key: cord-0053221-6zzv3so2 authors: Urbansky, Frank title: Corona, Immissionen und der Verbrennungsmotor date: 2020-11-27 journal: ATZ Automobiltech Z DOI: 10.1007/s35148-020-0361-z sha: 8b727212120bc6acdf8bf3e84d89d59f2e44bf6d doc_id: 53221 cord_uid: 6zzv3so2 nan So vielfältig, wie die Messdaten in der Corona-Krise waren, so widersprüchlich sind sie auch. Absolut lässt sich nur das sagen, was logisch klingt: Die CO 2 -Emissionen sind teils drastisch zurückgegangen. Da, wo weniger Kohlenwasserstoffe verbrannt werden, entsteht eben auch weniger vom Verbrennungsprodukt Kohlenstoffdioxid. "Generell kann man sagen: Wenn es keine Verbrenner mehr gäbe, wäre die Luftqualität signifikant besser. Wenn 1000 l Diesel weniger verbraucht werden, dann sinkt der CO 2 -Ausstoß ziemlich genau um 2650 kg. Diese Rechnung kann man nicht für Stickoxide (NO x ) und Partikel anwenden. Die Entstehungsmechanismen dieser Schadstoffe sind sehr komplex und hängen von vielen Einflussfaktoren ab. Gäbe es zum Beispiel weniger Verkehr, dann wären die Straßen weniger verstopft, die Fahrzeuge könnten zügiger fahren und hätten ganz andere Emissionen als im Schritttempo", erklärt Dr.-Ing. Gennadi Zikoridse, Professor Kraftfahrzeug-und Antriebstechnik an der HTW Dresden. Die Schäden für Umwelt und Gesundheit durch NO x und Feinstaub sind unbestritten. Beispiele sind eine Zunahme von Atemwegserkrankungen, die Schädigung von Ökosystemen durch sauren Regen in der Folge von Schwefeldioxidemissionen oder die Beschleunigung des Klimawandels durch die Emission von Treibhausgasen [1] . Dabei Eine Ursache ist die mangelnde Repräsentativität der festen Messstationen. Sie sind stark vom Wetter abhängig. Teils stehen sie dort, wo von Natur aus hohe Messwerte entstehen, etwa in Tallagen. Zudem messen sie nicht in Echtzeit, sondern kumulieren die Messungen über einen gewissen Zeitraum. Hinzu kommen die verschiedenen Modellvari anten. Die Datenerfassung wird entweder nach der Vektor-oder der Rastermethode geplant. Beide Modelle stehen sich nicht konträr gegenüber, sondern werden gleichermaßen benötigt [3] . Das Vektormodell ist genauer und besonders für das Vermessungs-und Katasterwesen sowie für Untersuchungen in großem Maßstab geeignet. Für einzelne Gruppen an Emittenten wie Hausbrand, Kleingewerbe oder Kraftwerke können Emissionswerte abgeschätzt werden, die dann mit sehr unterschiedlichen räumlichen Bezügen in einem Geoinformationssystem auf Vektorbasis gespeichert sind [4] . Das Rastermodell hingegen eignet sich für Anwendungen in kleinem Maßstab. Es erlaubt eine höhere Präzision bei der Messung ein zelner Daten. Will man Emissionen zuerst erfassen und miteinander auch gebietsweise vergleichen, bedarf es also einer Kombination der beiden Varianten. Eine weitere Ursache für gesunkene Messwerte ist die Entwicklung der Autos selbst. "Die Unterschie de zwischen den Diesel-Fahrzeugen der neu esten Abgasstufen wie Euro 6d und Euro 5 sind insbesondere bei Stickoxiden sehr groß", erklärt Zikoridse. Die neuesten Verbrennungsmotoren mit besseren Abgastechnologien sind in der Lage, alle Schadstoffgrenzwerte einzuhalten. Das korreliert auch mit Daten des UBA für 2019. So wurde nur noch in 25 Städten der Luftqualitätsgrenzwert von 40 μg NO 2 je m 3 Luft überschritten. Ein Jahr zuvor waren es mit 57 noch mehr als doppelt so viele. "Aufgrund der Datenlagen kann ein Einfluss der Corona-Pandemie auf die NO x -Emissionen nicht abgeleitet werden. Wer behauptet, durch Verbote von Euro-5-Fahrzeugen würde die Luft besser, muss sich sehr warm anziehen", sagt Zikoridse. Gleiches zeigt sich an Langfrist-Messreihen, die seit Jahren leicht sinkende Emissionen an den Messstationen festhalten. Als Beispiel mag Berlin gelten. An allen innerstädtischen Messstationen gingen die NO x -Emissionen von 2015 bis 2019 kontinuierlich zurück. Lediglich in den Stadtrandlagen sowie nahe der innerstädtischen Wald-gebiete blieben die Werte gleich oder sanken nur minimal -auf einem ohnehin schon sehr niedrigen Niveau [5] . Widersprüche bei den Messergebnissen gibt es nicht nur in Berlin. Im mitteldeutschen Raum hat die MDR-Umschau, eine Sendung des Mitteldeutschen Rundfunks, ab 22. März 2020 mehr als 100 verkehrsnahe Luftmessstationen gemittelt, zum Beispiel an der Paracelsusstraße in Halle (Saale) und an der Bergstraße in Erfurt. Das Ergebnis ist eindeutig: Trotz des ge ringeren Verkehrs traten mehr Feinstaub und nur minimal weniger NO x auf. Selbst die Deutsche Umwelthilfe (DUH), bei Fahrverboten ganz vorn dabei, mus ste einräumen, dass die Holzfeue rungen wegen des kühlen Wetters einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Werte hatten. Will man die Corona-Krise wirklich als Vergleichszeitraum hernehmen und so den Beweis für den Verkehr als Verursacher der Emissionen erbringenoder eben auch nicht -, bräuchte es einen Vergleich über mehrere Jahreund das bei vergleichbaren Wetterlagen in den jeweiligen Jahreszeiten. Bei der Interpretation der nun bereits gewonnenen Daten hilft zunächst ein wei terer Blick auf das Wetter. Februar und Anfang März 2020 waren von Tiefs über dem Atlantik geprägt -für diese Jah reszeit nichts Ungewöhnliches. Solche Wetterlagen führen viel Feuch tigkeit mit sich, weswegen der Februar auch einer der regenreichsten seit Langem war. Typisch für regenreiche Wetterlagen sind aber auch geringere Feinstaubwerte, weil die Partikel quasi mit den Regentropfen, denen sie als Kondensationskerne dienen, zu Boden gerissen und gebunden werden. Im April hingegen herrschten meist sonnenreiche und regenarme Hochdrucklagen, bei denen sich der Feinstaub "vermehrt". So lässt sich zumindest ein Teil der höheren Feinstaubbelastung erklären. An den zahlreichen Fahrverboten wird sich jedoch kaum etwas ändern. Das Bundesumweltministerium sieht keinen Änderungsbedarf an den geltenden Regelungen zur Luftqualität in Städten. "In so einer Situation hat sich gezeigt, dass die Ursache für die Feinstaubbelastung eben nicht der Verkehr ist, dass selbst die Industrie nicht unbedingt die Ursache ist, sondern dass das ganz natürliche Ur sachen hat", resümiert auch Matthias Klingner, Professor am Fraunhofer-Institut für Verkehrs-und Infrastruktursysteme, angesichts der Messergebnisse. Doch gerade der Feinstaub wurde einst zur Begründung der Fahrverbote herangezogen und auf Diesel-Pkw bezogen. Denn: Spätestens seit dem Dieselskandal und der damit verbundenen Diskussion um Feinstaub ist die Luft in unseren Städten zu einem Symbol für den Umweltschutz geworden [6] . Insbesondere beim Feinstaub ist während der Corona-Krise in einigen Gegenden ein deutlicher Rückgang zu beobachten, etwa im Umfeld von Flughäfen, wie Satellitenaufnahmen beweisen. Das UBA wertete zudem einige verkehrsnahe und feste Messstationen aus. Hier sanken zwar die NO x -Werte gegenüber dem Vorjahreszeitraum, aber auch nicht so stark, wie man es hätte erwarten können. Doch auch hier ist eine eindeutige Zuschreibung zu Verbrennungsmotoren oder Turbinen nicht möglich, da ja im gleichen Zeitraum auch die Industrieproduktion zurückging -ebenso wie der Hausbrand durch die wärmer werdende Witterung. Oder anders formuliert: Im Fall der Treibhausgasemissionen liegt die Ursache in der Verbrennung fossiler Energien bei der Bereitstellung von Energiedienstleistungen wie Strom und Wärme oder Kälte, und eben nicht nur beim Verkehr [7] . Das UBA verweist aber auch auf die wie beim Feinstaub mitunter deutlich gesunkenen NO x -Emissionen: "Im Zeitraum des Lockdowns ging der Straßenverkehr in den Städten um 30 bis 50 % zurück. Die an verkehrsnahen Messstationen gemessenen NO 2 -Konzentrationen sanken im gleichen Zeitraum um 15 bis 40 %." Kurzum: Wenn weniger verbrannt wird, gibt es logisch erweise auch weniger Emissionen. Aber die Zuweisungen der Schadstoffmengen zu bestimmten Quellen in der Praxis ist eben nicht so eindeutig. Grundprobleme der Energieversorgung Transformationen stadtregionaler Mobilitätssysteme -Chancen und Risiken neuer Mobilitäts konzepte für die Raumund Verkehrsentwicklung Geoinformatik in Theorie und Praxis. Heidelberg/Berlin Geoinformatik in Theorie und Praxis. Heidelberg/Berlin Dicke Luft messbar machen Grundlagen der Energiepolitik