key: cord-0048592-77ddy8sf authors: Rollnik, Jens D.; Brocke, Jan; Gorsler, Anna; Groß, Martin; Hartwich, Michael; Pohl, Marcus; Schmidt-Wilcke, Tobias; Platz, Thomas title: Weaning in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation – Ergebnisse der „WennFrüh“-Studie der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation date: 2020-08-10 journal: Nervenarzt DOI: 10.1007/s00115-020-00976-z sha: 8bdc9a5a2501297f2b74172fad1247d83cf71ba9 doc_id: 48592 cord_uid: 77ddy8sf Neurological and neurosurgical early rehabilitation patients are often so critically ill that they must be weaned from mechanical ventilation in addition to early rehabilitative treatment. The German Society for Neurorehabilitation (DGNR) carried out a survey and asked neurological weaning units to provide information on structural characteristics of the facility, including personnel and technical resources and the number of cases and outcome based on anonymous data. In total 36 weaning units from 11 federal states with a total of 496 beds participated in the survey. From 2516 weaning cases documented in 2019, 2097 (83.3%) could primarily be successfully weaned from mechanical ventilation and only 120 (4.8%) had to be discharged with home ventilation. The mortality in this sample was 11.0% (n = 276). The results of the survey demonstrate that prolonged weaning during early neurological and neurosurgical rehabilitation is an important and effective component of healthcare provision for critically ill patients in Germany. Hintergrund Das Weaning von der mechanischen Beatmung stellt neben der Entwöhnung von der Trachealkanüle und dem damit verbundenen Dysphagiemanagement eine wichtige Aufgabe in der neurologischneurochirurgischen Frührehabilitation (NNFR) dar. Dabei gibt es durch die zugrunde liegenden Schädigungen des zentralen bzw. peripheren Nervensystems erhebliche Besonderheiten im prolongierten Weaning [1, 2] , wenn man es mit dem Weaning bei pneumologischen Patienten [2] vergleicht. Die Patienten der NNFR leiden oft an multiplen und schwerwiegenden neurologischen Symptomen wie Bewusstseinsstörungen, Paresen, Dysphagie und reduzierten Schutzreflexen, sodass häufig noch nach Abschluss der Entwöhnung vom Respirator eine aufwendige Entwöhnung von der Trachealkanüle stattfinden muss. Des Weiteren besteht bei diesen Patienten das Risiko schwerer Komplikationen wie Hydrozephalus, ZNS-Infektion oder Status epilepticus. Der nichtinvasiven Beatmung (NIV) kommt bei diesem Patientengut -im Vergleich zu einer pneumologischen Klientel -wegen der regelhaft anzutreffenden Dysphagie ein deutlich niedrigerer Stellenwert zu [2, 3] . Es steht außer Frage, dass schwer kranke Patienten nach einer neurologischen oder neurochirurgischen Behandlung im Akutkrankenhaus einer nahtlos sich anschließenden und indikationsspezifi-schen Rehabilitation in der NNFR bedürfen. In einer Untersuchung mit 1716 Schlaganfallpatienten wurde beispielsweise gezeigt, dass ein früher Beginn der Rehabilitation innerhalb der ersten Woche nach dem Ereignis zu einem signifikant besseren Outcome führte als ein Beginn zwischen 2 und 4 Wochen [4] . Dieser und andere Befunde haben in der bereits zitierten S2k-Leitlinie zu folgender Empfehlung geführt: "Beatmete Patienten mit Erkrankungen des zentralen und/oder peripheren Nervensystems und/oder (neuro-)muskulären Erkrankungen sollten so früh wie möglich in eine neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitationseinrichtung mit intensivmedizinischer und Weaningkompetenz verlegt werden." [2] . Die NNFR ist als "Phase B" integraler Bestandteil des Phasenmodells der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), das die Versorgung von Patienten mit schweren und schwersten Hirnschädigungen in Deutschland sicherstellt [5] . Dabei folgt die NNFRleistungsrechtlich zumeist als Krankenhausbehandlung gemäß § 39 SGB V -auf die primäre Akutbehandlung (Phase A). Mit zunehmender Selbständigkeit schließen sich die Phasen C und D (Anschlussrehabilitation) als medizinische Rehabilitation ( § 40 SGB V) an [5] . Unter der Phase E versteht man nachgehende Rehabilitationsmaßnahmen, z. B. der medizinisch-beruflichen Rehabilitation [5, 6] . Die Phase F bezeichnet die "funktionserhaltende Dauerpflege" in spezialisierten Pflegeeinrichtungen, die u. a. über Expertise im Trachealkanülenund Dysphagiemanagement verfügen [5] . Dieses Phasenmodell hat sich empirisch in Deutschland sehr bewährt. Die Versorgungsrealität in der Bundesrepublik Deutschland stellt sich so dar, dass die NNFR als spezialisierte Leistung ganz überwiegend in neurologischen Facheinrichtungen, leistungsrechtlich als Krankenhausbehandlung, erbracht wird [7] [8] [9] , dies allerdings oft ohne explizite Erwähnung in den Krankenhausplänen der Länder [9] . Als spezialisierte Krankenhausleistung kann die NNFR entweder unter Bedingungen des DRG-Systems (mit einer eigenen Prozedur: Operationen-und Prozedurenschlüssel [OPS] 8-552 "neurologischneurochirurgische Frührehabilitation"; [10] ) oder in einer "besonderen Einrichtung" erbracht werden. Diese "besonderen Einrichtungen" werden gemäß § 17b Abs. Von den die Weaningeinheit leitenden Ärzten verfügten 27 (75,0 %) über die Zusatzbezeichnung "Intensivmedizin", 20 leitende Ärzte hatten eine Nervenarzt https://doi.org/10.1007/s00115-020-00976-z © Der/die Autor(en) 2020 Neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation · Neurorehabilitation Beatmungsentwöhnung · Weaning · Rehabilitation · Heimbeatmung Weaning in neurological and neurosurgical early rehabilitation-Results from the "WennFrüh" study of the German Society for Neurorehabilitation Abstract Neurological and neurosurgical early rehabilitation patients are often so critically ill that they must be weaned from mechanical ventilation in addition to early rehabilitative treatment. The German Society for Neurorehabilitation (DGNR) carried out a survey and asked neurological weaning units to provide information on structural characteristics of the facility, including personnel and technical resources and the number of cases and outcome based on anonymous data. In total 36 weaning units from 11 federal states with a total of 496 beds participated in the survey. From 2516 weaning cases documented in 2019, 2097 (83.3%) could primarily be successfully weaned from mechanical ventilation and only 120 (4.8%) had to be discharged with home ventilation. The mortality in this sample was 11.0% (n = 276). The results of the survey demonstrate that prolonged weaning during early neurological and neurosurgical rehabilitation is an important and effective component of healthcare provision for critically ill patients in Germany. Early neurological and neurosurgical rehabilitation · Neurorehabilitation · Mechanical ventilation · Weaning · Rehabilitation · Home ventilation Weiterbildungsermächtigung für "Intensivmedizin" (55,5 % aller teilnehmenden Kliniken), 9 davon für die Dauer von 6 Monaten, 3 Im Diagnosespektrum ist die Diagnose der "critical illness polyneuropathy/ myopathy" (CIP/CIM) führend, die etwa ein Viertel aller Fälle ausmachte (23,3 %). Dieser Anteil ist etwas geringer als in einer großen multizentrischen Untersuchung, in der immerhin jeder 3. Patient mit dieser Aufnahmediagnose behandelt wurde [1] . Nicht selten wird vermutet, dass es sich bei einer CIP um eine "Feigenblattdiagnose" handele, die eine primäre Fehlbelegung in einer neurologischen Klinik verhindern helfen solle. Tatsächlich konnte aber in einer Studie gezeigt werden, dass sie bei 83 % der Patienten klinisch bzw. klinisch-neurophysiologisch evident und mit einem erheblichen Behandlungsaufwand bei sehr schwer kranken, multimorbiden Patienten verbunden ist [14] . BesonderesAugenmerkhatdie Wenn-Früh-Studie auf die ärztliche Kompetenz gerichtet, da insbesondere die Weiterbildungsmöglichkeiten für Neurologen im Hinblick auf die Zusatzbezeichnung "Intensivmedizin" begrenzt sind [15] . Aus diesem Grund wurde die in der pneumologischen Weaningleitlinie geforderte formale intensivmedizinische Qualifikation des ärztlichen Leiters [3] nicht in die DGNR-Leitlinie aufgenommen [2] . In letzterer wird die Qualifikation des Behandlungsteams mit einem Fokus auf Erfahrung wie folgt definiert: "Idealerweise sollten geeignete Einrichtungen über ein Behandlungsteam mit langjähriger intensivmedizinischer, neurologischer und neurochirurgischer Expertise verfügen und von einer/einem Fachärztin/Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie mit intensivmedizinischer Erfahrung geleitet werden." [2] . Die WennFrüh-Studie zeigte zwar, dass 75 % der ärztlichen Leiter über die Zusatzbezeichnung "Intensivmedizin" verfügten, die Weiterbildungsmöglichkeiten innerhalb der Einrichtungen, die bei WennFrüh teilgenommen haben, waren aber sehr eingeschränkt. Nur in 7 Einrichtungen (19,4 %) lag die volle Weiterbildungsermächtigung für "Intensivmedizin" (24 Monate) vor. Die ärztlichen Leiter von Weaningbereichen der NNFR, welche nicht die Zusatzbezeichnung "Intensivmedizin" besaßen, verfügten allerdings in hohem Maße über die von der DGNR-Leitlinie geforderte "intensivmedizinische Erfahrung": Ihre Erfahrung in der Intensivmedizin bzw. der Beatmungsentwöhnung neurologisch-neurochirurgischer Frührehabilitanden erstreckte sich nämlich im Mittel über etwa 16 Jahre. Dieses unterstützt die in der Leitlinie "Prolongiertes Weaning" dokumentierte Position der DGNR, dass die Forderung nach der Zusatzbezeichnung "Intensivmedizin" als formales Kriterium für ärztliche Leiter von Weaningbereichen in der NNFR nicht sinnvoll ist. Die für pneumologische Weaningzentren eingeforderte pneumologische Kompetenz war nur in weniger als der Hälfte der teilnehmenden Einrichtun-gen verfügbar, wurde dann aber in zwei Dritteln der Einrichtungen nur bis zu 4-mal im Monat genutzt. Diese geringe Nutzungsfrequenz bei guten Behandlungsergebnissen spricht dafür, dass angesichts der spezifischen Patientenklientel der NNFR und dem daraus resultierenden frührehabilitativen Behandlungsschwerpunkt eine ständige pneumologische Präsenz verzichtbar ist. Die Bedeutung der Zusammenarbeit der medizinischen Fachdisziplinen bei der Behandlung multimorbider, beatmeter Patienten war nicht Gegenstand von WennFrüh, sollte aber in zukünftigen Untersuchungen berücksichtigt werden. Derbesondere therapeutische Schwerpunkt in der NNFR zeigt sich in einer hohen Verfügbarkeit von Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und differenzierter Dysphagietherapie. Obwohl die Kodierung des OPS 8-552 nicht zu einem höheren Erlös führt (s. oben), haben über 90 % eine neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation nach den Regeln derProzedurdurchgeführtund diese therapeutischen Ressourcen "an das Bett gebracht". Dies trifft auch für die relativ neue Disziplin der "Atmungstherapie" zu [16] , einer Weiterbildung, die primär für (Intensiv-)Pflegekräfte vorgesehen ist und von 86 % der Leistungsanbieter vorgehalten wurde. Die WennFrüh-Studie lässt auch Aussagen über die Auswirkungen der Pflegepersonaluntergrenzenverordnung (PpUGV) zu. Die meisten Kliniken legten die Untergrenzen für eine Intensivstation zugrunde. Zwar konnten die Untergrenzen vor der SARS-CoV-2-Pandemie weitestgehend eingehalten werden, aber nur zum Preis von Kapazitätseinbußen. Drei Viertel der Leistungserbringer waren gezwungen, Betten zu schließen, um die Untergrenzen einhalten zu können. Dies ist für die Versorgung schwerstbetroffener Frührehabilitanden ein besorgniserregender Befund, zumal bereits heute die Behandlungskapazitäten in der NNFR, v. a. auf Weaningstationen, gar nicht ausreichen. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass nur 45 % der niedersächsischen Patienten im eigenen Bundesland einen Frührehabilitationsplatz erhalten, bei den Beatmeten waren es sogar nur 37 % [8] . Andererseits ist das Anliegen der PpUGV, so berechtigt es dem Grunde nach ist, durch die PpUGV für die NNFR nicht sachgerecht umgesetzt. Denn in der NNFR wird der Patient von einem interprofessionellen Team betreut, in dem auch therapeutische Berufsgruppen in erheblichem Umfang Leistungen erbringen, die sonst auf einer Intensivstation allein durch Pflegepersonal erbracht wird, wie z. B. Körperpflege mit therapeutischem Ansatz, Mobilisation und Trachealkanülenmangement. Doch diese Aspekte der Patientenversorgung finden in der PpUGV keine Berücksichtigung. Damit generiert die PpUGV in der NNFR teilweise indirekt eine Kapazitätsverknappung (Nichtnutzung von Bettenkapazitäten), obwohl keine konkrete Patientenmangelversorgung besteht. Hier gibt es Anpassungsbedarf, um eine ausreichende Versorgung schwerst Betroffener zu ermöglichen und damit Lebensqualität zu fördern und die Vermeidung langfristiger außerklinischer Beatmung zu garantieren. Sollte die durch PpUGV herbeigeführte Kapazitätsverknappung in der NNFR aufrechterhalten werden, sind nicht geringe Folgekosten zu befürchten, da mehr Patienten, die geweant und dekanüliert werden könnten, stattdessen ggf. direkt von Akutintensivstationen in die außerklinische Intensivpflege verlegt werden müssten. Dadurch würde in der außerklinischen Intensivpflege noch mehr Pflegepersonal gebunden, wodurch sich der Pflegepersonalmangel in den Krankenhäusern weiter verschlechtern könnte. Was die in der Pneumologie bereits durchgeführte Zertifizierung von Weaningzentren anbelangt, sprachen sich immerhin 61 % der Studienteilnehmer dafür aus, dies auch für Weaningzentren in der NNFR vorzusehen. In Anbetracht der Versorgungsrelevanz und des spezifischen Behandlungsansatzes kann die Etablierung einer Zertifizierung für Weaningzentren in der NNFR ein relevantes Thema für die DGNR sein, um Qualitätssicherung in diesem Versorgungsbereich zu unterstützen. Der Forderung der Leitlinie zum prolongierten Weaning in der NNFR nach einer poststationären Versorgung [2] ist Eine Bestandsaufnahme der AG Neurologische Frührehabilitation Prolongiertes Weaning in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation. S2k-Leitlinie herausgegeben von der Weaning-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation e. V. (DGNR) Prolongiertes Weaning. S2k-Leitlinie herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e Early and long-term outcome of rehabilitation in stroke patients: the role of patient characteristics, time of initiation, and duration of interventions Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation. Empfehlungen zur Neurologischen Rehabilitation von Patienten mit schweren und schwersten Hirnschädigungen in den Phasen B und C. BAR Publikation Die medizinisch-berufliche Rehabilitation in der Neurologie Strukturen der neurologischen Frührehabilitation (Phase B) in Deutschland Neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation im Land Niedersachsen und Bremen Argumente für eine Zuordnung der neurologischneurochirurgischen Frührehabilitation (Phase B) zum Krankenhausbereich ( § 39 SGB V). Positionspapier der Kliniken des Verweildauerentwicklung in der neurologischen Frührehabilitation German hospital capacities for prolonged mechanical ventilator weaning in neurorehabilitation-results of a representative survey Beatmung in der neurologischen Frührehabilitation Weaning of neurological early rehabilitation patients from mechanical ventilation: a retrospective observational study Critical illness polyneuropathy (CIP) in neurological early rehabilitation: clinical and neurophysiological features Neurointensivmedizin in Deutschland Einfluss der Atmungstherapie auf die Inzidenz von nosokomialen Pneumonien in der neurologischneurochirurgischen Frührehabilitation: Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Analyse