key: cord-0052113-a3qxt9q3 authors: Scholik, Nikolaus title: Der richtige Weg. Eine EU nach dem Vorbild Jean Monnets date: 2020-10-29 journal: Z Außen Sicherheitspolit DOI: 10.1007/s12399-020-00816-7 sha: e2b124137e93d12b023d3fe16592936339c47a50 doc_id: 52113 cord_uid: a3qxt9q3 The article discusses the current crisis of the evolution of the European Union. The ongoing delaying tactics cannot and will not bring a solution. Is the Union still salvageable in Monnet’s sense? Or to put it the other way around: what would be the consequences of regressing to a purely economic union? This article analyzes the challenges and opportunities of an alternative path that, in keeping with Monnet’s correct insight, seemed indispensable many decades ago: more of a federal state than a confederation of states. Abb. 1 Das Europa von Jean Monnet: Die Vereinigten Staaten von Europa auf Basis der EU-27. (Quelle: eigene Darstellung; Karte mod. nach Maix 2007) sicherheitspolitischen Positionierung der europäischen Staaten (Gemeinschaft?) ist eine lange, unerfreuliche und immer dringlicher werdende. Schon die Gründerväter der Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) haben anlässlich der Vision einer europäischen Einigung -nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern konsequenter Weise auch auf der politischen und sicherheitspolitischen Ebene -das Wort geredet, dafür geworben, die Grundlagen geschaffen. Jean Monnet, der Franzose (!), war Zeit seines Lebens ein glühender Verfechter eines geeinten, politischen undzwischen den Blöcken -eigenständigen Europas. Alle diese Träume, Strukturen, Wünsche, ja Notwendigkeiten sind dem Zug der Zeit, der Schwäche der politischen Führungen in den Nationalstaaten und der Gleichgültigkeit der europäischen Völker zum Opfer gefallen und müssen heute, notwendiger denn je, als de facto undurchführbar beurteilt werden. Menzel und Münkler verfolgen verschiedene Ansätze, haben unterschiedliche Empfehlungen für die Realisierung der europäischen Sicherheit bzw. der Sicherheit der EU in der neuen geopolitischen Lage. Sie sind sich -man kann durchaus meinen, es war nicht anders zu erwarten -in der grundsätzlichen Analyse und der historisch-ent-K wicklungsmäßigen Ausgangslage und Entwicklung einig. Ebenso findet man kaum Trennendes hinsichtlich der Fortsetzung nach dem Zweiten Weltkrieg bis in den Zeitraum der Implosion der Sowjetunion, den des Endes des Kalten Krieges. Während dann Menzel für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre fünf erwartbare Szenarien (mit einem Schwerpunkt im Einbezug der Rolle Chinas) analysiert und letzten Endes als wahrscheinlichstes sein Szenario fünf "Mit den USA nach Trump -der beste Fall unter vielen schlechten" (Menzel 2019) propagiert und als das glimpflichste bezeichnet, ändert Münkler schon rasch Analyse und dann natürlich Ansatzvorschläge in Hinblick auf eine euro-asiatische, kontinentalere Sicht unter dem Titel "Europas Wahl zwischen Wertebindung und Geopolitik" (Münkler 2019) . Er legt Wert auf die Feststellung, dass "keine europäische Geopolitik ohne strategisches Zentrum" (Münkler 2019) möglich wäre und hier die Gegensätze zwischen Deutschland und Frankreich historisch und realpolitisch sowohl bei Beurteilung der Vergangenheit als auch der zukünftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen sehr, es scheint unüberbrückbar unterschiedlich wären. Seiner Ansicht nach muss zwischen "einem Primat der Wertebindung und einem Primat der geopolitischen Konstellation" (Münkler 2019) entschieden werden. Und er macht auch kein Geheimnis daraus, dass hier Frankreich (seiner Ansicht nach besonders Präsident Emmanuel Macron) eine starke Einbindung Russlands im Sinne eines strategischen Partners "zu einem Bestandteil einer europäischen Sicherheitsordnung" (Münkler 2019) anstrebt, da ein genereller Konsens innerhalb der Union und insbesondere der mit Deutschland als äußerst schwierig erreichbar zu beurteilen wäre. The first lesson the student of international politics must learn and never forget is that the complexities of international affairs makes simple solutions and trustworthy prophecies impossible. (Morgenthau 1948, S. 6) Das strategische Dreieck -ein Beurteilungs-und Analyseinstrument, ursprünglich aus der Wirtschaftstheorie stammend (Dittmer 1981 ) -ist von Yuh-Feng Lee (2003) mit dem Beispiel des Dreiecksverhältnisses USA, Volksrepublik China (VRC) und Republik China (Taiwan) in die Politikwissenschaft überführt worden. Es ist auch auf die vorliegende Situation/Analyse sehr gut anwendbar. Der Dreieckstheorie nach kann die Achse durch geschicktes Variieren ihrer Positionen ein Gleichgewicht aufrechterhalten. Die Freundschaften der Achse mit den beiden (untereinander feindlichen) Flügeln (+) sind für den positiven Austausch (Werte/Güter) ebenso notwendig wie die negativen Beziehungen der Flügel (-) untereinander -sie halten die Flügel vom Abschluss einer gegen die Achse gerichteten Allianz ab, die das Dreieck massiv verändern würde. Die Achse wiederum kann mit den Beziehungen zu den Flügeln spielen, um zu versuchen, ihre eigene Position ständig zu verbessern. Sie muss aber ebenso die eigene Attraktivität für beide Flügel aufrechterhalten und dabei permanent die eigene militärische Überlegenheit im Auge haben. Dabei werden nun die Flügel-und Achsenpositionen verfeinert: Partner und Außenseiter treten auf den Plan. Soweit die Theorie dieses Modells. Für die vorliegende Betrachtung muss -mit einem Modell der Achsenmacht EU (Abb. 2) -militärische Macht/hard power zum Zwecke der Spielbarkeit durch Wirtschafts-und Wertemacht/soft power ersetzt werden, wobei Wirtschaftsmacht durchaus hard-und soft-orientiert auftreten kann. In der Kernlage entspricht nun der grundsätzliche Ansatz den realen Möglichkeiten, erlauben doch gerade das politische und dabei insbesondere das sicherheitspolitische Defizit der EU keinen anderen (hard power) Ansatz. Ein Grundverständnis des Power-Konzeptes (hard, soft und letztlich smart power) nach Joseph Nye (2004) kann und wird hier vorausgesetzt. Das ursprünglich duale Verhältnis von Staatsmacht im Hard Power-Bereich, allgemein als militärische Macht gesehen, zu kulturell-philosophischer soft power und deren Interdependenz ist heute durch einen dritten Begriff ergänzt worden: smart power, also die Summe aus hard und soft power, richtig eingesetzt. Damit ist es aber noch nicht getan. Das unerlässliche Einbeziehen der Peripherie -mehr der Fall bei Menzel, der ja direkt die Präsenz und die Machtauseinandersetzung USA-China anspricht, aber natürlich auch bei Münkler keineswegs negiert oder minder bewertet, allerdings weniger im direkten Fokus stehend -zeigt nun klar die Vervielfältigung der Herangehensweisen, Möglichkeiten und Unwägbarkeiten auf. Münklers (2019) duale Grundoption "mehr Westen oder mehr Osten wagen" oder Menzels fünfte Option, die seiner Ansicht nach realistischste, nämlich durch eine gestärkte Partnerschaft mit den USA den übermächtig-drohenden chinesischen globalen Einfluss einzudämmen -beide Möglichkeiten, und da herrscht hohe Übereinstimmung, lassen sich mit den derzeitigen politisch-sicherheitspolitischen (bedeutet militärischen) Schwächen der Union keinesfalls realisieren. Achsenpositionen im strategischen Dreieck lassen sich nicht ausschließlich als soft power definieren, geschweige denn realpolitisch verwerten. Münklers Forderung -ob mehr Westen oder Osten -nach einem strategischen Zentrum verlangt zwingend politische Einigkeit über ein dann K zu schaffendes europäisches, nicht nationales sicherheitspolitisch-militärisches Potenzial entsprechender Größe und Stärke, mit hoher Einsatzbereitschaft. Ohne diese Voraussetzungen bleibt der Wunsch, alleine auf soft power aufbauend ein global player zu sein, ein unerfüllbarer Traum. Auf welchen Grundlagen kann nun versucht werden, eine dritte Option anzustreben? Es sind primär drei Ebenen, deren interaktives Zusammenwirken hier betrachtet und untersucht werden muss: Politik, Sicherheitslage und die wirtschaftliche Basis. Zuvor ist jedoch ein kurzer Rückblick auf den nun über 70 Jahre andauernden Weg zu mehr europäischer Einigung im Korsett einer Union -mit welchem Ziel?unerlässlich. Europarat (1949) K Ein derartig epochales Vorhaben bedingt vor allem an der Spitze der führenden Staaten der Union -primär Deutschland und Frankreich, aber auch als aktive Mitspieler Benelux, Italien und die nordischen Staaten, vielleicht auch Österreich -Staatspersönlichkeiten, die in der Lage sein müssen, ihre Nationen von der unabänderlichen Notwendigkeit dieses Schritts zu überzeugen und ihr persönliches, politisches Schicksal daran festmachen. Es hat in der Vergangenheit solche Politiker gegeben -in vielen europäischen Nationen. Die heutige Konstellation zeigt eine vorsichtig-mögliche Option für Frankreich, allerdings eine eher ungünstige in Deutschland. Nur die gleiche, abgestimmte Vorgangsweise zweier Staatspersönlichkeiten gleichzeitig könnte hier etwas bewirken; dann würden sich sehr wahrscheinlich, wie schon erwähnt Benelux, Italien und Spanien vielleicht nicht sofort aber grundsätzlich schon, die nordischen Staaten sowie aus klar und primär sicherheitspolitischen Gründen Polen, vielleicht auch Österreich, anschließen und den Kern der VSE bilden. der Zukunft einfach nicht mehr als Exportweltmeister oder grande nation behaupten werden können. Die hier vorgestellte dritte Option erscheint illusorisch, als nicht realisierbar, unmöglich. Sie ist aber aus den vielen genannten Gründen ohne Alternative -es sei denn, die europäischen Nationalstaaten geben sich mit kleinen, unbedeutenden Nebenrollen auf der Weltbühne zufrieden. Andere werden dann die Regeln und Normen allein bestimmen, nach denen die Welt der Zukunft, der nahen, funktionieren wird. Dies ist umso bedeutender, als zuletzt ein zusätzlicher, globaler Faktor erwähnt werden muss, der in Bezug auf das Gewicht der Union in den kommenden Jahrzehnten von ganz außerordentlicher Bedeutung sein wird: Haltung, Gewicht und Bedeutung bei den unerlässlichen Maßnahmen der Menschheit in Bezug auf ihre Umwelt. Dieses komplexe Thema, das natürlich über die Lösungsfähigkeit durch einen oder einige Nationalstaaten, gleich welcher Größe, politischer, militärischer oder jedweder anderen Bedeutung weit hinausgeht, kann nicht mehr ohne gemeinsame, kooperative Zugänge der global player gelöst werden. Und bei diesen nicht dabei zu sein, hieße, dass wichtige Entscheidungen und Maßnahmen ohne entsprechende oder mit geringer Berücksichtigung der Europäer gefällt und umgesetzt würden. Das muss die Politik der Nationalstaaten und der EU den Europäern erklären -schonungslos und ehrlich. Die Schwierigkeiten dieses Motivationsvorhabens sind enorm. Es geht dabei vorrangig um das Vermitteln des notwendigen, vernetzten Ansatzes über alle Bereiche des (nationalen) staatlichen Handelns, ohne den die Umweltproblematik nicht gelöst werden kann. Das Schlüsselargument dabei ist, dass -unabhängig ob ein Staat/Staatenbund zustimmt oder nicht -ein gemeinsames Handeln unerlässlich ist. Dies überfordert klarer Weise viele Menschen und führt zu Ablehnung, Gleichgültigkeit, Verdrängen und genau dann ist eben der Staatspolitiker gefordert. Vor allem auf Grund der in Kapitel 7 genannten Herausforderungen benötigen die Europäer eine Struktur des gemeinsamen Handelns in den staatlichen Kernbereichen, keine EWG mit impotenten Kommissionen, Räten etc. Die Entscheidungsund Handlungsfähigkeit sind das Kernelement eines global players. Ein dritter Weg scheint die letzte Chance zu sein, rechtzeitig diese Struktur einzuführen. Da festgestellt wurde, dass de facto kein Weg an dieser Einigung vorbeiführt, will Europa nicht in zwei oder drei Dekaden eine unbedeutende Ansammlung mittlerer und kleiner Nationalstaaten sein, ohne Gewicht und Macht -jawohl, Bedeutung auf der Weltbühne wird nicht nur in soft-sondern auch in hard power gemessen -, dann muss mit der Umsetzung begonnen werden. Viele Fragen stehen offen. Kann Macron Frankreich in einer klugen Balance zwischen grande nation-Denken und der doch eher restriktiven Realität der französischen Wirtschaft mit einem zukünftigen deutschen Staatspolitiker diesen Prozess irreversibel aufstellen? Folgen andere Staaten diesem Weg? Ist die zukünftige amerikanische Präsidentschaft bereit, die Union als echten Partner zu akzeptieren? Geben uns andere global player mit eigenen, natürlich nicht immer entgegenkommenden Interessen genug Zeit, um unser System in Ordnung zu bringen? Es gibt viele Fragen und Visionen, kaum konkrete Antworten 4 . Das berühmte Zitat von Nelson Mandela "Die Dinge scheinen immer unmöglich, bis sie getan sind" müsste Kompass und Motivation sein, den hier beschriebenen Schritt eines alternativen Weges zu gehen. The strategic triangle: an elementary game-theoretical analysis China and the return of great power strategic competition Die Taiwan-Frage im Kontext der US-Strategie für Ostasien-Pazifik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts A political Map of Europe in SVG format Welt im Übergang, Europa in der Krise Politics among nations: the struggle for power and peace Mehr Westen oder mehr Osten wagen? Europas Wahl zwischen Wertebindung und Geopolitik Soft power: the means to success in world politics Die Vereinigten Staaten von Europa. Manifest für ein neues Europa