key: cord-0043624-e6rmdujl authors: Klein, Martin title: WTO-Reform: Formale Regelgleichheit reicht nicht aus, alle Mitgliedsländer brauchen gleiche wirtschaftliche Chancen date: 2020-05-20 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-020-2646-y sha: 1bed8e7b3a7e8f8115cca407f8056dfee00537e6 doc_id: 43624 cord_uid: e6rmdujl nan Die Entwicklung der multilateralen Ordnung von der Nachkriegszeit bis heute wird gerne als Erfolgsgeschichte erzählt. Nach zwei Weltkriegen war es gelungen, eine weltwirtschaftliche Ordnung zu schaffen, die den teilnehmenden Ländern freien Handel, Wohlstand und Frieden sicherte. Die Welthandelsorganisation (WTO) und ihre Vorläuferorganisation, das Allgemeine Zoll-und Handelsabkommen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), waren ein integraler Teil dieser Erfolgsgeschichte. Im Verbund mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und vielen anderen größeren und kleineren internationalen Organisationen bildeten sie das institutionelle Exoskelett der Weltwirtschaft. Anders als der Beitritt zu den Bretton-Woods-Organisationen IWF und Weltbank war und ist der Beitritt zu GATT/ WTO eher mühsam. Beitrittskandidaten müssen mit allen interessierten Mitgliedsländern Handelskonzessionen vereinbaren, um am Ende grünes Licht für den Beitritt zu erhalten. Bei großen Ländern (vor allem bei Russland und China) waren die Beitrittsverfahren politisch überfrachtet. Trotz dieser Schwierigkeiten ist die Mitgliederzahl des GATT bzw. der WTO im Laufe der Jahre von den 23 Vertragsparteien des GATT auf nunmehr 164 Länder angestiegen. Die Wachstumskurve der Mitgliederzahl von GATT und WTO zeichnet eine Geschichte der Globalisierung nach (vgl. Abbildung 1). Der erste Schub der Globalisierung nach dem Krieg war die Gründung des GATT, die parallel zur Gründung der Vereinten Nationen, des IWF und der Weltbank stattfand und damit in einer Art "Urknall" die Basis der Nachkriegsordnung legte. Sie ren einnehmen. Eine weitere Ursache ist der dramatische Einbruch des Welthandels durch die COVID-19-Pandemie. Die WTO (2020) selbst hat unlängst vor einem Einbruch des Welthandels zwischen 13 % und 32 % gewarnt. Schon ist die Rede von der Renationalisierung der Wertschöpfungsketten (Reshoring), von Deglobalisierung und einem Wiedererstarken des Protektionismus. Damit treibt die Pandemie genau jene unheilvollen Tendenzen an, zu deren Eindämmung GATT und WTO einst geschaffen wurden. Die Boykottpolitik der Trump-Regierung gegenüber der WTO-Streitschlichtung begann schon 2017 durch Blockierung der Nominierung nachrückender Mitglieder für das Berufungsgremium (Appellate Body) der Streitschlichtung. Im Dezember 2019 war das Berufungsgremium dadurch auf ein Mitglied geschrumpft und damit unter die Mindestzahl von drei Mitgliedern, die für eine Berufungsentscheidung erforderlich ist. Nach eigenem Bekunden will die Trump-Regierung damit eine tiefgreifende Reform der WTO erzwingen. Die Europäische Union war federführend bei der Schaffung einer Notlösung, die darauf abzielt, eine Art "Ersatz-Berufungsverfahren" für teilnahmewillige WTO-Mitglieder zu schaffen. Das entsprechende "Multi-party interim appeal arbitration arrangement" (MPIA) liegt seit Ende März 2020 vor. Außer der EU nehmen 16 weitere WTO-Mitglieder daran teil, darunter auch China. Es ist allerdings fraglich, ob das MPIA eine große Wirkung entfalten wird. Die Trump-Regierung geht inzwischen so weit, dass sie sich an keine Beschlüsse der WTO-Streitschlichtung mehr ge-bunden fühlt, weil -so ihr Argument -das Schiedsverfahren nicht mehr WTO-rechtskonform sei. 1 In dieser Lage ist ein einfaches "weiter so" nicht möglich. 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 Vor (blau) Drei unterschiedliche Länder, drei unterschiedliche Erfolgsgeschichten. Doch in dieser Metrik kann es nicht nur Gewinner geben. Abbildung 4 vergleicht in Form einer Event-Analyse die relative BIP-Entwicklung ab dem Jahr des Beitritts zu GATT/WTO in Asien und in Afrika. Abgesehen von Südafrika fi nden sich alle Länder im Jahr ihres Beitritts in der unteren Hälfte der weltweiten Einkommensverteilung. 50 Jahre danach haben sich die Länder klar getrennt. Die asiatischen Länder verzeichnen starke Zugewinne, die afrikanischen Länder starke Verluste. Für die einen wurde der Beitritt zum GATT eine Erfolgsgeschichte, für die anderen brachte er 50 Jahre Enttäuschungen. Ein ähnliches Problem zeigt sich, wenn wir die relative Entwicklung Südamerikas betrachten (vgl. Abbildung 5). Wir bewegen uns hier in der oberen Hälfte der weltweiten Die horizontale Achse zeigt nicht Kalenderjahre, sondern die Jahre vor und nach dem Beitritt des jeweiligen Landes. Das Jahr des Beitritts wird mit 0 bezeichnet. In Südafrika gibt es nur Daten nach dem Beitritt, weil das Land dem GATT schon 1948 beitrat. Es gehört zu den ursprünglichen Vertragsparteien (contracting parties) des GATT. In China stehen seit dem WTO-Beitritt nur Daten für 20 Jahre zur Verfügung. Quelle: Die BIP-Daten stammen in der Mehrheit aus dem World Economic Outlook des IWF. In Jahren, wo in dieser Quelle für bestimmte Länder keine Daten zur Verfügung standen, wurden Daten der Penn World Tables (PWT) Quelle: Die BIP-Daten stammen in der Mehrheit aus dem World Economic Outlook des IWF. In Jahren, wo in dieser Quelle für bestimmte Länder keine Daten zur Verfügung standen, wurden Daten der Penn World Tables (PWT) 25 Jahre WTO -Ursachen des Zerfalls und Reformvorschläge für die Zukunft Developing Country Use of the WTO Dispute Settlement System: Why it Matters, the Barriers Posed, and its Impact on Bargaining A Critical Analysis if The World Trade Organization's dispute settlement system is equally available to all member states and creates a fair and level playing fi eld Developing a comprehensive time series of GDP per capita for 210 countries from The Doha Round Mitgliedsländern klar sein: Solange die Industrieländer nicht bereit sind, auf die Entwicklungs-und Schwellenländer zuzugehen Gezähmte Liberalisierung als Governanceleistung im Welthandelsregime GATT/WTO China in der Welthandelsorganisation Trade set to plunge as COVID-19 pandemic upends global economy WTO's appellate body is invalid, balks at compliance, Bloomberg, 22