key: cord-0047275-tfvn7xp8 authors: Wilkesmann, Maximiliane; Wilkesmann, Uwe title: Spitzengastronomie und die Corona-Krise date: 2020-07-09 journal: Nicht nur eine Frage des guten Geschmacks! DOI: 10.1007/978-3-658-30545-1_6 sha: 8110bace46b36333951b197d6869c51302500596 doc_id: 47275 cord_uid: tfvn7xp8 Die Corona-Pandemie hat die Spitzengastronomie massiv getroffen. Wie gingen Köchinnen und Köche zu Beginn des Shutdowns mit den unerwarteten Herausforderungen um? Wie verändert der Corona-Shutdown die Situation der (Spitzen-)Restaurants in Deutschland? Wie reagieren diese auf die Krise? Diese Fragen haben wir im Rahmen einer Studie untersucht. Die zentralen Ergebnisse stellen wir in diesem Kapitel vor. chelin gelistet sein müssen. Im Rahmen einer Online-Befragung, welche vom 22. März bis 5. April 2020 bundesweit stattfand, haben wir zunächst alle aktuellen 309 Sterneköchinnen und -köche in Deutschland über einen selbst erstellten Verteiler angeschrieben und diese gebeten, nicht nur den von uns entwickelten Fragebogen auszufüllen, sondern den Befragungslink an ihr Küchenteam sowie befreundete Köchinnen und Köche wei ter zuleiten. Insgesamt haben 128 Personen den Fragebogen vollständig ausgefüllt, die in Restaurants mit Sterneauszeichnung durch den Guide Michelin tätig sind, darunter sind 68 Befragte als Chefköchinnen und -köche tätig. Dies entspricht einer überdurchschnittlichen Rücklaufquote von 22 %. Weil uns bei den Sterneköchinnen und -köchen die Grundgesamtheit von 309 Köchinnen und Köchen mit einer solchen Auszeichnung durch den Guide Michelin bekannt ist, kann die Verteilung der 1-, 2-und 3-Sterne köchinnen und -köche, die Relation zwischen angestellten und selbstständigen Sterneköchinnen und -köchen in unserer ersten Erhebung als repräsentativ angesehen werden. Mit Hilfe einer zweiten Befragung haben wir vom 29. 03. bis zum 10. 04. 2020 zusätzlich die Perspektive der Servicekräfte, der Restaurantbesitzer und der Gäste in den Blick genommen. Der Aufruf zur Beteiligung an der Befragung erfolgte zum einen über den Facebook-Account von »Sternefresser.de -Das kulinarische Online-Magazin« und zum anderen über die Newsletter und Social Media Kanäle der »ahgz -Allgemeine Hotel-und Gastronomie-Zeitung« und »gastrotel«, einem Fachmagazin für Unternehmer und Manager in Gastronomie und Hotellerie in Deutschland. Nach der Bereinigung dieses Rohdatensatzes, bei der u. a. leere Fragebögen, unplausible Antworten und Befragte aus anderen Ländern als Deutschland entfernt wurden, verteilt sich die Anzahl der für Deutschland auswertbaren Fälle auf die einzelnen Befragtengruppen wie folgt: 159 Personen arbeiten in der Küche, 136 Personen arbeiten im Service, 125 Personen sind Restaurantbesitzer und 104 Personen haben den Fragebogen als Restaurantgäste ausgefüllt. Da in der zweiten Umfrage keine Angaben über die Grundgesamtheit der Befragten vorliegen, lässt sich keine Rücklauf quote berechnen und die Daten können, auch aufgrund der Erhebungs methode, im Gegensatz zur ersten Befragung nicht als repräsentativ angesehen werden. Zudem war die Beendigungsquote, d. h. diejenigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die den Online-Fragebogen angeklickt und bis zum Ende vollständig durchgeklickt haben, bei der ersten Befragung mit 43 % wesentlich höher als in der zweiten Befragung (29 %). Gleichwohl lässt sich eine aktuelle Grundstimmung der einzelnen Befragtengruppen zur Corona-Krise in Deutschland beschreiben. Wir haben für diese Studie die Da-ten aus beiden Befragungen zu einem Datensatz gematcht, sodass zu den 128 befragten Sterneköchinnen und -köchen aus der ersten Befragung noch 159 Köchinnen und Köche aus der zweiten Befragung hinzugenommen wurden und in der Summe 289 Köchinnen und Köche beteiligt waren. Zur Auswertung standen uns insgesamt 654 auswertbare Fragebögen zur Verfügung. Die Ergebnisse werden wir zunächst gruppenspezifisch (Küchenpersonal, Servicepersonal, Restaurantbesitzer, Gäste) und anschließend ausgewählte Ergebnisse im Gruppenvergleich vorstellen. Nach der Bereinigung und Zusammenführung der Datensätze standen 289 vollständig ausgefüllte Fragebögen für diese Gruppe zur Verfügung, davon sind 90,5 % Männer und 9,5 % Frauen. Das Durchschnittsalter der Befragten liegt bei 34,7 Jahre und reichte von 18 Jahre bis 66 Jahre. Aufgrund der Ausrichtung der ersten Befragung auf die Chefköchinnen und -köche in der Spitzengastronomie, gemessen an der Sterneauszeichnung, ist die Selbst wenn in der Gastronomie häufig mit Aushilfskräften gearbeitet wird, summieren sich die Kosten laut Aussage einer Interviewpartnerin aus der Sternegastronomie in einem inhabergeführten Sternerestaurant schnell auf 50 000 Euro an fixen Personalkosten pro Monat. Weitere Kosten für die Miete bzw. Pacht, Energie-und Warenkosten und die Bestückung des Weinkellers sowie etwaige Investitionskosten (z. B. wenn die Küche modernisiert wurde) kommen hinzu. Hier wäre zu vermuten, dass es aufgrund der höheren Personalkosten im Bereich der Sternerestaurants früher zu Schließungen kommt. Doch das Gegenteil ist der Fall: 50 % der Restaurants können maximal 6 Wochen überleben, wenn der Corona-Shutdown bestehen bleibt. Im Durchschnitt sind es maximal 9 ½ Wochen. Sternerestaurants gaben an, dass sie im Schnitt fast 2 Wochen länger geschlossen durchhalten können (knapp 11 Wochen), während die Restaurants, die keine Sterneauszeichnung besitzen, nur 8 Wochen den Corona-Shutdown überleben können. Auch ein Branchenkenner äußerte sich uns gegenüber im Interview, dass etwa 30 % der Restaurants schon vor der Corona-Krise »von der Hand in den Mund gelebt haben, weil sie nicht richtig rechnen können.« Diese Restaurants trifft die Krise natürlich schon vor den genannten 6 Wochen. In diese Kategorie fallen bereits erste Sterne-Restaurants, bei denen der Corona-Shutdown für das endgültige Aus sorgte, wie im Fall der »Kadeau Group«, zu der in Kopenhagen ein 2-Sternerestaurant und Bornholm ein 1-Sternerestaurant gehörte. In der Schweiz schloss das 2-Sternerestaurant Ecco in Zürich als eines der ersten im Guide Michelin ausgezeichneten Restaurants. Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen, dass ein Großteil der Restaurants bei anhaltendem Verbot, das Restaurant zu betreiben, spätestens Anfang bzw. Mitte Mai in Liquiditätsengpässe geraten, die sie zur Aufgabe des Restaurants zwingen -auch wenn sie vorher gut gewirtschaftet haben. Es ist zu vermuten, dass Verluste durch die Corona-Krise in der Spitzengastronomie, bei denen Hotelketten oder Mäzene im Hintergrund aktiv sind, möglicherweise einfacher abgefedert werden können, als bei den selbstständigen Köchinnen und Köchen, die ein einzelnes Restaurant betreiben und auf keinen anderen Geschäftsfeldern aktiv sind. Eine bekannte Ausnahme im 2-Sternebereich ist beispielsweise Frank Rosin, der neben seinem 2-Sternerestaurant noch weitere Firmen unterhält und zusätzlich in den Medien sehr präsent ist. Besonders hart dürfte es in der Corona-Krise daher selbstständige Sterneköchinnen und -köche treffen, weil sie im Gegensatz zu ihren angestellten Sternekollegen selbst für finanzielle Rücklagen in Krisenzeiten sorgen müssen. In der Darstellung der Befragungsergebnisse werden wir daher zwischen angestellten und selbstständigen Chefköchinnen und -köchen differenzieren. angestellte vs. selbstständige chefköchinnen und -köche. Wenn wir nur die Antworten der Chefköchinnen und -köche betrachten, ergeben sich interessante Unterschiede im Hinblick darauf, ob sie selbstständig oder angestellt sind. Angestellte Chefköchinnen und -köche denken auf einer Skala von 1 (= stimme überhaupt nicht zu) bis 5 (= stimme voll und ganz zu) etwas eher, dass ihr Restaurant dauerhaft schließen (Mittelwert 2,37) oder ihr Team dauerhaft verkleinert werden muss (3,14) als selbstständige Chefköchinnen und -köche (1,62 bei Schließung und 2,55 bei Verkleinerung). Insgesamt gehen beide Gruppen davon aus, dass das Restaurant nicht dauerhaft schließen muss. Die selbstständigen Chefköchinnen und -köche hoffen aber deutlich mehr, dass die Gäste nach der Krise gutes Essen mehr Wert schätzen als vor der Krise (3,69) im Vergleich zu den angestellten Chefköchinnen und -köchen (3,17). In der Einschätzung der politischen Maßnahmen differieren beide Gruppen nur bei zwei Einschätzungen. Die Selbstständigen bewerten die Aussage, dass es viel zu lange dauert, bis die Unterstützungsgelder ankommen, signifikant höher ein als die angestellten Chefköchinnen und -köche. Beide Gruppen stimmen aber der Aussage sehr hoch zu, dass die jetzt erlittenen Verluste durch den Wegfall der Gäste später nicht wieder ausgeglichen werden können. Fakt ist: Ein nicht besetzter Platz an einem Abend kann eben nicht dadurch ausgeglichen werden, indem zwei Personen auf einen Platz am nächsten Abend gesetzt werden. Aus diesem Grund herrscht eine pessimistische Grundstimmung vor, was das langfristige Überleben trotz der beschlossenen Hilfsmaßnahmen angeht. reaktionen Als Strategie mit der Krise umzugehen haben 24 % der Köchinnen und Köche geantwortet, einen Take-Away-Service und 12 % einen Lieferservice gestartet zu haben. Zum Befragungszeitpunkt beteiligten sich 6 % der Restaurants, in denen die Befragten tätig sind, an Charity-Aktionen. Die Köchinnen und Köche geben an (Mehrfachantworten), dass sie in der Zeit der Schließung neue Menüs entwickeln (28,4 %), ihre Rezepte digitalisieren (28,4 %), die Zeit für den Dreh von Kochvideos (1,6 %) nutzen oder an einem Kochbuch schreiben (1,6 %). Fast ein Viertel der befragten Chefköchinnen und -köche kreuzten an, einfach nichts zu tun (22,5 %). Dar über hinaus gaben 17,3 % der Befragten an, sich mit sonstigen Aktivitäten die Zeit zu vertreiben (z. B. sportliche Aktivitäten, Home-Schooling mit ihren Kindern, bei der Ernte helfen). Unterschiede zwischen Chefköchinnen und -köchen und den nachgeordneten Personen in der Küche gibt es nicht. Wie die Studienergebnisse im Bereich der Servicekräfte ausfallen, werden wir nun näher betrachten. Im Service rangiert das Alter der 132 Befragten zwischen 21 und 68 Jahren. Im Durchschnitt beträgt das Alter 33,3 Jahre. 51,5 % der befragten Servicekräfte ist männlich und 48,5 % weiblich. Im Ebenso werden das Geschäft und der Kundenkontakt z. T. mit Take-Away-oder Lieferservice-Angeboten aufrechterhalten. 24 % der Köchinnen und Köche und ebenso viele Restaurantbesitzer nennen Take-Away-Service als Krisenmaßnahme. Jeweils die Hälfte davon (12 %) nennt Lieferservice als neues Angebot. Beide Angebotsformen sind nicht nur auf Sternerestaurants in Großstadtlagen beschränkt, sondern lassen sich auch in ländlicher Umgebung realisieren, wie die Beispiele des 1-Sternekochs Sascha Stemberg in Velbert und der 2-Sterneköchin Douce Steiner in Sulzburg zeigen. In einigen Fällen rufen diese Angebote jedoch Irritationen bei den Gästen hervor, weil sich ein Sternemenü nicht einfach in Pappkartons zum Mitnehmen transformieren lässt. Außerdem fehlt natürlich der Service, der die Gäste durch den Abend trägt. Insgesamt ist zu diesen Angeboten aber zu sagen, dass sie (noch) kein gleichwertiges Geschäftsmodell darstellen, weil sich hiermit die laufenden Kosten kaum decken lassen. Ein 1-Sternekoch kommentierte dies im Freitextfeld unserer Befragung mit Für die Köchinnen und Köche sowie alle anderen Beschäftigten in der Gastronomie wird die Einschätzung der Gäste etwas tröstlich sein, dass gutes Essen nach der Krise noch mehr wertgeschätzt wird als vorher sowie die Erwartung, dass nach der Isolation noch häufiger essen gegangen wird als vorher. Es bleibt abzuwarten, ob die Gäste sich an ihren eigenen Erwartungen orientieren. Aber auch einige Köchinnen und Köche sind hoffnungsvoll gestimmt. So schrieb der Chefkoch eines 1-Sternerestaurant am Ende der Befragung: »Ich glaube, nach der Krise werden Menschen wieder mehr wertschätzen wie viel Arbeit im Kochen steckt, nun müssen Sie ja doch ganz schön oft selbst kochen« (Chefkoch, 1-Sternerestaurant). Fakt ist, dass die durch den Corona-Shutdown erlittenen Schäden in der Gastronomie durch Hilfsmaßnahmen nur verschoben werden und eine Pleitewelle mit Verzögerung auf die Gastronomie zurollt. Ob dies der Fall sein wird, müsste zu einem späteren Zeitpunkt erneut überprüft werden. Zur Zeit der Abfassung dieses Textes ist noch unklar, ob das zarte Pflänzchen der feinen Esskultur in Deutschland eingehen wird oder nicht. Selbst für Sterneköche steht momentan das Zubereiten von kulinarischen Highlights, die einer Bewertung des Guide Michelins standhalten, nicht mehr im Mittelpunkt. Vielmehr schrauben sie ihre Ansprüche herunter und kochen häufig »einfache« Gerichte für ihre Gäste als Take-Away-Angebot oder für die »Helden« der Corona-Krise. Eine Sterneköchin spitzte uns gegenüber die aktuelle Situation folgendermaßen zu: »Der Guide Michelin war bisher eine gute Sache für die Spitzengastronomie. Aber ich habe keine Ahnung, welche Wichtigkeit die Auszeichnung noch hat. Im Moment sehe ich einfach Gäste primär Restaurants besuchen, die sich in der Krise helfend gezeigt haben (z. B. »Kochen für Helden«). Gäste nach der Isolation ö er essen gehen werde.Gäste gutes Essen noch mehr wertschätze, als vor der Krise.vor allem die Spitzengastronomie dauerha darunter leiden wird. primär die kleinen inhabergeführten Restaurants leiden werden. die gesamte Gastronomie darunter leiden wird.