key: cord-0052798-7b1sfnxg authors: Eggers, Carsten; Wellach, Ingmar; Groppa, Sergiu; Strothjohann, Martin; Klucken, Jochen title: Versorgung von Parkinson-Patienten in Deutschland: Status quo und Perspektiven im Spiegel des digitalen Wandels date: 2020-11-16 journal: Nervenarzt DOI: 10.1007/s00115-020-01027-3 sha: ec0a8dcb382ebebc4840a5d1a96374a18e5d6251 doc_id: 52798 cord_uid: 7b1sfnxg As a chronic neurodegenerative disease, Parkinson’s disease requires a close cooperation between different specialist disciplines in order to ensure the best possible quality of life for patients. A problem that has been identified is the inadequate communication between the protagonists (e.g. caregivers, physicians and therapists), especially at the sectoral interfaces. Due to structural hurdles, the current process and supply chains for Parkinson’s disease do not reflect successful cross-sectoral care. Against the background of the new Digital Care Act in Germany that refunds patient-centered digital healthcare applications (DiGA), innovative, digital care and communication structures can now be established and thus comprehensively revolutionize the care of chronic diseases, such as Parkinson’s disease. In this review examples and case application scenarios are presented and critically discussed. Hintergrund Die Parkinson-Krankheit als chronische neurodegenerative Erkrankung bedarf eines engen Zusammenspiels verschiedener Fachdisziplinen und Berufsgruppen, aber auch nichtprofessioneller Beteiligter, um eine bestmögliche Lebensqualität der Patienten zu ermöglichen. Die Betreuung von Parkinson-Patienten in Deutschland ist bisher geprägt durch eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit und das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Versorgungspartner (z. B. Ärzte, Therapeuten). Ein immer wieder identifiziertes Problem ist die insuffiziente Kommunikation zwischen den Protagonisten. Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) wird mobile Technologien als digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) zur Versorgungsunterstützung hervorbringen. Anhand dieser Darstellung der zur Verfügung stehenden Prozess-und Versorgungsketten soll die aktuelle Situation (Status quo) und künftige Perspektiven der Parkin-Es wird im Text zur besseren Lesbarkeit stets die männliche Form verwendet. Diese bezieht sich auf beide Geschlechter beidermaßen. son-Versorgung mit einem Fokus auf die Integration digitaler Ansätze aufgezeigt werden. Mit Versorgungskette ist im Gesundheitswesen das gliederförmige Ineinandergreifen der verschiedenen Betreuungssektoren gemeint. Diese beinhalten den ambulanten und stationären Sektor (Krankenhaus-und Rehabilitationsbehandlung) unter Einbeziehung der verschiedenen therapeutischen Disziplinen (z. B. aktivierende Therapien). Die Versorgung in der häuslichen Umgebung ist bisher nur auf die Pflege und Hilfsmittelversorgung beschränkt, nur wenige (tele-)medizinische Versorgungsleistungen (z. B. die Videosprechstunde) reichen bis zum Patienten nach Hause. Dieser "häusliche Versorgungssektor" ist daher noch nicht scharf definiert, wird jedoch durch die Forderung nach Patientenzentriertheit der DiGAs über das DVG eine neue Bedeutung bekommen. Die ärztliche Betreuung des Parkinson-Patienten erfolgt im ambulanten und stationären Bereich durch Fachärzte für Neurologie, Neurologie und Psychiatrie bzw. Nervenheilkunde (im Folgenden zusammenfassend als "Neurologe" bezeichnet), wobei der behandelnde neurologisch tätige Facharzt hierbei üblicherweise sektorenspezifische Aufgaben zu erfüllen hat. Zusätzlich übernehmen teils Hausärzte noch den Versorgungsauftrag, wenngleich dies nicht für eine Mehrheit der Parkinson-Patienten zutrifft [30] . Entsprechende Empfehlungen bezüglich der Aufgaben, Indikationsstellungen und Qualitätsmerkmale der verschiedenen Versorgungssektoren wurden bereits von einer Konsensusgruppe publiziert [6] . Eine Eine Besonderheit der Parkinson-Erkrankung ist die komplexe Symptomkombination mit zahlreichen motorischen und nichtmotorischen Störungen, die insbesondere in späteren Krankheitsstadien in der Regel ein multimodales Therapieregime erfordern sowie ein eher geriatrisch geprägtes Patientenklientel mit einer zum Teil erheblichen Komorbidität. Dabei ist sowohl von einer Zunahme der Parkinson-Patienten allgemein als auch von deren Multimorbidität auszugehen [6] . Daher müssen sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich alle in Anspruch genommenen therapeutischen Disziplinen von den Behandlungsabläufen und den Therapiemodifikationen umfassend informiert werden. Dies erfordert eine interdisziplinär gut koordinierte Strategie inklusive entsprechenden Kommunikationsstrukturen, was im Alltag eine gewisse Herausforderung für denjenigen darstellt, der die ambulante Versorgung im Wesentlichen koordiniert. Durch die reibungslose Interaktion innerhalb der Versorgungskette kann das Management der Erkrankung im zeitlichen Verlauf und durch die verschiedenen Stadien der Erkrankung optimiert werden. Es besteht allerdings in Deutschland weitgehend Konsens darüber, dass immer noch nicht die individuell optimale Behandlung für jeden einzelnen Erkrankten durchgehend gewährleistet ist [9] . Insbesondere die Medikation ist eine große Herausforderung -und diese kannals"Eckpfeiler" im Managementder Parkinson-Erkrankung angesehen werden. Gerade hinsichtlich der Medikation sind Parkinson-Patienten als "Risikopatienten" einzuschätzen, weil sehr häufig Nervenarzt https://doi.org/10.1007/s00115-020-01027-3 © Der/die Autor(en) 2020 Zusammenfassung Die Parkinson-Krankheit als chronische neurodegenerative Erkrankung bedarf eines engen Zusammenspiels verschiedener Fachdisziplinen, um eine bestmögliche Lebensqualität der Patienten zu gewährleisten. Ein immer wieder identifiziertes Problem ist die insuffiziente Kommunikation zwischen den Protagonisten (z. B. "caregiver", Ärzte und Therapeuten), insbesondere an den Sektorengrenzen. Die aktuellen Prozessund Versorgungsketten der Parkinson-Krankheit bilden aber auch aufgrund struktureller Hürden bisher keine gelungene sektorenübergreifende Versorgung ab. Vor dem Hintergrund des neuen Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) und den damit erstmalig rückfinanzierten, digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) können sich nun erstmals innovative, digitale Versorgungs-und Kommunikationsstrukturen etablieren und haben das Potenzial, damit die Versorgung chronischer Erkrankungen, wie z. B. der Parkinson-Krankheit, umfassend zu verändern. Beispiele und Anwendungsszenarien werden in diesem Übersichtsartikel vorgestellt sowie kritisch diskutiert. Telemedizin · Netzwerke · Digitale Medizin · Integrierte Versorgung · Digitale Gesundheitsanwendung As a chronic neurodegenerative disease, Parkinson's disease requires a close cooperation between different specialist disciplines in order to ensure the best possible quality of life for patients. A problem that has been identified is the inadequate communication between the protagonists (e.g. caregivers, physicians and therapists), especially at the sectoral interfaces. Due to structural hurdles, the current process and supply chains for Parkinson's disease do not reflect successful cross-sectoral care. Against the background of the new Digital Care Act in Germany that refunds patient-centered digital healthcare applications (DiGA), innovative, digital care and communication structures can now be established and thus comprehensively revolutionize the care of chronic diseases, such as Parkinson's disease. In this review examples and case application scenarios are presented and critically discussed. Telemedicine · Networks · Digital health · Integrated care · Digital health application mehr als drei Arzneimittel verordnet werden, Complianceprobleme auftreten und in der Regel interaktions-oder nebenwirkungsträchtige Arzneimittel eingenommen werden [15, 23] . Andere Daten belegen jedoch, dass die Medikation insbesondere beim Übergang zwischen ambulanter und stationärer Therapie gewollt oder ungewollt verändert wird. Dies kann zum Teil erhebliche Ausmaße annehmen. So wurden nach diesen Daten nicht nur etwa ein Drittel der ambulant verordneten Medikamente abgesetzt, sondern andererseits nach Entlassung nur gut 60 % der stationär verordneten Medikamente weiterge-führt [2, 14] . Jedoch auch durch Fehler in der Informationskette am Übergang der Versorgungssektoren kommt es häufig zu akzidentellen Veränderungen in der medikamentösen Versorgung. Insgesamt ist es naheliegend, dass Schnittstellenprobleme insbesondere bezüglich der medikamentösen Therapie zu erheblichen medizinischen und gesundheitsökonomischen Konsequenzen führen [7, 20, 26] . Hierdurch kommt es alarmierend häufig zu einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der Betroffenen und konsekutiv zu erneuten Krankenhausaufnahmen [29] . Neben der allgemeinen Onlinevideosprechstunde wird in Deutschland die ambulante videounterstützte Therapie von Parkinson-Patienten zwar noch nicht im Rahmen der Regelversorgung, aber in Selektivverträgen mit den Krankenkassen ( § 140 a SGB V -integrierte Versorgung) unterstützt [11, 28] , wobei einige Verträge mit den Kostenträgern aktuell nicht weiter verlängert wurden. Die wissenschaftliche Evaluation dieses Angebotes ist bisher leider nur gering, obwohl die Anwendung in der klinischen Erfahrung durchaus positiv zu werten ist [22] . Ähnliche videobasierte Telemedizinkonzepte werden in Deutschland auch vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege unterstützt: "Telemedizinische Live-Betreuung von Parkinson-Patienten" (www.stmgp.bayern. de/telemedizin/telemedizinische-livebetreuung-von-parkinsonpatienten-inder-haeuslichen-umgebung-durch-bi laterale-livestream-video-beobachtung). Die Idee, aus dem häuslichen Bereich bzw. Alltag des Patienten Videoaufnahmen zu nutzen, um die vornehmlich motorischen Einschränkungen zu erfassen und dem Arzt zu visualisieren, ist mit dem Einzug der tragbaren Kameras und Smartphones entstanden [13] . In Schweden werden videobasierte Home-Monitoring-Konzepte zur Überwachung der kontinuierlichen dopaminergen Therapie mittels Pumpenapplikationen evaluiert [33] . Auch die Kombination von Videoanalyse und tragbaren Sensoren stellt eine interessante Entwicklung zur kontinuierlichen häuslichen Betreuung der Parkinson-Patienten dar [27] . Ein ähnliches telemedizinisches Versorgungskonzept spezifiziert auf die Behandlung von Parkinson-Patienten an der Universität Rochester, USA konnte zeigen, dass die Versorgung der Patienten ähnlich gut ist wie der Ambulanzbesuch beim Neurologen [20, 21] . Durch das DVG unterstützt, werden sich diverse patientenzentrierte Technologieentwicklungen vom Prototyp zu DiGAs und ähnlichen Gesundheitsanwendungen weiterentwickeln. Mobile und tragbare Sensoren werden in Smartphone-basierte Anwendungen integriert werden und den Nachweis des gesetzlich geforderten "positiven Versorgungseffektes" anstreben. Diese "wearables"also tragbare Sensordiagnosesystemewurden innerhalb der letzten Jahre zunehmend erforscht und finden schon schrittweise Anwendung bei Parkinson-Patienten [8, 16, 17, 24] . In einem Versorgungskonzept liefern diese Sensoren neue objektive Parameter der unterschiedlichen Symptomausprägungen [12] und werden speziell die häusliche Versorgung unterstützen [25] . Die sensorbasierten, mobilen Systeme werden derzeit noch hauptsächlich in klinischen Studien als objektive Zielparameter verwendet [5] , haben jedoch auch das Potenzial, in der klinischen Versorgung die Behandlung zu verändern. Durch die Tragbarkeit lassen sich insbesondere Home-Monitoring-Anwendungen verwirklichen, die sowohl in der Behandlung als auch in klinischen Studien als sog. "real life targets/outcomes" zunehmend Verwendung finden. Eine nutzenorientierte, einheitliche Darstellung der relevanten Parameter muss dann für den Patienten und seine Angehörigen verständlich aufbereitet und dargestellt werden. Bei klinischen Studien können diese sensorbasierten Parameter direkt als Zielvariablen genutzt werden, während sich diese Parameter jedoch inhaltlich in das Management der weiteren patientenspezifischen und krankheitsrelevanten Informationen (wie Symptome, Diagnosen, Therapieformen, Wirkung und Nebenwirkung, Monitoringoptionen oder Pflegenotwendigkeiten) für die tägliche Versorgung noch konkreter eingliedern müssen. Dieses "Precisionmedicine"-Konzept funktioniert dann, wenn die entsprechenden Informationen jederzeit abrufbar sind und allen beteiligten Akteuren (Arzt, Therapeut, Patient, Angehöriger, Apotheker, Krankenkasse etc.) in geeigneter (und regulierter) Form zur Verfügung stehen. Als Beispiel für die Zielsymptome beim Parkinson-Syndrom, die durch Sensoren erfasst werden können, sind insbesondere die Gangstörungen zu nennen. Sie limitieren die Lebensqualität und Mobilität des Patienten, sind Ziel diverser medikamentöser und nichtmedikamentöser Therapieansätze und bestimmen im Krankheitsverlauf durch die damit verbundenen Komplikationen (Freezing, Stürze, Verlust der Gehfähigkeit) einen erheblichen Anteil der Komorbiditäten und Gesundheitskosten. Die Versorgungsforschung zur Überprüfung, ob diese neuen Technologien tatsächlich auch einen Mehrwert in der Behandlung erzielen können, wird die nächsten Jahre unter dem Stichwort "digital health" beherrschen und die telemedizinische Versorgung von Parkinson-Patienten zunehmend unterstützen. Hierbei geht es vor allem um einen Transfer von Digital-health-Anwendungen in den Versorgungsalltag. Dadurch wird sich auch die Art und Weise, wie die Gesundheitsversorgung in Deutschland umgesetzt wird, erheblich verändern. Allem voran wird sich jedoch die Rolle aller Gesundheitsdienstleister in der Kommunikation untereinander, aber auch mit dem Patienten als operativer Teil des Behandlungsteams ganz im Sinne integrierter Versorgungskonzepte in der nahen Zukunft rapide wandeln. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ licenses/by/4.0/deed.de. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie Difficulties in the transfer of drug therapy from inpatient to ambulatory treatment Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz -DVG). Bundesgesetzblatt Teil 1 Nr. 49 vom 18. Dez Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur Videosprechstunde gemäß § 291g Absatz 4 SGB V -Anlage 31 -Vereinbarung über telemedizinische Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung im Zusammenhang mit § 87 Abs. 2a Satz 7 SGB V zum Bundesmantelvertrag -Ärzte Integration of technology-based outcome measures in clinical trials of Parkinson and other neurodegenerative diseases Das idiopathische Parkinson-Syndrom an der Grenze von ambulanter zu stationärer Versorgung Adverse drug events as a cause of hospital admission in the elderly Teleneurologyandmobiletechnologies: thefuture of neurological care Patientcentered integrated healthcare improves quality of life in Parkinson's disease patients: a randomized controlled trial Roth-Sackenheim C (Hrsg) Innovative Konzepte im Versorgungsmanagement von ZNS-Patienten Technology in Parkinson's disease: challenges and opportunities Evaluating Parkinson's disease patients at home: utility of self-videotaping for objective motor, dyskinesia, and ON-OFF assessments What happens to long-term medication when general practice patients are referred to hospital? Safety and tolerability of pharmacotherapies for Parkinson's disease in geriatric patients Sensor-basierte Ganganalyse beim Parkinson Syndrom Guest editorial: Enabling technologies for Parkinson's disease management Management of Parkinson's disease 20 years from now: towards digital health pathways Integrated care: meaning, logic, applications, and implications-a discussion paper Virtual visits for Parkinson disease: a multicenter noncontrolled cohort Patient and physician perceptions of virtual visits for Parkinson's disease: a qualitative study Evaluation of a telemedical care programme for patients with Parkinson's disease Pharmacotherapy of Parkinson's disease: aspects of drug safety The promise of telemedicine for chronic neurological disorders: the example of Parkinson's disease Large-scale wearable sensor deployment in Parkinson's patients: the Parkinson@Home study protocol Drug-related problems in emergency department patients Identifying balance impairments in people with Parkinson's disease using video and wearable sensors Integrierte Versorgung des Morbus Parkinson Seamless Care-Arzneimittelversorgung ohne Lücken Epidemiology of Parkinson's disease and current concepts of outpatient care in Germany Effectiveness of multidisciplinary care for Parkinson's disease: a randomized, controlled trial Integrated multidisciplinary care in Parkinson's disease: a non-randomised, controlled trial (IMPACT) Initiation oflevodopa-carbidopaintestinalgelinfusionusing telemedicine (video communication system) facilitates efficient and well-accepted home titration in patients with advanced Parkinson's disease