key: cord-0050181-aahhx9vg authors: Reinehr, Thomas title: Adipositas date: 2013 journal: Pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung DOI: 10.1007/978-3-642-24710-1_35 sha: 6d7d7a40a02b300a41088df634c0cb99e9ff2191 doc_id: 50181 cord_uid: aahhx9vg Häufigkeit und Ausmaß der Adipositas im Kindesalter nehmen nicht nur in Deutschland deutlich zu. Dies wird vor allem auf veränderte Umweltbedingungen zurückgeführt, die auf genetische Veranlagungen treffen, die sich in Hungerzeiten als effektiv erwiesen haben. In letzter Zeit konnten viele neue Erkenntnisse zur Regulation des Körpergewichts gewonnen werden, wobei Hormone aus dem Gastrointestinaltrakt (z. B. Ghrelin, Polypeptid YY) und dem Fettgewebe (z. B. Leptin und Adiponektin) eine entscheidende Rolle spielen. Produktion und Metabolisierung von Hormonen und Zytokinen im Fettgewebe führen zu einer Vielzahl von Folgeerscheinungen der Adipositas. Rund ein Drittel der adipösen Kinder weisen einen Bluthochdruck auf und 25 % Fettstoffwechselstörungen. Der Diabetes mellitus Typ 2 kommt bei etwa 1 % der adipösen Jugendlichen vor. Da diese Erkrankungen zunächst asymptomatisch verlaufen, ist ein entsprechendes Screening erforderlich. Die Aufgabe des Kinderarztes besteht darin, die sehr seltenen Primärerkrankungen auszuschließen, Folgeerkrankungen sicher zu erfassen, sinnvolle Maßnahmen zur Gewichtsreduktion einzuleiten und Folgeerkrankungen konsequent zu behandeln. Häufigkeit und Ausmaß der Adipositas im Kindesalter nehmen nicht nur in Deutschland deutlich zu. Dies wird vor allem auf veränderte Umweltbedingungen zurückgeführt, die auf genetische Veranlagungen treffen, die sich in Hungerzeiten als effektiv erwiesen haben. In letzter Zeit konnten viele neue Erkenntnisse zur Regulation des Körpergewichts gewonnen werden, wobei Hormone aus dem Gastrointestinaltrakt (z. B. Ghrelin, Polypeptid YY) und dem Fettgewebe (z. B. Leptin und Adiponektin) eine entscheidende Rolle spielen. Produktion und Metabolisierung von Hormonen und Zytokinen im Fettgewebe führen zu einer Vielzahl von Folgeerscheinungen der Adipositas. Rund ein Drittel der adipösen Kinder weisen einen Bluthochdruck auf und 25 % Fettstoffwechselstörungen. Der Diabetes mellitus Typ 2 kommt bei etwa 1 % der adipösen Jugendlichen vor. Da diese Erkrankungen zunächst asymptomatisch verlaufen, ist ein entsprechendes Screening erforderlich. Die Aufgabe des Kinderarztes besteht darin, die sehr seltenen Primärerkrankungen auszuschließen, Folgeerkrankungen sicher zu erfassen, sinnvolle Maßnahmen zur Gewichtsreduktion einzuleiten und Folgeerkrankungen konsequent zu behandeln. z Epidemiologie Zurzeit sind in Deutschland 6,3 % der Kinder adipös und 8,7 % übergewichtig (Kurth u. Schaffrath 2007) . Damit haben sich in Deutschland Häufigkeit und Ausmaß der Adipositas in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt. Während eine genetisch bedingte Veranlagung zur Fettleibigkeit in etwa 50-70 % der Fälle diskutiert wird, stellt eine monogene Vererbung eine Rarität dar. z Definition Die Diagnose "Adipositas" setzt streng genommen eine Bestimmung der Körperzusammensetzung voraus. Entsprechende Methoden sind aufwendig und invasiv (z. B. "dual energy X-ray absorptiometry"), so dass in der Praxis das Ausmaß der Fettmasse mit dem Body-Mass-Index (BMI;) erfasst wird (Arbeitsgemeinschaft Adipositas 2011). Für Kinder und Jugendliche sind alters-und geschlechtsbezogene BMI-Perzentilen erforderlich: Auch zur Vermeidung eines Gewichtsverlusts existieren bei mangelnder Energiezufuhr Kompensationsmechanismen, welche die Schwierigkeiten einer dauerhaften Gewichtsabnahme erklären. So fallen z. B. die Konzentrationen der peripheren Schilddrüsenhormone bei einer Gewichtsabnahme ab. Da die Schilddrüsenhormone den Grundumsatz maßgeblich bestimmen, wird der Grundumsatz bei Gewichtsabnahme um bis zu 40 % reduziert. Dies bedeutet, dass Adipöse, die Gewicht abnehmen, weniger Kalorien zuführen müssen, um ihr Gewicht zu halten, als eine Person, die schon immer dieses Gewicht aufwies. Verzehrt der Adipöse nach Gewichtsreduktion wieder genauso viele Kalorien wie vor der Gewichtsabnahme, was vor allem bei einer raschen Gewichtsverringerung aufgrund des zunehmenden Hungergefühls durch die Gegenregulation der gastrointestinalen Hormone zu erwarten ist, wird das Gewicht sogar noch das Ausgangsgewicht überstreiten, da der Grundumsatz herunterreguliert ist (Jojo-Effekt). Hypothalamus und Hirnstamm sind die zentralen Organe zur Regulation der Energieaufnahme (Roth u. Reinehr 2010) . In den lateralen Hypothalamuskernen liegt das "Hungerzentrum" und in den medialen das "Sättigungszentrum" (. Abb. 35.1). Das in den Fettzellen produzierte Hormon Leptin entfaltet seine Wirkungen im Hypothalamus, indem es die Produktion des α-Melanozyten-stimulierenden Hormons steigert. Dieses wiederum führt über den MC4-Rezeptor im medialen Hypothalamus zur Sättigung. Ferner senkt Leptin die Konzentrationen der Neuropeptide "agouti-related protein" und Neuropeptid γ. Diese Neuropeptide induzieren im lateralen Hypothalamus ein Hungergefühl, reduzieren die Thermogenese und hemmen den MC4-Rezeptor. Trotz der erhöhten Leptinspiegel liegt jedoch aufgrund einer relativen Leptinresistenz bei Adipösen kein vermehrtes Sättigungsgefühl vor, so dass die Applikation von Leptin bei diesen Personen nicht zu einer Gewichtsreduktion führt. Neben Leptin beeinflussen eine Vielzahl von gastrointestinalen Hormonen das Hunger-und Sättigungsempfinden (. Abb. 35.2). Cholezystokinin, "glucagon-like peptide 2" und pankreatisches Polypeptid werden vor allem bei proteinreichen und fettreichen Mahlzeiten aus Dünndarm und Pankreas ausgeschüttet und führen zur Sättigung. Somit kann die Art der Mahlzeit ihren Umfang bestimmen. Die Wirkungen dieser Peptide halten jedoch nur kurzfristig an. Im Gegensatz hierzu führt Polypeptid YY aus dem Dünn-und Dickdarm zu einer Sättigung über 4-6 h. Dieses Polypeptid hat mit einer etwa 40%igen Reduktion der Nahrungsaufnahme den stärksten Effekt aller gastrointestinalen Hormone. Gastrointestinale Hormone können auch Hunger induzieren. Ghrelin aus dem Magen sowie die Orexine A und B aus dem Darm, welche bei Nahrungskarenz sezerniert werden, führen über die Stimulation von Neuropeptid γ und Afferenzen am Hirnstamm zu Hunger. Ghrelin scheint neben der kurzfristigen Gewichtsregulation auch einen langfristigen Effekt zu besitzen, da Adipöse erniedrigte Ghrelinspiegel aufweisen. Gastrointestinale Hormone, Leptin und die hypothalamisch-hypophysären Funktionen zur Steuerung der Schilddrüsen-, Wachstums-und Pubertätsfunktion stehen untereinander in enger Wechselwirkung. Beispielsweise hat Ghrelin einen starken stimulierenden Effekt auf die Ausschüttung des Wachstumshormons, welcher zur Namensgebung dieses Hormons führte. k Ursachen der Adipositas im Kindesalter Eine Vermehrung des Fettgewebes und damit der Energiespeicher des Körpers tritt auf, wenn die Energiezufuhr den Energieverbrauch übersteigt. Somatische und monogenetische Erkrankungen als Ursachen der Adipositas stellen Ausnahmen dar. Einige seltene Syndrome sind mit Adipositas assoziiert (z. B. Prader-Willi-und Bardet-Biedl-Syndrom). Medikamente (z. B. Glukokortikoide oder Antiepileptika) können ebenfalls zu einem Gewichtsanstieg führen. Psychiatrische Erkrankungen sind häufig mit einer Adipositas assoziiert; sie sind jedoch häufiger Folge als Ursache des Übergewichts. Für die deutliche Zunahme der Adipositashäufigkeit im Kindesalter müssen vor allem die veränderten Umweltbedingun-gen verantwortlich gemacht werden. Fehlende Spielbereiche für Kinder, die modernen Möglichkeiten der Fortbewegung sowie der Fernseh-und Computerkonsum haben in den vergangenen Jahren zu einem deutlichen Rückgang der täglichen körperlichen Aktivität bei Kindern geführt. Einen Zusammenhang mit der Adipositas zeigen zudem Fettkonsum und der Verzehr gesüßter Getränke. Darüber hinaus nimmt der tägliche Verzehr von beiläufig konsumierten Lebensmitteln ("Snacking") mit hoher Energiedichte zu. Essen wird auch eingesetzt, um Stress und Frust abzubauen, Trauer und Ängste kurzfristig zu betäuben und Langeweile zu überbrücken. Dieses emotionsinduzierte Essverhalten führt durch eine Entkopplung der Nahrungsaufnahme vom Hunger häufig zur Aufnahme kalorienreicher Nahrungsmittel. k Fettgewebe als endokrines Organ Fettgewebe stellt nicht nur einen Energiespeicher dar, sondern auch ein aktives endokrines Organ (Roth u. Reinehr 2010) . Insbesondere die Makrophagen im Fettgewebe sezernieren eine Vielzahl von Zyktokinen, die möglicherweise die chronische Inflammation bei Adipositas erklären (Roth et al. 2011 k Ergebnisse multidisziplinärer, langfristiger Schulungsprogramme für adipöse Kinder und Jugendliche Trotz der Vielzahl Betroffener liegen bis heute kaum Langzeitberichte bezüglich der Effektivität von Behandlungen adipöser Kinder vor. Im Adipositasprogramm "Obeldicks" liegt die Erfolgsquote (Definition: Verringerung von Übergewicht) bei 79 % ("intention to treat"), wobei 30 % der Kinder am Ende der Behandlung nicht mehr adipös waren. Auch in einer randomisiert kontrollierten Studie konnte der Erfolg nachgewiesen werden (Reinehr et al. 2010b) . Die Gewichtsreduktion führte zu einer Reduktion von arterieller Hypertonie, Dyslipidämie, Glukosestoffwechselstörungen (Reinehr et al. 2009a) und der nichtalkoholischen Fettleberkrankheit (Reinehr et al. 2009b) . Vier Jahre nach Ende der Behandlung beträgt die Erfolgsquote aller Teilnehmer, welche die Behandlung beendeten, 71 %, wobei das Ausmaß der erzielten Gewichtsreduktion stabil war (Reinehr et al. 2010a ). > Um eine Verbesserung der Komorbidität der Adipositas zu erreichen, genügt es bei wachsenden Kindern, über ein Jahr einen Gewichtsstillstand zu erzielen, was einer Reduktion des BMI von 1-2 entspricht. Trotz einiger ermutigender Ergebnisse aufwendiger Therapieprogramme wird es sicherlich nicht gelingen, ein Therapiekonzept zu erstellen, das für alle adipösen Kinder geeignet ist. Für extrem adipöse oder geistig retardierte Kinder sowie für jene aus nicht deutsch sprechenden Familien und Kinder ohne ausreichende Motivation zu einer Verhaltensänderung gibt es bis heute keine befriedigenden Therapieansätze. > Eine effektive primäre Prävention stellt die gesellschaftliche und politische Herausforderung der Gegenwart und der Zukunft dar. Bremen Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes-und Jugendalter der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (AGA) (2011) Leitlinien zur Diagnostik Childhood body-mass index and the risk of coronary heart disease in adulthood Obesity evaluation and treatment: expert committee recommendations. The Maternal and Child Health Bureau, Health Resources and Services Administration and the Department of Health and Human Siences Interventions for preventing obesity in childhood. A systematic review Childhood obesity: publichealth crisis, common sense cure Childhood obesity, other cardiovascular risk factors, and premature death Neue Erkenntnisse zu genetischen Mechanismen der Gewichtsregulation Lifestyle intervention "Obeldicks Mini Brain-gut axis and its role in the control of food intake Waist circumference percentile in Jena children (Germany) 6 to 18 years of age The prevalence of overweight and obese children and adolescents living in Germany. Results of the German Health Interview and Examination Survey for Children and Adolescents (KiGGS) Promotion and provision of drinking water in schools for overweight prevention: randomized, controlled cluster trial Changes in the atherogenic risk-factor profile according to degree of weight loss Long-term follow-up of overweight children: after training, after a single consultation session and without treatment Cardiovascular risk factors in overweight European children and adolescents: relation to gender, age and degree of overweight Clinical characteristics of type 2 diabetes mellitus in overweight European caucasian adolescents Evaluation der Schulung Definable somatic disorders in overweight children and adolescents Lifestyle intervention in obese children is associated with a decrease of the metabolic syndrome prevalence Lifestyle intervention in obese children with non-alcoholic fatty liver disease: 2-year follow-up study Body mass index patterns over 5 y in obese children motivated to participate in a 1-y lifestyle intervention: age as a predictor of long-term success An effective lifestyle intervention in overweight children: findings from a randomized controlled trial on "Obeldicks light Roles of gastrointestinal and adipose tissue peptides in childhood obesity and changes after weight loss due to lifestyle intervention Changes in adiposederived inflammatory cytokines and chemokines after successful lifestyle intervention in obese children Central nervous system control of food intake Ever more children and adolescents are overweight. How can the obesity epidemic be stopped?