key: cord-0055982-ceu5ow49 authors: Hoppen, Thomas title: Bestandsaufnahme gut 150 Jahre nach der Erstbeschreibung date: 2021-02-11 journal: Pädiatrie DOI: 10.1007/s15014-020-3657-2 sha: 9ea10ff44940c218a6cb29af188e04bcb9c0d4ab doc_id: 55982 cord_uid: ceu5ow49 nan W eltweit tritt das Down-Syndrom (DS) bei etwa 1 von 800 Geburten auf. In Deutschland leben schätzungsweise 50.000 Menschen mit Trisomie 21, in den USA über 200.000. Die Erstbeschreibung des Syndroms im Jahr 1866 geht auf den englischen Arzt John Langdon Down zurück [1] . Mehr als 90 Jahre später wurde die chromosomale Ursache beschrieben [2] und die Erkrankung als Down-Syndrom bezeichnet [3] . Charakteristisch für DS sind beträchtliche phänotypische Unterschiede zwischen den einzelnen Patienten. So ist die intellektuelle Beeinträchtigung meist moderat, kann aber auch sehr variieren, während soziale Intelligenz, Empathie und soziale Integrationsfähigkeit oft sehr hoch sind. Diese Übersicht beruht zum Teil auf einem Review von Professor Marilyn J. Bull, Direktorin des Down-Syndrom-Programms an der Division of Developmental Pediatrics am Riley Hospital for Children, Indiana University Health, Indianapolis [4] . Die Ursache des DS ist eine dritte Kopie des Chromosoms 21, die Trisomie 21. Die 200-300 Gene auf Chromosom 21 sowie epigenetische Faktoren wurden als Mitverursacher der klinischen Merkmale des Syndroms identifiziert. Polymorphismen, etwa des Down-Syndrom-Zelladhäsionsmoleküls (DSCAM) oder des Amyloid-Vorläuferprotein-Gens, tragen zur Variation der klinischen Manifestationen bei. Die Trisomie 21 entsteht entweder durch Non-Disjunction während der Meiose, die zum Vorliegen von 47 Chromosomen führt, oder durch Translokation eines zusätzlichen Chromosoms 21 auf ein anderes Chromosom. Die klinischen Merkmale unterscheiden sich zwischen den beiden Ursachen der Trisomie 21 nicht. Auch Mosaike sowie die partielle Trisomie 21 können auftreten, sind aber gewöhnlich mit weniger klinischen Merkmalen der DS assoziiert [4, 5] . Viele Krankheiten treten bei Personen mit DS häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung und beeinträchtigen Gesundheit, Entwicklung und Funktion. Einige dieser Erkrankungen erfordern eine sofortige Intervention bei der Geburt, während andere einer lebenslangen Überwachung bedürfen (Tab. 1) [4, 5, 6, 7, 8] . Eine Vielzahl von AWMF-Leitlinien liegt zu diesen Krankheitsbildern vor [9, 10] . Ein verbessertes Management angeborener Herzerkrankungen (Abb. 1) hat dazu beigetragen, die Lebenserwartung von Patienten mit DS von 30 Jahren im Jahr 1973 auf 60 Jahre im Jahr 2002 zu erhöhen. Pulmonal-arterielle Hypertonie, mit oder ohne angeborene Herzerkrankung, tritt bei 1,2-5,2 % der Personen mit DS auf. Auch wenn Säuglinge anfänglich nicht von diesen Komplikationen betroffen sind, können sie in der Kindheit oder auch später noch symptomatisch werden. Die Überwachung der pulmonal-arteriellen Hypertonie während der gesamten Kindheit ist deshalb wichtig, zumal diese Erkrankung wiederum mit anderen bei Patienten mit DS häufigen Erkrankungen einhergeht, einschließlich der obstruktiven Atemwegserkrankung (obstruktive Schlafapnoe), dem gastro-ösophagealen Reflux und der Adipositas. Vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) wurde im September 2019 eine Änderung der Mutterschaftsrichtlinien vorgelegt, die die Finanzierung der nicht invasiven Pränataldiagnostik (NIPT) durch die gesetzlichen Krankenversicherungen unter bestimmten Bedingungen vorsieht. Die Regelung enthält vier wesentliche Elemente: eine Zielbestimmung (Vermeidung invasiver Testmaßnahmen), ein Zugangskriterium (der Test muss für die Schwangere "geboten" sein, um ihr eine Auseinandersetzung mit ihrer individuellen Situation zu ermöglichen), Aussagen zum Entscheidungsprozess (nach ärztlicher Beratung im Einzelfall) und eine in ihren Begründungen enthaltene normative Kontextualisierung (Schwangerschaftsabbruch nach §218 a StGB). Hierbei zeigen sich Spannungen, die um zwei Achsen oszillieren: Entscheidung einer Geburt eines Kindes mit pränatal bekannter Trisomie 21 oder des Nichtwissens darüber kann letztlich nur subjektiv von der Schwangeren getroffen werden. Die Bedeutung der Einzelfallentscheidung bleibt unklar, weil für die Beurteilung von Einzelfällen auch allgemeine Gesichtspunkte maßgeblich sein müssen. Gerade in seiner Paradoxie und Flexibilität könnte jedoch das Modell des G-BA eine gesellschaftspolitisch haltbare und ethisch letztlich vertretbare pragmatische Lösung darstellen -so die ethische Sichtweise und Reflexion [12] . Eltern von Kindern mit DS sind durch die Praxis und Möglichkeiten der NIPD irritiert, teilweise entsetzt. Sie befürchten, dass es zu einer Stigmatisierung von Menschen mit DS kommen wird, beziehungsweise die Aufklärung der Bevölkerung über DS und die Anstrengungen für eine Inklusion vermindert werden. Die NIPT darf nicht dazu führen, dass es als unnormal oder verantwortungslos angesehen wird, einen Fetus mit Chromosomenbesonderheit auszutragen. Eltern sollten sich dafür nicht rechtfertigen müssen. Nahezu alle Kinder mit DS lernen heute lesen, schreiben und rechnen. Manche arbeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die meisten leben mit Unterstützung recht selbstständig und selbstbestimmt. Diese Menschen nehmen teilweise durchaus wahr, dass Tests entwickelt werden, um Babys, die die gleichen Besonderheiten wie sie selbst haben, zu selektionieren. Wie sich dieses Vorgehen für Menschen mit DS wohl anfühlt? Der Autor dankt Dr. Christiane Hermann für die freundliche und kritische Durchsicht des Manuskripts. Observations on an ethnic classification of idiots: 1866 Fiftieth anniversary of the trisomy 21: return on a discovery Down Syndrome Understanding a Down syndrome diagnosis Early death and causes of death of people with Down syndrome: a systematic review Associated congenital anomalies among cases with Down syndrome Infants born with Down syndrome: burden of disease in the early neonatal period Are patients with Down syndrome vulnerable to life-threatening COVID-19? Die NIPT-Entscheidung des G-BA. Eine ethische Analyse Trisomie 21? Fundierte Beratung und Betreuung! Zehn Jahre Down-Syndrom-Ambulanz in der Krankenanstalt Rudolfstiftung [13] .