key: cord-0055631-0n85ohoi authors: van Kaldenkerken, Carla title: Der Eigensinn des Körpers date: 2021-01-26 journal: Organisationsberat Superv Coach DOI: 10.1007/s11613-021-00687-7 sha: 4f932da5e461dd7c14f0e77b7135213a5becd3dd doc_id: 55631 cord_uid: 0n85ohoi Embodiment (Verkörperung) has been introduced as a scientific term for interdisciplinary discourses that investigate the close, reciprocal connection between body, mind and environment and pursue a systematic integration of the category “body” in their conceptions. Does it make sense and can the predominantly unconsciously occurring bodily events be intentionally integrated into counselling and coaching? The paper argues for a mindful, knowledgeable transfer of the concept into counselling and coaching that respects the body’s inherent qualities (Eigensinn). If the bi-directional connection with the environment is consistently taken into account, the concept also has a political dimension. Die Einschränkungen in der Beratungspraxis durch die Verhaltensmaßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie geben uns unübersehbare Hinweise zur Rolle des Körpers in der Beratung. Das nonverbale, meist un-und randbewusste leibliche Geschehen, die latente Beteiligung, Rolle und Mitwirkung im Beratungsprozess werden durch den Verlust von Nähe, Beweglichkeit, sichtbarer Mimik und Gestik so eindrücklich deutlich und werfen Fragen wie diese auf: 1. Gibt es die zwischenleiblichen Synchronieprozesse auch in einer Video-Konferenz? 2. Was verändert sich im Kontakt, wenn wir wegen der Mund-Nasenmaske die Mimik nicht erkennen können? 3. Welche Veränderungen in der Beratung erleben wir durch das Fehlen des Gesamteindrucks von Körper, Bewegung, Mimik, Sprache usw., wenn wir in der Videoberatung nur das Gesicht sehen und die Stimme verzerrt hören? Auch wenn in Beratungen der Fokus überwiegend auf die explizite, verbale Interaktion ausgerichtet ist, spielt die präverbale Beteiligung und die zwischenleibliche Interaktion und Resonanz eine zentrale Rolle. Die Einschränkungen in der Gestaltung von Nähe und Distanz im sozialen Miteinander, das Fehlen an Orientierung durch Mimik, Gestik, Stimmmodulation und anderen nonverbalen Ausdrucksformen wird häufig als großer Verlust beschrieben. Erst mit einer "Störung", hier mit dem Fehlen einiger Aspekte in der unbewussten, nonverbalen Verbindung, tritt die latente Beteiligung des Körpers in die explizite Aufmerksamkeit und in das Bewusstsein. "Es bedarf der körperlichen Gesten, des Mienenspiels, der Momente des Schweigens, der Körpersprache und sogar des Geruchs, der zitternden Hände, des Errötens und des Schwitzens, denn all dies spricht und gehört zur menschlichen Kommunikation", plädiert auch Papst Franziskus (2020) für den Stellenwert der "Leiblichkeit" in der Sozialenzyklika "Fratelli tutti". Zur Beantwortung der oben genannten Fragen hat das Embodimentkonzept (im Folgenden "Verkörperung" genannt) eine Fülle an Anregungen zu bieten. Die Beteiligung des Körpers im gesamten Geschehen von Denken, Fühlen und Handeln, insbesondere das zwischenleibliche Resonanzgeschehen in der dyadischen Interaktion ist empirisch gut nachgewiesen (vgl. Tschacher und Bannwart, in diesem Heft) . Die Verkörperungsdiskurse in den Geistes-, Kognitions-und Sozialwissenschaften schließen philosophische Reflexionen zu der grundlegenden Fragestellung vom Verhältnis von Geist und Körper, die sich durch die gesamte Geschichte der Philosophie ziehen, mit ein. Die lange Tradition der Körperwahrnehmungs-und Achtsamkeitspraxis, einige methodische Schulen, die psychosomatische Medizin und Körperpsychotherapie haben wichtige Grundlagen gelegt und bereits ein großes Repertoire an Interventionsmöglichkeiten entwickelt. Die Verkörperungsperspektive stellt den tief verwurzelten cartesianischen Körper-Geist-Dualismus und damit auch ein rein kognitives Vorgehen in der Beratung radikal infrage. Konsequent verfolgt, beschränkt sich das Verkörperungskonzept nicht auf methodische Überlegungen, sondern versteht sich als ein durchgängiges Prinzip, eine zusätzliche Perspektive und Einstellung. Nach einem kurzen Überblick möchte ich ausgewählte Aspekte vertiefen und an drei Leitgedanken orientieren: Das klingt einfacher, als es ist, wie ich noch ausführen werde, denn faktisch ist diese Vorstellung tief verankert. "Der Cartesianismus ist nicht bloß eine Theorie, sondern wir leben den Cartesianismus, und zwar nicht bloß in einer Betrachtungsweise, sondern im instrumentellen Umgang mit uns selbst" (Böhme 2017, S. 52) . Kommentierungen in Beratungen wie z. B.: "er hat völlig kopflos reagiert, die Probleme sind ihr über den Kopf gewachsen, da haben wir uns lange den Kopf zerbrochen, oder das muss ich mir erstmal durch den Kopf gehen lassen", zeugen von der Lokalisierung geistiger Vorgänge im Kopf. Die verärgerte Kommentierung, dass man sein Bauchgefühl missachtet habe, gibt wiederholt deutliche Hinweise, dass Körperempfindungen eine relevante Bedeutung bei Entscheidungsprozessen haben könnten, aber in der Arbeitsrealität häufig nicht haben. Die berechtigte Sorge, dass eine größere Aufmerksamkeit für den Körper in der arbeitsweltlichen Beratung ein Übergriff auf das Private sei, ist nicht abzuweisen. Anders als in der Körperpsychotherapie verfolgen die verschiedenen Akteure und Auftraggeber/innen unterschiedliche Interessen. Kritische Betrachtungen warnen vor dem Übergriff auf den Körper als eine weitere Optimierungsreserve im Beschleunigungskarussell. Die verkörperte Sichtweise beleuchtet diesen Aspekt, weil die wechselseitigen Beeinflussungen mit organisationalen und gesellschaftlichen Variablen, wie z. B. die Veränderungen im Kontext von Digitalisierung und agilen Organisations-und Führungskonzepten, Teil der Perspektive ist. Bachmann (2020, S. 295) fragt, ob es etwas gibt, "das nicht digitalisiert werden kann, das sich der Algorithmisierung entzieht, das so komplex, einzigartig und unberechenbar ist und sich daher nicht mit Maschinen herstellen lässt?". K Eine These wäre, dass sich eigenleibliche Rhythmen und die komplexe Selbstorganisation von Körper/Leib, Geist und Umwelt nicht immer in Passung mit den linearen Prozessen von Fortschritt und Wachstum bringen lassen und der Beschleunigungsdynamik Grenzen setzen. Anders als im Englischen gibt es in der deutschen Sprache die Begriffe Körper und Leib. Die Unterscheidung ermöglicht die Beschreibung zweier Facetten, die untrennbar zusammengehören und das doppelseitige Verhältnis des Menschen zu seinem Körper deutlich machen. "Die Ausdrücke ,Leib' und ,Körper' bilden ein sprachliches Kapital, das man nicht einfach verschleudern sollte, indem man von ,Körper' spricht, wenn man den ,Leib' meint" (Waldenfels 2000, S. 15 (Gugutzer 2015, S. 13) . Der Leib, der ich bin, ist der belebte, subjektiv gespürte Körper, den ich nicht verlassen kann. Jörg Sternagel (2012, S. 120) beschreibt den Leib als Handlungsund Beziehungsmitte, in dem sich Selbst-und Weltbezug verschränken. Die meisten unserer Lebensvollzüge vollziehen sich unbemerkt als latentes somatisches Hintergrunderleben (Damasio 2004 (Damasio , 2011 . Leibsein ist unauffällig und versteht sich nicht von selbst. Der Leib liegt sozusagen im Rücken und lässt sich nicht in den Blick nehmen, sondern nur spürend erfahren und nur schwer erforschen und theoretisch vermitteln. Der Körper ist der materielle, sichtbare, von außen zu sehende, zu berührende, "dinghafte" Körper. Der Körper wird in der Perspektive der Fremderfahrung zum Gegenstand, zum Objekt, das man betrachten, behandeln, funktionalisieren und manipulieren kann, und im Extremfall zum sinn-und selbstwertsteigernden Objekt und Statussymbol, zum Körper, den man hat. Waldenfels trifft die Unterscheidung zwischen dem Leib, der wir sind als Gesamtheit des Selbst, und dem Körper, den wir haben als Materialität des Leibes. Der Vorschlag von Gallagher (2012) sieht die Unterscheidung zwischen der unbewussten Dimension des Körperschemas und der bewussten Dimension des Körperbildes. Plessners (1982) Unterscheidung von Körper und Leib und seine Konzeption der exzentrischen Positionalität beschreibt diese Doppelheit von Leib (sein) und Körper (haben) als zwei prinzipielle "Ordnungen" der Stellung in der Welt, positioniert in einem Zentrum-Außenwelt-Verhältnis. Mit der sprachlichen Unterscheidung zwischen dem Körper und dem Leib kommt die Fähigkeit des Menschen zum Ausdruck, sich von seinem Leib auch distanzieren zu können, ihn zum Gegenstand zu machen, sich zu dem subjektiv gespürten Leib ins Verhältnis zu setzen. In der Innenperspektive bildet der Leib das Zentrum allen Erlebens und ist räumlich und zeitlich im Hier und Jetzt gebunden. Die exzentrische Position beschreibt die Fähigkeit des Menschen, zu diesem zentrischen Innenerleben eine Art Außenper-K spektive auf sich selbst und die umgebende Welt einzunehmen und damit Abstand zum Erleben zu nehmen. Die Fähigkeit zu dieser Selbstdistanzierung nennt Plessner (1982) "Exzentrizität". Diese exzentrische Position, eine dritte Perspektive durch den Blick der anderen, ist nicht nur eine reflexive Position. Durch den Blick der anderen werden auch kulturelle und soziale Orientierungsmaßstäbe vermittelt. Obwohl der Leib und der Körper etwas grundsätzlich Verschiedenes sind, sind sie in einer Doppelrolle verbunden. Man kann sich diese Verbindung von Körper und Leib wie ein ständiges Oszillieren zwischen dem latenten Hintergrunderleben der Leiblichkeit und der bewussten Seite der Körperlichkeit vorstellen. "Exzentrizität ist also nicht einfach durch das Bestehen eines Doppelten von Körper-sein und Körper-haben charakterisiert" (Schürmann 2012, S. 218) , sondern meint sowohl das Vermögen und die Möglichkeit des Menschen als auch die Aufgabe, sich in seinem Lebensvollzug zu dieser Doppelheit ins Verhältnis zu setzen. Bei Stress, Konflikten und Krisen sinkt die Fähigkeit, die exzentrische Position einzunehmen und zwischen den Perspektiven zu oszillieren. Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zur Selbstvertretung z. B. in Konflikten, zur komplexen Reflexion und abgewogenen Entscheidungen geht zunehmend verloren. Böhme attestiert der technischen Zivilisation ein hohes Maß an Selbstentfremdung und einen spezifischen, kulturellen Umgang mit dem Körper. "Denn wir leben in der technischen Zivilisation und sind durch die darin dominanten Lebensformen immer schon auf eine bestimmte Weise Leib zu sein einsozialisiert, bzw. einkultiviert und die sind derart, dass wir über unseren Leib in der Regel hinwegleben, ihn instrumentalisieren und ihn zum Körper objektivieren" (Böhme 2017, S. 73) . Eine hilfreiche Orientierung bietet diese Konzeption auch für die Indikation und Auswahl methodischer Interventionen und Elementen (vgl. 5. Vertiefung) anhand der drei Perspektiven. Mit dem Rollentausch oder der Metaposition aus der Zentralität herauszutreten, in eine andere Perspektive einzutreten, zwischen den beiden zu wechseln und das Ganze und seine Wechselwirkungen von außen zu betrachten, sind methodische Elemente für die Erarbeitung einer komplexen Sichtweise. "Die Entwicklung von gesundem Eigensinn braucht auch psychologische Strategien, die geduldige Übung von wacher Wahrnehmung und einen weniger achtlosen Umgang mit uns selbst und anderen" (Milz 2019, S. 320) . Eine verkörperte Selbstwahrnehmung schenkt den eigenen Wahrnehmungen, Empfindungen, Bewegungen eine interessierte, nicht bewertende Aufmerksamkeit. Somatics (somatische Praxis) wie z. B. die Feldenkrais-und Gindlermethode, Achtsamkeits-und Meditationsübungen, Tai Chi, Yoga, Naturerfahrungen u. a. sind Möglichkeiten, eine wache Wahrnehmung zu üben. All diese Ansätze und Methoden können wieder zur Fremderfahrung werden, wenn sie in den Dienst der Beherrschung, Formung und Disziplinierung, Optimierung und Wertsteigerung eingesetzt werden. So bildet eine Körperwahrnehmungs-, Achtsamkeits-und Meditationspraxis nicht qua Zuwendung zum leiblichen Spüren schon leibliche Praxis. Die boomenden Achtsamkeits-und Meditationsangebote können im Kontext von Selbstmanagement auch in den Dienst des Funktionierens und der Optimierung gestellt werden, wie einige Autoren kritisch anmerken (Schindler 2020). "Wohl kaum eine Zeit hat der Wahrnehmung so wenig Vertrauen entgegengebracht wie die gegenwärtige" (Fuchs 2020, S. 146 Für die Beratungspraxis wird im konkreten Gegenwartsbezug die verbal explizierte Situation oder Entscheidung auf eine zusätzliche Weise erkundet und vervollständigt. Wenn das, wovon gesprochen wird, auch im Körper gespürt wird und wenn für körperlich empfundene und emotional gespürte Phänomene die richtigen Worte gefunden werden, verdichten sich diese Erfahrungen zu stimmigen Einsichten, Einstellungen und Überzeugungen. Menschen brauchen attraktive und sinnliche Erfahrungen von verändertem Verhalten, um neuronal stabil gebahnte und habituell verankerte hartnäckige Gewohnheiten verändern zu können. Für die Vorwegnahme, im Planen und Imaginieren, werden Handlungsoptionen und Entscheidungen als richtig erlebt, wenn sich zu der Erkenntnis und dem Vorhaben auch körperlich ein Gefühl von Stimmigkeit und Gewissheit einstellt. In einem gelungenen Entscheidungsprozess wird das "Wechselverhältnis zwischen einem expliziten, überlegten Sinn für das, was ich tun möchte, was möglich ist, und einem mehr intuitiven Spürsinn, einem impliziten Sinn für das, was für mich affektiv, leiblich stimmig erscheint", in einen Dialog gebracht (Fuchs und van Kaldenkerken 2018, S. 17) . In Bezug auf die Vergangenheit lassen sich im nachfühlenden, spürenden Erinnern Szenen mit allen Sinneseindrücken wiederbeleben. Das kann für das Aufspüren von Triggern und Knotenpunkten in Mikroanalysen, aber mehr noch für die Belebung von Ressourcen und stärkenden Erfahrungen hilfreich sein. Um als Berater/in mit nonverbalen, leiblichen und atmosphärischen Phänomenen in einer begleitenden, nicht deutenden Weise zu arbeiten, ist die Verbundenheit und die Vertrautheit mit sich selbst grundlegend für eine offene, freischwebende Aufmerksamkeit. Begriffe wie geteilte oder pendelnde Aufmerksamkeit sind andere Beschreibungen für die Fähigkeit, mit dem Anderen oder den Anderen, mit der Atmosphäre in der Gruppe mitzuschwingen, gleichzeitig mit sich verbunden zu sein, die eigenleiblichen Empfindungen, Resonanzen und begleitenden Gedanken wahr-zunehmen und zu beobachten. Es ist die Schwingungs-und Wahrnehmungsfähigkeit für den nichtsprachlichen Ausdruck, für die Wortwahl, Stimmmodulation u. a., ohne sich selbst zu verlieren und zu deuten. Dies auszubilden und zu üben, ist meines Erachtens eine wichtige und erlernbare Fähigkeit, die zur Grundausstattung und Ausbildung von Berater/innen gehört. Wir bemerken sehr eindrücklich unsere Gefühle an Veränderungen in der gesamten Körperlandschaft, wie es in vielen Redewendungen zum Ausdruck kommt: Da schlägt einem das Herz im Hals, es wird mir eng ums Herz, es schnürt einem den Atem zu und man bekommt weiche Knie. Am eigenen Leibe spüren wir deutlich die Verbindungen und Wechselwirkungen von Körper/Leib, Geist und Umwelt, wenn der Körper mit starken positiven oder negativen Gefühlen auf äußere Eindrücke reagiert oder mit Krankheit oder basalen Bedürfnissen aus dem latenten Hintergrunderleben heraus in die Wahrnehmung tritt. Jeder Eindruck aus der äußeren Welt, jede wiederbelebte Erinnerung und Erfahrung lösen komplexe körperlich-emotionale Reaktionen aus, an denen das zentrale und autonome Nervensystem, Herz und Kreislauf, Muskulatur und Atmung, innere Organe beteiligt sind. In diesem zirkulären Wechselspiel von biologischen, emotionalen, gedanklichen, motorischen Vorgängen lassen sich kognitive, psychische Vorgänge nicht isoliert betrachten. Viele Experimente und Forschungsergebnisse haben den wechselseitigen Einfluss verschiedener Körpervariablen (Körperhaltung, Mimik, Gestik u. a.) auf Emotionen, motivationale Prozesse, neurobiologische Vorgänge, Wahrnehmungen, Einstellungen und Bewertungen aufgezeigt. In den Zusammenfassungen zentraler Forschungsergebnisse (Storch et al. 2018 ) wird nachvollziehbar, wie Emotionen, motivationale Prozesse, Gehirnaktivitäten und Wahrnehmungen, Einstellungen und Bewertung untrennbar und unbewusst von mimischen und gestischen Ausdrucksbewegungen und Körperhaltungen beeinflusst werden. Interessant für die Beratung ist, dass die Interventionen in den zirkulären Beeinflussungen von Emotionen, Bewertungen, körperlichen Vorgängen und begleitenden, unterschwelligen körperlichen Bewegungen an "jeder Stelle" gesetzt und durch die fortlaufenden zirkulären Prozesse weitergetragen werden. So wie die Änderung von Einstellungen sich in einer veränderten Körperhaltung zeigen wird, ist es möglich, über eine veränderte Haltung und Bewegung Einstellungen zu verändern. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir allein mit "positiven" Posen oder Ausdrucksbewegungen unsere Emotionen und Bewertungen direkt beeinflussen können, wie es z. B. Cuddy (2020) vorschlägt. "Folgt man jedoch den Argumenten von Barsalou (2009 Barsalou ( , 2015 , dann ist ein solches pauschal imitierendes Vorgehen nicht sinnvoll, denn die Bedeutung einer Pose wird erzeugt durch die individuelle Erfahrung und die daran gekoppelte Simulation von Körperverfassungen, ist also immer abhängig von dem, was ein Individuum an Werten, kulturellen Normen und persönlichen Erinnerungen gespeichert hat" (Storch et al. 2018, S. 20 Forschungsergebnisse bestätigen den Zusammenhang von Synchronie und Beziehungsqualität. "Mehrere Analysen der Psychotherapieforschung weisen inzwischen jedoch darauf hin, dass sich in Bewegungs-und physiologischer Synchronie die Qualität der Therapiebeziehung spiegelt" (Tschacher 2019, S. 10). Positive Affektivität verkörpert sich in gemeinsamen Bewegungen. Synchronie in der dyadischen therapeutischen Interaktion steht im Zusammenhang mit einem positiven Therapieverlauf, Symptomreduktion, der Erreichung der individuellen Therapieziele, weniger interpersonaler Probleme und Selbstwirksamkeit. Durch das zwischenleibliche Geschehen "wird ein Großteil der eigentlichen Wirksamkeit von Gesprächen und Psychotherapie transportiert" (Fuchs und van Kaldenkerken 2018, S. 14) . Die Fähigkeit, sich aufeinander einzustellen, einzuschwingen und intuitiv zu verstehen, mitzufühlen und in emotionale Resonanz und spontanes Verstehen mit anderen Menschen zu kommen, wird in den ersten Lebensjahren erlernt und als frühkindliches Beziehungswissen im Leibgedächtnis gespeichert. Menschliche Wahrnehmung ist mehr als eine subjektive Perspektive. "Wir sehen, hören, tasten und behandeln die Dinge gewissermaßen immer auch mit den Augen, Ohren und Händen der anderen" (Fuchs 2020, S. 149; vgl. Fuchs 2017) . Auf einer präverbalen, unterschwelligen Ebene vollzieht der Leib Bewegung, Mimik und sogar Bewegungsabsichten mit und erahnt das mögliche weitere Geschehen. Die Entdeckung des neuronalen Spiegelsystems (Rizzolatti und Sinigaglia 2014) lieferte eine Erklärung für diese Resonanz-und Früherkennungsvorgänge. Dabei handelt es sich nicht um eine Simulation und eine irrtumsfreie Wahrnehmung, so als würden sich die Bewegungsabsichten oder Gefühle einfach doppeln. Sensomotorische und sensorisch-emotionale Spiegelneurone aktivieren sich und sind besonders stark, wenn das wahrgenommene Geschehen persönlich bekannt, besonders vertraut und wichtig ist. Erst die eigenen Erfahrungen mit Bewegungsabsichten, sozialen Interaktionen und Gefühlen ermöglichen überhaupt das Nachempfinden und Nachvollziehen. Ist eine Bewegung oder ein Gefühl nicht bekannt, werden sich die Spiegelneurone nicht aktivieren. Mit der Aktivierung werden "nur" die spezifischen Erfahrungen, die eigenen Bewegungsgewohnheiten und vertrauten Gefühle und Bedeutungen spürbar und wirken innerleiblich zurück. Die Resonanz ist nicht die Abbildung des leiblichen Erlebens des Gegenübers. Auch wenn typische Verläufe anregender intersubjektiver Reflexion und gemeinsamer Sinnkonstitution in zirkulären, verbundenen, spiralförmigen Wechselprozessen verlaufen, sind diese synchronen Austauschsituationen nicht durchgängig in einem harmonischen Einklang. Kleine Brüche, Disharmonieren, Fehlpassungen und manchmal ein längerer Verlauf von Missverständnissen müssen geklärt, verstanden und angepasst werden. Das spiegelt sich auch in der zwischenleiblichen Synchronie und wird auch leiblich als Unstimmigkeit gespürt. In gelingender Kommunikation lassen sich Anpassungsbewegungen und Synchronisationsbemühungen auch auf der nonverbalen Ebene beobachten. Von einem pragmatischen Wahrheitsbegriff (Joas et al. 2020) ausgehend, gibt es auch keine allgemeinen, vorgegebenen Kriterien, um die Bedeutung oder die Wahrheit von Aussagen oder Situationen zu bewerten. Wahrheit in sozialen Systemen ist das Ergebnis von kommunikativen Verständigungsprozessen und ein Ereignis. Eine leiblich gespürte, nonverbale Synchronie ist also nicht nur ein markanter Indikator für die Beziehungsqualität, sondern auch ein Marker für gemeinsame Stimmigkeit und Sinnbildung. K Die Modellierungen exzellenter Psychotherapeuten (Perls, Satir und Erickson) durch die Begründer des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) haben bereits vor mehr als 40 Jahren diese Synchroniephänomene exploriert und als "Gesprächstechnik" bekannt gemacht (Bandler und Grinder 1988) . Mit dem körperlichen Spiegeln (Pacen und Leaden) wird der nonverbale Kontakt bewusst unterstützt. Über das feine Spiegeln der kleinen, latenten Begleitbewegungen, der Haltung, Atemtiefe u. a. lassen sich im Gespräch unbemerkt Kontakt anbieten, Sicherheit schaffen, emotionale Qualitäten erspüren und als Hypothesen nutzen. Durch diese Interaktionsschleifen können Interventionen an jeder Stelle ansetzen und durch die zirkuläre Verbundenheit im Ganzen wirksam werden. Das Wissen über die eigen-und zwischenleibliche Verbundenheit und die "gegenseitige emotionale Ansteckung" erklärt uns die Eskalationsdynamiken, besonders in Konflikten und Krisen. Mit diesem Kenntnisstand empfiehlt es sich, bei schwieriger Stimmungslage nicht allzu sehr mitzuschwingen, sondern die "Ansteckung umzudrehen" und damit Stabilität, Resilienz, Ruhe, Zuversicht und das Zutrauen der Berater/in wirken zu lassen. Wie auch in der verbalen Kommunikation führt das pure und offensichtliche körperliche Spiegeln zu Irritationen. Wenn das absichtsvolle körperliche Spiegeln zur Technik wird und an Echtheit, Verbundenheit und wirklichem Interesse verliert, verstört das aufkommende Misstrauen die Arbeitsbeziehung. Für die videobasierte Beratung vermutet Tschacher (2019, S. 11) eine beschränkte Reichweite. "Wenn die nonverbale Synchronie fehlt, etwa beim Austausch in sozialen Medien und Internetforen, fehlt die Echtheit wirklicher Kommunikation". Die Einschränkungen, die wir aktuell mit den Corona-Hygienemaßnahmen erleben, ermöglichen die Aufmerksamkeit für Alternativen, die in unserer Kultur und Lebensweise nicht gewohnt, praktiziert und geübt sind. Wenden wir uns dem Blickkontakt zu: Was passiert, wenn sich die besondere Nähe und Zuneigung nicht in der Umarmung ausdrücken kann und durch den Blickkontakt ersetzt wird? Wir sind nicht sehr geübt, uns in einer Weise anzusehen, in einem Blickkontakt zu sein, der Verbindung schafft. In-Verbindung-Sein lässt sich über den Blick, die Erfahrung, gesehen zu werden, besonders intensiv herstellen (Storch und Tschacher 2014) . Die Resonanz-und Schwingungsfähigkeit ist ein zentrales "diagnostisches" Sensorium für die Einschätzung von Reflexions-und Handlungsfähigkeit. Die Fähigkeit zur komplexen Reflexion ist unmittelbar mit der emotionalen Lage eines Systems verbunden, die sich in der zwischenleiblichen Resonanz vermittelt. Die besondere Qualität von Supervision und Coaching liegt in der reflexiven, mehrdimensionalen Bearbeitung beruflicher Themen. Diese Qualität ist nur möglich, wenn sich das emotionale System in einer entspannten Mittellage befindet. Ein Kennzeichen hierfür ist die Fähigkeit, sich zu sich selbst ins Verhältnis zu stellen, wie im Absatz über die Körper-Leib-Unterscheidung beschrieben wurde. Es gibt viele Momente, in der diese emotionale Mittellage nicht mehr gegeben oder in den Beratungssituationen nicht selbstverständlich vorgefunden wird. Die folgenden Aspekte sollten eine Orientierung für die Auswahl von Beratungsformaten und die Indikation von nichtsprachlichen Interventionen bieten. Beschleunigung (Rosa 2013) , ein hoher Entscheidungsdruck bei knapper Zeit und steigender Verantwortung, Ungewissheit und Unsicherheit bilden eine Art Grundtonus in vielen Bereichen der Arbeitswelt und auch der Lebenswelt. Das führt zu einem Stresserleben, das physiologisch die Reflexionsfähigkeit einschränkt, die wir aber für die komplexe Nachdenklichkeit in den Beratungen brauchen. 1. In Konflikten verlieren die betroffenen Personen gelegentlich ihre Handlungsfähigkeit in einem Maße, dass sie nicht mehr klar denken, geschweige denn ihre Interessen artikulieren und vertreten können. Sie geraten in einen physiologischen "Alarmzustand", in dem kein Repertoire mehr für soziales Verhalten zur Verfügung steht (Porges 2018 (Rosa 2013, S. 66) . In westlichen Zivilisationen ist die historisch und kulturell gewachsene Vorstellung von Zeit als linear ausgerichteter, kontinuierlicher, fortschreitender Prozess selbstverständlich. Diese tendenziell ungebremsten linearen Prozesse geraten in eine Beschleunigungsdynamik, die kaum Hemmung erfahren und in Beratungen immer häufiger thematisiert werden. Wir erschaffen uns eine Lebens-und Arbeitsumgebung, die nicht nur unsere Lebensgrundlagen ausbeuten und zerstören, sondern unseren seelischen und körperlichen Rhythmen und der Notwendigkeit zur Regeneration und Gesundheit zuwiderlaufen und uns überfordern. Im linearen Zeitverständnis "gibt es kein Ziel, dem die Zeit zustrebt, an dem man zur Ruhe kommt. Alles bewegt sich vorwärts, so auch unser Leben. Wir laufen immer weiter voran, kommen aber nicht wirklich an" (Fuchs 2019, S. 39 f.) . Dies führt zu der Frage, wie lange sich eigenleibliche Rhythmen ignorieren, anpassen und optimieren lassen. Die Zeitlichkeit des Lebendigen dagegen ist eine zyklische Zeit, die immer wieder in der Gegenwart ankommt. Die regelmäßig wiederkehrenden Prozesse von Aktivität und Entspannung, Wachheit und Schlaf, Essen und soziale Zuwendung geraten in Widerspruch zu der linearen Dynamik in einem wachstumsorientierten Wirtschaftssystem, wenn die zyklischen Prozesse missachtet werden. Unser Leib ist konservativ und "antiquiert" (Anders 2018 (Anders [1956 ), und die Eigenzeiten des Leibes können nicht ohne Schaden beschleunigt, kompensiert und optimiert werden. "Zyklische und lineare Zeit stehen in Spannung zueinander, und vielfältige kollektive und individuelle Pathologien gehen auf eine Entkopplung der linearen Dynamik von den Lebensprozessen zurück, insbesondere auf eine Beschleunigung und Entrhythmisierung der sozialen und individuellen Zeitabläufe" (Fuchs 2020, S. 315 Berater/innen sind gut vertraut mit der individuellen und sozialen Reflexion von parafunktionalen Glaubenssätzen und Vorannahmen von Einzelnen und Gruppen und kennen die handlungsleitende Kraft von Glaubenssätzen und Überzeugungen aus der täglichen Praxis. Was wir als einzelne Berater/innen, als Beratungsfirmen, Professionsgemeinschaften und Berufsverbände seltener in den Blick nehmen, sind die leitenden ökonomischen und politischen Glaubenssätze und Überzeugungen, die latent und unhinterfragt in die Beratung (und die Gesellschaft) wirken. Wenn VUKA oder Arbeitswelt 4.0 als unveränderliche Rahmenbedingungen der arbeitsweltlichen Beratung von vielen Berater/innen akzeptiert und integriert werden, stellt sich die Frage, warum dieses Wettbewerbsparadigma höher bewertet wird als Gesundheit und Nachhaltigkeit. Die Alternative dazu sehe ich in der Orientierung an den UN-Nachhaltigkeitszielen 2030, den WHO-Salutogenese-Kriterien für gute Arbeit oder in der Gemeinwohlverpflichtung als DGSv-Mitglied. Wenn die leiblichen Ressourcen so eindeutige Hinweise geben und die Eigenzeiten des Lebendigen als Gegenprinzip der linearen Dynamik Grenzen setzen, dann sollten diese Widersprüche als Kernkonflikt (Schwarz 1990) guter Arbeit ein Teil der Reflexion sein, die über die Auftrags-und Auswertungsgespräche mit den Vorgesetzten, OE-und PE-Abteilungen in die Organisation verbunden werden. Reflexive Beratungen sind zirkulär angelegt und folgen idealerweise zyklischen Rhythmen. Es sind Besinnungs-, Begegnungs-und Gegenwartsorte, die sich von den linearen, beschleunigten Prozessen absetzen. Im Verständnis einer verkörperten Perspektive von zirkulären wechselseitigen Beeinflussungen durch und zur Umwelt wird das Ausloten der Handlungsmöglichkeiten und der Einflussnahme Teil der Beratung. Eine "abstinente" Haltung ist dann allerdings schwer durchzuhalten, wenn man eine "parteiliche" Nähe für die Qualität, die Aufgabe der Organisation, den Organisationszweck, das Gemeinwohl und die Gesundheit von Mitarbeiter/innen einnimmt. "Die Qualität der Konvivialität umfasst Verbundenheit in einer Leichtigkeit des Miteinanderseins, wo jeder so sein kann und akzeptiert wird, wie er ist, und so eine ,Konvivialität der Verschiedenheit' möglich wird, wo ein Raum der Sicherheit und Vertrautheit gegeben ist, eine gewisse Intimität integrer Zwischenleiblichkeit, in der man ohne Furcht vor Bedrohung, Beschämung, Beschädigung, ohne Intimidierung zusammen sitzen, beieinander sein kann, weil die Andersheit unter dem Schutz der von allen gewünschten, gewollten und gewahrten Gerechtigkeit steht, und jeder in Freiheit (parrhesiastisch) sagen kann, was er für wahr und richtig hält" (Petzold 2007, S. 399) . Eine solche Vorstellung von Respekt, Dialog und "moralischer Intimität", wie Bieri (2013) diese feine soziale Achtsamkeit nennt, die die Bedürfnisse der anderen in die Aufmerksamkeit und das Handeln mit einbezieht, sollte das Leitbild für Reflexion bleiben, auch wenn es sich selten in dem oben beschriebenen Maße herstellen lässt. Je mehr sich von dieser Atmosphäre und integrer Zwischenleiblichkeit einstellen kann, desto komplexer und anspruchsvoller kann berufliche Reflexion werden. Es lohnt sich, Zeit und Rahmenbedingungen für solche Reflexionsräume zu schaffen, um schnelle Lösungen für komplexe Probleme, zu schnelles gewohnheitsmäßiges Handeln, das Ignorieren eigener somatischer Marker bei unstimmigen Entscheidungen zu vermeiden. Die Beschäftigung mit der Verkörperungsperspektive macht deutlich, dass die vermeintlichen Polaritäten von Körperhaben und Leibsein, von Anpassung und Gestaltung, von Ergebenheit und Selbstbestimmung, Technologieentwicklung und -kritik und von linearer Beschleunigung und Verlangsamung keine unauflösbaren Widersprüche sind. Es geht um verschiedene Rhythmen, Logiken und Eigenzeiten, die dem technologischen Fortschritt, unserem Wirtschaftssystem und dem lebendigen Leben innewohnen, und um eine Balance in dieser Dialektik. Die meisten Veröffentlichungen fokussieren die Körper-Geist-Verbindung und die Kopplung zur Umwelt in Bezug zur intersubjektiven und räumlichen Dimension. Die Verkörperungsperspektive legt die gleichwertige Betrachtung der wechselseitigen Beeinflussungen auch mit gesellschaftlichen Atmosphären nahe. Die Antiquiertheit des Menschen 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit Die Kontaktgrenze in dynamischen Zeiten oder Gedanken zum Coaching 4.0. Organisationsberatung, Supervision, Coaching Neue Wege der Kurzzeit-Therapie. Neurolinguistische Programme Simulation, situated conceptualization and prediction Situated conceptualization: theory an application Wie wollen wir leben? München: Dtv Leibsein als Aufgabe. Leibphilosophie in pragmatischer Hinsicht. Zug: Die graue Edition Power posing Ich fühle, also bin ich Das Gehirn -ein Beziehungsorgan Schneller, als die Zeit erlaubt. Psychologie heute Verteidigung des Menschen. Grundlagen einer verkörperten Anthropologie Interview: Verkörpertes Gedächtnis, zwischenleibliche Interaktion und nachhaltige Veränderungen. supervision Mensch -Arbeit -Organisation Kognitionswissenschaften -Leiblichkeit und Embodiment Soziologie des Körpers Wissen was wirkt. Modelle und Praxis pragmatisch-systemischer Supervision Selbstklärung mit PEP in der Mediation Phänomenologie der Wahrnehmung Der eigensinnige Mensch. Körper, Leib & Seele im Wandel Fratelli tutti Integrative Supervision Mit anderen Augen. Aspekte einer philosophischen Anthropologie. Stuttgart: Reclam Empathie und Spiegelneurone: die biologische Basis des Mitgefühls Beschleunigung und Entfremdung Ein achtsamer Blick auf den Achtsamkeits-Hype. Organisationsberatung, Supervision, Coaching Max Scheler und Helmuth Plessner -Leiblichkeit in der Philosophischen Anthropologie Konfliktmanagement. Sechs Grundmodelle der Konfliktlösung Bernhard Waldenfels -Responsivität des Leibes Embodied Communication. Kommunikation beginnt im Körper, nicht im Kopf Embodiment im coaching und training. Zeitschrift Supervision Wie synchron sind wir? TPS -Theorie und Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes. Frankfurt/M.: Suhrkamp