key: cord-0057215-oelrngzu authors: Oehler, Karsten title: Ist maschinelles Lernen in der Planung einsetzbar? date: 2020-04-20 journal: Control Manag Rev DOI: 10.1007/s12176-020-0095-5 sha: eef1c3a637c069da15ac71e2614fa2a9999e99b7 doc_id: 57215 cord_uid: oelrngzu nan In einer Einleitung zu einem Operation-Research-Buch aus dem Jahr 1970 heißt es: "Wenn man nicht mehr weiter kann, fängt man zu simulieren an" (Stahlknecht 1970, S. 1) . Die Haltung der Wirtschaftswissenschaften in dieser Zeit war offenbar eindeutig: Optimieren ist besser als simulieren. Fast 50 Jahre später ist man heute weitgehend anderer Meinung: In der Praxis -zumindest im Controlling -ist die Simulation deutlich beliebter als die Optimierungsrechnung (vergleiche Meyer/Romeike/Spitzner 2012). Dies überrascht nicht, denn Optimierung, welche auf Basis der Lösung von Gleichungssystemen optimale Werte für Kennzahlen vorgibt, ist nur bei sehr einfachen und konstanten Rahmenbedingungen möglich und zielführend. In einem komplexen Umfeld, wie es bei der Unternehmenssteuerung gegeben ist, kommt sie daher nur noch selten zum Einsatz. Von der Simulation kann der Controller als Lotse der Unternehmensführung hingegen in vielerlei Hinsicht profitieren. Schließlich obliegt ihm die Unterstützung des Managements beim Treffen von Entscheidungen, und Simulationen können helfen, eine bessere Grundlage für diese Entscheidungen zu schaffen, ohne dass reale Experimente durchgeführt werden müssten. Insbesondere in der Planung gelingt es, mit Simulationen Zielkonflikte, sonstige Widersprüche, aber auch Limitationen aufzudecken. Kritische Situationen können frühzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen entwickelt werden. Simulationen, insbesondere Sensitivitätsanalysen, können auch ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung von Wirkungsbeziehungen schaffen. Grundsätzlich geht es bei der Simulation darum, einen Ausschnitt der Realität möglichst in Zahlen abzubilden, um damit mögliche zukünftige Umweltzustände durchspielen und die Beeinflussung von Zielvariablen betrachten zu können. Dazu Das klingt vielversprechend. Es gilt nun abzuschätzen, wo genau der Einsatz von maschinellem Lernen in Simulationen sinnvoll sein kann und ob die Simulation nicht vielleicht sogar durch das lernende Programm selbst durchgeführt werden könnte. Um die jeweiligen Möglichkeiten einigermaßen beurteilen zu können, muss man sich bei der Betrachtung allerdings auf einzelne Anwendungsbereiche beschränken. Im Folgenden soll der Fokus auf planungsrelevante Fragestellungen gelegt werden: Wie kann controllingorientierte Simulation von maschinellem Lernen profitieren, welche Hürden gilt es möglicherweise zu nehmen, und wie sind sie zu überwinden? Je nach Einsatzbereich stehen unterschiedliche Arten von Simulationen zur Verfügung: • "Was wäre wenn?": Bei dieser grundlegenden Art der Simulation werden ein oder mehrere der Eingabeparameter variiert und ihre Auswirkung auf die Zielvariablen untersucht. • Zielwertsuche: Hier werden Zielvariablen verändert, um herauszustellen, welche Kombinationen der Werte der Eingabevariablen zum gewünschten Ergebnis führen. Die Frage "Was wäre wenn?" wird quasi umgekehrt in "Was muss sich verändern, damit …?" beziehungsweise in "Wie erreicht man …?". • Aufgrund der speziellen aggregierten Sicht des Controllings bedarf es einer Transformation, um die Resultate des maschinellen Lernens nutzen zu können. cherheiten behaftet. Daraus, dass sich die Umwelt nicht so entwickelt hat wie erwartet, kann nicht darauf geschlossen werden, dass die Simulation fehlerhaft war. Auch ex ante ist eine Gesamtvalidierung eines Simulationsmodells in Form eines Trainings oder eines Tests kaum möglich. Denn eine erwartete Marktveränderung kann in ihren Wirkungen in der Regel nicht im Vorhinein über Vergangenheitsdaten abgeschätzt werden. Insbesondere disruptive Entwicklungen lassen sich aus diesem Grund zwar simulieren, aber kaum validieren. Es bleibt also nur die Möglichkeit, einzelne Wirkungsbeziehungen hinsichtlich ihres Realitätsbezugs anhand empirischer Beobachtungen zu überprüfen. Hierzu bietet die klassische Statistik vielfältige Möglichkeiten. Anders als beim Forecast kommt es in der Simulation nicht auf eine möglichst hohe Treffsicherheit bei der Erreichung zukünftiger Ergebnisse an, sondern vielmehr darauf, dass das Modell in sich stimmig ist und somit realistische Ergebnisse in Bezug auf die gewählte Variablenkonstellation liefert. Um im Bereich des Controllings und der Planung eingesetzt zu werden, muss es zudem einige Besonderheiten aufweisen. Eine der Besonderheiten von Simulationen, die im Controlling eingesetzt werden, ist, dass die Modellierungen üblicherweise besonders weit gefasst sind. Grund dafür ist, dass oftmals das gesamte Unternehmen in die Simulation mit einbezogen werden muss, wie dies beispielsweise bei der integrierten Erfolgs-und Finanzplanung der Fall ist. Als Kompensation für den Umfang ist der Grad der Aggregation in den Modellen oftmals besonders hoch. Um die Komplexität der Simulationsmodelle zu reduzieren, kann der Fokus auf die wesentlichen Einflussgrößen gelegt werden. Aggregierte Verfahren des maschinellen Lernens wie Zeitreihenanalysen lassen sich relativ problemlos zu Simulationsmodellen koppeln. Das Erzeugen von realistischen Input-Variablen durch maschinelles Lernen kann die Schätzung der Eingabeparameter im Sinne einer Verteilung oder eines Sets abhängiger Größen unterstützen (Oehler 2019, S. 393) . Hier liegt auch ein Anknüpfungspunkt zur Planung: Es geht darum herauszufinden, wie stark Parameter, beispielswiese der Absatz, in den betrachteten Perioden schwanken können. Auch gibt es die Möglichkeit der Modellerweiterung. Bisher modellexogene Wirkungsbeziehungen, die bislang nur durch unabhängige Eingabevariablen repräsentiert wurden, können einbezogen werden -so zum Beispiel durch die Modellierung von Korrelation zwischen Modellvariablen, wie man sie häufig bei der Abbildung von Währungskursen nutzt. Aus konzeptioneller Sicht können zwei wesentliche Ebenen unterschieden werden, auf denen analysiert oder simuliert werden kann: eine zeitlich und sachlich aggregierte Ebene -die Ebene, mit der das Controlling meist arbeitet -, und die Ebene einzelner Objekte (Detailebene) wie zum Beispiel einzelne Transaktionen. Aggregierte Modelle abstrahieren von der Beobachtung auf Detailebene. Durch die Verallgemeinerung dieser Beobachtungen können genauere Aussagen über Trends getroffen werden. Ein Beispiel hierfür sind Zeitreihen. Sie fassen das Verhalten verschiedener Objekte -zum Beispiel das Kaufverhalten der Kunden im Laufe des Jahres -zusammen und leiten daraus eher allgemeine Regeln wie "Im Sommer geht der Absatz zurück" ab. Detailmodelle hingegen leiten aus Variablen Regeln über das Verhalten einzelner Objekte ab: "Wann kauft ein Kunde?", "Wann geht eine Maschine kaputt?". In einem aggregierten Simulationsmodell ergeben sich somit verschiedene Arten der Kopplung: • Kopplung einer aggregierten ML-Analyse mit einer aggregierten Simulation; • Kopplung einer aggregierten ML-Analyse mit einer detaillierten Simulation; • Kopplung einer ML-Detailanalyse mit einer aggregierten Simulation; • Kopplung einer ML-Detailanalyse mit einer detaillierten Simulation. Eine Kopplung auf gleicher Ebene ist am unproblematischsten: Zwischen Simulation und Zeitreihenanalyse gibt es in der Regel keine größeren Kompatibilitätsprobleme, denn multivariate Analysemodelle, wie es Zeitreihen sind, lassen sich zum Beispiel gut mit Saldenmodellen zur Simulation verbinden. Bei einer linearen Regression (im engeren Sinn kein maschinelles Lernen) reicht es sogar aus, wenn lediglich die Regressionskoeffizienten und Bandbreiten an die Simulation übergeben werden. Zum Teil sind jedoch die Abstraktionsebenen unterschiedlich -wenn sich zum Beispiel der Forecast auf eine Produktgruppe, die Simulation aber auf einzelne Produkte bezieht. Ein Herunterbrechen beziehungsweise Aggregieren auf die jeweils andere Ebene ist jedoch unkritisch. Dagegen sind Detailanalysen nicht so einfach in aggregierte Simulationsmodelle zu integrieren. Ein Beispiel aus dem Absatzbereich soll dies verdeutlichen: Ein guter Startpunkt für eine Simulation ist hier die Analyse der Sales Pipeline durch ein ML-System. Sie könnte Zusammenhänge zwischen Wenn-dann-Regeln aus Detailanalysen müssen auf bereitet werden, um sie in der Simulation zu nutzen. verschiedenen Vertriebsaktivitäten und der Kaufentscheidung aufzeigen. Folgende typische Fragen ließen sich mithilfe solcher Zusammenhänge im Rahmen einer Simulation beantworten: • Was würde passieren, wenn man die Besuchsfrequenz erhöhte? • Was wären die Konsequenzen einer Einstellung von neuen Vertriebsmitarbeitern? • Wie würde die Bewerbung einer besonderen Kundengruppe, zum Beispiel Bestandskunden, wirken? Ein ML-Modell könnte beispielsweise zeigen, dass sich Variablen wie Kundengruppe, Besuchsfrequenz et cetera auf die Kaufentscheidung des Kunden und die Dauer des Entscheidungsprozesses auswirken. Ein wichtiges Kriterium für die Kaufbereitschaft könnte die Unterscheidung zwischen Bestandsund Neukunden sein. Also plant man einen Sonderrabatt in einem bestimmten Zeitraum, um den Umsatz mit Bestandskunden zu erhöhen. Nun möchte man analysieren, welche Auswirkungen diese Aktion auf den Gewinn haben wird. Das Analyseresultat der Detailmodelle, also ob sich ein einzelner Kunde zum Kauf entscheidet oder nicht, reicht für eine Zeitaggregation allerdings nicht aus. Es bleibt unter anderem die Frage offen, wann sich der jeweilige Kunde entscheidet. Dies lässt sich noch mit einer zweiten Zielvariable herausfinden. Aber auch mit dieser Information entsteht noch nicht automatisch ein aggregiertes Modell, da die aggregierte Simulation in diesem Fall einen weiteren Horizont betrachten soll. Somit ist es notwendig, die Ergebnisse zu transformieren. Ein Ansatz hierzu wäre, die Pipeline fortzuschreiben -eventuell über ein weiteres ML-Modell oder eine Marketing-Analyse -und so ein realistisches Szenario über den gesamten Simulationshorizont zu erzeugen. Durch die Überlagerung zweier ML-Modelle muss allerdings die mit dem zunehmenden Horizont steigende Unsicherheit berücksichtigt werden. Wenn maschinelles Lernen genutzt wird, um Unsicherheiten bei den übernommenen Regeln in den einzelnen Modellen zu identifizieren, sollte diese Information bei der Kopplung der Modelle berücksichtigt werden. Die Dauer der Kundenbeziehung könnte beispielsweise als signifikanter Treiber für Kaufentscheidung und Entscheidungsdauer identifiziert worden sein. Ein weiterer Einflussfaktor, die Branche, der der Kunden angehört, zeigt hingegen nur einen schwachen Zusammenhang. Falls die Branchenzugehörigkeit überhaupt als Faktor übernommen wird, sollten die Unterschiede hinsichtlich der Signifikanz auch im gekoppelten Modell berücksichtigt werden. Prinzipiell lässt sich über die ML-Modelle auch direkt simulieren. So kann ein ML-Modell die Daten einer Vertriebs-Pipeline nutzen, um die Treiber von Kaufentscheidungen (zum Beispiel Rabatthöhen) zu evaluieren und eine Was-wäre-wenn-Analyse über eine Rabattvariation durchzuführen. Damit stellt sich die Frage, ob maschinelles Lernen klassische Simulationsmodelle vollständig ersetzen kann und eine ausführliche Modellierung über "handgefertigte" Simulationsmodelle noch zeitgemäß ist. Kann maschinelles Lernen nicht auch bei komplexeren Sachverhalten, zum Beispiel bei einer inte-Maschinelles Lernen kann Teil von Simulationsmodellen sein, diese aber nicht ersetzen. Maschinelles Lernen in der Simulation einzusetzen, klingt verlockend. Tatsächlich kann die Unternehmensplanung durch die Integration von maschinellem Lernen in Simulationsmodelle belastbarer, der Planungsprozess effektiver werden. Allerdings müssen Simulationsmodelle, um den Ansprüchen des Controllings zu genügen, einen Grad an Komplexität aufweisen, der in reinen ML-Modellen nicht darstellbar ist. Die Hypothesen hinter den simulierten Wirkungsbeziehungen können nicht von der Maschine aufgestellt werden, und die Kopplung der für die Simulation notwendigen Modelle muss nach wie vor individuell konfiguriert werden. Simulationen in der Unternehmenssteuerung Advanced Analytics für Controller Von Szenarioanalyse bis Wargaming Treiberbasierte Planungs-und Simulationsmodelle im Controlling Szenarien, Wargaming und Simulationen als zukunfts-und entscheidungsorientierte Instrumente im Customer Relationship Management Mit Simulationen Mehrwerte schaffen