key: cord-0043631-3k17eyqx authors: Diekmann, Berend title: Globale Handelsordnung — mit den oder ohne die USA? date: 2020-05-20 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-020-2648-9 sha: ef0092ebc6aa758b6e677fbdc095aa2542a12c33 doc_id: 43631 cord_uid: 3k17eyqx nan einer ausgebildeten Industriearbeiterschaft. Das überragende Interesse der USA an einer stabilen Weltwirtschaftsordnung mit offenen Märkten war also durchaus auch eigennützig: Nur stabile Märkte mit klaren Handelsregeln waren aufnahmebereit für US-Waren. Mit wechselnden Motiven unterstützten die USA in den folgenden Dekaden die Weiterentwicklung der internationalen Handelsordnung bis hin zum Abschluss der Uruguay-Runde 1994, in der die Welthandelsorganisation (WTO) aus der Taufe gehoben wurde. Wesentliche Beweggründe waren die Idee, die ehemaligen Staatshandelsländer und etwas später auch das sich öffnende China in eine Welthandelsordnung zu integrieren, die von der Marktöffnung als Leitmotiv bestimmt war. Mit Sicherheit schwang dabei die Absicht mit, diese Märkte für Anbieter aus den USA besser zu öffnen und umgekehrt die USA selbst mit günstigen Zwischen-und Konsumprodukten zu versorgen. Diese Strategie verfolgten die USA ungeachtet des Umstands, dass das Verarbeitende Gewerbe der USA zu diesem Zeitpunkt im Außenhandel nur noch Zeitgespräch hänge: Sie denken in Ad-hoc-Deals, sehen ein Handelsbilanzdefi zit als monetären Verlust und Handelsbilanzüberschüsse als Gewinn im betriebswirtschaftlichen Sinn. Sie beschränken sich auf die alleinige Betrachtung der Warenhandelsbilanz und blenden andere wichtige Zusammenhänge (wie z. B. den Handel mit Dienstleistungen, Primäreinkommen, Intrafi rmenhandel) aus. Die schiere Größe des US-Markts bewegt sie dazu, Zölle bzw. generell politisches Wohlverhalten wie ein "Eintrittsgeld" in den US-Markt zu nutzen und die gestiegene geopolitische Unsicherheit bei kleineren Partnern merkantilistisch auszubeuten. In ihrem betriebswirtschaftlichen, kurzfristigen Kalkül gibt es sogar einen Anreiz, Unsicherheit zu schüren. Das resultatorientierte Verhalten führt zusammen mit einer betriebswirtschaftlichen Auffassung von Außenwirtschaft zu einem unsteten, um nicht zu sagen unzuverlässigen handelspolitischen Verhalten der USA. Welchen Einfl uss diese Entwicklung jedoch zugleich auf die Haltung der USA zum Freihandel ausüben konnte, war an der harten US-Reaktion auf die japanischen Exporterfolge in den 1980er Jahren abzulesen. Japanische Anbieter sahen sich einem enormen Druck ausgesetzt, der zu "freiwilligen" Exportbeschränkungen und mehr oder weniger erzwungenen japanischen Direktinvestitionen in den USA führte. Die Schwankungen in der US-Haltung zu einer multilateralen Handelsordnung haben sich nach 1994 sowohl durch interne wie durch externe Faktoren noch verstärkt. Zu den internen Faktoren zählten z. B. das Misstrauen gegenüber der Wirksamkeit von Regelsystemen im Welthandel und einer Beschränkung der eigenen Souveränität. Dieses Misstrauen war zwar schon immer vorhanden. Hinzu trat aber nun die verstärkte Wahrnehmung eines Gegensatzes zwischen Regeln und Resultaten. Die Regeln waren und sind aus US-Sicht entweder zu vage formuliert, die Sanktionsmechanismen zu langsam und unzureichend, sie sind für neue Herausforderungen (China) ungeeignet oder sie greifen zu sehr in die Souveränitätsrechte ein. Traditionell reagieren die USA zudem besonders empfi ndlich auf Konstruktionen, die dazu führen, dass internationale Entscheidungen US-Recht aushebeln können (Felbermayr, 2018) . Als externe Faktoren kamen die Auslagerung von amerikanischer Produktion ins Ausland (offshoring), das Phänomen eines Wachstums ohne mehr Arbeitsplätze (jobless growth) und ein ausuferndes Handelsbilanzdefi zit hinzu. Über allem rangierten der mit immer mehr Unbehagen wahrgenommene wirtschaftliche Aufstieg Chinas und das Scheitern der Integration Russlands in die Gruppe der marktwirtschaftlich und demokratisch verfassten Länder. Diese Faktoren führten zu der Hinwendung der USA zu einer an schnelllebigen, vorteilhaften Resultaten orientierten Handelspolitik. Dies manifestiert sich nicht nur in klar defi nierten und inzwischen auch quantifi zierten Marktzugangszielen der USA, wie schon beim von der Obama-Regierung formulierten Ziel der Verdopplung der US-Exporte zu beobachten. Vielmehr wuchs der Merkantilismus mit dem Amtsantritt der Trump-Administration in eine neue Dimension hinein. Einfl ussreiche Teile der neuen US-Regierung einschließlich des Präsidenten selber missverstehen die wirtschaftspolitische Aufgabe als betriebswirtschaftliches Thema und verkürzen Zusammen- Insbesondere die betonte Rolle der nationalen Sicherheit für die Handelspolitik und die explizit angekündigte aggressive Durchsetzung von US-Handelsrecht akzentuieren den veränderten Ansatz. Aber auch hinter dem Ziel verbesserter Handelsabkommen verbirgt sich handelspolitischer Sprengstoff, denn spätestens seit dem Abschluss der Neuverhandlungen zum Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA), nunmehr US-Mexico-Canada Agreement (USMCA) genannt, ist klar, dass damit vor allem verschärfte Ursprungsregeln und mehr "local Content" gemeint ist, also Bedingungen, die den globalen Handel nicht fördern, sondern bremsen. Von den nur drei Jahre zuvor vom CEA aufgelisteten Argumenten ist kaum noch etwas übrig. Mit diesem handelspolitischen Ansatz können die USA die Rolle des kompensierenden Hegemons, die sie über Dekaden im GATT und zunächst auch in der WTO einnahmen, nicht mehr spielen. Hegemon sind die USA, weil sie über Jahrzehnte den Mitgliedern des GATT/der WTO nicht nur den Zugang zum lukrativen US-Markt zu stabilen Bedingungen boten, sondern auch ihr politisches Gewicht in die Waagschale warfen, damit die Regeln Glaubwürdigkeit und Gültigkeit behielten. Allerdings hat die Welthandelsordnung mit dem protektionistischen Ansatz der USA nicht nur ihren Hegemon verloren. Man kann sie und die zugehörige Welthandelsorganisation WTO volkswirtschaftlich als Klubgut charakterisieren. Als Klubgut werden Güter bezeichnet, bei denen Ausschließbarkeit von der Nutzung möglich ist und keine oder eine nur geringe Rivalität im Konsum vorliegt. Die Mitgliedschaft in einem Klub ist freiwillig. Nicht-Zahler können von der Mitgliedschaft im Klub/der Nutzung des Klubguts ausgeschlossen werden. Diese Defi nition trifft grundsätzlich auf die WTO und ihre Mitgliedschaft zu. Allerdings funktioniert ein solches Klubgut umso besser, je homogener die Interessen der Klubmitglieder sind, je homogener die Leistungen ausfallen und je ausgewogener die Lastenverteilung ist (Langhammer, 2010) . Die WTO-Mitglieder sind infolge der steigenden Mitgliederzahl inzwischen in ihren Interessen sehr heterogen. Auch die Homogenität der Themen ist angesichts der Ausweitung des Themenspektrums in der WTO nicht mehr gegeben. Um ein Extrembeispiel zu nehmen: Aus Zollverhandlungen im GATT sind zuletzt sogar Diskussionen um Handel und Geschlechtergerechtigkeit in der WTO geworden. Gerade für große WTO-Mitglieder ist es deshalb sehr attraktiv geworden, eine Homogenität des Klubgutes "Handelsordnung" wieder herzustellen, indem sie ihre Interessen mit gleichgesinnten Partnern außerhalb der WTO verfolgenz. B. durch bilaterale und plurilaterale Handelsabkommen. Beschwerdeführer und in 155 Fällen Beschwerdegegner (WTO, 2020; eigene Berechnungen). Damit entfi elen auf die USA 47 % aller Fälle. Zusätzlich beteiligten sich die USA in 158 Fällen als Drittpartei. Folglich wird nur etwa ein Viertel aller Streitverfahren ohne US-Beteiligung geführt. In fast der Hälfte aller Verfahren traten die USA aktiv entweder als Beschwerdeführerin oder als Drittpartei auf. Besser lässt sich das rege Interesse der USA an der WTO-Streitbeilegung kaum belegen. Geradezu exemplarisch zeigt sich die -je nach politischer Ausrichtung der Regierung -stärker denn je schwankende US-Haltung zur Rolle des Freihandels insgesamt bei einem Vergleich der Argumentation in der Studie des Council of Economic Advisers (CEA) zu den wirtschaftlichen Vorteilen des Außenhandels von 2015 mit den Aussagen in der vom US-Handelsbeauftragten (USTR) Damit gerät allerdings auch der originäre Anspruch der Welthandelsordnung ins Wanken: die Nicht-Diskriminierung auf Basis der Gegenseitigkeit. Sie besteht aus den beiden Komponenten Meistbegünstigung und Inländerbehandlung und ist damit so angelegt, dass auch Mitgliedsländer mit geringerer Marktgröße gleichberechtigt partizipieren können. Zusammen mit dem Gesamtverpfl ichtungsansatz (single undertaking), der es erlaubt, Marktöffnungen in unterschiedlichen Sektoren gegeneinander aufzurechnen, war die Handelsliberalisierung ursprünglich so strukturiert, dass alle Mitgliedstaaten ausreichend Spielräume für Erfolge und Zugeständnisse hatten. Da zugleich ein Hegemon vorhanden war, hatte das WTO-Regelwerk eine vergleichsweise hohe Bindungskraft und erschien nicht-kooperatives Verhalten lange Zeit unattraktiv. In ihrer Distanzierung von der bisherigen Welthandelsordnung gehen die USA aber zuletzt konzeptionell auch noch deutlich über die eigenen Wege anderer großer WTO-Mitglieder wie der EU, die in ihren regionalen Abkommen durchaus eigene Akzente gesetzt hat, hinaus. Dies lässt sich gut am Beispiel des sogenannten Phase-I-Abkommens zwischen den USA und China belegen, das im Januar 2020 abgeschlossen wurde: Zwar wurde mit dem Abschluss dieses Teilabkommens eine weitere Eskalation des Handelskonfl ikts zwischen den zwei größten Volkswirtschaften der Welt erst einmal abgewendet. Gleichzeitig ist das Abkommen mit seinen umfassenden Kaufverpfl ichtungen für China aber Ausdruck eines kleinteiligen "Managed Trade", der konzeptionell im scharfen Widerspruch zu den Grundsätzen des freien und regelbasierten Handels im Rahmen der WTO steht und im Zweifel zulasten von Drittländern geht. Anders als durch (Teil-) Substitution anderer Importe dürfte China insbesondere die Verpfl ichtungen im Agrarsektor, aber auch im Industriesektor, nicht erfüllen können. Erschwerend kommt hinzu: Je höher der Anteil von Staatsunternehmen bzw. das Ausmaß staatlicher Lenkung in einem Sektor ist, desto leichter dürfte es China fallen, bestimmte quantitativ formulierte Einkaufszusagen zu erfüllen. Ein hoher Staatseinfl uss ist in China beispielsweise im Energie-, Gesundheits-oder Luftfahrtsektor anzunehmen. De facto stärkt der US-Ansatz eines "Managed Trade" mit China damit -paradoxerweise -den Staatshandelscharakter und die Rolle staatsnaher bzw. staatseigener Unternehmen in China. Zu diesem geradezu planwirtschaftlichen Ansatz in der US-Handelspolitik tritt ein neues, kleinteiliges Buchsta- Länder -auch China -derzeit dazu neigen, den Export von medizinischen Schutzprodukten restriktiv zu handhaben und da ein halbes Jahr mit Zusatzzöllen ausgereicht haben dürfte, Handelsumlenkungen auszulösen, die nicht so schnell umkehrbar sind. Das generell gewachsene Misstrauen gegenüber der Sprunghaftigkeit der US-Handelspolitik könnte ein weiterer retardierender Faktor sein. Dass diese Erfahrungen ausreichen, damit die USA ihren eigenen handelspolitischen Ansatz fundamental überdenken, erscheint im Lichte des US-typischen Pragmatismus möglich. Anstöße der wichtigsten US-Handelspartner zum richtigen Zeitpunkt, also unmittelbar nachdem das Schlimmste überwunden ist, könnten an der Stelle hilfreich wirken. Trump's trade policy is hampering the US fi ght against COVID-19 The Economic Benefi ts of Zur Rückkehr der Machtpolitik in Handelsfragen: theoretische Überlegungen und politische Empfehlungen, Perspektiven der Wirtschaftspolitik Unordnung in der internationalen Handelsordnung: Befunde, Gründe, Auswirkungen und Therapien President's Trade Agenda Disputes by Member Kranke zu versorgen -unter anderem weil medizinische Schutzausrüstung in den USA knapp wird. Vor dem Handelskonfl ikt mit China importierten die USA Medizinprodukte im Wert von ca China war unter anderem Hauptlieferant für Schutzausrüstung, die EU lieferte in erster Linie medizinisches Gerät wie z. B. Computertomografen oder Patientenmonitore. Durch die im transpazifi schen Handelskonfl ikt verhängten US-Zölle auf chinesische Produkte erhöhten sich bisher niedrige oder nicht vorhandene Zölle auf Medizinprodukte massiv auf 15 % bzw. 25 %. Hierdurch verlagerte sich die US-Nachfrage nach Medizinprodukten: Die Importe aus China sanken zwischen Importe aus dem Rest der Welt stiegen um 23 % eingeführt worden waren, bedeutete die Entscheidung des USTR eine vollständige, der Not gehorchende Kehrtwende. Sie belegte zugleich eindrucksvoll die Fehlkalkulation der US-Handelspolitik, die die eigene Position (Unverwundbarkeit) überschätzte, was jetzt möglicherweise auch einer breiteren Öffentlichkeit bewusst wird und zu einer Gefahr für den Gesamtansatz der derzeitigen US-Handelspolitik werden könnte