key: cord-0042524-4dck6pxt authors: Henke-Gendo, C. title: Virale Gastroenteritiserreger date: 2016 journal: Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie DOI: 10.1007/978-3-662-48678-8_65 sha: 54c04025393cf068bb92300391b46041c6e83ed4 doc_id: 42524 cord_uid: 4dck6pxt Gastroenteritiden gehören zu den häufigsten Erkrankungen des Menschen und sind mit einer hohen Krankheitslast und Mortalität verbunden. Besonders betroffen sind Säuglinge und Kleinkinder in den Tropen, wo jährlich schätzungsweise 1–2 Mio. Kinder an einer Gastroenteritis versterben. Viren gehören zu den häufigsten Auslösern dieser Erkrankungen. Seit der elektronenmikroskopischen Entdeckung des Norwalkvirus 1972 wächst die Zahl der bekannten Erreger. j Einteilung Das Genus der Rotaviren wird anhand der Antigenspezifität des »Core« in die Gruppen A-G eingeteilt, wobei die Gruppe A die klinisch wichtigste ist. Diese Gruppe wird ferner durch die Antigenspezifität der äußeren Proteinhülle (vermittelt durch Glykoprotein G, 16 Typen) und durch den Protease-sensiblen Spike (27 Typen) in diverse Typen unterteilt. Dabei können die G-und P-Antigentypen variabel kombiniert werden. Die Benennung ergibt so z. B. A/G1P [8] . Mehrere Virustypen kozirkulieren in einer Saison und können durch Austausch einzelner Segmente (Reassortment) und Punktmutationen (Antigendrift, 7 Abschn. 59.2) sehr schnell neue Typenspezifitäten bilden. k Epidemiologie Infektionen mit Rotaviren sind mit ca. 139 Mio. Fällen jährlich weltweit der häufigste Grund einer schweren dehydratisierenden Diarrhö im Kindesalter. Obwohl die Inzidenz der Rotavirus-Gastroenteritis weltweit einheitlich ist, konzentriert sich die Mortalität durch die Erkrankung auf die Schwellen-oder Entwicklungsländer, wo ca. eine halbe Millionen Kinder jährlich an Rotavirusinfektionen versterben. Die hohe Tenazität der Rotaviruspartikel, kombiniert mit ihrer hohen Konzentrationsdichte im Durchfall (bis zu 10 11 infektiöse Partikel/ml) und der geringen Infektionsdosis (10 Viruspartikel wirken bei Kleinkindern krankheitserzeugend), ist ein Grund für die Virologie frühe Durchseuchung mit Rotaviren im Kindesalter. Bereits im Alter von 2-3 Jahren besitzen fast alle Kinder Serumantikörper gegen Rotaviren. Inwieweit sich die Epidemiologie der Rotaviruserkrankungen durch die weltweite Einführung von nationalen Impfprogrammen gegen Rotaviren verändern wird, ist derzeit noch unklar. Jugendliche und Erwachsene werden lebenslang erneut infiziert. Sie erkranken aber nur leicht und fungieren so als gesunde Ausscheider und Überträger. Im Alter nimmt der Anteil symptomatischer Erkrankungen wieder zu. In gemäßigten Klimazonen zeigt die Rotavirus-Gastroenteritis eine ausgesprochene Saisonalität. Die Infektionen erfolgen überwiegend in der kalten Jahreszeit. In den Tropen hingegen sind Infektionen mit Rotaviren das ganze Jahr über verbreitet. Erst die Anwendung neuer diagnostischer Methoden wie die PCR ließ die Relevanz der Noroviren erkennen: Infektionen mit Noroviren sind die häufigste Ursache einer epidemischen Gastro enteritis und für 90 % der Ausbrüche viraler Gastroenteritiden verantwortlich. Infektionen mit Noroviren können das ganze Jahr über auftreten, mit einem saisonalen Gipfel in der kalten Jahreszeit, daher der alte Name »winter vomiting disease«. j Einteilung Noroviren (früher: »Norwalk-like viruses«, »small, round, structured viruses«) sind zusammen mit den Sapoviren die humanpathogenen Vertreter der Familie der Caliciviridae. Anhand von Sequenzunterschieden unterteilt man Noroviren in unterschiedliche Genogruppen (GG), GGI und GGII, und Subgruppen. Viren der GGII.4 sind die typischen Ausbruchserreger. Genomfragmentaustausch durch Rekombinationen ist sehr häufig, was die extreme Variabilität und Wandlungsfähigkeit dieser Viren erklärt. j Genom und Morphologie Caliciviren enthalten eine einzelsträngige RNA positiver Polarität [ss(+)-RNA] von 7,7 kb Länge. Es handelt sich um kleine, nichtbehüllte Viren mit 27-30 nm Durchmesser. In der Negativkontrastierung (EM) erinnert die Oberfläche der Virionen an ein Muster, das wie eine kreisförmige Anordnung von nach außen gerichteten Tassen aussieht, daher der Name (lat. »calix«: Kelch). k Epidemiologie und Übertragung Noroviren sind weltweit verbreitet. Ihre extreme Umweltstabilität, die hohe Viruskonzentration in Stuhl und Erbrochenem verbunden mit der sehr niedrigen minimalen Infektionsdosis von 10-100 Viruspartikeln erklären ihr immenses Potenzial, eine Gastroenteritisepidemie auszulösen. Auch die große genetische Virusvielfalt und die nur kurzfristige Immunität gegen diese Viren spielen dabei eine Rolle. Allerdings erkannte man erst mit Einführung der PCR die Relevanz der Noroviren als weltweit wichtigste Ursache für Ausbrüche viraler Gastroenteritis. Über 90 % der viralen Gastroenteritisausbrüche gehen auf das Konto der Noroviren, allein in den USA gibt es bis zu 25 Mio. Infizierte pro Jahr. Rotavirusinfektion im Labor. Eine Möglichkeit ist der Nachweis von Core-Antigen im Stuhl mit dem Enzym-Immun-Test (EIA). Molekularbiologische Verfahren, z. B. RT-PCR, sind allerdings deutlich sensitiver und können durch weitere Differenzierungsschritte mögliche Infektketten aufdecken oder ausschließen. Der direkte Virusnachweis mittels Elektronenmikroskopie spielt aufgrund des hohen Aufwands und der geringen Testsensitivität nur noch eine untergeordnete Rolle, bietet aber den Vorteil einer breiten viralen Differenzialdiagnostik. Wie aus Infektionsstudien an freiwilligen Probanden bekannt ist, gibt es nur eine partielle Immunität gegen eine Norovirus-Reinfektion und selbst diese hält nur wenige Monate an. Wie sie vermittelt wird, ist noch unklar, sie scheint multifaktoriell bedingt zu sein. Es existiert eine Untergruppe von Menschen, die resistent gegen Infektionen mit einzelnen Norovirus-Genogruppen sind. Diese Glücklichen können bestimmte Histoblutgruppenantigene, die als Rezeptoren für Noroviruskapside bestimmter Genotypen gelten, durch einen Enzymdefekt nicht synthetisieren. k Labordiagnose Sie erfolgt am besten durch RT-PCR. Alternativ werden Antigen-ELISA aus Stuhl oder Erbrochenem angeboten, die jedoch eine niedrigere Sensitivität und Spezifität aufweisen. k Prävention Noroviren sind hochinfektiös. Entsprechend schwierig ist die Prävention eines Norovirusausbruchs. Im Falle eines Ausbruchs sollte die Infektionsquelle schnell eingegrenzt und ausgeschaltet werden. Prophylaktisch wichtig sind strenge allgemeine und persönliche Hygiene und die Desinfektion kontaminierter Flächen mit antiviral wirksamen Desinfektionsmitteln. Es besteht Meldepflicht bei Erregernachweis im Stuhl sowie bei gehäuftem Auftreten in Gemeinschaftseinrichtungen. Virus ss(+)-Strang-RNA-Virus. Große Genomvariabilität mit vielen Rekombinationen. Infektionen mit Noroviren können das ganze Jahr über auftreten, wobei ein saisonaler Gipfel in den Monaten Oktober bis März zu beobachten ist. k Pathogenese Da ein geeignetes Zellkultursystem für die Propagierung von Noroviren bis vor kurzem fehlte, ist die Pathogenese der Noroviren noch nicht gut untersucht. In Biopsien, die Erkrankten entnommen wurden, erscheinen Magen-und Kolonschleimhaut normal. Die Zotten des Jejunums sind jedoch verbreitert und gestaucht. In der Lamina propria findet sich ein monozytäres Infiltrat. Die jejunale Schleimhaut scheint größtenteils intakt zu sein, jedoch ist ihre enzymatische Aktivität (z. B. alkalische Phosphatase, Sucrase und Trehalase) vermindert. Dies erklärt vermutlich die passagere Malabsorption von Fetten und Kohlenhydraten als Ätiologie der beobachteten nichtblutigen Durchfälle. Nach 2 Wochen sind alle Veränderungen verschwunden. k Klinik Die Symptome der Norovirus-Gastroenteritis wurden sehr gründlich in Infektionsstudien an freiwilligen Probanden untersucht. Nach einer in der Regel sehr kurzen Inkubationszeit von 6-50 h kommt es initial zu Übelkeit und abdominalen Krämpfen, gefolgt von schwallartigem Erbrechen und starken nichtblutigen Durchfällen (. Tab. 65.2). Diese können zu einem erheblichen Flüssigkeitsdefizit führen, das weitere Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen durch Elektrolytverschiebungen nach sich ziehen kann. Zusätzlich besteht ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl mit Kopf-und Muskelschmerzen und Fieber. In einzelnen Fällen kann die Symptomatik auf Erbrechen ohne Diarrhö oder auf Diarrhö ohne Erbrechen beschränkt sein. Die Erkrankung ist beim Immungesunden nach 2-3 Tagen selbstlimitierend. Obwohl ein Immungesunder vermutlich schon 48 h nach Sistieren der Symptomatik nicht mehr infektiös ist, dauert die Virusausscheidung noch weitere 1-2 Wochen fort. Bei Immunsupprimierten kann der Durchfall chronifizieren. Sie können monatelang infektiös bleiben. Infektionen mit Sapoviren lösen im Vergleich zu Noroviren eine mildere Symptomatik aus, meist sind nur Kinder betroffen. Online unter: www Empfehlung der Ständigen Impfkommission Rotavirus vaccine WHO position paper Die enteritischen Adenoviren 40 und 41 (Spezies F) kommen nur beim Menschen vor. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral durch Schmierinfektion. Infektionen mit enterischen Adenoviren kommen ganzjährig vor, sie betreffen vorwiegend Säuglinge und Kleinkinder. Bei 4-12 % aller Stuhlproben von Säuglingen, Kleinkindern und Kindern mit akuter Gastroenteritis sind Adenoviren nachweisbar. Bei Jugendlichen und Erwachsenen sind Erkrankungen seltener.Leitsymptome sind Diarrhö und seltener Erbrechen und Fieber. Die Diarrhö kann bis zu 10 Tage andauern und ist in der Regel selbstlimitierend. Zusätzlich werden respiratorische Symptome beobachtet. Eine Dehydrierung ist selten. Disseminierte Infektionen durch enterische Adenoviren kommen auch bei Immunsupprimierten praktisch nicht vor, allerdings können bei Abwehrschwäche andere Typen eine Gastroenteritis auslösen. Immunsuppression kann ebenfalls zu monatelanger Virusausscheidung führen.Ursache der Diarrhö ist ähnlich wie bei Rotaviren eine passagere Malabsorption und Flüssigkeitsverlust durch Atrophie der Darmvilli.Die schnelle Labordiagnose erfolgt durch Antigen-ELISA zum Nachweis der Viruspartikel im Stuhl. Sensitiver und spezifischer ist allerdings die PCR.Die Therapie erfolgt symptomatisch. Es gibt keine Impfung. Eine Meldepflicht nach § 7 IfSG besteht für den Nachweis von Adenoviren im Stuhl nicht. Lediglich bei gehäuftem Auftreten bzw. bei Vorliegen einer akuten Adenovirus-Gastroenteritis bei Küchenpersonal muss eine Meldung erfolgen. Siehe auch 7 Kap. 70. Die Inzidenz von Infektionen mit Astroviren wird, wahrscheinlich bedingt durch die begrenzte Verfügbarkeit sensitiver diagnostischer Nachweismethoden, stark unterschätzt. Nach Rota-, Noround Adenovirus sind sie die vierthäufigste virale Gastroenteritisursache im Kindesalter. Die Symptomatik ist deutlich blander als die der Rotaviren. Dennoch kommen schwere Infektionen bei Immunschwäche vor.Astroviren wurden 1975 elektronenmikroskopisch im Durchfallstuhl eines Kleinkindes entdeckt. Das nur ca. 30 nm große Virion zeigt eine charakteristische sternartige Oberflächenstruktur (gr. »astron«: Stern). Es handelt sich um unbehüllte ss(+)-RNA-Viren, die in 8 Serotypen unterteilt werden, von denen Typ 1 am wichtigsten ist.Astroviren kommen weltweit bei Tieren und Mensch vor. Besonders junge Kinder erkranken an Gastroenteritis. Die in Studien ermittelte Inzidenzrate von 2-7 % liegt wahrscheinlich deutlich unter der tatsächlichen Rate, da viele Laboratorien nicht auf Astroviren untersuchen. Der Nachweis gelingt mit Antigen-ELISA im Stuhl, die RT-PCR ist jedoch empfindlicher.Die Infektion wird fäkal-oral übertragen. Nach 1-4 Tagen Inkubationsperiode macht sich eine 2-bis 4-tägige leichte Erkrankung mit wässriger Diarrhö, Erbrechen und schwachem Fieber bemerkbar. Insgesamt ist die Symptomatik deutlich milder als bei anderen Gastroenteritiserregern. Asymptomatische Verläufe kommen vor. Immunsupprimierte hingegen zeigen schwere, teilweise sogar letal endende Erkrankungen. Bereits 1984 wurden Coronaviren, die in erster Linie als Erkältungserreger bekannt sind, als Ursache von Gastroenteritiden beschrieben.In der Veterinärmedizin sind Mitglieder der Familie der Coronaviridae seit langem als Durchfallerreger bekannt. So war es nicht überraschend, als man auch in humanen Durchfallstuhl die 80-120 nm großen, mit »Spikes« ausgestatteten Virionen entdeckte, die entfernt an eine Krone (lat. »corona«: Krone) erinnern. Beide Genera der Coronaviridae, Corona-und Toroviren, können gastrointestinale Infektionen hervorrufen. Es gibt leichte und schwere Verlaufsformen. Der Stuhl kann dabei wässrig oder blutig sein. Betroffen sind vorwiegend Kinder. In schweren Fällen kann es zu einer nekrotisierende Enterokolitis kommen.Einzelheiten über Coronaviren finden sich in 7 Kap. 58.