key: cord-0051604-92obkjsz authors: Wintermann, Ole title: Perspektivische Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft und die Art des Arbeitens date: 2020-09-25 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-020-2733-0 sha: 0929c7c229f1b3a9e024956efac389854088facd doc_id: 51604 cord_uid: 92obkjsz nan Deutsche Unternehmen haben in den letzten Jahren die Digitalisierung von Arbeitsprozessen nicht entscheidend vorangebracht (Baethge und Boberach, 2018) . Es waren und sind weiterhin typische Fehlermuster zu erkennen, wenn es darum geht, das eigene Unternehmen zu "digitalisieren". Führungskräfte begriffen die Digitalisierung allzuoft allein als technische Herausforderung, was dazu führte, dass Zuständigkeiten allein in der IT-Abteilung verortet wurden. Dabei beschreibt die digitale betriebliche Transformation die qualitative Weiterentwicklung der vorhandenen Arbeitskultur in Kombination mit der beständigen Neuausrichtung des etablierten Geschäftsmodells. Beides wird durch eine entsprechende technisch fokussierte Digitalisierung natürlich garantiert. Ein technisch erfolgreiches Social Intranet ist aber erst dann funktional erfolgreich, wenn es durch eine Kultur der Offenheit und des Vertrauens mit Leben gefüllt wird. Als Folge dieser technischen Fixierung und damit Fehleinschätzung haben Geschäftsführungen und Vorstände tendenziell gar nicht erkannt, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf ihr Geschäftsmodell haben könnte. Die derzeitige Krise der deutschen Autoindustrie ist zu einem gewissen Teil dieser Unwissenheit geschuldet. Eine weitere Branche, die den Kunden und sein verändertes Kaufverhalten ignoriert hat, ist der Einzelhandel. Amazon ist nicht deshalb erfolgreich, weil Kunden in Deutschland den Fußgängerzonen bewusst den Rücken zukehren, sondern weil deutsche Einzelhandelsunternehmen es bis heute versäumt haben, die immense Bedeutung der Plattformökonomie zu erkennen und sich nach den veränderten Kundenwünschen auszurichten. Die Erstellung einer Verkaufsplattform im Internet und die Disruption angestammter analoger Geschäftsmodelle ist weniger eine technische als vielmehr eine kulturelle Herausforderung. Die Personalabteilungen haben sich oftmals als unfähig erwiesen, dieser Kulturveränderung mit einer veränderten Personalpolitik Rechnung zu tragen. Die notwendige Än- DOI: 10.1007 DOI: 10. /s10273-020-2733 Zeitgespräch Es hat sich also gezeigt, dass Unternehmen in Deutschland in den letzten Jahren mehrheitlich ihre digitalen Hausaufgaben nicht gemacht haben. In dem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass "Industrie 4.0" ein Sonderfall der betrieblichen digitalen Transformation darstellt, der sich allein darauf bezieht, die Anwendung digitaler Werkzeuge in der Industrie zu skalieren. Hierbei belegt Deutschland im internationalen Vergleich durchaus immer wieder Spitzenplätze (Huawei, Handelsblatt Research Institute, 2016) . Nur: Der für New Work absolut essenzielle Kulturaspekt spielt in dieser Art der Digitalisierung eine sehr nachrangige Rolle (Boes, 2019) . Der Corona-Lockdown hat nun Anfang März im Deutschland in etlichen Unternehmen zu der Situation geführt, dass einzelne Elemente von New Work von einem Tag auf den anderen akzeptiert und eingeführt werden mussten. Gleichzeitig entstand für die darauffolgenden Wochen für einzelne Branchen wie den Einzelhandel, die Tourismus-Industrie, die Gastronomie und weitere Teile der Dienstleistungsbranche eine Krisensituation, da die Leistungen entweder nicht mehr nachgefragt wurden oder werden konnten. Es kann durchaus die These aufgestellt werden, dass ein großer Teil der Kurzarbeit oder der Entlassungen in Unternehmen der vorherigen Unfähigkeit zur digitalen Transformation des Geschäftsmodells geschuldet ist. Kurz gesagt: Führungsversagen hat die Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit anscheinend unnötig stark ansteigen lassen (Boes, 2020) . Oder anders formuliert: Unternehmen, die bereits vor Corona digital besser aufgestellt waren, werden die Krise, deren Ende ja noch nicht absehbar ist, wahrscheinlich besser überstehen können (Fraunhofer, DGPF, 2020) Nach unserer aktuellen Expertenbefragung (Bertelsmann Stiftung, Münchner Kreis, 2020) ist zu erwarten, dass die Luftfahrtindustrie, die Gastronomie, die Automobilindustrie, der Tourismus und der Kulturbereich durchaus auch langfristig zu den Verliererbranchen zählen werden, während der Bildungsbereich, die Telekommunikation, das Gesundheitswesen und die Pharma-Branche auf der Gewinnerseite stehen werden. Die Auswirkungen auf den Transportbereich sind unklar. Wichtig zu unterscheiden gilt es bei dieser Analyse nach technischen und kulturellen Gründen dafür, auf welcher Seite eine Branche langfristig stehen wird. Zu den technischen Gründen zählt beispielsweise die Unmöglichkeit, Flugreisen anzutreten oder der Verlust von Kaufkraft Die fehlende Digitalkompetenz (als Selbstverständlichkeit) führt zudem dazu, dass Merkmale von New Work nicht erfolgreich skalieren können. Da Personalabteilungen durch ihre pfadabhängige Personalpolitik keine neuen Impulse für eine veränderte Arbeitskultur von außen einbringen können, ist der Wandel von internen Rollenmodellen abhängig, die es wagen, aus tradierten Prozessen und Rollen auszubrechen. Wesentliche Elemente von New Work (es gibt einige unterschiedliche Defi nitionen) sind die Kommunikation auf Augenhöhe, die Fähigkeit zur sozialen Kollaboration, die Selbstvergewisserung der eigenen Haltung zu bestimmten Werten, die Kenntnis dessen, was einen selbst berufl ich antreibt, die Offenheit für beständige Änderungen des Arbeitsumfeldes, die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Im denkbar schlechtesten Fall veröffentlicht die Geschäftsführung eine Einladung, das neue Social Intranet für den "Austausch" zu nutzen und vergisst dabei, selbst mit den Menschen darüber zu kommunizieren oder missachtet eine möglicherweise vorhandene Misstrauenskultur im Unternehmen, die eine digital-basierte Kommunikation und Zusammenarbeit von vornherein ausschließt. Diese Misstrauenskultur ist es dann auch, die es Millionen von Menschen bisher verwehrt hat, mobil oder auch von zuhause aus statt im monotonen Büro zu arbeiten (Initiative D21, 2020). Die Führungsebene ist sehr häufi g von der Angst vor dem Kontrollverlust geplagt. Statt einer moderneren Zielorientierung bei Erbringung der Arbeitsleistung wird allzuhäufi g noch auf den Stundenzettel geachtet. Gepaart ist dies meist mit dem Glauben daran, dass das Team ohne Führung einfach keine entsprechende Leistung erbringen kann. So führt diese Angst zur oberfl ächlichen Selbstvergewisserung der Unabkömmlichkeit in der eigenen Führungsrolle. (Krcmar und Wintermann, 2020) . Auf der individuellen Arbeitsplatzebene deuten sich ebenfalls langfristig wirksame Veränderungen an. Die befragten Experten haben angegeben, dass sie bereits gegenwärtig in der Krisenzeit Veränderungen der internen Kommunikation durch Verwendung digitaler Werkzeuge, der Zusammenarbeit und des Verhaltens der Mitarbeite sowie der Kundenkommunikation wahrnehmen. Stabsund Backendbereiche wie Controlling, Management und Führung sowie Vertrieb werden als weniger stark betroffen angesehen. Befragt nach den langfristig wirksamen Veränderungen verweisen die Experten auf die allgemeine Digitalisierung von Dienstleistungen und Kundenkommunikation. Zwei von drei Experten gehen davon aus, dass sich die Präsenzkultur in deutschen Büros aufl ösen wird. 84 % der Experten meinen, dass Homeoffi ce ein bestimmender Trend in der Arbeitswelt sein wird. Von einer deutlichen Mehrheit der Befragten wird geäußert, dass Video-Conferencing weite Teile der Präsenzformate ablösen wird, dass das Arbeitsleben räumlich und auch zeitlich fl exibler werden wird und dass dies ein neues Austa- Es kommt darauf an, dass diese Geschäftsführung sodann "Keimzellen" der Transformationsbereitschaft in der Belegschaft identifi ziert und mit Ressourcen und einem freien Rücken ausstattet, damit diese Freiheit zu innovativen Denkansätzen führt. In der Folge werden Rollen, Führungsebenen, Organisationsformen angepasst oder gestrichen werden; eine Digitalisierung im "Frontend", ohne dass dies Auswirkungen auf die Situation im "Backend" hätte, kann es nicht geben. Begleitet werden muss dieses digitale Experiment mit einer veränderten Arbeits-und Führungskultur. Auch hier zeigt die Corona-Krisenzeit, welche Führungskraft kein Problem mit der digitalisierten Rolle von "Führung" hat. Es gilt, diese Personen auch in der Zeit nach der Krise weiter zu fördern. Die vielzitierte Fehlerkultur, die Kommunikation auf Augenhöhe, die Agilität des Projektmanagements, der Umgang der lebenden Organisation mit der komplexen Umwelt sind nur bei einem veränderten Führungsverhalten erreichbar. Die Ganzheitlichkeit des Ansatzes zur erfolgreichen betrieblichen Transformation wird sichtbar, wenn man sich die betroffenen Transformationsbereiche nochmals vor Augen führt: Es geht um die reine Technisierung der Arbeit und gleichzeitig auch die Anpassung des Geschäftsmodells an digitale Plattformlogiken, die Neuaufstellung der Arbeitsorganisation in Hinblick auf digitale Kommunikation und Kollaboration, die Implementierung einer komplett neuen digitalen Arbeitskultur durch Vorleben der Führung und um den Kompetenzaufbau und die Bereitschaft zum beständigen Lernen von Digitalkompetenzen sowohl der Führenden als auch der Geführten. Vielleicht sollten wir bei der Gelegenheit auch die tiefergehende implizite Wertung des Begriffs "Führung" überdenke, geht es doch nicht um Schafe, die eine Führung benötigen, sondern vielmehr um die Zusammenarbeit von mündigen Arbeitnehmern. Die Corona-Krise dynamisiert eine seit Jahren bestehende Notwendigkeit der fl ächendeckenden digitalen betrieblichen Transformation. Die Hauptgefahr besteht nicht etwa nur in der ausbleibenden Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, sondern vor allem auch darin, dass Geschäftsführungen nicht erkennen, dass diese Krisenzeit eine große Chance zum Aufbruch darstellt. Hierbei muss man nicht unbedingt gleich soweit gehen, grundsätzlich einzufordern, unsere umweltzerstörerische Wirtschaftsweise zu überdenken; sehr viel eher geht es momentan um die Chance zur krisenbedingten Neuausrichtung, um das W-und das L-Szenario unwahrscheinlicher werden zu lassen. Die Blaupause für eine erfolg-scher, wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit zu garantieren. Während das V-Szenario -gerade auch in der Zusammenschau mit Konjunkturpaketen, die die Nachhaltigkeit des Wirtschaftens voranbringen könnten -überwiegend ein positives chancenorientiertes Potenzialszenario abbildet, steht das L-Szenario genau für das Gegenteil, während das komplexe W-Szenario mit unsicherem Ausgang wahrscheinlich die Realität am ehesten treffen dürfte. Diese Szenarien fi nden sich inzwischen in etlichen Publikationen von Beratungsunternehmen, die eben auch auf die entsprechende Zielgruppe zugeschnitten sind. So verwundert es nicht, dass eine rein volkswirtschaftliche Perspektive die Debatte um die Corona-Krisenzeit dominiert. Es ist methodisch gesehen der große Fehler, die Zukunft der Post-Corona-Gesellschaft ganz überwiegend an der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts festzumachen. Damit begeben wir uns in eine Abhängigkeit, deren fatale Auswirkung auf das Erdklima und den vermeintlichen "Wohlstand" der Menschen ja erst durch Corona so deutlich geworden ist (Universität Sidney, 2020). Die methodischen und fachlichen Scheuklappen verhindern also trotz der Krisenzeit ein Ausbrechen aus gewohnten Denkmustern und verstetigen entgegen den Notwendigkeiten weiter die Pfadabhängigkeiten. Das gerade in Deutschland dringend benötigte Nachholen der betrieblichen digitalen Transformation sollte (Hä gelen et al., im Erscheinen) aus den genannten Gründen ganzheitlich und interdisziplinär angegangen werden. Corona bietet die Chance, das Geschäftsmodell, die tradierten Logiken und Entscheidungswege, den Antrieb des Unternehmens, wie den inneren Antrieb der Menschen selbst, die Auswirkung der Geschäftstätigkeit auf die Umwelt und das Verständnis, dass auch Unternehmen Teil eines ganzheitlichen Systems sind, das sich eben nicht der Wirkung einer Pandemie in einem Vakuum entziehen kann, auf den Prüfstand zu stellen. Zuerst sollten betriebliche Entscheider fragen, wo -im inhaltlichen, prozeduralen und örtlichen Sinne -die digitale Transformation eigentlich beginnt. Ist die unternehmensweite Umstellung auf Homeoffi ce nicht schon ein wichtiger Teil der Transformation? Ist statt Homeoffi ce nicht vielmehr die Rückkehr zur standardisierten Offi ce-Arbeit der Ausnahmefall? Um diese Frage stellen zu können, bedarf es einer weitsichtigen Geschäftsführung, die nicht davor zurückscheut, auch eigene Privilegien und "Wahrheiten" kritisch zu hinterfragen. Fraunhofer IAO in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung DGPF Wie digital sind die Unternehmen in Deutschland? -Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter Erwerbstätigen, Kantar, Bertelsmann Stiftung Industrie 4.0 im internationalen Vergleich -Vergleich der Industrie 4.0-Wettbewerbsfähigkeit Chinas Studie zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie in gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht, im Rahmen der Münchner Kreis Zukunftsstudie Band VIII: Leben, Arbeit Bildung 2035+ The State of California Telecommuting Pilot Project, Final Socio-economic, environmental impacts of COVID-19 quantifi ed, 10 reiche Transformation liegt -wissenschaftlich überprüft -vor. Nun ist es an den Entscheidern in der Wirtschaft, diese Blaupause für sich und ihr Unternehmen nutzbar zu machen Zukunft der Arbeit in deutschen KMU -Werkstattbericht, Kantar TNS, Bertelsmann Stiftung Studie zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie in gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht, im Rahmen der Münchner Kreis Zukunftsstudie Band VIII: Leben, Arbeit It's the internet, stupid! Deutsche Wirtschaft im Paradigmenwechsel im IdGuZdA Blog, 4. Dezember Digitalisierung und Homeoffi ce entlasten Arbeitnehmer in der Corona-Krise, 22