key: cord-0050484-zqfitvlj authors: Hollederer, Alfons title: Die Gewährleistung von Krankheitshilfen bei asylsuchenden Menschen: Zweiklassenmedizin in Deutschland? date: 2020-09-22 journal: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz DOI: 10.1007/s00103-020-03215-7 sha: dd9db6a3d1abe70b58525fbbd7bca449217221cd doc_id: 50484 cord_uid: zqfitvlj PURPOSE: In the area of the Asylum Seeker Benefits Act (AsylbLG), there are two options for granting benefits that have practical relevance to health care (depending on the period of previous residence): minimum provision and benefits in special cases, analogous to the Social Code Book XII (SGB XII). METHOD: This secondary data analysis examines the performance of benefits in the case of illness among benefit recipients according to the AsylbLG at the Research Data Centre of the Federal and State Statistical Offices. The examined group of individuals have not yet been granted refugee status or asylum entitlement. RESULTS: As of 31 December 2018, 423,201 persons in Germany were receiving benefits according to the AsylbLG. A good third of these were women. The average age was 24 years, and more than half came from Asia. More than one-third of all benefit recipients were in outpatient (33.5%) or inpatient treatment (1.3%). Among the federal states, benefits for assistance in the case of illness as well as the health-related per capita gross expenditure varied considerably. The provision of illness benefits in reception facilities was relatively low. With the health card, the use of inpatient treatment was higher. The standard health-related provision of assistance in special cases (§2 AsylbLG analogous to SGB XII) reached a higher share of people entitled to benefits at the end of the year (42.7%) than the minimum provision according to §3 AsylbLG (29.0%). Nevertheless, it caused comparatively less gross expenditure. CONCLUSION: It is recommended to apply §2 AsylbLG for a prestay period of three months or longer in order to be able to grant assistance analogous to Chapters 5 to 9 SGB XII earlier. Nationwide introduction of an electronic health insurance card for asylum seekers would improve access. Menschrechte sind unteilbar! Deutschland hat sich als Vertragsstaat des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verpflichtet, "das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit" anzuerkennen und die Voraussetzungen zu schaffen, "die für jedermann im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen" (Art. 12 Abs. 1 und 2). Weitere Konkretisierungen der Zugänglichkeit in die Gesundheitsversorgung finden sich für diskriminierungsgefährdete Gruppen in Art. 25 der UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD), in Art. 12 der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) und in Art. 24 der UN-Kinderrechtskonvention (CRC). So ist sicherzustellen, "dass keinem Kind das Recht auf Zugang zu derartigen Gesundheitsdiensten vorenthalten wird" (Art. 24 Absatz 1). In Deutschland ist aber bei Flüchtlingen und ihren Familienangehörigen eine starke Diskrepanz zwischen dem Anspruch der universellen Menschenrechte und der (Nicht-)Gewährung von Krankenhilfen auf Grundlage der Asylgesetze zu konstatieren [1, 2] . Bei der Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern werden in Deutschland große Versorgungslücken in vielen Analysen übereinstimmend beobachtet [3] [4] [5] [6] [7] [8] . Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen drückt seine Besorgnis aus, dass "asylum-seekers' access to health care is restricted to acute and painful conditions for the first 15 months of their stay in Germany and that their access to health care is further limited . . . " [9] . Die Versorgung von Flüchtlingen ist aufgrund der föderalen Struktur in Deutschland durch verschiedene Zuständigkeiten auf der Bundes-, Länderund kommunalen Ebene geprägt. Für die Durchführung des Asylverfahrens ist der Bund bzw. das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Die Verteilung der ankommenden Flüchtlinge auf die Bundesländer orientiert sich an dem Königsteiner Schlüssel und damit nach Steueraufkommen und Bevölkerungszahlen. Die Länder sind nach dem Asylverfahrensgesetz verpflichtet, für die Unterbringung von Asylsuchenden zu sorgen und die Geld-und Sachleistungen zu ihrer Existenzsicherung zu gewährleisten. Nach der Entlassung aus der Aufnahmeeinrichtung folgt die Verteilung innerhalb des Landes in Gemeinschaftsunterkünfte und dezentrale Unterbringungsformen. Es bestehen erhebliche Unterschiede in der Administration zwischen den Bundesländern und in den Kommunen. Asylbewerber und sonstige ausländische Flüchtlinge, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus besitzen, erhalten im Falle der Hilfsbe-dürftigkeit soziale Leistungen nach Maßgabe des vorrangigen Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Der Kreis der Leistungsberechtigten, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten müssen, ist nach §1 Abs. 1 AsylbLG normiert und mit Voraussetzungen verbunden. Leistungsberechtigt sind Ausländer, die ein Asylgesuch geäußert haben bzw. eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz, eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Duldung nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen. Zu den leistungsberechtigten Gruppen zählen auch Personen, die über einen Flughafen einreisen wollen und denen die Einreise noch nicht gestattet ist. Weiterhin sind Personen leistungsberechtigt, die vollziehbar ausreisepflichtig sind oder einen Folgeantrag auf Asyl stellen. Hinzu kommen die Ehegatten, LebenspartneroderminderjährigenKinder der leistungsberechtigten Personen, ohne dass sie selbst die Voraussetzungen erfüllen. Das Zugangsverfahren zu medizinischen Leistungen ist in den Bundesländern verschieden reguliert. Für den Arztbesuch benötigen die Leistungsberechtigungen meist einen Berechtigungsoder Behandlungsschein, dessen Voraussetzungen zur Ausstellung die zuständige Behörde selbst prüft und entscheidet. Darüber hinaus ist nicht nur der Zugang zur Gesundheitsversorgung, sondern auch die freie Arztwahl eingeschränkt. Außerdem dürfen die Allgemeinmedi-ziner im Krankenscheinverfahren in der Regel nicht zu Fachärzten überweisen. Der Übergang von einzelfallbezogenen Krankenscheinausgaben auf ein modernes Gesundheitskartensystem ist allerdings in einem Großteil der Bundesländer in Kooperation mit der gesetzlichen Krankenversicherung gelungen (Landesrahmenvereinbarungen nach §264 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) V aktuell in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen). In der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben des AsylbLG werden im Verwaltungsvollzug die Ermessensspielräume unterschiedlich genutzt. Razum et al. [10] drücken es pointiert so aus, dass der Zufall über den Zugang zur Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge in Abhängigkeit von den Zuweisungen des Bundeslandes und der Kommune sowie der juristischen Kenntnisse der behandelnden Ärzte entscheidet. Eine Befragung von Gesundheitsämtern in Deutschland ergab, dass die gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden in Deutschland außerordentliches Verbesserungspotenzial aufweist [6] . So fehlten strukturelle Ressourcen für die Koordination der Versorgung in den zuständigen Ämtern. Als verbesserungsbedürftig wurden die Standardisierung in den Abläufen, zügige Durchführung von Impfungen, standardisierte Erhebung und Übermittlung gesundheitsbezogener Informationen sowie Konzentration auf wichtige Infektionskrankheiten erachtet [6] . Es hat sich auch herausgestellt, dass die auslösenden Infektionskrankheiten bei Ausbrüchen in Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende häufig erst in Deutschland erworben wurden [11] . In Deutschland liegen zur Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen nur wenige repräsentative Daten und systematische Gesundheitsberichte vor [7] . Empirischen Arbeiten zur medizinischen Versorgung von Asylsuchenden kommt daher besondere Wichtigkeit zu [12] . Results. As of 31 December 2018, 423,201 persons in Germany were receiving benefits according to the AsylbLG. A good third of these were women. The average age was 24 years, and more than half came from Asia. More than one-third of all benefit recipients were in outpatient (33.5%) or inpatient treatment (1.3%). Among the federal states, benefits for assistance in the case of illness as well as the health-related per capita gross expenditure varied considerably. The provision of illness benefits in reception facilities was relatively low. With the health card, the use of inpatient treatment was higher. The standard healthrelated provision of assistance in special cases ( §2 AsylbLG analogous to SGB XII) reached a higher share of people entitled to benefits at the end of the year (42.7%) than the minimum provision according to §3 AsylbLG (29.0%). Nevertheless, it caused comparatively less gross expenditure. Conclusion. It is recommended to apply §2 AsylbLG for a prestay period of three months or longer in order to be able to grant assistance analogous to Chapters 5 to 9 SGB XII earlier. Nationwide introduction of an electronic health insurance card for asylum seekers would improve access. [14] . Für die vorliegende Arbeit wurden an einem Gastwissenschaftsarbeitsplatz im Forschungsdatenzentrum der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder die beiden Scientific Use Files zu den "Empfängern von Asylbewerberregelleistungen" und den "Empfängern von besonderen Asylbewerberleistungen" unter Geheimhaltungsvorschriften ausgewertet. Die "Statistik der Ausgaben und Einnahmen für Asylbewerberleistungen" steht nicht als Datensatz auf der Mikroebene, sondern in Tabellenform Stellungnahme der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei der Bundesärztekammer "Versorgung von nicht regulär krankenversicherten Patienten mit Migrationshintergrund Effect of restricting access to health care on health expenditures among asylum-seekers and refugees. A quasiexperimental study in Germany Einführung der Gesundheitskarte für Asylsuchende und Flüchtlinge Die gesundheitliche Versorgungssituation von Asylsuchenden Gesundheit und gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Deutschland Versorgungsbericht zur psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern in Deutschland Economic and Social Council. Concluding observations on the sixth periodic report of Germany Wenn Zufall über den Zugang zur Gesundheitsversorgung bestimmt: Geflüchtete in Deutschland Ausbrüche von Infektionskrankheiten in Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende 2004-2014 in Deutschland Systematische Übersicht und "Mapping" empirischerStudiendesGesundheitszustandsund der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland Zahnmedizinischer Behandlungsbedarf bei Asylbewerbern in Empfänger von besonderen Asylbewerberleistungen GENESIS-Onlinedatenbank des Statistischen Bundesamtes (2020) Asylbewerberleistungsstatistik "Statistik der Ausgaben und Einnahmen für Asylbewerberleistungen Konzept zur Umsetzung frühzeitiger Impfungen bei Asylsuchenden nach Ankunft in Deutschland Living conditions and the mental health and wellbeing of refugees: evidence from a large-scale German survey SARS-CoV-2 in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete: Epidemiologischeundnormativ-rechtlicheAspekte