key: cord-0050387-tp2s0957 authors: Brauchle, Maria; Wildbahner, Tanja title: Zielgruppengerechte Krisenintervention — Angehörige und Team date: 2020-09-13 journal: Procare DOI: 10.1007/s00735-020-1223-3 sha: a8db7c66202d4de4215b9a28550e332a367ad7d3 doc_id: 50387 cord_uid: tp2s0957 Families find themselves in an exceptional situation after the sudden death of someone close. Anxiety, aggression, rage, incomprehension, and distraction are only a few feelings of the concerned people which intensive care staff must take care of. Crisis intervention, developed in the middle of the last century, offers a framework with its concepts for the healthcare staff of how to work with the bereaved people during the first few hours. The BASIS model is a sort of counseling technique that guides nurses and physicians: bonding and urging the acceptance of the facts, providing structure and information, and securing backup support networks. Professionals who offer help need a high level of empathy and compassion for their work. But it is essential to offer help only in situations where advice is possible. Otherwise, physicians and nurses are at high risk to develop compassion fatigue. The right training, advanced education, and supervision are necessary, so that healthcare professionals can support people in crisis. Nach dem Brand in einem Bostoner Nachtclub "Coconut Grove" am 28. 11. 1942 . untersuchte Lindemann [3] die Reaktionen von Hinterbliebenen. Bei diesem Feuer in den USA starben 492 Personen und Hunderte wurden verletzt. Lindemann erkannte dabei die Wichtigkeit einer entsprechenden Unterstützung und Betreuung von Angehörigen und vor allem, dass diese damit vor psychischen Folgeschäden bewahrt werden können [3] . Caplan [2] ist der zweite Pionier in Sachen Krisenintervention (KI). Er wies auf die enorme Bedeutung von unmittelbarer "psychischer erster Hilfe" zur Prävention von psychischen Störungen hin [2] . Sowohl Lindemann als auch Caplan legten den Grundstein für die heute gängigen Konzepte der KI, die es ermöglichen, Angehörigen sofortige psychologische Hilfe angedeihen zu lassen. Die KI in Österreich entstand vor allem nach den beiden Lawinenunglücken in Galtür und Valzur im Jahr 1999 [4] . Nach diesen schweren Katastrophen wurden an der Universität Innsbruck Belastungsreaktionen und Bewältigungsstrategien nach traumatischen Ereignissen näher untersucht. In Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst des Roten Kreuzes wurden Ausbildungen der KI für multiprofessionelle Teams konzipiert sowie flächendeckend KI-Teams in Tirol ins Leben gerufen [4] . Ein KI geht im Allgemeinen davon aus, dass Menschen fähig sind, traumatische Krisen zu bewältigen, wenn kompetente Unterstützung vorhanden ist [5] . Um als Mitarbeiter in einem KI-Team arbeiten zu können, bedarf es jedoch einer fundierten Ausbildung und die Mitarbeit setzt ein hohes Maß an empathischen Fähigkeiten voraus. Professionelle Angehörigenarbeit ist belastend und erfolgt überwiegend durch drei Faktoren, nämlich Gefühlsansteckung, Empathie und Mitgefühl [6] : Bei der Gefühlsansteckung ergreift die Stimmung des Anderen vom Beobachter selbst Besitz und wird dabei zu dessen eigenstem Gefühl. Dies kann nicht willentlich kontrolliert werden, da Gefühlsansteckung ein angeborener Prozess ist, der bereits im Kleinkindalter beobachtet werden kann [7] . Empathie erfolgt entwicklungsmäßig erst später und ist ein erkenntnisvermit-telnder Prozess. Empathie beinhaltet die Erfahrung, die Gefühlslage des Anderen nachzuempfinden und sie dadurch zu verstehen. Dabei muss im Gegensatz zur Gefühlsansteckung nicht zwingend eine Identifikation mit der anderen Person erfolgen. Empathie bedeutet somit auch, die belastenden negativen Gefühle der Gefühlsansteckung und des Mitgefühls zu regulieren, damit Intensivpersonal von diesen negativen Gefühlen nicht überschwemmt wird. Mitgefühl wiederum ist ein Phänomen, das von der Empathie insofern abzugrenzen ist, als Mitgefühl zusätzlich die Sorge um die andere Person oder die Anteilnahme an deren Situation miteinschließt. Gefühle sind ansteckend und können auch beim Intensivpersonal als enorm belastend erlebt werden. Die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang von Gefühlsansteckung. Dabei wird davon ausgegangen, dass bei einer Person, die eine andere Person beobachtet, auch jene emotionalen Reaktionen auftreten, die den tatsächlichen oder antizipierten Reaktionen der beobachteten Person entsprechen. Die Übernahme der Gefühle von anderen Personen erfolgt unbemerkt, ist deshalb nicht steuerbar und kann als Basisprozess empathischen Verhaltens betrachtet werden. Von besonderer Bedeutung ist dies für das Intensivpersonal, das sich mit der Angst, dem Entsetzen, der Hilflosigkeit, dem erfahrenen Leid und der Trauer von Patienten, Angehörigen oder Hinterbliebenen auseinandersetzen muss [6] . Gefühlsansteckung, Empathie und Mitgefühl sind damit notwendige und wesentliche Phänomene bei der Betreuung von Angehörigen und Hinterbliebenen. Durch diese drei Phänomene können Schutz und Sicherheit vermittelt und Angst, Entsetzen und Hilflosigkeit vermindert werden. Zudem kann über das Bemühen, das fremde Erleben nachzuvollziehen, eine adäquate Hilfestellung erfolgen. Gefühlsansteckung und Mitgefühl sind somit in einer gelingenden Arbeit mit Angehörigen belastende, aber notwendige Phänomene [8] . Das Wissen über das Phänomen von Gefühlsansteckung und dessen Effekte sowie das Wissen über Bewältigungsstrategien kann die emotionale Belastung entscheidend reduzieren. Hier sind Arbeitgeber und Berufsverbände gefordert, durch Ausbildung und Schulung emotionalen Belastungen vorzubeugen [9] . Durch den plötzlichen Tod eines nahen Angehörigen gerät eine Familie in eine unvorhersehbare Ausnahmesituation. Angst, Aggression, Wut, Unverständnis und Verstörtheit sind nur einige Gefühle der Betroffenen, denen das Personal auf Intensivstationen ausgesetzt ist. Die Krisenintervention, entwickelt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, bietet mit ihren Konzepten Rahmenbedingungen für die Helfer, wie mit den Hinterbliebenen in den ersten Stunden gearbeitet werden kann. Das BASIS-Modell ist dabei ein Weg der Gesprächsführung, der das medizinische Personal anleiten kann: Bindung wird hergestellt, das Annehmen der Tatsachen forciert, Struktur wird geboten und Informationen gegeben, und es erfolgt ein Sicherstellen von Auffangnetzen. Helfer benötigen ein hohes Maß an empathischen Fähigkeiten und Mitgefühl für diese Arbeit. Jedoch muss darauf geachtet werden, nur da zu helfen, wo Hilfe möglich ist. Andernfalls sind Ärzte und Pflegepersonen der Gefahr ausgesetzt, eine Mitgefühlsermüdung zu erleiden. Die richtigen Schulungen, Fortbildungen und Supervisionen sind essenziell, damit die Betreuungspersonen unbeschadet Menschen in Krisen begleiten können. Krisenintervention · Team · Empathie · Intensivstation · Posttraumatische Reifung · BASIS-Modell Families find themselves in an exceptional situation after the sudden death of someone close. Anxiety, aggression, rage, incomprehension, and distraction are only a few feelings of the concerned people which intensive care staff must take care of. Crisis intervention, developed in the middle of the last century, offers a framework with its concepts for the healthcare staff of how to work with the bereaved people during the first few hours. The BASIS model is a sort of counseling technique that guides nurses and physicians: bonding and urging the acceptance of the facts, providing structure and information, and securing backup support networks. Professionals who offer help need a high level of empathy and compassion for their work. But it is essential to offer help only in situations where advice is possible. Otherwise, physicians and nurses are at high risk to develop compassion fatigue. The right training, advanced education, and supervision are necessary, so that healthcare professionals can support people in crisis. Crisis intervention · Team · Empathy · Intensive care unit · Posttraumatic growth · BASIS model Zusätzlich sollte daran gearbeitet werden, dass professionelle Supervisionen vom Intensivpersonal als Chance wahrgenommen und nicht länger als Stigmatisierung gesehen werden. [10] . Beispiel. Wollen Sie mir von Ihrem Angehörigenerzählen? Wie war er so? Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen? Angehö-rige fragen immer wieder nach, ob es denn sein kann, dass der Patient tatsächlich verstorben ist. Solche Fragen sind ehrlich, mit einem "Ja, er ist tot" zu beantworten. Angehörige fragen auch nach, wann die Situation erträglicher oder leichter wird, oder wann der Schmerz aufhört. Dazu kann gesagt werden, dass das erste Jahr vermutlich das schwerste sein wird. Alles im Jahreslauf, ob Geburtstage, Feiertage, Weihnachten, Ostern, Jahrestage u. ä., wird ohne den geliebten Angehörigen erlebt und niemand weiß im Vorfeld, wie sich das anfühlt. Sind jedoch die Feierlichkeiten einmal ohne den geliebten Menschen durchlebt, kennen die Betroffenen das Gefühl und lernen, damit umzugehen. Nicht umsonst gab es früher ein offizielles Trauerjahr. Auch eine wichtige Maßnahme, um die Anerkennung des Tods zu fördern ist, eine Verabschiedung zu ermöglichen. Wo (auf der Station oder beim Bestatter) und ob diese dann schlussendlich stattfindet, bleibt den Angehörigen selbst überlassen. Bei Entstellungen müssen diese angesprochen und Bedenken offen geäußert werden. Angehörige in Krisensituationen befinden sich zumeist das erste Mal in einer solchen schwierigen Situation, wohingegen Achten Sie auf die richtige Formulierung. Vermeiden Sie beschönigende Ausdrücke wie z. B. "er ist entschlafen". Sprechen Sie aus, dass jemand tot ist. Einleitung korrekt und schlicht wählen ("ich muss Ihnen leider sagen, dass ..."; "es ist meine Aufgabe Ihnen mitzuteilen, dass…"). Fragen abwarten. das ärztliche und pflegerische Personal mit den Abläufen in solchen Fällen auf einer Station vertraut ist. Durch das Wissen um diese strukturierten Abläufe kann das Personal den Angehörigen Sicherheit vermitteln und erklären, dass diese Situation in Schritten bewältigt werden wird. Essenziell ist es, ein geeignetes Setting zu schaffen, sich namentlich und in seiner Funktion vorzustellen und eventuell dem Gespräch einen zeitlichen Rahmen zu geben (siehe Punkt 1: Bindung herstellen) . Dabei ist es enorm wichtig, den Angehörigen das Gefühl zu geben, ausschließlich für sie und ihre Fragen und Wünsche da zu sein. In diesen Gesprächen werden, neben der Überbringung der schlechten Nachricht, notwendige Handlungsschritte erklärt und begleitet, wie z. B. der Ablauf einer Organspende, wie der Ablauf mit dem Bestattungsinstitut funktioniert usw. Vorrangig werden diese Schritte in erster Linie durch den behandelnden Arzt erläutert. Die betreuende Pflegeperson sollte jedoch bei diesen Gesprächen nach Möglichkeit anwesend sein, um auf spätere Fragen der Angehörigen rechtlich korrekt eingehen zu können [11] . Ziel ist es, durch gesicherte, ehrliche Angaben Informationslücken von Angehörigen zu schließen. Viele Angehörige sind beim eigentlichen Ereignis nicht dabei (Unfall, Reanimation. . . ) und oft tauchen im Nachhinein Fragen auf. Es gibt immer wieder Informationen, die zuerst vom behandelnden Arzt bzw. von anderen Organisationen und Stellen (Exekutive, Feuerwehr, Notarzt . . . ) eingeholt werden müssen. In diesem Fall ist den Angehörigen mitzuteilen, dass die Einholung solcher Informationen noch ein wenig Zeit benötigt, da man nur gesicherte Informationen weitergeben kann und will. Dadurch wird eine Vertrauensbasis geschaffen, die geschützt werden kann, indem der Gebrauch von medizinischen Fachausdrücken in den Hintergrund gerückt wird, da das Nichtverstehen des Fachjar-gons zusätzliche Angst auslösen kann [11] . Die Angehörigen sollten über physische und psychische Reaktionen informiert werden, die auftreten können, nachdem eine Todesnachricht überbracht wurde: betäubt sein, nicht wahrhaben wollen/ können der Realität, Verzweiflung, Überwältigung, Idealisierung des Verstorbenen, Wut, Aggression, Schuldgefühle. Beispiel. Viele Angehörige können zu Beginn nicht weinen, da im Innersten noch eine Verweigerung des Ereignisses stattfindet. Dies wird von Angehörigen oft als belastend erlebt, da sie denken, nicht richtig zu trauern (Schuldgefühle). In diesen Fällen ist es entlastend, den Personen zu versichern, dass das anfängliche Nicht-weinen-Können (Abspalten der Gefühle) normal ist und einen psychischen Überlastungsschutz darstellt. Die KI bezeichnet dies als "Normalisierung der Gefühle". Angehörige fragen auch immer wieder, ob sie nicht etwas "zur Beruhigung" haben können. Es gilt zu vermeiden, Angehörigen diverse Tranquilizer zu geben. Dies lässt Angehörige meist handlungsunfähig werden und führt nur zu einer verzögerten Trauerreaktion. Im Nachhinein wird dieses "Nichtstun-Können" als sehr belastend empfunden. Beispiel. "Ich war so unruhig . . . da hat mir der Hausarzt etwas zur Beruhigung gespritzt . . . danach war ich wie in Watte gepackt . . . ich konnte nichts tun, außer auf der Couch zu sitzen und zuzuschauen, wie die anderen Familienangehörigen das Begräbnis planten. Im Nachhinein war ich sehr traurig, dass ich nicht fähig war, aktiv die Beerdigung meines Mannes mitzugestalten." KI oder die professionelle Hilfestellung von Ärzten und Pflegepersonal ist keine Therapie, sondern versteht sich vielmehr als emotionale erste Hilfe. Ziel ist es, das soziale Netz der Angehörigen wieder zu reaktivieren, sodass sie sich gegenseitig LITERATUR "Nicht zwingend erleidet jeder Angehörige nach belastenden Ereignissen eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). " unterstützen und auch miteinander über Über das Leben, den Tod und das ewige Band der Liebe Principles of preventive psychiatry. Basic books Symptomatology and management of acute grief Die Entdeckung der Katastrophe als Betätigungsfeld -kritische Betrachtungen über Helfer als Helden am Beispiel der Lawinenkatastrophe von Galtür. In: Hermanutz M, Buchmann K-E (Hrsg) Texte der Fachhochschule Villingen-Schwenningen. Eigenverlag der Fachhochschule, Villingen-Schweningen Krisenintervention auf Intensivstationen Persistierende Dissoziation als Prädiktor posttraumatischer Belastungsstörungen bei psychosozialen Fachkräften Spiegelbild und Empathie. Die Anfänge der sozialen Kognition Hrsg) Krisenkompass. Orientierung für den Umgang mit schweren Achtung, Ansteckungsgefahr! Emotionale Belastungen von Pflegekräften Angehörige professionellbetreuen Das Gletscherbahnunglück von Kaprun in Österreich im Jahr 2000: Maladaptive Copingstrategien, Intrusionen und posttraumatische Belastungsstörungen bei Kriminalbeamten A preliminary analysis of compassion satisfaction and compassion fatigue with considerations for nursing unit specialization and demographic factors Posttraumatische Belastungsstörung bei Angehörigen von verstorbenen The relationship between resiliency and posttraumatic growth following the death of someone close Posttraumatische Reifung Posttraumatic growth: conceptual foundations and empirical evidence