key: cord-0041951-83gejn9v authors: StrÄter, Norbert; Maier, Timm; Skerra, Arne; Schürrle, Karsten; Schepers, Ute title: Biochemie und Molekularbiologie 2003 date: 2010-05-01 journal: nan DOI: 10.1002/nadc.20040520309 sha: 72d0e262601aff1e2a921ba5a954bafd803ec75b doc_id: 41951 cord_uid: 83gejn9v Hochdurchsatzmethoden führen zu ersten Erfolgen bei der Vorhersage der biologischen Aktivität funktionell nicht charakterisierter Proteine anhand von Strukturhomologien. Proteintherapeutika halten Einzug in den medizinischen Alltag. Die RNA, in ihrer Bedeutung lange unterschätzt, hat mit ihren verschiedenen Formen in Grundlagen‐ und Pharmaforschung ein Comeback erlebt. Protein kristallographie im Zeitalter der Strukturgenomik + Der Trendbericht ,,Neue Proteinstrukturen" im Jahr 2000 endete mit der Frage, ob die klassische Proteinkristallographie nach der Strukturanalyse des Ribosoms ihren Zenit uberschritten hat und ob wir kunftig mit Strukturen funktionell nicht charakterisierter Proteine uberhauft werden." Wir mochten, ausgehend von dieser Frage, an Beispielen aus dem vergangenen Jahr Eindriicke von der Entwicklung der ,,klassischen Proteinkristallographie" und der Strukturgenomik vermitteln. Strukturgenomik + Unter dem Begriff ,,Strukturgenomik" versteht man die Strukturbestimmung zahlreicher Proteine eines Genoms durch eine Institution oder ein Konsortium, unabhangig davon, ob diese Proteine bereits funktionell charakterisiert wurden oder nicht.') Durch neue Techniken und Automatisierung sol1 der Durchsatz bei der Strukturbestimmung deutlich erhoht werden, wie es bei der Bestimmung der Genomsequenzen in beeindruckender Weise gelungen ist. Seit der Grundung der ersten Initiativen dieser Art vor etwa funf Jahren haben diese nun ihre ,,Produktionsphase" erreicht. Die Ziele waren hoch gesteckt: jedes Konsortium wollte pro Jahr Hunderte von Strukturen produzieren. Konnte dieser Durchsatz erreicht werden? Ein Korrespondent von Science schrieb dazu bereits Ende 2002 nach Besuch der Strukturgenomik-Konferenz in Berlin, dass die Pipelines der Initiativen Lecks haben und statt einer Flut nur ein Rinnsal neuer Strukturen produzieren. Zweifellos wird der urspriinglich hoch angesetzte Durchsatz gegenwartig noch nicht erreicht. Die Ursache ist darin zu sehen, dass die Strukturbestimmung sich (noch?) nicht in dem MaBe automatisieren lasst wie die Genomsequenzierung. Auf dem Weg von der Gensequenz zur Proteinstruktur gibt es viele Hurden, die sich nicht mit einer Standardmethode uberwinden las-. sen, insbesondere die losliche Expression und Kristallisation der Proteine. Dies sind die Lecks, die dazu fuhren, dass von 100 anvisierten Zielproteinen zunachst nicht mehr als zehn die Pipeline als verfeinerte Struktur verlassen, bei den eukaryotischen oder menschlichen Proteinen deutlich weniger als bei den bakteriellen Proteinen. Nach der zentralen Datenbank http://targetdb. pdb.org wurden bis Ende November 2003 insgesamt 535 Strukturen bestimmt, etwa 400 davon in Nordamerika. Dennoch ist davon auszugehen, dass mit neuen Hochdurchsatzmethoden und der Automatisierung die Kosten pro Proteinstruktur gesenkt werden und der Durchsatz zukunftig noch erhoht wird. Ein GroB-Biochemie 293 Abb. 2 teil dieser Methoden und die Infrastruktur an Synchrotronstrahlrohren kommt zudem auch akademischen Projekten zugute. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob mit dem Hochdurchsatz der Strukturbestimmung auch ein adaquater Gewinn an biologisch relevanter Information einhergeht. Hier schwingt die eingangs erwahnte Befurchtung mit, dass mit der ,,Uberhaufung" nicht funktionell charakterisierter Proteine eben kein groBer Erkenntnisgewinn uber das bloI3e Resultat einer neuen Proteinfaltung hinaus erhalten wird. Wahrend mit der Strukturbestimmung auf der Grundlage funktioneller Untersuchungen bisher haufig ein Vorschlag fur die molekulare Funktionsweise des Proteins prasentiert werden konnte, wird kunftig zunehmend mit der Strukturbestimmung eines funktionell noch nicht charakterisierten Genprodukts zunachst nur eine Struktur in der Datenbank hinterlegt. Hier mussen Biochemiker diese Information spater zur Interpretation eigener funktioneller Studien nutzen. Generell wird der biologische Erkenntnisgewinn der Strukturbestimmung funktionell nicht charakterisierter Proteine zunachst sicherlich geringer ausfallen als fur ein gut untersuchtes Protein. Jedoch konnen im Zusammenspiel mit anderen Ansatzen der Proteomik und Bioinformatik spater neue Erkennt- Elektronentransportketten der oxygenen Photosynthese und der mitochondrialen Atmungskette zu verzeichnen. Mit der Strukturbestimmung des Cytochrom bdf-Komplexes (1UM317') sowie den Rontgenstrukturen der Photosysteme 1") und I119.20' und der beteiligten kleineren loslichen Proteine sind damit alle Komponenten des Elektronentransportes und der Protonentranslokation der oxygenen Photosynthese strukturell charakterisiert (Abbildung 5). Der Cytochrom bdf-Komplex iibertragt Elektronen zwischen den Photosystemen I und I1 und erzeugt dabei den spater zur Energiegewinnung genutzen elektrochemischen Protonengradienten. In der Gruppe von Iwata gelang die Strukturaufklarung der membranstandigen Succinat-Dehydrogenase aus E. coli bei 2,6 A Auflosung (lNEK,lNEN)'" (Abbildung 6). Diese ist venvandt mit dem Komplex I1 (Succinat:Ubichinon-Oxidoreduktase) der mitochondrialen Atmungskette und kann als Model1 zu dessen Beschreibung dienen. Aus der raumlichen Anordnung aller am Nachrichten aus der Chemie I 52 1 Marz 2004 I www.gdch.de Elektronentransport beteiligten Cofaktoren und der sie koordinierenden Reste wird deutlich, dass die Natur in den Komplex I1 zahlreiche Schutzmechanismen gegen die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies eingebaut hat. Eine Reihe von Erbkrankheiten des Menschen, die in Aminosiiure-Austauschen im Komplex I1 resultieren, scbdigen offenbar genau diese Schutzfunktionen, und die Ursache ftir die assoziierten Schiidigungen kannte in der Freisetzung reaktiver Sauerstoffspezies zu suchen sein. Transkription + Die RNA-Polymerase I1 transkribiert in hoheren Lebewesen proteinkodierende Gene in messengerRNA und geht dabei normalerweise prozessiv vor. Bestimmte DNA-Sequen-Zen konnen jedoch eine Ruckwartsbewegung der RNA-Polymerase auslosen, die zu einem Arretieren der RNA-Polymerase I1 in einem nichtproduktiven Zustand fuhren kann. Aus diesem kann sie erst wieder durch Bindung des Elongationsfaktors TFIIS befreit werden, der die Nuclease-Aktivitiit der RNA-Polymerase 11 erhoht und ihr ermoglicht, Teile des neusynthetisierten RNA-Stranges abzubauen. Die RNA-Polymerase I1 im Komplex mit TFIIS (lPQV)zz' (Abbildung 7) unterscheidet sich in ihrer Struktur deutlich von der freien RNA-Polymerase 11. Eine Domane des Elongationsfaktors dringt dabei tief in einen Tunnel in der RNA-Polymerase ein und lost eine Umordnung des aktiven Zentrums aus, die vermutlich die nucleolytische Aktivitat begunstigt. Dabei wird eine Schlaufenregion von TFIIS mit sauren Resten nahe an das 3'-Ende der gebundenen RNA herangefuhrt und ist womoglich an der Bindung eines Metallions in einem Bimetallzentrum beteiligt, das die Spaltung des RNA-Stranges katalysiert. Erhebliches Einsatzpotential haben Biopharmazeutika nicht nur bei den Autoimmunerkrankungen, sondern auch in der Onkologie. Wahrend konventionelle Chemotherapeutika ihre toxische Wirkung gegenuber dem Tumor in erster Linie aufgrund dessen schnellerer Zellteilungsrate entfalten, versprechen Proteinwirkstoffe, die gegen Zelloberflachenrezeptoren auf dem malignen Gewebe gerichtet sind, wesentlich hohere Spezifitat und damit geringere Nebenwirkungen. Diese Aussichten erklaren den Boom in der Entwicklung humanisierter Antikorper in den letzten Jahren mit derzeit etwa vier fur die Onkologie zugelassenen Wirkstoffen und mehr Biochemie als 400 Produktkandidaten in klinischen Versuchen.18' Einen vermutlich blod vorlaufigen Ruckschlag erhielt dieser Trend im Jahr 2002 mit dem Debakel um die Zulassung des humanisierten Antikorpers Cetuximab (Erbitux von Im-Clone Systems). Cetuximab ist gegen den EGF-Rezeptor gerichtet, welcher auf einem Drittel aller soli-den Tumoren uberexprimiert wird. Nachlassigkeiten im Zusammenhang mit den klinischen Studien zur beschleunigten Zulassung, die aufgrund der urspriinglich vielversprechenden Daten bei der Behandlung von Dickdarmkrebs und Kopf-und Nackentumoren beantragt worden war, fuhrten zu juristischen Konsequenzen sowieuber die nachtei- Unternehmen hinauszu einer ernuchterten finanziellen Bewertung der Antikorperbranche insgesamt."' Inzwischen prasentierte allerdings die Firma Merck, die die Vermarktungsrechte fur Erbitux in Europa besitzt, die Ergebnisse ihrer ,,Bo~~"-Studie, welche die Wirksamkeit des Proteintherapeutikums in beeindruckender Weise und wohldokumentien belegen.'" Im Dezember 2003 wurde es in Kombination mit dem Cytostatikum Irinotecan zur Darmkrebstherapie in der Schweiz zugelassen. Antikorper in ihrer intakten Form als humanisierte Immunglobuline sind im Prinzip als Wirkstoffe einer ,,ersten Generation" zu betrachten, die nun den Weg fur weiterentwickelte Proteintherapeutika mit erweitertem Profil ebnen. Bei Immunreagenzien der ,,zweiten Generation" ist der Fc-Teil des Antikorpers durch andere Proteine ersetzt, die wie im Fall der Immuntoxine neue Effektorfunktionen verleihen.20' Die Zellerkennungsfunktion wird hierbei in der Regel durch Single-Chain-Fv-Fragmente vermittelt, die sich besser als die grolSeren Fab-Fragmente von Antikorpern zur Herstel- (7-161 und 29-33 {1-32,33-88,89-116 und 11 7-166) Der Mechanismus der miRNA-Biogenese ist weitgehend unbekannt. Sie werden im Zellkern aus langen primaren Vorlaufer-RNAs (pri-miRNA) geschnitten, die haarnadelformige Strukturen von etwa 70 Nucleotiden ausbilden (pre-miRNAs) (Abbildung 1). Diese pre-miRNAs verlassen den Zellkern und werden im Cytosol von einer Nuclease weiter bis auf ihre endgultige Lange ge~tutzt.'~.'~) Die Funktion der miRNAs + Sequenzvergleiche von miRNAs mit bekannten Pflanzen-mRNAs ergaben als Ziclmolekule hauptsachlich Transkriptionsfaktoren, die in entwicklungsbiologische Prozesse eingreifen."' Sie regulieren die Genexpression nach einer Zellteilung, bei der lwei unterschiedliche Zellen entstehen (asymmetrische Zellteilung), sowie Zellvermehrung (Proliferation) und Zelltod (Apoptose). In vivo-und in vitro-Studien in verschiedenen Organismen haben diese Vermutungen bestatigt. Studien uber die Morphogenese von Pflanzenblattern haben gezeigt, dass Mutationen im CINCINNATA-Gen (CIN-Gen) eine Krauselung der Blatter von Lowenmaulchen zur Folge haben,3"' da die Regulation der Zellteilung im Blatt gestort ist. Das CIN-Gen kodiert den Transkriptionsfaktor TCP, der wiederum die Expression verschiedener Gene wahrend der Zellteilung einschaltet. In nichtteilen Zellen wird die Bildung von TCP unterdnickt. Die Mutanten mit den deformierten Bbttern leiden unter Uberproduktion von TCP und konnen daher die Zellteilung nicht stoppen. Der Uberschuss von Zellen am Blattrand bewirkt, dass sich das normalerweise glatte Blatt krauselt. Weigel und Mitarbeiter zeigten, dass die JAW-miRNA diese Feinregulation der TCP-Bildung auf mRNA-Ebene steuert. Diese bindet durch perfekte komplementare Basenpaarung an den 3'-nichttranslatierten Bereich (3'-UTR) der TCP-mRNA. Dadurch bildet sich ein ein doppelstrangiges RNA-Fragment, das den Abbau der TCP-mRNA durch Nucleasen erleichtert und die Bildung des Proteins verhindert. Ohne TCP teilen sich die Zellen nicht mehr, und es entwickelt sich ein glattes Blatt. miRNAs bei Saugetieren 4 miRNAs spielen nicht nur eine essentielle Rolle in der Entwicklung von Pflanzen und lnvertebraten (Wirbellosen), sondern auch bei Saugetieren wie dem Menschen. Im Gegensatz zur Pflanzenwelt, in der perfekt paarende miRNAs den Abbau der Ziel mRNA durch einen RNAi-ahnlichen Mechanismus stimulieren, weisen tierische miRNAs in der Regel keine perfekte Basenpaarung mit der Ziel-mRNA auf. Dies erschwert Auffinden von solchen miRNAs und deren Interaktionspartner d e~t l i c h . " ,~" Tierische miRNAs fuhren durch imperfekte Basenpaarung am 3'-UTR der mRNA zu einem Translationsstopp im Ribosom. Beim Menschen wurden bisher weit uber 200 miRNAs gefunden, deren Funktionen noch unbekannt sind." Mit dcr Bedeutung von mi-RNas bei der Entwicklung von Saugern befassten sich Kawasaki und Sie identifizierten mit HESl das Zielgen eincr miRNA (miR-23). HESl ist ein Transkriptions-Repressor und wird hauptsachlich in neuronalen Stammzellen gebildet, wo es die Differenzierung zu neuronalen Zellen verhindert. Durch Bindung an die mRNA von HESI blockiert miR-23 dessen Expression und ermoglicht damit eine Differenzierung zu neuronalen Zellen. + Wahrscheinlich werden die microRNAs unsere Vorstellung uber die Entstehung von Krebs grundlegend verandern. Ein Merkmal von Krebs ist der Verlust der Zellidentitat und die unkontrollierte Vermehrung (Proliferation) von Zellen. Bisher herrschte die Ansicht, dass die Anreicherung von Mutationen in der Proteinsequenz von Onkogenen und Tumor-Suppressor-Genen dafur verantwortlich sind, dass Krebs entsteht. Die ldentifiiierung der miRNAs, die gerade fur die Entwicklung von Organismen und Zellhomoostase wichtig sind, konnte diese Auffassung korrigieren. Da die miRNAs die Kontrolle der Zellteilung beeinflussen, kann eine gestorte Regulation der Gcnexpression in entwicklungsspezifischen Genen bei der Entstehung von unkontrolliertem Wachstum eine Rolle spielen, wie neuere Daten ~eigen.".~'" siRNAs und miRNAs sind eng miteinander verknupft, da die Pro- A. Michael, 5. Writers, BioCentury 1999 Proc. Natl. Acad. Sci 21, 15) 1. Holash, 5. Davis, N. Papadopoulos, 5. D. Croll, 1 Proc. Natl. Acad. Sci I. Tang, 1. I. Ley, 1. t? Miranda, M. M. Crnogorac Singer, 0. Vafa, 1. Vielmetter, 5. C. Yoder, B. 1. Dahiyat, Science A3. 20) t? Carter ChernBioChem 2004, 23) 1.5. Patton, I. Bukar, 5. Nagarajan, Adv Nachrichten aus der Chernie 1 52 I Marz 2004 1 www gdch de 1) N. Ban, P Nissen, 1 A. Abdelhakim, 5. Yekta, M W Rhoades, C. 8. Burge, 0. P Bartel Kasschau, 1. C. Carrington Seminars in Cancer Bio Proc. Natl. Acad. Sci. USA2002 A. A: Mi-99