das immer "mehr" werden kann. Die Auswertung braucht die Expertise durch einen ausgebildeten Scorer, also eine Art Gutachten. Die 36 Fragen beinhalten ausschließlich Satzfragmente wie beispielsweise "Regeln sind …". Diese setzen voraus, dass der Ausfüllende weiterdenkt, er kann nicht einfach auswählen. Es ist unmöglich, dass er sich jenseits von Auswendig-Gelerntem hier etwas zusammenreimen kann. Thomas Binder ist der bekannteste Experte im deutschsprachigen Raum, der eine Qualifikation für Personen anbietet, die das Auswertungsgespräch zum WUSCT führen, das er IE-Profil nennt [10] . Zur Ich-Entwicklung forschen heute noch auf freier Basis Susanne Cook-Greuter und Robert Kegan in Harvard [5, 13] . Kegan erkennt Plateaus in der Entwicklung. Er übertrug Ich-Entwicklung mit seiner Kollegin Lisa Lahey auf Organisationen bezog [13] . Für ihn gibt es drei Entwickungsplateaus, die Erwachsene erreichen können. Kegan spricht auch von Mindsets der mentalen Modelle. Es ist für ihn eine bestimmte Art, auf die Welt zu blicken und Botschaften zu interpretieren. Diesen Begriff habe ich für mein Buch "Das agile Mindset" aufgegriffen [1] . Das "agil" habe ich damit mit einer Perspektive verbunden, die dem dritten Plateau nach Kegan entspricht. Dieses ermöglicht eine Wahrnehmung im "Sowohl-als-auch" sowie verbindendes Denken und Handeln. Die Tab. 3.1 zeigt eine Übersicht der unterschiedlichen Urheber und Strömungen, in die sich auch Lawrence Kohlberg einordnet, der zum Umgang mit Dilemmata forschte und sich auf Stufen der Moralentwicklung bezog [33] . Kohlberg Gedanken, dass Ich-Entwicklung stark kontextabhängig zu sehen ist und der Kontext einen entscheidenden Einfluss darauf hat, wohin sich jemand entwickelt oder wann und wo er in seiner Entwicklung stagniert. Ich-Entwicklung zeigt sich in der Art und Weise, wie jemand wahrnimmt und daraus Handlung ableitet. Loevinger [5, 8] Menschen in diesem Modus passen sich an, wenn sie es müssen. Sie sind auf ihren Vorteil bedacht und beschäftigt damit, keinen Ärger zu bekommen und ertappt zu werden. Der eigene Vorteil oder der Gewinn für ihre Peergroup oder Familie treibt sie. Sie denken in Kategorien von Siegen und Verlieren. Sie gehen davon aus, dass auch die anderen nur ih-ren Vorteil wollen. Ein Perspektivwechsel ist oft nicht gewollt oder fällt nur sehr oberflächlich aus. Da diese Stufe eigennützig ist, ist es schwer, Menschen hier zu erreichen, denn sie spielen aus und manipulieren. Deshalb können Menschen in E3 im Business-Kontext erfolgreich sein. Sie beherrschen das Spiel und können dementsprechend oft auch gut intrigieren. In einem Veränderungsprozess sind sie diejenigen, auf die man aber besser nicht setzen sollte. Sie können auch gefährlich werden, da sie polarisieren und zu Populismus neigen. Wenn Personen in diesem Modus an Grenzen kommen, die sie durch eine Anpassung an ihre Umwelt überwinden, entwickeln sie mehr Gruppen-und Normbewusstsein. Wenn sie Ansehen und Job verlieren, kann das ein Treiber sein, das eigene Denken neu zu organisieren. In Transformationsprozessen sind es die, die Dinge durchsetzen, die aber kontrolliert werden müssen. Schädigen Sie andere durch manipulatives Verhalten, müssen sie raus. Diese Menschen wirken oft harmonisch und kollegial. Sie streben aber nach Anpassung an Gruppennormen, deshalb aber auch nach Pauschaliserungen und neigen zu Stereotypen. Bei der Wahrnehmung richten sie den Blick auf normgerechtes Verhalten. Sie sind möglicherweise moralisch, loyal und regeltreu. Sie haben ein ausgeprägtes Bedürfnis nach eindeutiger Zugehörigkeit und fallen durch eine bisweilen oberflächliche Freundlichkeit auf. Sie achten auf Verhalten, das als fremdbestimmt betrachtet wird, denn "man macht das eben so". Gefühle werden nur in ihrer einfachen Form verstanden. Möglicherweise haben diese Menschen einen Studienabschluss, doch wirken sie einfach gestrickt, was sich im Satzbau und fehlender Differenzierung im sprachlichen Ausdruck zeigt. Sie haben ein "Schwarz-Weiß-Denken", wodurch sie kaum abweichendes Denken und Handeln wirksam integrieren können. Lebensthemen werden wenig reflektiert; es ist, wie es ist oder sein soll. Aufgaben werden so erledigt, wie es erwartet wird (oder der Betreffende meint, dass es so erwartet wird). Witze haben ein recht einfaches Level, Schadenfreude ist durchaus üblich. Sinnvoll ist es, Stereotypisierungen zu hinterfragen, Unterscheidungsmerkmale von anderen herauszuarbeiten sowie die Beziehung zu den eigenen Gefühlen zu fördern. In Veränderungsprozessen sind diese Menschen eher Mitläufer. Sie entwickeln sich, wenn sich das "Eigene" in ihnen sich meldet und die bisherige Bezugsgruppe sich verändert oder sie sich nicht mehr zugehörig fühlen. In Transformationsprozessen brauchen sie vor allem neue Normen, an die sie sich anpassen können. Im Vergleich zu E4 haben diese Menschen ein gestiegenes, jedoch noch immer begrenztes Selbstbewusstsein, in dem Sinne, dass sie sich als Individuum wahrnehmen und von anderen abgrenzen. Sie suchen nicht mehr Zugehörigkeit, sondern zu einem gewissen Grad auch Abgrenzung. So sind sie gern Experten oder zeigen eigene Facetten. Sie erkennen die zahlreichen Möglichkeiten in einer Situation und können sich dieser auch anpassen. Sie können dabei durchaus selbstkritisch sein und eine anfangende Bewusstheit über innere Gefühle von sich und anderen erlangen. Lebensthemen wie Gott, Tod, Beziehungen, Gesundheit können sie reflektieren, jedoch mit begrenzter Tiefe. Eine Bewertung wird sichtbar, die sich in Aussagen wie "Weiterbildung ist mir wichtig" zeigt. Reflexion ist auf einem einfachen Niveau möglich, beispielsweise können sie innehalten und das eigene Bedürfnis in einer Entscheidungssituation erkennen, was in E4 noch viel schwerer fällt. Aufgaben können sie effizient erledigen, so wie es die Standards verlangen (welche sie suchen und brauchen). Witze werden noch eher auf Kosten anderer gemacht, Sarkasmus ist häufig. Es ist sinnvoll, zu relativieren und anzuregen, erweiterte zeitliche Perspektiven einzunehmen. Hilfreich, konkretes Verhalten noch mehr zu abstrahieren, um komplexere Zusammenhänge erfassen zu können. Einseitige Annahmen gilt es zu kontrastieren. Effektivität ist ein Schlüssel, also die Frage, was man tun kann, um Ziele zu erreichen, statt die Aufgaben gut zu erledigen. Dabei ist die Prioritätensetzung ein großes Thema. In Veränderungsprozessen neigen diese Menschen dazu, sich auf das gewissenhafte und standardisierte Vorgehen zu konzentrieren. Ihr Blick sollte sich auf den größeren Kontext richten, dazu ist entsprechende Führung hilfreich. In Transformationsprozessen sind sie die Expertinnen und inhaltlich Stützenden. Gleichzeitig haben Sie eine hohe Rigidität, die sie aber bewusst erleben und dadurch verändern können. Eine Entwicklung über diese Stufe hinaus ist sinnvoll, wenn der Kontext nochmals komplexer wird oder eine zu starke Relativierung zu Verwirrung führt. In strategischen Führungspositionen ist es zudem erforderlich, auch den Weg vorzugeben, was eine Weiterentwicklung erfordert. "Eine neuartige Stabilität erreichen Personen auf E8, indem die Paradoxien vorheriger Stufen unter einem Schirm von Metakriterien integriert werden." [5] In dieser Stufe können Menschen sich wirksam inneren Konflikten stellen. Sie habe eine höhere Ambiguitätstoleranz und können Widersprüche stehen lassen, ohne sie auflösen zu müssen. Sie respektieren die Autonomie von anderen und von sich selbst. Beziehungen werden als wechselseitig erlebt. Selbstaktualisierung rückt in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die systemische Natur von allem wird nicht nur intellektuell erkannt, sondern auch fühlend. Dekonstruktion wird leichter möglich, also das Zerlegen Jede Karrierelebensphase bildet einen Teil unserer Identität und erweitert diese. Aus einem "Ich bin Data Scientist" wird durch die Ausdehnung im Möglichkeitenraum -auch der Sprache -ein "Ich trage zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Daten bei". Das Selbstverständnis erweitert sich, der Radius wird größer, der Fokus verwandelt sich von einer Ich-zur Wir-und von einer Wir-zur Wir-alle-Orientierung. Das kann für Führungskräfte, die bisher im "Ich bin X"-Modus dachten, hilfreich sein, vor allem, wenn ihnen klar wird, was sie wirklich mit etwas verbinden. Auch die Ich-Entwicklung zeigt, dass Menschen reifen, indem sie sich von einer zu engen Bindung zu einer Vorstellung befreien. In der Meditation schließlich lernen wir zu verstehen, dass wir nicht unsere Gedanken sind, sondern diese haben -und loslassen können. An dieser Stelle verschmelzen beide Ansätze, die sonst wie zwei Brillen sind. In der "Entreephase" treiben die Frage "Wo gehöre ich hin?" und der Wunsch anzukommen. Auch wenn die Frage beantwortet zu sein scheint, können in jungen Jahren wenige Erlebnisse und Begegnungen Antworten fundamental ändern, was viele Eltern zur Verzweiflung bringt. Doch das ist normal. Es ist die Phase des ersten beruflichen Findens, und es muss viel gesucht und viel gefunden werden. Schließlich geht es um nichts weniger als die lebenslange Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die auch dann noch bestehen bleibt, wenn man ihr den Rücken gekehrt hat. Verliert ein Mensch das in dieser Phase gewonnene Stück Identität, kann das psychologisch schwierig sein. Dann kann es sinnvoll sein, von der Berufs-zur Sinngemeinschaft überzugehen. Der mit der Entreephase verbundene Wert ist "Finden" -und wenn Jobs verloren gehen, so kann er heißen "Wiederfinden" oder "Neuentdecken". Denken Sie an die Spinner in den Webereien, die durch die "Spinning Jenny" ihren Job verloren. Sie rebellierten dagegen, denn der Job bedeutete Identität und Existenz für sie. Je weniger ein Job identitätsbestimmend ist, desto leichter fallen auch größere berufliche Veränderungen. Schaut man sich die derzeitigen Veränderungen an, so haben diejenigen die meiste Mühe, die mit dem Job überwiegend Status und Sicherheit verbanden, etwa Banker. Wenn aus einem "Ich bin Banker" ein "Ich bin Mensch und habe als Banker gearbeitet" wirdund das auch gefühlt werden kann, ist das ein entscheidender Schritt nach vorn. Erik Jede durch die derzeitigen Umwälzungen verursachte Jobveränderung führt zu einem neuen Entree. Das bedeutet auch, dass erfahrene und ältere Mitarbeiter sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass sie nicht immer weiter auf der bisherigen Erfolgsspur fahren, sondern neue brauchden. Und es ist zunächst irritierend, aus einem "Erfolg" wieder zeitweise zurückzugehen. Viele, die sich neu orientieren müssen oder ahnen, dass sie es nicht mehr bis zur Rente schaffen, wollen deshalb eine Garantie, dass ihre gewählte Weiterbildung erfolgreich ist -die gibt es aber nicht. Je agiler die Persönlichkeitsstruktur, desto leichter wird das fallen. "Erfolg haben" setzt voraus, dass man sich entschieden hat, durch eine Tür zu gehen und das kann mit einem langjährigen Invest zusammenhängen -bei offenem Ausgang. Entscheidungen sollten dabei so getroffen werden, dass sie auf Stärken basieren, nur so wird man das durchhalten. Stärken sind da, wo Resonanz erfahren wird. Wir sehen im Moment zu viele, die "Scrum Master" oder "Agile Coach" werden, weil sie da einen Markt vermuten, nicht aufgrund wirklicher Fähigkeiten und Neigungen. Immer wieder zeigt sich, dass Menschen sich mehr einsetzen, wenn sie Sinn empfinden. Erik Erikson sieht Generativität/Stagnation in Phase 7 und Ich-Integration/Verzweiflung in der letzten seiner Phasen, der Phase 8. Generativität ist das Weitergeben, die Fortpflanzung im direkten und übertragenen Sinn. Damit eine gesunde Ich-Integration stattfinden kann, muss ein Mensch etwas in sich als weiterlebend in jemanden anderem oder einem universellen Kontext empfinden. Ohne entsteht Leere, ja Verzweiflung. Entscheidend für eine fruchtbare Sinnphase ist die vorherige Integration. Ich erlebe Verzweiflung vor allem bei Menschen, die in ihrem Leben den zentralen Themen aus dem Weg gegangen sind. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und Familie und den Prägungen genauso wie mit Lebensentscheidungen, etwa zugunsten der Karriere. Reflexion ist also auch in dieser Phase wieder wichtig, Verdrängen erweist sich typischerweise nur vorübergehend als gesunde Strategie. Wie erreichen Sie Menschen in der Sinnphase? • Bieten Sie Möglichkeiten zum generationenübergreifenden Austausch jenseits des Fachlichen. • Fördern Sie, dass Menschen ihren persönlichen Sinn entdecken, auch wenn das bedeutet, das sie das Unternehmen verlassen könnten. Manche kommen wieder, andere werden zu dankbaren Botschaftern. • Kulturelle Vielfalt regt an. Gerade Mittelstandsunternehmen werden sich wieder mehr mit der ansässigen Region verbinden. Neue und kreative Ideen sind gefragt. In ländlichen Regionen sind Bankfilialen oft die einzigen Anlaufstellen für Senioren. Manch Bankberater ist so zu einer Art Sozialarbeiter geworden. Noch ist das aber nicht offiziell. Im ländlichen Raum sind neue Geschäftsmodelle gefragt, die berücksichtigen, dass sich die neue "alte" Generation vermutlich ganz anders verhalten wird als die bisherige. Sie werden aktiver sein, sich mehr austauschen, Technologie nutzen. So könnten auch Dörfer wieder zu neuem Leben erwachen. Ein Beispiel für das Beleben von Dörfern bietet die Gemeinde Bosau in Schleswig-Holstein mit dem Wohnprojekt Uhlenbusch, gegründet vom Ehepaar Reimann mit der Absicht, eine anregende Umgebung für den Lebensabend zu schaffen [18] . ◄ Stellen Sie sich vier Personen in unterschiedlichen Lebensphasen vor, die über Agilität, Purpose oder Sinn sprechen. Sie scheinen das Gleiche zu meinen, doch es liegen Welten zwischen ihnen. Diese Welten betreffen das eigene Erleben und die Ableitungen, die man für sich aus bestimmten Erkenntnissen trifft. Der eine (Entree) will andocken, der Nächste etwas vorantreiben (Karriere), ein anderer ganzheitlich verbinden (Integration) -und dann gibt es wieder diejenigen, die voll in etwas aufgehen (Sinn). Dies kann sich auf Aspekte wie Arbeiteinsatz, Schnelligkeit beim Umsetzen, die Art des Lernens, die Prioritätensetzung und auch die Bereitschaft zur Anpassung beziehen. Wer sich dessen bewusst ist, kann besser verstehen, warum Menschen, die auf den ersten Blick so viel miteinander verbunden hat, dann doch so unterschiedliche Entscheidungen treffen. Das, was Personaler gern "cultural fit" oder "cultural unfit" nennen, bezieht sich oft mehr auf die unterschiedlichen Lebensphasen als auf wirkliche Kulturunterschiede. Natürlich sind Lebensphasen nicht der einzige Aspekt. Die Persönlichkeit spielt eine Rolle, die Ich-Entwicklung, das "Valueset" und natürlich auch die Dynamiken in einer Gruppe. In der Vergangenheit wurde vielfach einseitig auf Persönlichkeit fokussiert. Oft habe ich erlebt, wie überrascht eine Organisation war, wenn ein "hoch gehandeltes" Talent schnell wieder gegangen ist. Der Grund lag ziemlich häufig mehr in den Karrierelebensphasen als in allem anderen: sei es, dass Organisationen übersehen hatten, dass Menschen trotz aller vorherigen Erfolgssignale an irgendeinem Punkt des Lebens dann doch die Familie priorisieren, oder sei es, dass plötzlich Zweifel am Sinn der Tätigkeit entstanden sind. Wenn etwa die Marketingexpertin plötzlich Gewissensbisse bekommt, Kunden durch "Sales Funnel" zu beeinflussen, kann das auch mit einer geänderten Perspektive zusammenhängen. Plötzlich erkennt sie ihre Verantwortung auch für andere, das Bewusstsein für Gegenseitigkeit ist gestiegen. Wenn Sie noch einmal das Gedicht von Hermann Hesse "Stufen" durchlesen: Entwicklungsstufen und Lebensphasen fließen hier zusammen. Am Ende liefern uns verschiedene Modelle nur unterschiedliche Brillen auf etwas Ähnliches: Vielfalt. Wenn wir diese aufsetzen, lernen wir mehr über uns selbst und andere -bis wir irgendwann merken, dass alles ganz einfach ist. Es gilt Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Menschen kommen und auch wieder gehen können. Aber auch so, dass sie unterschiedlichen Phasen gerecht werden. Tab. 3.2 zeigt eine Übersicht der Karrierelebensphasen. "Erfahrung ist nicht etwas, was uns begegnet; sie ist, was wir mit dem, was uns begegnet, machen." (Aldous Huxley 1894 -1963 Machen wir noch einmal einen kurzen Stopp bei der Wissenschaft über das Leben, der Biologie. Diese ist nicht zu trennen von der Psychologie. Wir sind keine geteilten Wesen, wir sind ganz. Zu dieser Erkenntnis hat die Biologie ganz wesentlich beigetragen. Huxleys Satz ist aktuell wie nie. Menschen kommen mit einem höchst anpassungsfähigen Gehirn auf die Welt. Sie haben ein unverwechselbares Genom, aber sie unterliegen Umwelteinflüssen. Biologische, soziale und psychische Faktoren modulieren nach und nach das Epigenom. Wer beispielsweise lernt, seine Emotionen anders zu deuten und zu regulieren, verändert damit auch dieses Epigenom, das wieder auf das Genom zurückwirkt. Es kann Gene ein-und ausschalten wie einen Lichtschalter. Das "Ärzteblatt" bezeichnete das Epigenom als "Dompteur der Gene" [19] , durch die Methylierung bestimmter Nukleotide der DNS. Wenn Methylgruppen an Cytosinbasen andocken, denen direkt darauf die Base Guanin folgt, können sie die nachfolgende Gensequenz nicht mehr ablesen. Und schon ist der Schalter aus! Methylierte Cytosine sind also "Ausschalter". Durch die Histon-Acetylierung wird der zwei Meter lange, dicht in den Zellkern gepackte und um Histone gelegte DNS-Strang aufgeweicht, wodurch die Gene dort ausgelesen werden können. Die DNA-Methylierung ist also eine chemische Abänderung an Grundbausteinen der Erbsubstanz einer Zelle durch Enzyme. Damit ändert sich auch der Genotyp. Der Genotyp ist die genetische Zusammensetzung eines Organismus bzw. die Kombination von Erbanlagen, die hinter einem Merkmal stehen. Diesen Genotyp sollten wir in Abgrenzung zum Phänotyp verstehen. Der Phänotyp fasst die sichtbaren Eigenschaften eines Organismus zusammen. Er besagt, wie sich ein Merkmal zeigt. Den Phänotyp dagegen bestimmen und entwickeln die Umwelteinflüsse, wie auch der Genotyp. Es besteht also eine dauernde Wechselwirkung zwischen Genound Phänotyp, eine dynamische Anlage-Umwelt-Interaktion. Das passt sehr gut zum Gedanken von Extended Mind, nach dem wir nach außen offen sind und Verbindungen zu anderen haben, wir die Umwelt in uns einlassen können. Dass diese Interaktion besteht, gilt in der Wissenschaft als unbestritten. Allerdings gibt es dort einige Vertreter, die den Umwelteinflüssen weniger und andere, die ihnen mehr Wirkung zuschreiben. Die aktuelle Forschung geht eher in die Richtung, dass der Einfluss groß ist und durch Training auch der Phänotyp verändert werden kann. Die wirkungsvollsten Trainingsarten sind dabei Meditation und Sport [20] . Die Perspektive der Neurowissenschaften, etwa die Neurobiologie, leitet uns auf direktem Weg zum Gehirn. Diese "Brille" zeigt mehr und mehr, dass unser Gehirn auch mit dem Körper interagiert und kaum separat betrachtet werden kann. Gefühle, so die Wissenschaftlerin Lisa Feldman Barett, können überall sein. Sie sind nicht nur bestimmten Gehirnregionen zuzuordnen wie der Amygdala, dem so genannten "Angstzentrum". Wie wichtig Sprache ist, belegt Lisa Feldman Barett [21] : Sprache beeinflusst das Auftreten der Angst. Besitzt eine Sprache kein Wort für eine Emotion, so ist diese auch nicht existent.Wird die Amygdala als Angstzentrum bezeichnet, formt allein das unsere Wahrnehmung. In fast allen Wissenschaftsbereichen zeigt sich der gleiche Trend: eine Zunahme von Komplexität und eine immer größere Tendenz zur Individualisierung. Gleichzeitig kehrt das Einfache zurückoft als Folge der vorherigen Komplexitätserhöhung. In der Emotionsforschung ist das nicht anders. Lisa Feldman Barett hat als Emotionsforscherin alte Zöpfe abgeschnitten. Das war etwa die Annahme, dass Grundgefühle bei allen Menschen gleich sind und sich in allen Kulturen gleich niederschlagen. Vielleicht erinnern Sie sich an Übungen, bei denen man Emotionen in Gesichtern deuten soll. Nach der Theorie des Psychologen Paul Ekman sind die sieben Grundgefühle Freude, Wut, Ekel, Furcht, Scham, Traurigkeit und Überraschung universell. Lisa Feldman Baretts [21] Forschungen zeigen, dass das nur bedingt stimmt. Vor allem aber, dass Emotionen sich überall im Körper zeigen können und sich individuell unterschiedlich niederschlagen und ausdrücken, nicht nur in der Mimik. Sie offenbaren sich nicht immer auf die gleiche Weise: Ich kann eine Faust ballen und damit Freude zeigen, aber auch Wut. Ich kann vor Freude weinen und aus Trauer, der Unterschied ist nicht direkt sichtbar, sondern wird nur vom Kontext erklärt. Und dann haben Emotionen eine riesige Spannbreite an Ausdrucksformen, sie sind nicht nur auf die sieben Grundemotionen reduzierbar, wie Ekman glaubte, der sich auf Darwin berief. Auch wie Emotionen empfunden werden, ist keineswegs bei Ihnen und mir gleich. Wir haben Emotionen nämlich erlernt und sie dabei mit Sprache verbunden. Wir haben uns darüber hinaus von Emotionen entkoppelt, auch dabei half die Sprache: "Das ist rein sachlich", ist ein solcher Entkopplungsversuch, der jeder Grundlage entbehrt. Es gibt keine reine Sachlichkeit, das Gefühl kommt vor dem Denken. Feldman Barett belegt, wie unglaublich wichtig das Narrativ ist, das wir zu einem Gefühl entwickeln. Sprache verbindet sich mit Emotionen und formt auf diese Weise soziokulturelle und individuelle Unterschiede. Wir lernen Emotionen mit unserem Spracherwerb. Mit der Sprache lernen wir, sie zu differenzieren, aber auch zu vereinfachen und zu reduzieren. Verschiedene Emotionen wie Zuversicht, Hoffnung, Interesse und Neugier sind auch irgendwie mit einem freudigen Erleben verknüpft, Wörter differenzieren lediglich ein Grundgefühl und fächern es auf. Sprache gibt dem, was wir fühlen, einen Ausdruck. Sprache formt Realität. Und sie verändert Realität auch. Durch neue Bilder kann sich ein Gefühl wandeln und ein anderes werden. Emotionen sind gelernt, und wir können lernen, sie neu zu interpretieren. Die Psychologin Susan David hat Emotionen mit Agilität verbunden. Sie definiert diese als Gegenteil von Rigidität. Die Plastizität des Gehirns zeigt, dass wir mit rund 94 Milliarden Nervenzellen alle Möglichkeiten haben, zu werden, wofür wir uns entscheiden. Das Gehirn kann umgebaut und trainiert werden, so dass sogar erhebliche Dysfunktionalitäten verschwinden. Bekannt geworden ist in diesem Zusammenhang Barbara Arrowsmith-Young "the woman who changed her brain" [22] . Barbara Leiten uns Gene oder wir uns selbst? Die Antwort auf diese Frage entscheidet darüber, wie sehr wir daran glauben können, uns selbst jederzeit beeinflussen zu können -und wie sehr wir unseren Mitarbeitern zutrauen, dass sie sich entwickeln können. Intelligenz wird seit mehr als 100 Jahren gemessen und untersucht auf Basis des Intelligenzquotienten (IQ). Hoch gehandelt wird dabei in der Leistungsgesellschaft die Intelligenz oder das, was man so benannt hat, als Erfolgstreiber für Führungskräfte. Sie sei maßgeblich für beruflichen Erfolg. Ich halte das für eine schwierige These, ist doch Intelligenz mehr als das, was der Intelligenztest misst. In Zukunft brauchen wir vermutlich zudem andere Formen von Intelligenz. Die Notwendigkeit zu mehr Kooperation und Zusammenarbeit fordert mehr Empathie. Die Verlagerung von Aufgaben auf die künstliche Intelligenz befördert den Blick auf lange weniger genutzte menschliche Stärken wie Intuition und Kreativität. All das wird eher von einem growth Mindset zur Entfaltung gebracht. Gendeerministen behaupten, Familie, Gesellschaft und Arbeitsumfeld hätten nur wenig Einfluss auf den IQ. Sie wollen damit Eltern und Arbeitgeberinnen entlasten: Wenn sowieso klar ist, was am Ende herauskommt, muss man sich weniger verantwortlich fühlen. Beispielsweise soll der Intelligenzquotient zu Zweidrittel bereits vor der Geburt feststehen. Einer der bekanntesten Vertreter ist der amerikanische Genetiker und Psychologe Robert Plomin. Der Ire Kevin Mitchell liegt auf einer ähnlichen Linie und sieht für viele Eigenschaften zu 40 % bis 60 % die Gene verantwortlich. Familie und Umgebung machten höchstens 10 % aus, der Rest sei Zufall. Intelligenzforschern ist aber auch bewusst, dass der Kontext einen erheblichen Einfluss hat. Nehmen wir Irland: Als das Land in den 1980er-Jahren arm war, erreichten seine Bewohner in Intelligenztests durchschnittlich nur 85 % der IQ-Punkte von Engländern. Heute haben sich die Lebensumstände erheblich verbessert, beide Staaten sind beim IQ gleichauf. Beim IQ gilt es, sich zudem zu vergegenwärtigen, dass kein absoluter Wert, sondern die eigene Position innerhalb einer statistischen Verteilung gemessen wird. Weiterhin fallen die Ergebnisse unterschiedlich aus, je nachdem, was genau herangezogen wird. Neuere Studien zeigen zudem ein hohes Entwicklungspotenzial, vor allem in der Jugend. Ältere Annahmen, wonach sich der IQ im Grundschulalter stabilisiert, sind damit überholt: "It used to be held that IQ stabilises by around the age of 10. This was the rationale for introducing tests at 11-12 years of age in those education systems where ability is used to select which secondary school children attend. However, recent evidence suggests that both verbal and non-verbal intelligence may vary during the teenage years, by up to 20 IQ points, suggesting that such selective systems do not have a firm foundation." [24] 20 IQ-Punkte sind erheblich: Jemand mit einem IQ von 100 wird sich seiner Umwelt deutlich anders zeigen als jemand mit 120. Auf große Schwankungen deuten auch die Studien von Cathy Price, die diese mit MRT-Untersuchungen kombinierte, um Veränderungen im Gehirn zu erkennen. Die 33 Teilnehmer an Prices Längsschnittstudie waren beim ersten Testdurchlauf zwischen zwölf und 16 Jahren alt und beim zweiten zwischen 15 und 20, wobei ihr Gehirn mithilfe der Kernspintomografie vermessen wurde. Die Testwerte bei den Intelligenzquotienten variierten zwischen 77 und 135 beim ersten Termin und zwischen 87 und 143 beim zweiten Termin. Einige der Jugendlichen verbesserten ihr Ergebnis um 20 Punkte, während andere sich um diesen Betrag verschlechterten. Zum Zeitpunkt 1 wendeten die Forscher ein für Kinder zugeschnittenes Auswertungsverfahren des IQ-Tests an, zum Zeitpunkt 2 eines für Erwachsene. Bei den Kindern hatte sich die so genannte graue Substanz erheblich verändert, das Training in der Schule sah man dem Gehirn insofern an, als sich die Dichte bei den Jugendlichen vergrößert hatte, die an IQ zugelegt hatten, wohingegen es bei den anderen umgekehrt war. Dabei ließen sich die Bereiche im Gehirn lokalisieren, die dem verbalen IQ und dem nicht-verbalen Performance-IQ (logische Denkgeschwindigkeit) zugeschrieben werden. Dessen Entwicklung war maßgeblich mit jenen Bereichen verbunden, die für sensomotorische Entwicklung zuständig sind. Daraus könnte geschlossen werden, dass die Förderung dieser Entwicklung positiv auf den IQ wirkt. Es zeigte sich auch der Einfluss von Peers -frühe Performer könnten gebremst werden, während andere sich in guter "Gesellschaft" besser entwickelten. Das deckt sich mit dem Gedanken des Extended-Mindset-, aber auch des Gowth-Mindset-Konzepts von Carol Dweck, wonach allein der Glaube daran, sich entwickeln zu können, diese Entwicklung möglich macht. "More generally, our results emphasize the possibility that an individual's intellectual capacity relative to their peers can weaken or strengthen in the teenage years. This would be encouraging to those whose intellectual potential may improve; and a warning that early achievers may not maintain their potential." [24] Die Stanford-Professorin Carol Dweck [25] forscht seit Jahrzehnten zum Growth Mindset. Sie untersucht, inwieweit die Einstellung selbst einen Einfluss ausübt. Dweck konnte in diversen Studien nachweisen, dass Studenten, die im Growth-Mindset-Konzept [26] geschult waren, ihre Noten beeinflussen konnten. "Over the academic year there was a difference between the groups of 0.23 grade points: that's a little less than the difference between two adjacent grades such as B and B+." [24] Der Unterschied ist zwar nicht groß, fällt aber ins Gewicht. Ins deutsche System übersetzt ist das etwa eine halbe Note. Welche Wirkung aber hat es auf Sicht von Jahrzehnten, wenn jemand an die eigene Entwicklungsfähigkeit glaubt? Wie wirkt er oder sie dabei auf andere? Und umgekehrt: Wie viele Möglichkeiten beschneidet jemand, der das nicht tut -bei sich und anderen? Leider gibt es dazu derzeit keine Längsschnittstudien, die den Verlauf untersuchen könnten. Komplexe Merkmale wie Intelligenz und Persönlichkeit resultieren aus der Summe der individuellen Varianten Tausender geerbter Gene, aber auch der Umwelteinflüsse und Lebensstilfaktoren. Gene und Umwelt wirken zusammen -die Gene prägen die Umwelt und die Umwelt die Gene "Es gilt mittlerweile als müßig, wenn nicht gar als gestrig, den Anteil von Erbe und Umwelt an einem komplexen Merkmal in Prozentzahlen ausdrücken zu wollen." [20] Er hält nicht viel von deterministischen Ansätzen. "Wäre es nicht einfacher, schlicht zu zählen, wie viele Bücher im Regal der Eltern stehen? Und wäre es dann nicht die richtige Konsequenz, ganz allgemein dafür zu sorgen, dass Menschen mehr Bücher lesen und sich mehr Bücher kaufen können?" [20] Der Wissenschaftsjournalist Peter Spork weist darauf hin, dass alle Studien nur Korrelationen messen. Sie belegen keinen kausalen Zusammenhang in dem Sinn, dass ein bestimmter Mix aus Genvarianten ein bestimmtes Merkmal direkt verursacht. So bleibt das Problem, das allen Korrelationen anhaftet: Es ist niemals klar, ob es wirklich einen kausalen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang gibt. Je komplexer das untersuchte Gebiet, desto wahrscheinlicher sind Scheinkorrelationen. Ja, in früheren Zeiten zeigte sich, dass sich die mit den Big Five gemessenen Persönlichkeitsmerkmale im Alter von 30 Jahren stabilisierten. Aber ist dies eine Folge der Gene oder nicht viel mehr einer Umwelt, die typischerweise in diesem Alter in der bisherigen Arbeitswelt stabiler wurde? Menschen mit 30 Jahren haben meist eine berufliche Identität gefunden, sie haben eine Familie und binden sich nach den ersten Wechseljahren nun fester an eine Firma -so war es jedenfalls bisher. [27, 28] . Dabei setzt es auf eine Mischung aus Data Analytics und Intuition. Es gibt keine Piloten wie anderswo und im agilen Kontext üblich. Das Unternehmen bringt Serien wie "House of Cards" schnell auf den Markt. Netflix will keine Familie sein, sondern Teams haben, die effektiv sind -eine durch und durch orange Kultur also, die sich grüne und gelbe Elemente dazunimmt. "A dream team is one in which all of your colleagues are extraordinary at what they do and are highly effective collaborators. The value and satisfaction of being on a dream team is tremendous. Our version of the great workplace is not sushi lunches, great gyms, fancy offices, or frequent parties. Our version of the great workplace is a dream team in pursuit of ambitious common goals, for which we spend heavily. It is on such a team that you learn the most, perform your best work, improve the fastest, and have the most fun." [28] Immer wieder gibt es Organisationen, die etwas anders machen als die Peers ihrer Branche. Oft hat es damit zu tun, dass sie die Branchengrenzen verlassen und auch mit deren Mustern brechen. Das war sowohl bei Netflix so als auch beim Axel Springer Ver- Der US-amerikanische Organisationstheoretiker James Gardner March unterscheidet im organisationalem Lernverhalten die Dimensionen Exploration und Exploitation [29] . Exploration bedeutet Suchen, Variieren, Experimentieren, Spielen, Entdecken und Forschen. Es ist auf das Entdecken neuer Potenziale ausgerichtet. Exploitation umfasst Tätigkeiten wie etwa, Prozesse kontinuierlich zu optimieren und die bestehenden Geschäfte zu verbessern. Wenn also Firmen gewohnt sind, zu explorieren, entwickeln sie ein Neugierverhalten, das der gesamten Organisation zuträglich ist. Neugier ist nicht nur einer der wichtigsten Treiber auf der individuellen, sondern auch auf der organisationalen Ebene. Führung muss nichts anderes tun, als die Bedingungen dafür zu schaffen. Eine wichtige Strategie ist dabei tatsächlich auf "erwachsene" Mitarbeiterinnen zu setzen, die Verantwortung für sich und andere übernehmen -und deren Potenziale sich im entsprechenden Arbeitsumfeld entfalten können. c Agile Organisationen brauchen Strukturen, die Entdeckertum fördern. Das Team an der Spitze spielt dabei eeine entscheidende Rolle. Auch wenn in den Medien oft nur der CEO genannt wird, sind es bei näherer Betrachtung meist zwei oder drei Personen, die Weichen stellen. Das "Neue" hat in diesen Organisationen einen guten Ruf, Veränderung ist die Normalität. Es ist sicher kein Zufall, dass diese Art von Veränderungskultur vor allem in Unternehmen verankert ist, die noch recht jung sind. formen sind die deutschen Unternehmen sehr gut. Und dann gibt es die disruptive Innovation. Sie transformiert ein Produkt, das bisher sehr kompliziert und teuer war und macht es einfacher und billiger, so dass es sich mehr und neue Kunden leisten können. Nur diese Form von Innovation führt zu echtem Wachstum." [31] Disruptive Innovation kann kaum aus den bisherigen Strukturen kommen. Christensen betont, dass dafür neue Einheiten gegründet werden müssen. Entscheidungen können auch nicht anhand von Daten getroffen werden, da diese ja auch von Menschen geschaffen sind. Vielmehr ist die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine nötig. Unternehmen, die Agilität für ihr Überleben brauchen, sollten die Neugier der Mitarbeiter fördern -und es begrüßen, wenn jemand mal ganz andere Ideen einbringt. Design Thinking sollten sie nicht als Religion verstehen, sondern als eine mögliche Herangehensweise von vielen. c Postagile Denkbox Wir brauchen weniger "religiöse" Vorstellungen von Methoden wie Design Thinking und mehr Verinnerlichung des Werts "Innovation" an sich, auch und gerade für Herausforderungen wie die Klimakrise. Man hatte mich gewarnt, in diesem Unternehmen würden "Speaker" ausgepfiffen. Das sei mehrmals passiert, erst vor Kurzem wieder. Der arme Moderator habe mittendrin abbrechen müssen. Das war keine gute Voraussetzung für einen Auftrag. Dennoch entschied ich mich, hinter die Kulissen zu schauen. Es zeigte sich, dass es einmal einen Fall gegeben hatte, der aber schon 20 Jahre zurücklag. Es war auch kein Rauspfiff gewesen: Mein "Vorgänger" war einfach so schlecht gewesen, dass man sich in der Pause auf einen Abbruch geeinigt hatte. Mythen haften in Unternehmen. Sie verändern sich, während sie von Mund zu Mund wandern, und überdauern die Zeit. Sie geistern auch noch dann durch die Gebäude, wenn längst ein anderer Wind weht. Das ist die Herausforderung bei Veränderungen, und das muss man wissen. Mythen schaffen Artefakte, also sichtbare Werte. Die Artefakte vergangener Führungssünden sind immer noch sichtbar, wenn etwa der ehemalige Bereichsleiter nun überall als "Berater" mitläuft -für die anderen ein ewiges Mahnmal, besser nicht den Mund aufzumachen. Darüber spricht niemand. Es gibt verschiedene Modelle der Organisationskultur. Das Kulturebenenmodell von Edgar H. Schein ist dabei leicht verständlich und liefert uns auch eine einfache Kulturdefinition. "Culture as a set of basic assumptions defines for us what to pay attention to, what things mean, how to react emotionally to what is going on, and what actions to take in various kinds of situations. Once we have developed an integrated set of such assumptions-a ,thought world' or ,mental map'-we will be maximally comfortable with others who share the same set of assumptions and very uncomfortable and vulnerable in situations where different assumptions operate, because either we will not understand what is going on, or, worse, we will misperceive and misinterpret the actions of others." [32] Im kollektiven Unbewussten des Unternehmens schlummern Grundannahmen, die es automatisch handeln lassen [32] . Alle Veränderungen gestalten wir aus automatisch aus diesen Grundannahmen heraus und fragen "tun wir die richtigen Dinge?". Erst wenn wir in den Double Loop gehen, fragen wir auch, was richtig ist. Im Triple Loop hinterfragen wir, wie wir zu Annahmen kommen. Veränderungen ergeben sich nur zur geringen Prozentzahl aus dem Single Loop, wesentlich mehr kommt aus dem Double Loop. Die richtig Schleife, die auch zur Neuerfindung führen kann, dreht man im Triple Loop (siehe Abb. 3.4) Normen und Regeln sind teilweise bewusst, teilweise vorbewusst. In manchen Organisationen weiß z. B. jeder, dass teamfähige Menschen offiziell gesucht sind, aber niemals befördert werden. Was wirklich zählt, lässt sich dabei nur amVerhalten beobachten. Da kann noch so viel von Neugier und Innovation die Rede sein, wenn neue Ideen nicht durchdringen und Entdeckertum als lästig begriffen werden, ist der Wert nicht verankert. Auf der obersten Ebene liegen Artefakte, die die Werte manifestieren. Hier ist alles, was sichtbar und leicht zu beobachten ist: die engen Büros, Stille auf dem Flur, vielleicht das Gemälde vom Gründer. Organisationskultur, das zeigt das Beispiel, ist schwerfällig und kaum aus sich heraus veränderbar. Organisationsentwicklung muss da ansetzen, wo etwas funktioniert, wo etwas gelebt wird, wo sich das Gute der Kultur zeigt. Sie kann die Kultur nicht im Kern verändern, aber erweitern. Veränderungs-, also Changemodelle wollen den Change planbar machen. Klassiker sind die acht Schritte von John Kotter, die er in seinem Buch "Accelerate" 2011 in den USA und ab 2015 in Deutschland auf die agile Welt übertragen hat [13] . Sein zweites Betriebssystem machte in vielen Firmen in Zusammenhang mit Agilisierung die Runde, Vodafone veröffentlichte eine Case Study. Grundgedanke ist, dass ein Kernteam jenseits der Hierarchie mit allen Ressourcen ausgestattet wird, um schnell und effektiv zu arbeiten, beispielsweise Innovationen direkt zu realisieren. Das Modell und Beispiele haben wir im "Der agile Kulturwandel" beschrieben. Kotter denkt in "Sowohl als auch", will also Hierarchie und Netzwerk zugleich ermöglichen. Doch zeigt das duale Betriebssystem in der Praxis Grenzen und lässt Fragen offen. Wie sind Berechtigungen in den Computersystemen geregelt? Wie verkraften es Menschen, auf der einen Seite Teil der Organisation und auf der anderen eines Teams mit einer so besonderen Rolle zu sein? Wie gehen auch die anderen damit um, dass das, was auf der einen Seite erlaubt, auf der anderen verboten ist? Oft zeigt sich, dass es doch radikalere Strukturänderungen braucht. Und sie ist unendlich praktisch, weil Sie damit in Teams und mit Einzelpersonen arbeiten können Ausmaß der Veränderungsmotivation) Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation) Kosten der Veränderung: sachlich & persönlich) In einer Funktion gilt: Wenn ein Element der Menge gleich null ist, so werden alle anderen auch gleich null sein. Betrachten Sie also einmal Ihre Veränderungsvorhaben mit dieser Formel Ihrer persönlichen Veränderungsformel nieder? • Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis zu Veränderung aus diesem Kapitel? • Was lohnt sich zu bewahren, auch um unsere Natur zu bewahren? • Wie sieht Ihr eigener Möglichkeitenraum aus, wenn Sie ihn größer ziehen? • Wie steht es um Entdeckertum und Neugier in Ihrem Unternehmen? • Wie würde sich eine veränderte Kultur in Ihrer Organisation anfühlen, welche körperlichen Bewegungen würde sie auslösen? • Wie hat sich ihr WOHIN WOLLEN WIR? bis hierhin verändert So zeigte sich in der Covid-19-Pandemie, welche Unternehmen agil auf die neuen Anforderungen reagieren konnten. Es waren jene, die schon Übung hatten mit schnellen Entscheidungen und kreativen Ideen. Es waren zudem die, die in ihrer eigenen Digitalisierung schon weiter fortgeschritten waren. Bei ihnen konnte z. B. Home Office schneller zur kreativen Brutstätte werden, in der man auch die Zusammenarbeit neu erfand. Veränderung passiert automatisch, wenn sich etwas ändert, Routinen gebrochen werden (müssen) Menschen müssen in ein neues Umfeld, wenn sie sich wirklich neu erfinden sollen. Zu viel Vorsicht und deterministisches Denken steht radikal neuen Ideen im Weg. Veränderung bedeutet auch, die bisherige Identität aufzugeben und neu zu formen. Begegnungen und Resonanzerfahrungen können dazu sehr viel beitragen Das agile Mindset Führen in Zeiten der Veränderung The extended mind Wie wir werden, wer wir sind Explorationen: Konzeptionelle Grundbedingungen und potenzielle Wirkfaktoren zur Förderung von Ich-Entwicklung für praxisnahe beraterische Interventionen Embodied Cognition. Stanford Encyclopedia of Philosophy Warum Selbsttranszendenz die wichtigste Zukunftskompetenz ist Scientific ways in the study of ego development Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Lebensstufen. Berlin: Suhrkamp Entwicklungs-Stufen von Führungskräften erkennen und fördern können. Arbeitsmaterialien aus dem Zertifizierungs-Workshop für das Ich-Entwicklungs-Profil How the body shapes the mind Der agile Kulturwandel An everyone culture. Becoming a deliberately developmental organization Der rätselhafte Abiy Ahmed. Züricher Zeitung Entwicklungspsychologie der Lebensspanne Der vollständige Lebenszyklus. München: Suhrkamp Wir gründen ein Dorf Das Epigenom: Der Dompteur der Gene Kehrt der genetische Determinismus zurück? In Starke-meinungen.de vom 01 How emotions are made The woman who changed her brain Verbal and nonverbal intelligence changes in the teenage brain Mindset. Changing the way you think to fulfil your potential Mature ego development: A gateway to ego transcendence? 5 Lessons agile teams can lern von Netflix Exploration and exploitation in organizational Learning Design Thinking domestiziert Kreativität. Horizon Viele haben das Konzept falsch verstanden Organizational culture and leadership Die Psychologie der Moralentwicklung