key: cord-0052232-ujgj9bhd authors: Bank, André; Kurtenbach, Sabine title: Covid-19 als Chance für den Frieden?: Ernüchternde Erfahrungen aus Kolumbien und Syrien date: 2020-11-03 journal: Z Friedens und Konflforsch DOI: 10.1007/s42597-020-00044-y sha: cc8e650386f32d99e01d094405fdbb3906731ddf doc_id: 52232 cord_uid: ujgj9bhd Given the threat of the COVID-19 pandemic, UN General Secretary Guterres called for ceasefires around the globe in late March 2020. Even though this initiative was welcomed by 171 governments, not even a short-term violence reduction has happened in central conflict areas. This contribution examines the effects of the Corona pandemic in two regionally and globally significant conflict countries, Colombia with its fragile pacification and Syria with its militarily almost decided war. The article asks how the Corona crisis influences the dynamics of violence and peace after respectively at the end of civil wars. Colombia is a prominent example of a comprehensive peace agreement in complex conflicts. Nonetheless, the short-term, peace-related trend in times of the pandemic is ambivalent at best: While the absolute number of murders has declined, it is human right defenders and demobilized ex-combatants who remain the main victims of violence - and the number of massacres has increased again. The still-active guerilla Ejército de Liberación Nacional (ELN) initially called for a one-sided truce, yet ended again in late April. In Syria, the consequences of the pandemic on the conflict dynamic have ranged from contradictory to negative: In the last rebel stronghold Idlib COVID-19 directly contributed to the months-long stabilization of the Russian-Turkish truce from March 2020. In Northeastern Syria, which is partly controlled by Turkey and partly by the Kurdish-dominated Syrian Democratic Forces (SDF), the humanitarian situation has clearly worsened since the beginning of the pandemic. The Assad regime does not allow international aid to pass through to the opposition territory. Despite diverse differences between Colombia and Syria, one crucial similarity is that the respective governments instrumentalize the crisis on the ground for the often violent consolidation of the political agenda. In the bigger picture, the experience from the two countries suggests that COVID-19 works locally less as a “game-changer”, but rather as intensifier or accelerator of pre-pandemic dynamics. Die Covid-19-Pandemie betrifft alle Länder rund um den Globus. Staaten und Gesellschaften stehen nicht nur medizinischen und gesundheitsbezogenen Herausforderungen gegenüber, sondern müssen sich zugleich mit den gravierenden ökonomischen und politischen Konsequenzen der Pandemie auseinandersetzen. In Bürgerkriegsund Nachkriegsländern besteht außerdem die Gefahr, dass die Pandemie innergesellschaftliche Konflikte verschärfen, zu neuerlicher Gewalt beitragen und somit noch mehr Menschenleben kosten könnte. Vor diesem Hintergrund rief António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), am 23. März und 6. April 2020 eindringlich dazu auf, angesichts der Bedrohung durch Covid-19 in Gewaltkonflikten weltweit die Waffen ruhen zu lassen (UN 2020a) . Seine Initiative eines globalen Waffenstillstands wurde bis Ende Juni 2020 von 171 Regierungen unterstützt. Es dauerte jedoch über drei Monate, bis der UN-Sicherheitsrat am 1. Juli 2020 die Resolution 2532 verabschiedete, die dafür plädiert, dass zumindest für 90 Tage alle Konfliktakteure eine humanitäre Pause der Kämpfe einhalten sollen (UN 2020b) . Die Appelle des UN-Generalsekretärs sowie die Resolution 2532 verweisen auf die möglichen negativen Auswirkungen von Covid-19 auf Frieden und Sicherheit. Empirisch bleibt bis dato jedoch offen, ob die mit der Ausbreitung des Virus verbundenen Krisen vor Ort tatsächlich die Gewalt anheizen, ob sie unter spezifischen Umständen gar einer Befriedung dienlich sind oder ob sie keinen oder nur sehr begrenzt Einfluss auf die jeweilige Konfliktdynamik haben. Der vorliegende Beitrag analysiert den kurzfristigen Einfluss der Corona-Krise vergleichend in zwei dieser "gefährlichen" Kontexte: Kolumbien als ein Beispiel fragiler Befriedung sowie Syrien als ein Fall eines militärisch fast entschiedenen Krieges. Trotz grundlegender Unterschiede hinsichtlich Gewaltakteuren, -dynamik und -ökonomie teilen Kolumbien und Syrien die Erfahrung langjähriger, extrem gewaltsamer Bürgerkriege mit großen subnationalen Unterschieden sowie die grenzüberschreitende Bedeutung der Konflikte für ihre jeweiligen Regionen Lateinamerika bzw. den Nahen Osten. Syrien war eines der ersten Länder, die Guterres in seinem globalen Appell nannte. Dies verwundert nicht, ist es doch das Land mit dem brutalsten Bürgerkrieg des 21. Jahrhunderts: Für März 2020, neun Jahre nach Beginn des Gewaltkonflikts, zählte die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte zwischen 384.000 und 586.100 Todesopfer (SOHR 2020). Die Zahl der Verletzten ist noch höher und über elf Millionen SyrerInnen sind entweder intern vertrieben oder ins Ausland geflohen. In jüngerer Zeit zeichnet sich in Syrien ein militärischer "Siegfrieden" ab, seit das diktatorische Die Covid-19-Pandemie ist zwar ein globales Phänomen, ihre Folgen sind allerdings sehr unterschiedlich. In armen, fragilen und gewaltgeprägten Ländern werden große Verwerfungen erwartet, weil die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Quarantäne und sozialer Distanzierung das (Über-)Leben großer Bevölkerungsgruppen gefährden. Vor diesem Hintergrund warnen viele Berichte vor einer einsetzenden Welle neuer oder der Verschärfung bestehender Gewaltkonflikte (IEP 2020). Einen anderen Ansatz verfolgt -wie eingangs erwähnt -UN-Generalsekretär Guterres, der mit seinem Plädoyer für einen zumindest temporären Waffenstillstand staatlicher wie nichtstaatlicher Gewaltakteure in Konfliktländern rund um den Globus nicht nur eine effektivere Bekämpfung von Covid-19 ermöglichen möchte. Vielmehr, so die Hoffnung, könnten sich durch Kooperation gegen Covid-19 eine Annäherung der GegnerInnen und im Idealfall auch neue Räume für diplomatische Initiativen der Konfliktbearbeitung jenseits der Pandemiebekämpfung ergeben. Theoretisch lassen sich die Auswirkungen von Pandemien auf Gewalt oder Frieden unter zwei Perspektiven analysieren: Erstens lassen sich Pandemien als Chance für verstärkte Kooperation betrachten, die zu einem Rückgang von Gewalt und zu mehr Frieden beitragen können. Dieser Ansatz geht davon aus, dass die eher technische Kooperation zur Bewältigung einer gemeinsamen Bedrohung Vertrauen schafft. Auf dieser Basis können dann kontroversere politische Probleme leichter angegangen werden. In einer Studie zur Kooperation zwischen Israel, Jordanien und der palästinensischen Autonomiebehörde während der Vogelgrippe 2006 zeigt William J. Long (2011) allerdings, dass die Zusammenarbeit nur sehr punktuell war und es zu einem schnellen "Rückfall" in altbekannte Konfliktmuster kam. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) propagiert mit ihrem Programm Health as a Bridge to Peace einen ähnlichen Ansatz auf der lokalen Ebene. Im Kontext von Naturkatastrophen gibt es eine vergleichbare Diskussion, aber auch hier ist die empirische Evidenz des positiven Zusammenhangs von externem Schock und Frieden lediglich begrenzt: Im häufig genannten Beispiel Aceh/Indonesien befand sich der Friedensprozess bereits vor dem Tsunami Ende Dezember 2004 in Vorbereitung; die Katastrophe beschleunigte die Finalisierung des Friedensvertrags also bestenfalls (Gaillard et al. 2008) . Die Auswirkungen von externen Schocks, seien es Pandemien oder Naturkatastrophen, sind folglich ambivalent und in hohem Maße kontextabhängig. Eine zweite Perspektive ergibt sich mit Blick auf die Exekutive, der auf unterschiedlichen Ebenen (national, subnational, lokal) in Krisenzeiten eine besondere Rolle zukommt. Die etwa von der WHO empfohlenen Maßnahmen der sozialen Distanzierung, Lockdown und Quarantäne schränken grundlegende individuelle und kollektive Rechte ein. Die Durchsetzung dieser Freiheitsbeschränkungen ruft deshalb nicht selten neue Konflikte und Proteste hervor. Das Datenprojekt ACLED dokumentiert für die vier Monate zwischen der Erklärung von Covid-19 zur Pandemie durch die WHO am 11. März und dem 11. Juli 2020, wie sich unterschiedliche Formen der Gewalt im Kontext der Pandemie verändert haben. Dem in globaler Betrachtung leichten Rückgang politischer Gewalt stehen sehr vielfältige Entwicklungen in den Regionen und bei verschiedenen Formen der Gewalt gegenüber (Pavlik 2020) . Gelungenes oder gescheitertes Krisenmanagement in Zeiten von Pandemien kann die Zustimmung zur jeweiligen Regierung entweder erhöhen oder aber ins Bodenlose sinken lassen (Tsai et al. 2020 Welcher Einfluss kommt der Covid-19-Pandemie angesichts des mehrmonatigen Fortbestehens des russisch-türkischen Waffenstillstands in Idlib zu? Die kurze Antwort lautet: Ein begrenzter und höchstens indirekter Einfluss. Für Russland unter Putin wie für die Türkei unter Erdogan waren bei der Initiierung wie bei der Aufrechterhaltung der bilateralen Waffenruhe primär geostrategisch-sicherheitspolitische und ökonomische, jedoch keine direkt Pandemie-bezogenen Erwägungen maßgeblich (Bank 2020) . Soweit es nicht zu massiven anti-russischen Operationen durch die radikal-islamistische, jihadistische Rebellenorganisation HTS ("Hai'at Tahrir ash-Sham", Komitee zur Befreiung Großsyriens), die auf der lokalen Ebene in Idlib herrscht, oder einem noch umfassenderen Truppenausbau der Türkei in dem Gebiet kommt, ist Russland wenig an einer größeren Gewalteskalation in Idlib gelegen. Die Türkei hat ihrerseits ebenfalls ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Waffenruhe vom 5. März. Aus Ankaras Sicht verringert sie den Druck der Binnenflüchtlinge, die zuvor angesichts der heftigen Bombardements immer wieder auf der Flucht in Richtung türkische Grenze waren. Innerhalb Idlibs konnte die Türkei zudem ihre militärischen Positionen nach dem Ende der Kämpfe weiter ausbauen. Während Covid-19 in den ersten Monaten weder für Russland noch für die Türkei einen nennenswerten Einfluss auf die jeweiligen Syrien-Strategien sowie, spezifischer, den Waffenstillstand in Idlib zu haben schien, so könnte sich dies zukünftig ändern. Maßgeblich hierfür wäre erstens ein massiver Ausbruch der Pandemie in Syrien selbst, der auch türkische und russische Truppen im Nordwesten gefährden könnte. Offiziell wurde Anfang Juli 2020 der erste Covid-19-Fall in Idlib festgestellt. Angesichts der sehr unsicheren Datenlage zu Nordwestsyrien, die vom fehlenden Zugang von monitoring-Organisationen wie den UN und NGOs erschwert wird, liegen lediglich Einzelinformationen von Hilfsorganisationen vor, die von einer raschen Ausbreitung der Pandemie beim Gesundheitspersonal seit Juli 2020 berichten (Ärzte ohne Grenzen 2020) bzw. unterstreichen, dass es bis Mitte Juli lediglich 10.000 Tests für Gesamtsyrien gegeben haben soll. Zweitens dürfte sich in naher Zukunft deutlicher bemerkbar machen, dass die Pandemie "zu Hause" in Russland und der Türkei so massiv negative gesundheitsbezogene wie ökonomische Auswirkungen hat, dass die jeweiligen außen-und sicherheitspolitischen Gestaltungsspielräume in Syrien klarer eingeschränkt wären. Angesichts ihrer langen Gewaltgeschichte werden Syrien als Kriegsland sowie Kolumbien als Nachkriegsland bis heute von einer Vielzahl staatlicher wie nichtstaatlicher Gewaltakteure dominiert. In beiden Ländern stellen dabei die staatlichen Sicherheitskräfte einflussreiche, aber nicht notwendigerweise immer die mächtigsten und angesichts massivster staatlicher Menschenrechtsverletzungen schon gar nicht immer die legitimsten Gewaltakteure dar. Eng mit der Vielfalt von Gewaltakteuren verbunden ist die fortbestehende Fragmentierung der Territorialkontrolle in Syrien und Kolumbien; in beiden Ländern kommt hierbei sogenannten peripheren Gebieten jenseits der jeweiligen Hauptstädte eine zentrale Bedeutung zu. In Syrien stellt der Nordosten neben der nordwestlichen Region Idlib das zweite, subnational und lokal umkämpfte Gebiet des Landes dar. Traditionell lebten in der Region östlich des Euphrat-Flusses vornehmlich arabische und kurdische Großfamilien, oft mit grenzüberschreitenden Verbindungen in den Irak und die Türkei. In der Anfangsphase des Syrienkriegs 2012 gelang es insbesondere den kurdischen Volksverteidigungseinheiten ("Yekîneyên Parastina Gel", YPG) ein größeres Territorium infolge des Rückzugs der Regimekräfte militärisch unter Kontrolle bringen. Dieses von den syrischen KurdInnen als "Rojava" (Westkurdistan) bezeichnete Gebiet war seither Angriffen höchst unterschiedlicher innersyrischer, nahöstlicher wie außerregionaler Gewaltakteure ausgesetzt: Die Anti-Regime-Rebellen der primär aus K desertierten syrischen Soldaten bestehenden, von der Türkei unterstützten "Freien Syrischen Armee" (FSA) kämpften dabei gegen die YPG um Gebiete im Umland Aleppos. Der radikal-islamistische Islamische Staat (IS) trat seit 2013 aus Westirak kommend massiv im Osten Syriens auf; er kontrollierte zeitweise einen Großteil Nordostsyriens und diverse Gebiete darüber hinaus. Unterstützt durch die internationale Allianz gegen den IS, in der den USA eine herausgehobene Bedeutung zukam, bekämpften die YPG und die ethnisch-religiös pluralistischeren SDF ("Syrian Democratic Forces") sehr verlustreich, aber letztlich erfolgreich den IS. Des Weiteren intervenierte das anti-kurdisch ausgerichtete türkische Militär mehrfach in der Region östlich des Euphrats, zusätzlich auch syrische Regimekräfte, Russland und mit Iran verbundene Milizen. Die Ankündigung von US-Präsident Trump vom 7. Oktober 2019, dass sich die US-Truppen komplett aus Syrien zurückziehen würden, ermöglichte eine neuerliche Invasion des türkischen Militärs in Nordostsyrien. Ankaras Bodentruppen vertrieben die kurdischen YPG, die seit dem Kampf gegen den IS unter der Protektion der US-Truppen in Syrien gestanden hatte. Als Washington verkündete, dass es doch ein Kontingent von ungefähr 400 US-SoldatInnen in Syrien belassen würde, kam Russland mit der Türkei Ende Oktober 2019 überein, eine circa 100 km lange "Sicherheitszone" an der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Das syrische Regime entsandte Truppen und auch von Iran unterstützten Fatemiyoun-und Zaynabiyoun-Brigaden operieren im syrisch-irakischen Grenzland. Zusammen genommen entwickelte sich so eine komplexe Form der fragmentierten Territorialkontrolle zwischen der kurdischen YPG, den kurdisch dominierten SDF, Teheran-alliierten Milizen, der syrischen Armee sowie den Truppen Russland, der Türkei und den USA. Für die Zivilbevölkerung war und ist in diesem Kontext die überlebenswichtige Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten eine immense Herausforderung. Mit der Schließung des wichtigen syrisch-irakischen Grenzpostens Yarubiyah im Januar 2020 durch Russland wurde die Zivilbevölkerung von den wenigen humanitären Hilfslieferungen der UN abgeschnitten und ihre Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten fast vollständig in die Hände des Assad-Regimes gelegt. Gerade im Kontext der beginnenden Covid-19-Pandemie mit den strikteren Grenzschließungen und selektiven Ausgangssperren seit dem Frühjahr 2020 gab dies dem syrischen Regime einen wichtigen Hebel, vermeintliche Loyalität der Menschen im Nordostsyrien via Hilfslieferungen zu honorieren und oder aber vermeintliche Illoyalität durch die Nichtweiterleitung lebensnotwendiger Güter zu bestrafen. Diese Lage wurde durch die Resolution 2533 des UN-Sicherheitsrats vom 11. Juli 2020 nochmals bestätigt, da der Grenzübergang Yarubiyah für internationale Hilfslieferungen für mindestens zwölf Monate geschlossen bleibt (UN 2020c). Im Spätsommer 2020 gab es im gesamten Nordosten Syriens ein Spezialkrankenhaus für Covid-19, das in der Nähe der Stadt Hassakeh liegt, gleichzeitig jedoch steigende Infektionszahlen, unter anderen in Hassakeh und Qamishli (Ärzte ohne Grenzen 2020). Vor diesem Hintergrund lässt sich festhalten, dass die fragmentierte Territorialkontrolle multipler Gewaltakteure bereits vor 2020 die Situation für die Zivilbevölkerung vor Ort massiv erschwert hat. Der Ausbruch von Covid-19 in Syriens Nordosten seit Anfang 2020 hat diese Tendenz noch weiter verschärft. In Kolumbien sind es nicht externe Akteure, sondern interne bzw. teilweise transnationale Gruppen, die das Gewaltgeschehen im Kontext der Umsetzung des Friedensabkommens und der Covid-19-Pandemie bestimmen. Da sich die Guerillagruppen seit den 1980er Jahren in hohem Maß über die illegale Ökonomie von Drogenproduktion und Drogenhandel finanzieren, ist die Unterscheidung zwischen politischen und kriminellen Akteuren unscharf und oft selbst in hohem Maße politisch (Duncan 2014) . Bei den GegnerInnen des Friedensprozesses dominiert der Diskurs, die FARC-EP seien "Narco-Terroristen", denen keine Zugeständnisse wie die im Friedensvertrag vereinbarte gesicherte Teilnahme in Parlament und Senat gemacht werden dürften. Fakt ist, dass auch nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags 2016 die Gewalt vor allem in den abgelegenen, ländlichen Teilen des Landes weiterging. Die staatlichen Sicherheitskräfte haben sich als unfähig, teilweise auch als unwillig erwiesen, in den peripheren Regionen präsent zu sein, die von den FARC-EP im Zuge des Demobilisierungsprozesses verlassen wurden. Die Erfahrung mit den Waffenstillständen zeigt dies deutlich, offenbart jedoch auch interessante Unterschiede zwischen Kolumbien und Syrien: In Kolumbien sprach sich die ELN-Guerillagruppe aus einer Position der Schwäche heraus und mit Verweis auf UN-Generalsekretär Guterres zwar anfänglich für eine einseitige Waffenruhe im Zeichen der Pandemie aus, dieses "Angebot" wurde jedoch von der Regierung Duque rundum abgelehnt, weil übergreifende Macht-und Sicherheitsinteressen der Staatsführung dominieren. Eine Annäherung oder gar Gespräche sind unter der Regierung Duque nicht zu erwarten. Auch in Syrien ist ein umfassender, gar landesweiter Waffenstillstand angesichts des sich abzeichnenden, brutalen "Siegfriedens" zugunsten des Regimes und seiner externen Verbündeten denkbar unwahrscheinlich. Subnational ist es in der Region Idlib Anfang März 2020 jedoch zu einer fragilen Waffenruhe gekommen, die bis dato weithin fortbesteht. Anders als in Kolumbien sind es mit Russland und der Türkei in Syrien zwei externe Akteure, die als Garantiemächte der Waffenruhe fungieren. Covid-19 hat in diesem Zusammenhang eher begrenzt und indirekt für die Waffenruhe förderlich gewirkt. Bei der Betrachtung der fragmentierten Territorialkontrolle und der Rolle (nicht-)staatlicher Gewaltakteure in Syrien und Kolumbien hat Covid-19 die vor Ausbruch der Pandemie bestehenden Trends eher verschärft und somit erneute, lokale Eskalationen der Gewalt wahrscheinlicher gemacht. In Syriens Nordosten bestehen eine Vielzahl staatlicher wie nichtstaatlicher, syrischer wie nahöstlicher und außerregionaler Gewaltakteure. Hier hat sich die humanitäre Lage seit Beginn des Ausbruchs von Covid-19 deutlich verschlechtert, da die für die Versorgung der Region mit Lebensmitteln und Medikamenten notwendigen Grenzübergänge geschlossen sind und das hiervon profitierende Assad-Regime die internationalen Güter nicht in das verfeindete, stark kurdisch bzw. türkisch dominierte Gebiet weiterleitet. In Kolumbien bedeutet der Ausbruch der Pandemie, dass die Gewalt gegen die MenschenrechtsverteidigerInnen sichtbarer wird. Die vielfältigen, nichtstaatlichen Gewaltakteure, die im Drogenanbau und Drogenhandel ihre Haupteinnahmequellen haben, sind in Zeiten der Pandemie gezwungen, ihre illegalen ökonomischen Strategien anzupassen. Sie haben ihre soziale und territoriale Kontrolle mit negativen Konsequenzen für den Friedensprozess gestärkt. Die Regierung nutzt die Priorisierung der Pandemiekontrolle außerdem dazu, die Umsetzung des Friedensvertrages weiter zu unterminieren. Allgemein gesprochen zeigen die bisherigen Erfahrungen aus Kolumbien und Syrien, dass Covid-19 vor Ort kurzfristig weniger als "game changer" denn als Verstärker und Beschleuniger von Dynamiken wirkt, die bereits vor Ausbruch der Pandemie bestanden hatten. Funding Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL. Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. 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Bogotá: Instituto de estudios para el desarrollo y la paz Prospects for Lasting Peace Pandemics and peace. Public health cooperation in zones of conflict Situación A Nuevo Coronavirus A great and sudden change: the global political violence landscape before and after the COVID-19 pandemic. Armed Conflict Location and Event Data (ACLED) Syrian Revolution Nine Years On: 586,100 Killed and Millions of Syrians Displaced and Injured. Syrian Observatory of Human Rights. 15. März 2020 Reconciliation agreements as strangle contracts: ramifications for property and citizenship rights in the Syrian civil war Syrian Ministry of Health Building credibility and cooperation in lowtrust settings: persuasion and source accountability in Liberia during the 2014-2015 Ebola crisis COVID-19: UN Chief Calls for Global Ceasefire to Focus on 'the True Fight of Our Lives Zugegriffen: 17. Sept. 2020. UN. 2020c Covid-19 and drug supply chain. Research Brief. Vienna Report of the secretary-general Ávila Martínez, Ariel. 2019. Detrás de la Guerra en Colombia André Bank Senior Research Fellow