key: cord-0050105-tqtlrgdc authors: Gillessen-Kaesbach, G.; Hellenbroich, Y. title: Humangenetik date: 2019 journal: Pädiatrie DOI: 10.1007/978-3-662-57295-5_1 sha: 3d7599f1c35b70b28203725acec5e4dd84c12d95 doc_id: 50105 cord_uid: tqtlrgdc Genetische Erkrankungen haben in der Kinderheilkunde eine größere Bedeutung erlangt. Durch Weiterentwicklung zytogenetischer, biochemischer und molekulargenetischer Diagnostik ist das Spektrum der bekannten genetischen und genetisch mitbedingten Erkrankungen größer geworden: im Katalog monogener Erkrankungen von McKusick stehen inzwischen über 8.500 Erkrankungen. Die häufigsten genetischen Erkrankungen werden in diesem Kapitel ebenso beschrieben wie die Aufgaben der humangenetischen Beratung, pränataler Diagnostik sowie des „next generation sequencing“. Das Manifestationsalter genetisch bedingter Erkrankungen liegt im Kindesalter. Zirka 30-35% aller verstorbenen Säuglinge haben genetische Erkrankungen oder Fehlbildungen. Etwa 70% der Patienten mit Intelligenzminderung haben eine ist eine genetische Ursache. Daraus wird ersichtlich, welche Bedeutung genetisch bedingte Krankheitsbilder in der Pädiatrie haben. In der Zwischenzeit wurde die aufwändige Sanger-Sequenzierung durch das "next generation sequencing" (NGS) ersetzt. Die auf dieser Basis durchgeführten Gen-Panel-Untersuchungen erlauben insbesondere bei heterogenen Krankheitsbildern eine kostengünstige und zeitsparende Möglichkeit, die Mutation in den ursächlichen Genen zu diagnostizieren. Bei nicht bekannter Diagnose ist es mittlerweile in vielen Fällen möglich, auf Exom-oder sogar Genombasis die zugrundliegende genetische Veränderung zu diagnostizieren. Dies hat dazu geführt, dass sich die Aufgabe des klinischen Genetikers geändert hat. Während es für eine Sanger-Sequenzierung notwendig war, eine exakte klinische Diagnose zu stellen, beginnt die Arbeit des klinischen Genetikers immer mehr erst nach der molekularen Klärung die Bedeutung des Befundes im Rahmen der genetischen Beratung zu vermitteln. Die genetische Beratung bei Kindern mit einer genetisch bedingten Erkrankung erfordert eine Familienanamnese mit Aufzeichnung eines Stammbaums über 3 Generationen, das Hinzuziehen von Krankenunterlagen betroffener Familienangehöriger, eine genaue Schwangerschafts-und Geburtsanamnese sowie eine exakte Dokumentation von möglichen Dysmorphiezeichen und Fehlbildungen. Sehr hilfreich ist eine fotographische Dokumentation. Diese sollte auch bei der Mitbeurteilung von Feten mit Fehlbildungen und perinatalen Todesfällen erfolgen genauso wie eine postmortale Röntgenaufnahme (sog. Babygramm) und das Asservieren von sterilem Material (Haut, Achillessehne) für eine Fibroblastenkultur. Dier Labordiagnostik erfolgt je nach Fragestellung durch eine zytogenetische oder molekulargenetische Untersuchung. Chromosomale Aberrationen j Grundlagen Bei etwa 0,5% der Neugeborenen findet sich eine Chromosomenstörung. Chromosomenaberrationen stellen eine wesentliche genetische Ursache für Spontanaborte dar. Im ersten Trimenon sind etwa 50% der Aborte auf Fehlgeburten zurückzuführen, im zweiten Trimenon liegt die Häufigkeit bei etwa 25%. Es überwiegen die autosomalen Trisomien (v. a. der Chromosomen 16, 21, 22 und 15) mit etwa 50-60%. Numerische Aberrationen Der häufigste Mechanismus, der zu einer numerischen Chromosomenstörung führt, ist eine Fehlverteilung ("Non-Disjunction") in der Meiose I und II. Seltener (5%) erfolgt die Fehlverteilung durch ein postzygotisches, mitotisches "Non-Disjunction". Von klinischer Bedeutung sind v. a. die Triso mien 13, 18 und 21, die meisten anderen Trisomien sind letal. Mit dem Leben vereinbar sind Mosaiktrisomien der Chromosomen 8 und 16. Strukturelle Aberrationen Strukturelle Chromosomenaberrationen entstehen durch Brüche an einem oder mehreren Chromosomen. Unterschieden wird zwischen balancierten und unbalancierten Chromosomenstörungen. Bei balancierten Chromosomenstörungen liegt in der Regel kein Zugewinn oder Verlust von genetischem Material vor. Träger von balancierten Chromosomenstörungen sind meistens klinisch gesund. Nur in Fällen, in denen durch den Bruch-punkt ein dominantes Gen zerstört, kann es zu phänotypischen Auswirkungen kommen. Strukturelle Chromosomenstörungen treten meist spontan auf, können aber auch als Folge ionisierender Strahlen, viraler Infektionen oder Chemikalien entstehen. Einige genetisch bedingte Krankheitsbilder (z. B. Fanconi-Syndrom, Nijmegen-Breakage-Syndrom) gehen ebenfalls mit einer erhöhten Brüchigkeit einher. Weitere strukturelle Aberrationen sind: Deletionen, Duplikationen, Inversionen, Isochromosomen und Ringchromosomen. j Klinik Einige chromosomal bedingte Krankheitsbilder weisen einen klinisch erkennbaren Phänotyp auf. In vielen Fällen ist die Zuordnung zu einer definierten Chromosomenstörung jedoch schwierig oder nicht möglich. An eine Chromosomenstörung sollte gedacht, wenn eine Kombination von 2 der folgenden Kriterien vorliegt: Entwicklungsrückstand Dieser umfasst prä-und postnatale Wachstumsstörungen, verzögerte statomotorische und geistige Entwicklung, insbesondere Sprachentwicklungsstörung. Faziale Dysmorphien Dysmorphien der Fazies wie Synophrys, auffällige Lidachse, pathologischer Augenabstand und andere sind häufig Ausdruck einer Chromosomenstörung. Viele chromosomal bedingte Krankheitsbilder sind allein aufgrund der fazialen Dysmorphien zu erkennen (Wolf-Hirschhorn-Syndrom, Katzenschrei-Syndrom etc.). Kleinere und größere Fehlbildungen Viele Chromosomenstörungen gehen mit Organfehlbildungen einher. Auch auf Fehlbildungen des Skeletts sollte geachtet werden: j Epidemiologie Die Trisomie 21 tritt mit einer Häufigkeit von 1 zu 700 Neugeborene dar und ist damit nicht nur die häufigste Chromosomenstörung, sondern auch die häufigste Ursache von Intelligenzminderung beim Menschen. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei etwa 50 Jahren und ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Etwa 15% der Kinder mit Trisomie 21 versterben im ersten Lebensjahr an den Folgen schwerer Herzfehler oder gastrointestinaler Fehlbildungen. j Klinik Kraniofaziale Dysmorphien Diagnostisch hinweisend sind eine Brachyzephalie, ein hypoplastisches Mittelgesicht mit flachem Nasenrücken, von innen nach außen ansteigende Lidachsen, Epikanthus, kleiner und ein meist aufgrund der muskulären Hypotonie offen gehaltener Mund mit sichtbarer Zunge. Spezifisch sind auch die Brushfield-Flecken in der Iris. Die Ohren sind meist klein und tief angesetzt. Der Hals ist kurz und breit. Weitere klinische Zeichen Es liegen eine ausgeprägte Muskelhypotonie sowie eine Hypermobilität der Gelenke vor. Bei vielen Kindern finden sich Nabel-und Leistenbrüche sowie eine Rektusdiastase. Die Patienten weisen eine Brachydaktylie sowie einen weiten Abstand zwischen 1. und 2. Zehe ("Sandalenfurche") auf. Häufig findet sich eine beidseitige Vierfingerfurche an den Händen. Während die Geburtsmaße meist im unteren Normbereich liegen, entwickelt sich bei allen Patienten ein postnataler Kleinwuchs mit einer Erwachsenengröße zwischen 140 und 160 cm. Sowohl die motori- j Therapie Wachstumshormontherapie Mehrere Multicenterstudien haben gezeigt, dass die Therapie mit Wachstumshormon das Längenwachstum und die Endgröße positiv beeinflusst können. Wesentliche Nachteile, außer den hohen Kosten, hat die Hormontherapie aber nicht. Steroidhormonsubstitution Die Substitution mit Sexualsteroiden (Östrogen, Sequenztherapie mit Östrogen und Gestagen) zur Einleitung der Pubertät sollte erst jenseitseines Knochenalter von 12½-13 Jahren erfolgen. Unter der Hormontherapie bilden sich die sekundären Geschlechtsmerkmale und periodische Blutungen aus und der Körperbau nimmt weibliche Formen an. Die Hormontherapie wird durch endokrinologisch erfahrene Kinderärzte gesteuert. Durch ständig begleitende Gespräche müssen das Selbstbewusstsein stabilisiert, alle Fragen der Sexualität, auch die der Kinderlosigkeit besprochen und der Übergang der Betreuung zu gynäkologisch oder endokrinologisch erfahrenen Ärzten sichergestellt werden. j Epidemiologie Bei etwa 1 auf 1000 neugeborenen Mädchen findet sich eine Trisomie X (47, XXX). Fast immer stammt das zusätzliche Chromosom von der Mutter als Folge einer Fehlverteilung (Non-Disjunction). Der überwiegende Anteil von Mädchen und Frauen ist phänotypisch unauffällig. Viele Frauen mit einem überzähligen X-Chromosom werden nicht diagnostiziert. Allerdings gibt es auch Patientinnen, die einen Hochwuchs, Teilleistungsschwächen besonders im sprachlichen Bereich sowie ein vermindertes Selbstbewusstsein aufweisen. Es ist nicht bekannt, durch welche Faktoren der Phänotyp beeinflusst wird. Der Befund eines Triple-X-Syndroms im Rahmen der Pränataldiagnostik bedarf einer genetischen Beratung. j Therapie Es sollte eine Substitutionstherapie mit Testosteron etwa im Alter von 12-14 Jahren begonnen werden (250 mg/Monat). Eine Testosterontherapie sollte auch dann erfolgen, wenn die Diagnose erst im Erwachsenenalter gestellt wurde, u. a. wegen des erhöhten Osteoporoserisikos. Es bestehen reproduktionsmedizinische Möglichkeiten (ICSI, Tesis) eigene Nachkommen zu haben. Mit jedem zusätzlichen X-Chrosomom nehmen die geistige Behinderung, die fazialen Dysmorphien und Genitalfehlbildungen deutlich zu. Häufig findet sich eine radioulnare Synostose als Leitsymptom. j Therapie Die Therapie ist symptomatisch. Bei Schlafstörungen sollte eine Therapie mit Melatonin erwogen werden. j Genetik Bei etwa 10% der Patienten lässt sich mit Hilfe von lokusspezifischen FISH-Sonden (CREBP-Gen) eine Mikrodeletion 16p13.3, die in der Regel de novo auftritt, nachweisen. Punktmutationen im CREBP-Gen sind bei 40-60% der Patienten nachweisbar. Nur wenige Patienten (ca. 3%) haben Mutationen in einem zweiten für das Rubinstein-Taybi-Syndrom verantwortlichen Gen (EP300-Gen). j Therapie Die Therapie ist symptomatisch. j Genetik Die Genetik des auf dem Chromosom 11 (11p15) lokalisierten Krankheitsbilds ist sehr komplex, die kritische Region unterliegt dem Imprinting. Eine Duplikation 11p15 liegt bei nur bei ca. 1% der Patienten vor. Etwa 20% der Patienten haben eine paternale uniparentale Disomie 11p15. Die häufigste molekulare Ursache sind Imprintingdefekte der LIT1/KCNQ1QT-Gene (60%) sowie Imprintingdefekte in den Genen H19 und IGF2 (15%). Bei 4% der Patienten zeigt sich eine Mutation in einem weiteren Gen der Region 11p15, dem CDKN1C-Gen. Patienten, mit einem Imprintingdefekt im LIT1-Gen haben ein Tumorrisiko von 1-5%, wohingegen, bei Patienten mit Imprintingdefekten im H19-Gen ein Tumorrisiko von 35-45% besteht. Etwa 25-30% der Patienten mit einer paternalen uniparentalen Disomie 11p15 entwickeln einen Tumor, bei Patienten mit unauffälliger Methylierung liegt das Risiko für maligne Erkrankungen bei 10-15%. Die molekulargenetische Diagnostik hat also nicht nur das Ziel, die klinische Diagnose zu bestätigen, sondern hilft auch bei der Einschätzung des Tumorrisikos. Die vergleichende Genomhybridisierung ("comparative genomic hybridisation"; CGH) stellt eine neue Technik zum Nachweis kleinster struktureller Chromosomenveränderungen dar, die mit den konventionellen Methoden der Zytogenetik nicht erkannt werden können. Bei dieser Methode werden mit unterschiedlichen Fluoreszenzfarbstoffen markierte DNA-Proben eines Patienten und einer Kontrolle gegen tausende auf einem Trägermaterial immobilisierte DNA-Fragmente (z. B. Oligonukleotide oder BAC-Klone) aus unserem Erbgut hybridisiert. Durch Vergleich der Fluoreszenzintensität der Patienten-und Kontrollproben können mit diesem Verfahren je nach Auflösungsvermögen des eingesetzten Arrays Deletionen und Duplikationen von weniger als 100 Kilobasen erkannt werden. Indikationen für diese Untersuchung stellen eine mentale Retardierung, tiefgreifende Entwicklungsstörungen des Autismus-Formen-kreises, multiple angeborene Fehlbildungen oder Patienten mit multiplen dysmorphologischen Merkmalen dar. Die Detektions rate einer klinisch relevanten Deletion oder Duplikation liegt in der Größenordnung von 10-15%. Mit Hilfe dieser Technik ist es gelungen, eine Vielzahl neuer Mikrodeletionssyndrome zu identifizieren, die allerdings nicht immer einen eindeutig klinisch erkennbaren Phänotyp aufweisen. Außerdem können mit Hilfe dieser Technik, insbesondere beim Einsatz hochauflösender Arrays, genetische Veränderungen detektiert werden, deren klinische Relevanz zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar ist. In diesen Fällen ist häufig eine anschließende Testung der Eltern hilfreich. Neben Deletionen kommen die analogen Duplikationen vermutlich ähnlich häufig vor. Die klinische Ausprägung ist bei Duplikationen allerdings meist milder. Nicht selten werden insbesondere kleinere Deletionen oder Duplikationen auch bei einem Elternteil oder in geringer Frequenz auch in Kontrollpopulationen gefunden, sodass dann von einer verminderten Penetranz ausgegangen werden muss. Im Folgenden werden einige häufige neu identifizierte Mikrodeletionssyndrome vorgestellt. Deletion tritt in aller Regel de novo auf. In der Deletionsregion befindet sich bei 20% der Europäer ein Inversionspolymorphismus, der fast immer bei einem der Eltern vorhanden ist. j Therapie Die Therapie ist symptomatisch. j Therapie Hier ist besonders auf die Therapie des gastrointestinalen Refluxes (häufig Fundoplikatio notwendig) hinzuweisen, ansonsten ist die Therapie symptomatisch. In den letzten Jahren haben molekulargenetischen Untersuchungen im RAS-Signalweg wesentlich dazu beigetragen, die Klassifikation von Krankheitsbildern des Noonan-Syndrom-Spektrums -Noonan-Syndrom, kardiofaziokutanes-Syndrom und Costello-Syndrom -zu klären. Einige der Gene dieses Signalwegs sind als Onkogene schon lange bekannt. In der Zwischenzeit stehen für das NGS zahlreiche unterschiedliche Technologieplattformen zur Verfügung, die zugrundliegenden Techniken und die notwendigen Chemikalien unterscheiden sich dabei erheblich. Die am häufigsten benutzten Plattformen werden von den Firmen Roche, Illumina und Applied Biosystems/Life Technology angeboten. Diese Systeme unterscheiden sich durch die Durchsatzmenge der Basen und die Länge der sequenzierten Fragmente und werden dementsprechend für verschiedene Fragestellungen genutzt. Die Sequenzierung des gesamten Genoms ("whole genome sequencing", WGS) ist möglich. Einige bekannten Persönlichkeiten (Craig Venter, James Watson etc.) haben mittlerweile ihr gesamtes Genom sequenzieren lassen. Allerdings eignet sich diese Methode derzeit nicht, um in der Praxis routinemäßig eingesetzt zu werden, da die Vielzahl der gefundenen Sequenzvarianten ein erhebliches Problem bei der Interpretation der Daten mit sich zieht. In der Forschung konnte dieser Ansatz jedoch schon in vielen Fällen genutzt werden, um das krankheitsverursachende Gen zu identifizieren. Für die diagnostische Anwendung des NGS ist die Sequenzierung der kodierenden Bereiche ("exom-sequencing") geeignet. Durchschnittlich werden hiermit etwa 25.000 "single nucleotide variants" (SNV) entdeckt. Mehr als 95% dieser Varaianten entsprechen bekannten Polymorphismen. Beim sog. "target enrichment" wird die Anreicherung und Vervielfältigung der DNA-Probe des Patienten auf diejenigen Gene eingegrenzt, die aufgrund der klinischen Verdachtsdiagnose in Frage kommen. Die Arbeitsgruppe von Ngo et al. konnte mit Hilfe der Exomsequenzierung erstmalig 2010 erfolgreich das Gen für das autosomal rezessiv vererbte Miller-Syndrom identifizieren. Für diese Untersuchung reichten zwei betroffene Mitglieder einer Familie. Durch NGS konnte die Anzahl der Kandidaten gene auf 9 reduziert werden. Durch anschließende Sanger-Sequenzierung konnte dann das DHODH-Gen als ursächliches Gen für das Miller-Syndrom identifiziert werden. In der Zwischenzeit ist es auch möglich, mit dieser Methode nach gemeinsamen Haplotypen zu suchen, was die Anzahl der Kandidatengene nochmals reduziert. Durch eine weitere Verbesserung der Methoden ist es sogar möglich gewesen, mit Hilfe von nur einem sporadischen Fall durch NGS das krankheitsrelevante Gen für das Sensenbrenner-Syndrom zu identifizieren. fen, berühren jeden Arzt, der sich mit pränataler Diagnostik beschäftigt. "Können Sie entscheiden, ob das Kind mit Mukoviszidose leben möchte oder nicht? Wie messen Sie den Sinn des Lebens? Glauben Sie nicht, dass das Erkennen eigener Grenzen auch Chancen für ein intensiveres Leben bietet?" Die Lebenserwartung von Mukoviszidosepatienten steigt jedes Jahr um fast 1 Jahr. Die Dynamik der Therapieverbesserung auf mehreren Gebieten bis hin zu ersten Versuchen der Gentherapie haben zur Folge, dass über die Lebenserwartung eines heute geborenen Kindes keine Aussage gemacht werden kann und darf. Ein besonders vielsprechender Ansatz wurde von Vissers et al. im Jahr 2011 beschrieben. Unter der Annahme, dass viele Erkrankungen, die mit einem Intelligenzdefizit einhergehen, sporadisch auftreten, wurde die Hypothese aufgestellt, dass es sich in diesen Fällen um De-novo-Mutationen handeln könnte. In dieser Studie wurde eine Exom-Sequenzierung bei einem Betroffenen und seinen Eltern (Trios) durchgeführt. In 7 von 10 Fällen konnte auf diese Weise die krankheitsverursachende Mutation gefunden werden. Allerdings ist es bei diesem Ansatz (Trio-Strategie) notwendig, pro Patient 3 Exome zu sequenzieren. Seit der Einführung des NGS werden wöchentlich neue Krankheitsgene für autosomal-rezessiv vererbte, aber auch für sehr seltene autosomal-dominante Krankheitsbilder identifiziert (Kabuki-Syndrom, Schinzel-Giedion-Syndrom, Nicolaides-Baraitser-Syndrom und viele andere). Für die ursächliche Klärung von heterogenen Krankheitsbildern werden zunehmend Diagnostik-Panels auf Basis des NGS genutzt, die eine Untersuchung von zahlreichen Genen gleichzeitig ermöglichen. Diese Strategie ist insbesondere für heterogene Krankheitsbilder empfehlenswert, bei denen zahlreiche unterschiedliche Gene für ein Krankheitsbild verantwortlich sind. Zu diesen Krankheitsbildern gehören z. B. die Netzhauterkrankungen (Retinitis pigmentosa), die zu einer frühen Blindheit führen. Aber auch für die Diagnostik von erblichen Hörstörungen, Epilepsie, Mikrozephalien, Bindegewebserkrankungen und vielen anderen Fragestellungen stehen mittlerweile entsprechende "Panels" zur Verfügung. Auch in der pränatalen Diagnostik hat das NGS Einzug gehalten. So gibt es mittlerweile einen Test, durch den es möglich ist, durch Untersuchung der fetalen DNA im mütterlichen Blut die Diagnose einer Trisomie 21 zu stellen. Hier ist zu erwarten, dass es in absehbarer Zeit auch realistisch sein wird, andere häufige Chromosomenstörungen wie die Trisomien 13 und 18 auf diese Weise zu erkennen. Grundsätzlich ist es denkbar, auch ein komplettes fetales Genom zu untersuchen. Hier erfolgte bereits eine erste Publikation. Allerdings ergeben sich doch erhebliche ethische Probleme, was den Umgang mit den gefundenen Daten angeht. Sowohl nicht interpretierbare Ergebnisse als auch Befunde, die ein relevantes Krankheits-oder Krebsrisiko darstellen, sind möglich. Hier sind die Ethikkommissionen gefragt, hohe ethische Standards zu etablieren. Unbedingt ist auf die Einhaltung des Gendiagnostikgesetzes zu achten, insbesondere auch auf das Recht auf Nichtwissen. Das NGS hat unerwartet schnell Einzug in die humangenetische Diagnostik genommen. Mit Hilfe dieser Methode ist es möglich, die Sequenzierung von Genen kosteneffizient und schnell durchzuführen. Es ist zu erwarten, dass die Methoden und insbesondere die bioinformatische Verarbeitung der Daten weiterhin kontinuierlich verbessert werden und in naher Zukunft die Diagnostik in der gesamten Medizin bestimmen. Durch die Exomsequenzierung wird es ermöglicht, viel häufiger als früher eine exakte Diagnose zu stellen, die dann auch Ausgangspunkt für mögliche Therapieansätze sein kann. Auf der Basis einer exakten Diagnose kann dann auch eine bessere genetische Beratung erfolgen. Durch die Identifikation neuer Phänotypen wird in Zukunft auch eine genauere Genotyp-Phänotyp-Korrelation möglich sein. > Es wird von essenzieller Bedeutung sein, wie man mit Zufallsbefunden umgeht, die nicht im Zusammenhang mit der Fragestellung stehen. Array-CGH: Erfahrungen aus Schleswig-Holstein A copy number variation morbidity map of developmental delay Next-generation sequencing: ready for the clinics? Wiedemanns Atlas der Klinischen Syndrome, 6. Aufl Taschenlehrbuch Humangenetik, 8. Aufl. Thieme The chromosome 22 deletion:from the unification of biomedical field to a new kind of genetic condition Exome sequencing identifies the cause of a mendelian disorder Contiguous gene syndromes: A component of recognizable syndrom Genomic microarrays in mental retardation: from copy number variation to gene, from research to diagnosis Microdeletion and Microduplication syndromes