key: cord-0054915-okiddre6 authors: Großmann, S.; Hoffmann, U.; Girlich, C. title: Bewusstseinsstörung, Tachypnoe und Tachykardie bei einem 71-jährigen Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 date: 2021-01-07 journal: Internist (Berl) DOI: 10.1007/s00108-020-00930-w sha: 1e2ff4977d270613d98644ba962e64b6c4c6330d doc_id: 54915 cord_uid: okiddre6 Patients with type 2 diabetes who present with confusion and/or abdominal pains should be screened for sodium–glucose cotransporter 2 (SGLT-2)-induced diabetic ketoacidosis. Severe acidosis was diagnosed despite only moderately increased blood sugar levels. If so, immediate ICU treatment is essential. Anamnese Die Aufnahme des 71 Jahre alten Patienten auf die Intensivstation erfolgte bei qualitativer Bewusstseinsstörung, Tachypnoe und Tachykardie mit arterieller Hypotonie unter dem Verdacht einer Sepsis. Ein zerebelläres Syndrom mit Intentionstremor und Ataxie, einer links betonten proximalen Parese sowie einer kognitiven Beeinträchtigung, das bei bekanntem fragiles-X-assoziiertem Tremor-Ataxie-Syndrom (FXTAS) vorbestand, hatte sich in den letzten Tagen laut Ehefrau verschlechtert. In den Tagen vor Aufnahme hatte der Patient auch zunehmend weniger gegessen und getrunken. Wegen autonomer Dysfunktion und benigner Prostatahyperplasie war der Patient mit einem suprapubischen Blasenkatheter versorgt. Im Jahr 2010 war bei dem Patienten ein Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert worden. Deswegen nahm der übergewichtige Patient (Body-Mass-Index [BMI] 36 kg/m 2 ) ein Kombinationspräparat mit Metformin und Sitagliptin ein und applizierte einen Glucagon-likepeptide-1(GLP-1)-Rezeptor-Agonisten. Etwa 6 Monate vor stationärer Aufnahme war die antidiabetische Therapie um Empagliflozin 25 mg/Tag ergänzt worden. In der neurologischen Untersuchung imponierte ein somnolenter (Glasgow Coma Scale 11), dysarthrischer Patient mit Ruhetremor. Paresen fehlten. Die Atmung war beschleunigt (Atemfrequenz 24/min) und vertieft. Der Patient war tachykard (Herzfrequenz 105/min) und hypoton (systolischer Blutdruck 95 mm Hg), jedoch normotherm (Temperatur 36,8°C). Klinisch fanden sich Zeichen der Exsikkose, allerdings kein Hinweis auf einen Infektfokus. Die Urinuntersuchung ergab einen Nitrit-positiven Harnwegsinfekt, eine Glukosurie und eine Ketonurie (Ketonkörper semiquantitativ 2-fach positiv). Laborchemisch zeigten sich eine akute Nierenschädigung (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate 46 ml/min), eine Hyperglykämie (Blutzucker 242 mg/dl, entspricht 13,4 mmol/l) und nur minimal erhöhte Inflammationsparameter (Creaktives Protein [CRP] 19 mg/l, Prokalzitonin 0,09 ng/ml; Normbereiche: CRP 1-5 mg/l, Prokalzitonin 0-0,05 ng/ml). In der Blutgasanalyse fiel eine ausgeprägte metabolische Azidose mit einem pH von 7,0, einem Standardbikarbonat von 3,0 mmol/l und einer Anionenlücke (ΔAG) von 36 mmol/l auf. Das Serumlaktat war nicht erhöht. Inhibitoren des Natrium/Glukose-Kotransporters 2 SGLT-2-Inhibitoren wurden ab 2013 zur Therapie desTyp-2-Diabetesaufdem USamerikanischen Markt eingeführt [1] . In Deutschland stehen Dapagliflozin, Empagliflozin und Ertugliflozin zur Verfügung (Letzteres nur in Kombination mit Sitagliptin). Diese sogenannten Gliflozine finden auch in Deutschland eine zunehmende Verwendung in der Therapie des Typ-2-Diabetes. Eingesetzt werden sie in einer Kombinationstherapie mit weiteren Antidiabetika (beispielsweise Metformin) oder als Monotherapeutikum, falls Metformin nicht vertragen wird. Die von ihnen induzierte Hemmung der renalen Glukoserückresorption führt zu einer Glukosurie mit konsekutiver Reduktion der Blutzuckerspiegel. Die hierdurch induzierte osmotische Diurese in Verbindung mit einer anhaltenden Natriurese aufgrund der SGLT-2-abhängig reduzierten Natriumrückresorption im proximalen Nierentubulus ist wohl für die zusätzlich beobachteten kardio-und renoprotektiven Effekte mitverantwortlich. So fanden sich unter Therapie mit SGLT-2 Inhibitoren ein vermin-derter Progress der diabetischen Nephropathie und verminderte Harnsäurewerte [2] . Die EMPA-REG-OUTCOME-Studie [3] konnte unter Empagliflozin eine Minderung des relativen Risikos für die kardiovaskuläre Mortalität um 38 %, für die Hospitalisation wegen dekompensierter Herzinsuffizienz um 35 % und für den Tod jeglicher Ätiologie um 32 % zeigen. Ähnliche Effekte wurden auch für andere SGLT-2-Inhibitoren gezeigt, unter anderem für Dapagliflozin in der DAPA-HF-Studie [4] . Bezüglich der kardioprotektiven Effekte wird auch eine Superfuel-Theorie diskutiert. Hier wird postuliert, dass durch die Rückresorption von Ketonkörpern und deren Utilisation ein "Supersubstrat" für das Myokard mit günstiger Energiebilanz entsteht [5] . In einer 2020 veröffentlichten Studie konnte der kardioprotektive und renoprotektive Effekt auch für die Anwendung bei Patienten ohne Diabetes mellitus gezeigt werden [6] . Ursächlich findet sich beim Diabetes mellitus Typ 1 ein absoluter Insulinmangel mit vermehrter Glukoneogenese und Glykogenolyse bzw. verminderter peripherer Glukoseaufnahme. Durch Erhöhung der Carnitin-Palmitoyl-Transferase-Aktivität kommt es zu einer vermehrten Lipolyse und somit zur Verstoffwechselung von Fettsäuren in der Leber mit Ketonkörperbildung [8] . Im Jahr 2015 warnten die Food and Drug Administration (FDA) und European Medicines Agency (EMA) vor der Gefahr einer DKA [1] unter Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren. Hierbei können DKA mit oder ohne Blutzuckererhöhungen auftreten. Bei der euglykämischen DKA finden sich Blutglukosewerte <250 mg/dl. Sie wurde erstmals 1973 bei Patienten mit Typ-1-Diabetes beschrieben [9] . Bei der SGLT-2-Inhibitor-induzierten DKA finden sich in 70 % der Fälle Blutzuckerwerte < 250 mg/dl, in 30 % liegen sie < 200 mg/dl [2] . Aufgrund der nur gering bis mäßig erhöhten Blutzuckerwerte besteht die Gefahr einer verspäteten Diagnose der Stoffwechselentgleisung. Folgende Mechanismen zur Entstehung der Ketonämie mit nur geringer Blutzuckererhöhung unter SGLT-2-Inhibitoren werden diskutiert [ In den meisten Fällen ist die sofortige quantitative Bestimmung der Ketonkörper im Blut nur begrenzt möglich. Hier kann die Berechnung der ΔAG den Verdacht auf das Vorliegen von Ketonkörpern erhärten. Der Normalwert liegt zwischen 8 und 16 mmol/l. Bei ausgeprägter Hypalbuminämie ist eine Korrektur des Normalwerts nötig (pro Abfall um 1 g/dl Albumin Anstieg der ΔAG um 2,5 mmol/l [11] ). Neben der Erhöhung der Ketonkörper kann zusätzlich das Laktat im Serum vermehrt sein. Dies ist bedingt durch eine verminderte Glukoseutilisation bzw. eine Minderperfusion im Rahmen der begleitenden Hypovolämie. Bei Vorliegen einer Komedikation mit Metformin kann dieses ursächlich für eine Laktaterhöhung sein. Bei der Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren kommt es zusätzlich zu einer Hemmung des Na + /H + -Transporters (NHE3) und damit zu renalen Bikarbonatverlusten. Es können also eine Azidose durch vermehrte Bildung von Ketonkörpern (erhöhte ΔAG) und eine zusätzliche azidotische Komponente durch Bikarbonatverlust ΔHCO3 -(hyperchlorämische Azidose) auftreten. Typischerweise ist dann der Quotient ΔAG/ΔHCO3 -<1 [12] . Im klinischen Kontext fällt auf, dass unter Therapie trotz Ausgleichs der ΔAG eine metabolische Azidose persistiert (Zeitdifferenz 24-48 h; [13] ). In der DKA kommt es durch die pH-Verschiebung zu einer Verschiebung von Kalium, Magnesium und Phosphat nach extrazellulär, das heißt, initial gemessene Phosphatspiegel im Serum können noch normal sein. Durch die vorbestehende Glukosurie mit konsekutiver Phosphaturie ist es aber tatsächlich zu einer Phosphatverarmung des Organismus gekommen. Inwieweit die Medikation mit SGLT-2-Inhibitoren selbst zu erniedrigten Phosphatreserven führt, ist nicht geklärt [14] . Das Phosphatdefizit bei der DKA beträgt im Durchschnitt 1 mmol/kgKG [8] . Die Insulintherapie zur Behandlung der DKA führt zu einer vermehrten Aufnahme von Phosphat in die Zelle, durch die notwendige Flüssigkeitszufuhr kommt es zusätzlich zu einer Dilutionshypophosphatämie. Die intrazelluläre Verarmung an Adenosintriphosphat (ATP; [15] ) und die verminderte Bildung von 2,3-Diphosphoglyzerat mit reduzierter Abgabe von Sauerstoff an die Gewebe führen zu unterschiedlich ausgeprägten klinischen Symptomen (. Infobox 1) . Problematisch bei der DKA kann eine muskulär bedingte Insuffizienz der Atempumpe werden, da diese zum Ausgleich der metabolischen Azidose maximal stimuliert ist. Eine Phosphatsubstitution muss bei entsprechender Klinik oder bei gemessenen Serumphosphatwerten unter 0,32 mmol/l erfolgen. Da Phosphat Internist https://doi.org/10.1007/s00108-020-00930-w © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 muss im Falle einer unklaren Bewusstseinsstörung und/oder Bauchschmerzen eine Natrium/Glukose-Kotransporter-2(SGLT-2)-Inhibitorinduzierte diabetische Ketoazidose in die Differenzialdiagnose einbezogen werden. Dabei können die Blutzuckerspiegel trotz ausgeprägter Azidose nur moderat erhöht sein. Bei Nachweis ist eine umgehende intensivmedizinische Therapie unerlässlich. Diabetes mellitus Typ 2 · Säure-Basen-Gleichgewicht · Ketoazidose · Natrium/Glukose-Kotransporter-2-Inhibitoren · Hypophosphatämie Patients with type 2 diabetes who present with confusion and/or abdominal pains should be screened for sodium-glucose cotransporter 2 (SGLT-2)-induced diabetic ketoacidosis. Severe acidosis was diagnosed despite only moderately increased blood sugar levels. If so, immediate ICU treatment is essential. Diabetes mellitus type 2 · Acid-base equilibrium · Ketosis · Sodium-glucose transporter 2 inhibitors · Hypophosphatemia hauptsächlich intrazellulär vorkommt, ist eine Dosisabschätzung schwierig. Anhaltspunkte bilden Empfehlungen mit initialer Dosis von 0,08 bis 0,16 mmol/ kgKG über 6 h bzw. 32 bis 64 mmol/Tag über 7-10 Tage zum Auffüllen der Speicher [15] . Eine Ketoazidose unter Einnahme von SGLT-2-Inhibitoren entsteht vermehrt dann, wenn die Kohlenhydratzufuhr vermindert ist, die Insulinsekretion gestört ist oder vermehrt kontrainsulinäre Hormone gebildet werden. Es besteht keine typische zeitliche Zuordnung zwischen Ersteinnahme des SGLT-2-Inhibitors und Auftreten einer DKA [18] . Über 20 % der Patienten zeigen keinen detektierbaren Trigger. Ein weiterer Risikofaktor ist die Anwendung von SGLT-2-Inhibitoren zur Insulineinsparung bei Patienten mit autoimmun bedingtem Diabetes mellitus. Hierzu gehören neben den Patienten mit Typ-1-Diabetes auch Patienten mit LADA. Deswegen sollten bei Patienten mit Diabetes und typischer Konstellation (Alter < 50 Jahre, BMI < 25 kg/m 2 , Autoimmunerkrankungen in der [Familien-] Anamnese) entsprechende Antikörperbestimmungen erfolgen, insbesondere eine Bestimmung der GAD-Autoantikörper [19] . Um das Auftreten einer DKA zu vermeiden, müssen die Risikofaktoren bzw. Auslöser (. Infobox 2) vermieden wer-den. In jedem Fall muss die Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren bei Trauma, schweren Infektionen und 24 h vor elektiven Operationen beendet werden. Nach dem Auftreten einer SGLT-2-Inhibitor-assoziierten DKA ist eine Wiederaufnahme der Medikation wegen der Rezidivhäufigkeit kritisch zu sehen [20] . Eine DKA findet sich unter Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren mit einer Häufigkeit von 0,16 bis 0,76/1000 Patienten und Jahr [21] . Dabei ist das Auftreten bei Patienten mit Typ-2-Diabetes um den Faktor 2,2(-4) im Vergleich zur Anwendung von Dipeptidylpeptidase-4-Hemmern erhöht [22, 23] . Außerhalb kontrollierter Studien fand sich ein bis zu 7-fach erhöhtes Risiko [18] . Eine Dosis-Nebenwirkungs-Beziehung ist bisher für keine der einzelnen Substanzen nachgewiesen. Es wurde gezeigt, dass ein "off label use" von Canagliflozin bei Patienten mit Typ-1-Diabetes das Risiko ketonkörperassoziierter Nebenwirkungen um 9,4 % erhöht [18] . Die Letalität der SGLT-2-induzierten DKA beträgt etwa 1,54 % und ist somit im Vergleich zu DKA anderer Ursachen (0,4 %) erhöht [24] . Therapieempfehlungen bei DKA [25] . Bei der DKA im Rahmen eines Typ-1-Diabetes wird eine Bolusapplikation von kurz wirksamem Insulin i.v. mit 0,1 IE/ kgKG gefolgt von einer kontinuierlichen Therapie mit 0,05-0, 10 Sodiumglucose co-transporter-2 inhibitors and diabetic ketoacidosis: an updated review of the literature Euglycemic diabetic ketoacidosis associated with sodium-glucose cotransporter-2 inhibitor use: a case report and review of the literature Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes Dapagliflozin in patients with heart failure and reduced ejection fraction CV protection in the EMPA-REG OUTCOME trial: a "thrifty substrate" hypothesis Cardiovascular and renal outcomes with empagliflozin in heart failure Hyperglycemic crises in adult patients with diabetes Euglycaemic diabetic ketoacidosis Effects of diabetic ketoacidosis in the respiratory system Disorders of the acid-base balance and the anion gap Use of the DeltaAG/DeltaHCO3-ratio in the diagnosis of mixed acid-base disorders Insights into the recognition and management of SGLT2-inhibitor-associated ketoacidosis: it's not just euglycemic diabetic ketoacidosis Euglycemic diabetic ketoacidosis accompanied by severe hypophosphatemia during recovery in a patient with type 2 diabetes being treated with canagliflozin/metformin combination therapy Hypophosphatemia: an update on its etiology and treatment Respiratory failure in a diabetic ketoacidosis patient with severe hypophosphatemia Diabetische Ketoazidose unter Empagliflozin Ketoacidosis associated with SGLT2 inhibitor treatment: analysis of FAERS data Latent autoimmune diabetesinadults: currentstatusandnewhorizons Euglycemic diabetic ketoacidosis:apotentialcomplicationoftreatment with sodium-glucose cotransporter 2 inhibition Diabetic ketoacidosis and related events in the canagliflozin type 2 diabetes clinical program Risk of diabetic ketoacidosis after initiation of an SGLT2 inhibitor Sodium glucose cotransporter 2 inhibitors and risk of serious adverse events: nationwide register based cohort study Trends in diabetic ketoacidosis hospitalizations and in-hospital mortality-United States Therapie des Typ-1-Diabetes -Kurzfassung der S3 Leitlinie Resuscitation with balanced electrolyte solution prevents hyperchloremic metabolic acidosis in patients with diabetic ketoacidosis Clinical characteristics of diabetic ketoacidosis in users and non-users of SGLT2 inhibitors