key: cord-0039384-2p9kbeyd authors: nan title: Molekulare Struktur eukaryotischer Chromosomen date: 2006 journal: Genetik DOI: 10.1007/3-540-29048-6_7 sha: a07d068eba6119be003af526a8a0d6e246a92148 doc_id: 39384 cord_uid: 2p9kbeyd Die Chromosomen sind die lichtmikroskopisch sichtbaren, materiellen Träger der Gene. Bedeutet das aber, dass sie lediglich eine Ansammlung kettenartig aneinandergefügter Gene sind? Aus allen cytologischen Beobachtungen schließen wir, dass die Chromosomen, und damit die Gene, in Mitose und Meiose gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt werden. Dazu werden die Centromerenbereiche der Chromosomen benutzt, die als Ansatzpunkte für die Mikrotubuli des Spindelapparates dienen. So werden die Chromosomen oder deren Untereinheiten, die Chromatiden, bei der Zellteilung auf die Tochterzellen aufgeteilt. Auch bei der DNA-Replikation haben Chromosomen eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Der normale Replikationsmechanismus linearer DNA-Moleküle führt in jedem Replikationszyklus zu einer Verkürzung der DNADoppelhelix von den Enden her, da die RNA-Primer am Ende der DNA zwar entfernt, aber nicht durch DNASequenzen ersetzt werden können. Außerdem muss eine spezielle Struktur sicherstellen, dass die freien Enden der DNA im Chromosom nicht von Exonukleasen abgebaut werden oder durch Reparaturenzyme mit den freien Enden der DNA eines anderen Chromosoms verschmelzen. Das wird durch besondere terminale Domänen, die Telomere, gewährleistet. Bei der weiteren Untersuchung der molekularen Struktur des Genoms machte man die unerwartete Entdeckung, dass das eukaryotische Genom zum größten Teil nicht aus Protein-kodierenden DNA-Sequenzen besteht. Ein großer Teil der DNA-Sequenzen gehört zur repetitiven DNA, die, wie der Name schon sagt, in vielen, teils identischen, teils voneinander strukturell abweichenden, aber ähnlichen Kopien im Genom vorhanden ist. Ein Teil dieser DNA, vor allem hochrepetitive Sequenzen, ist in heterochromatischen Chromosomenabschnitten lokalisiert. Andere sind in Einzelkopien über das gesamte Genom verstreut. Die erstaunlich großen Unterschiede im DNA-Gehalt der Genome höherer Organismen müssen hauptsächlich Unterschieden in der Menge repetitiver DNA zugeschrieben werden. Sie beruhen also nicht auf wesentlichen Unterschieden in der Zahl Protein-kodierender Gene. Chromosomen sind dynamische Strukturen, die strukturell und funktionell eng mit dem Stoffwechsel und dem Differenzierungsgrad der jeweiligen Zelle verbunden sind. Ihre Bedeutung geht weit über das hinaus, was man von einem reinen „Gen-Depot“ erwarten würde. So hat die unterschiedliche Konstitution der Geschlechtschromosomen in den beiden Geschlechtern zur Folge, dass die Anzahl der Kopien der auf diesen Chromosomen gelegenen Gene im männlichen und weiblichen Geschlecht unterschiedlich ist. Solche quantitativ unbalancierten Genkonstitutionen werden in der Regel vom Organismus nicht toleriert. Verschiedene Organismengruppen haben daher spezifische Mechanismen entwickelt, um für einen funktionellen Ausgleich (Dosiskompensation) der verschiedenen Genkopienzahlen zu sorgen. In Säugetieren wird eines der beiden X-Chromosomen des weiblichen Geschlechts inaktiviert, so dass ein der hemizygoten X-Chromosomenkonstitution des männlichen Geschlechts funktionell gleichwertiger Zustand zustande kommt. In Drosophila erfolgt der Ausgleich in der Genaktivität durch erhöhte Aktivität der X-chromosomalen Gene im Männchen. Die Inaktivierung des Säuger-X-Chromosoms lässt verschiedene wesentliche biologische Mechanismen erkennen. Abgesehen von der Feststellung, dass ganze Chromosomen innerhalb eines Genoms gerichtet funktionell inaktiviert oder hyperaktiviert werden können, ist es von grundlegender Bedeutung, dass eine einmal erfolgte Inaktivierung innerhalb eines Organismus im Allgemeinen erhalten bleibt. Das Chromosom muss mithin eine Information aufnehmen, die dafür sorgt, dass es in allen folgenden Zellgenerationen inaktiv bleibt. Man bezeichnet eine solche Information als chromosomale Prägung (Imprinting). Eine weitere Konsequenz der X-Chromosomeninaktivierung ist, dass verschiedene Zellen von Säugerweibchen eine unterschiedliche Konstitution hinsichtlich der aktiven X-chromosomalen Gene besitzen können. Säugerweibchen sind daher funktionelle Mosaike in Bezug auf die Ausprägung geschlechtsgebundener Gene. Wir wissen, dass die chromosomale DNA in einer ersten Verpackungsstufe in der Form von kompakten Nukleosomen organisiert wird. Sie windet sich hierzu zweimal um einen Komplex aus Histonproteinen. Eine Kette derartiger DNA-Histonpartikel formt eine Chromatinfibrille von 10 nm Durchmesser. Diese Fibrille wird jedoch zusätzlich in Fibrillen höherer Ordnung organisiert. Aktives und inaktives Chromatin unterscheiden sich dabei in dem Ausmaß der Kondensation; Insulator-Elemente sind an der Ausbildung offener Chromatinstrukturen und an der Anheftung der Chromatiden an der Kernmembran beteiligt. Die Kompartimentierung des Zellkerns in chromosomale Territorien und Interchromatindomänen erlaubt die räumliche Trennung verschiedener funktioneller Abläufe im Zellkern, wie Transkription und Reifung der RNA. Die Chromosomen sind die lichtmikroskopisch sichtbaren, materiellen Träger der Gene. Bedeutet das aber, dass sie lediglich eine Ansammlung kettenartig aneinandergefügter Gene sind? Aus allen cytologischen Beobachtungen schließen wir, dass die Chromosomen, und damit die Gene, in Mitose und Meiose gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt werden. Dazu werden die Centromerenbereiche der Chromosomen benutzt, die als Ansatzpunkte für die Mikrotubuli des Spindelapparates dienen. So werden die Chromosomen oder deren Untereinheiten, die Chromatiden, bei der Zellteilung auf die Tochterzellen aufgeteilt. Auch bei der DNA-Replikation haben Chromosomen eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Der normale Replikationsmechanismus linearer DNA-Moleküle führt in jedem Replikationszyklus zu einer Verkürzung der DNA-Doppelhelix von den Enden her, da die RNA-Primer am Ende der DNA zwar entfernt, aber nicht durch DNA-Sequenzen ersetzt werden können. Außerdem muss eine spezielle Struktur sicherstellen, dass die freien Enden der DNA im Chromosom nicht von Exonukleasen abgebaut werden oder durch Reparaturenzyme mit den freien Enden der DNA eines anderen Chromosoms verschmelzen. Das wird durch besondere terminale Domänen, die Telomere, gewährleistet. Bei der weiteren Untersuchung der molekularen Struktur des Genoms machte man die unerwartete Entdeckung, dass das eukaryotische Genom zum größten Teil nicht aus Protein-kodierenden DNA-Sequenzen besteht. Ein großer Teil der DNA-Sequenzen gehört zur repetitiven DNA, die, wie der Name schon sagt, in vielen, teils identischen, teils voneinander strukturell abweichenden, aber ähnlichen Kopien im Genom vorhanden ist. Ein Teil dieser DNA, vor allem hochrepetitive Sequenzen, ist in heterochromatischen Chromosomenabschnitten lokalisiert. Andere sind in Einzelkopien über das gesamte Genom verstreut. Die erstaunlich großen Unterschiede im DNA-Gehalt der Genome höherer Organismen müssen hauptsächlich Unterschieden in der Menge repetitiver DNA zugeschrieben werden. Sie beruhen also nicht auf wesentlichen Unterschieden in der Zahl Protein-kodierender Gene. Chromosomen sind dynamische Strukturen, die strukturell und funktionell eng mit dem Stoffwechsel und dem Differenzierungsgrad der jeweiligen Zelle verbunden sind. Ihre Bedeutung geht weit über das hinaus, was man von einem reinen "Gen-Depot" erwarten würde. So hat die unterschiedliche Konstitution der Geschlechtschromoso-men in den beiden Geschlechtern zur Folge, dass die Anzahl der Kopien der auf diesen Chromosomen gelegenen Gene im männlichen und weiblichen Geschlecht unterschiedlich ist. Solche quantitativ unbalancierten Genkonstitutionen werden in der Regel vom Organismus nicht toleriert. Verschiedene Organismengruppen haben daher spezifische Mechanismen entwickelt, um für einen funktionellen Ausgleich (Dosiskompensation) der verschiedenen Genkopienzahlen zu sorgen. In Säugetieren wird eines der beiden X-Chromosomen des weiblichen Geschlechts inaktiviert, so dass ein der hemizygoten X-Chromosomenkonstitution des männlichen Geschlechts funktionell gleichwertiger Zustand zustande kommt. In Drosophila erfolgt der Ausgleich in der Genaktivität durch erhöhte Aktivität der X-chromosomalen Gene im Männchen. Die Inaktivierung des Säuger-X-Chromosoms lässt verschiedene wesentliche biologische Mechanismen erkennen. Abgesehen von der Feststellung, dass ganze Chromosomen innerhalb eines Genoms gerichtet funktionell inaktiviert oder hyperaktiviert werden können, ist es von grundlegender Bedeutung, dass eine einmal erfolgte Inaktivierung innerhalb eines Organismus im Allgemeinen erhalten bleibt. Das Chromosom muss mithin eine Information aufnehmen, die dafür sorgt, dass es in allen folgenden Zellgenerationen inaktiv bleibt. Man bezeichnet eine solche Information als chromosomale Prägung (Imprinting). Eine weitere Konsequenz der X-Chromosomeninaktivierung ist, dass verschiedene Zellen von Säugerweibchen eine unterschiedliche Konstitution hinsichtlich der aktiven X-chromosomalen Gene besitzen können. Säugerweibchen sind daher funktionelle Mosaike in Bezug auf die Ausprägung geschlechtsgebundener Gene. Wir wissen, dass die chromosomale DNA in einer ersten Verpackungsstufe in der Form von kompakten Nukleosomen organisiert wird. Sie windet sich hierzu zweimal um einen Komplex aus Histonproteinen. Eine Kette derartiger DNA-Histonpartikel formt eine Chromatinfibrille von 10 nm Durchmesser. Diese Fibrille wird jedoch zusätzlich in Fibrillen höherer Ordnung organisiert. Aktives und inaktives Chromatin unterscheiden sich dabei in dem Ausmaß der Kondensation; Insulator-Elemente sind an der Ausbildung offener Chromatinstrukturen und an der Anheftung der Chromatiden an der Kernmembran beteiligt. Die Kompartimentierung des Zellkerns in chromosomale Territorien und Interchromatindomänen erlaubt die räumliche Trennung verschiedener funktioneller Abläufe im Zellkern, wie Transkription und Reifung der RNA. 7.1 Das eukaryotische Chromosom 7.1 Das eukaryotische Chromosom Die Chromosomentheorie der Vererbung besagt, dass die Erbeigenschaften eines Organismus in seinen Chromosomen niedergelegt sind. Sie wurde kurz nach der Wiederentdeckung der Mendel'schen Regeln von Sutton und Boveri formuliert und sehr bald durch mehrere Forscher bestätigt. Als Folge dieser Erkenntnis hat die Chromosomenforschung während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle für die Genetik gespielt und eine große Zahl von Beobachtungen zur Verfügung gestellt, die wir erst heute anhand molekularer Forschungsergebnisse allmählich verstehen lernen. Ein Widerspruch zwischen den Mendel'schen Regeln und cytologischen Beobachtungen scheint in der Feststellung zu liegen, dass die Anzahl der Chromosomen bei den meisten Organismen relativ niedrig ist (Tabelle 7.1), jedenfalls zu gering, um mit der Vorstellung vereinbar zu sein, dass jedes Chromosom einer Erbeigenschaft zuzuordnen ist. Obwohl über die tatsächliche Anzahl der Erbeigenschaften (Gene) verschiedener Organismen noch bis in jüngste Zeit sehr widerstreitende Ansichten vertreten wurden, wurde doch sehr bald erkannt, dass jedes Chromosom Hunderte oder sogar Tausende von Erbeigenschaften tragen muss. Dieser Schluss steht nunmehr aber in eindeutigem Widerspruch zu der Regel Mendels, dass sich Merkmale unabhängig voneinander auf die Nachkommen verteilen, da alle in einem Chromosom gelegenen Gene gekoppelt bleiben, also nicht unabhängig voneinander verteilt werden (s. Kap. 11.4) . Dieser scheinbare Widerspruch zu Mendels experimentellen Ergebnissen konnte durch die Genetiker dadurch aufgelöst werden, dass sie erkannten, dass die in den Untersuchungen Mendels studierten Merkmale (s. Tab. 11.1) auf unterschiedlichen Chromosomen liegen oder in einigen Fällen im Chromosom so weit voneinander entfernt liegen, dass stets ein Crossing-over zwischen den gekoppelten Genen stattfindet. Daher verteilen sie sich während der Meiose tatsächlich scheinbar unabhängig voneinander auf die Keimzellen. Die Untersuchung des Zellzyklus hat uns gelehrt, dass wir Chromosomen lichtmikroskopisch nur während der Mitose, nicht aber in der Interphase erkennen können. In der klassischen Cytologie hatte man sich die Frage gestellt, ob Chromosomen auch während der Interphase in ihrer Individualität erhalten bleiben, oder ob sie sich während der Telophase auflösen und erst während der folgenden Prophase neu ausbilden. Diese Frage hätte bereits durch die cytologischen Beobachtungen Walther Flemmings und Balbianis (s. Abb. 7 .20) definitiv beantwortet werden können, nachdem auch Carl Rabl (1853 Rabl ( -1917 sich aufgrund cytologischer Untersuchungen an Amphibienzellkernen bereits im Sinne einer chromosomalen Kontinuität durch den gesamten Zellzyklus hindurch ausgesprochen hatte. Dennoch wurde die Tatsache der Konstanz der Chromosomenindividualität erst auf der Grundlage der Beobachtungen von Cytologen in den 1930er Jahren endgültig akzeptiert. Es waren gleichzeitig Emil Heitz , Hans Bauer und Theophilus Shickel Painter (1889 -1969 , die diesen wichtigen Schluss zogen. Es ist heute eindeutig geklärt, dass Chromosomen während der Interphase nicht nur in ihrer Individualität erhalten bleiben, sondern dass sie im Interphasekern möglicherweise auch bestimmte Lagebeziehungen zueinander eingehen. Dass die Lagebeziehungen nicht ganz bedeutungslos sind, wird durch eine Reihe von Beobachtungen suggeriert, auf die im Einzelnen in späteren Abschnitten eingegangen werden wird. Es sollen hier nur einige Beispiele genannt werden: • die häufige Verschmelzung von Nukleolen (s. auch S. 228), • die Tendenz von Heterochromatinbereichen, miteinander zu verschmelzen (s. S. 229), • die Assoziation der Geschlechtschromosomen der Säuger im Barr-Körper (s. S. 264). Am auffälligsten sind die unterschiedlichen Gestalten der Chromosomen, die man oft bereits innerhalb eines Zellkernes beobachten kann, vor allem aber beim Vergleich der Metaphasechromosomen verschiedener Organismen (Abb. 7.1). Neben selteneren punktförmigen Chromosomen herrschen stäbchen-artige oder V-förmige Gestalten vor. Bei den V-förmigen Chromosomen gibt es solche, bei denen die beiden Chromosomenarme annähernd gleich lang sind und solche, bei denen ein Arm deutlich kürzer ist als der andere. Sehen wir uns diese Chromosomen während ihrer Anaphasebewegungen an, so erkennen wir, dass bei den stäbchenförmigen Chromosomen stets ein Ende des Chromosoms in Richtung auf den Spindelpol orientiert ist, bei den V-förmigen aber der Bereich des Chromosoms, an dem sich beide Arme treffen. Auf Grund dieses Verhaltens nennt man die betreffenden Chromosomen auch akrozentrisch (= telozentrisch) oder metazentrisch (Abb. 7 .1). Zwischen beiden Extremformen der Chromosomenmorphologie gibt es ein Kontinuum von Varianten, das von geringfügig ungleichen Chromosomenarmlängen bis zu einer Morphologie reicht, bei der ein zweiter Chromosomenarm kaum erkennbar ist. Man spricht demgemäß von submetazentrischen oder subtelozentrischen Chromosomen, ohne dass diese Bezeichnungen mehr als rein deskriptiven Wert haben. Immerhin kann uns die Chromosomenform wichtige Hinweise auf deren Evolution geben, denn metazentrische Chromosomen können durch Verschmelzung zweier akrozentrischer Chromosomen entstanden sein oder akrozentrische durch Trennung beider Arme eines metazentrischen Chromosoms (Abb. 7.1) . Die Verschmelzung akrozentrischer Chromosomen wird auch Robertson'sche Fusion (zentrische Fusion) (engl. Robertsonian fusion) genannt und ist ein für die Evolution von Säugerchromosomen charakteristisches Phänomen. Erscheinungen dieser Art sind insbesondere für die Ermittlung populationsgenetischer und evolutionärer Zusammenhänge von Bedeutung. ! Chromosomen sind normalerweise nur in der Mitose und Meiose, also in der kondensierten Form der Pro-, Meta-und Anaphase, sichtbar. Ihre Größe und Form variiert stark und ist jeweils charakteristisch für eine Spezies. Die Bezeichnungen metazentrisch oder telozentrisch (sprachlich ein Widerspruch in sich selbst) sollen nicht auf die Lage der Mitte des Chromosoms hinweisen, sondern kennzeichnen die Lage des Centromers. So nennt man den Bereich der Chromosomen, in dem die Spindel ansetzt, um die Bewegung des Chromosoms während der Mitose und Meiose zu den Spindelpolen zu steuern (s. Kap. 6.3.1, 6.3.2). In Chromosomen, deren Kinetochor nicht terminal liegt, erkennt man den betreffenden Chromosomenabschnitt bereits im Verlauf der zunehmenden Chromosomenkondensation während der Prophase als Einschnürung. Man bezeichnet diesen Bereich in der cytologischen Terminologie daher auch als primäre Konstriktion. Diese Morphologie steht mit einer besonderen molekularen Struktur des Centromerenbereiches in Zusammenhang. ! Die Form der Chromosomen wird durch das Centromer bestimmt. Die Region des Centromers bildet in der Metaphase die primäre Konstriktion. Sie dient dem Ansatz der Spindelfasern, die für die Verteilung der Chromatiden während der Zellteilung sorgen. Die zweite auffallende Eigenschaft eines Prophaseoder Metaphasechromosoms ist dessen deutliche Längsteilung: Es besteht aus zwei Längsuntereinheiten, die wir Chromatiden nennen. Sie sind das Produkt des Verdoppelungsmechanismus der Chromosomen, der während der S-Phase abläuft (Replikation). Es entstehen dabei in allen Chromosomen aus einer Chromatide zwei Schwesterchromatiden. Die Chromatiden sind zunächst bis in die frühe Prophase eng gepaart, trennen sich aber mit der fortschreitenden Kondensation der Chromosomen und hängen schließlich nur noch in ihren Centromerenbereichen zusammen. Erst in der Anaphase trennen sie sich unter Einfluss der Spindel und wandern zu den entgegengesetzten Spindelpolen. Durch diesen Mechanismus ist gewährleistet, dass beide Tochterzellkerne eine Chromatide eines jeden Chromosoms erhalten. Chromatiden sind somit die Grundelemente eines Chromosoms und stellen von der Anaphase bis zur S-Phase gleichzeitig auch ein Chromosom dar. Wenn man von einem Chromosom spricht, wird man daher -je nach dem Zusammenhang -zuvor klären müssen, ob man ein Chromosom vor oder nach der S-Phase meint. Den Status des Zellkernes kennzeichnet man daher auch sinnvollerweise durch Angabe der Anzahl Chromatiden (C-Wert) eines Chromosomenpaares (2C oder 4C während des mitotischen Zellzyklus oder C, 2C oder 4C während der Meiose, s. S. 186). ! Grundeinheit eines Chromosoms ist die Chromatide. Ein Chromosom besteht vor der Replikation aus einer einzigen Chromatide, nach der Replikation in der S-Phase aus zwei identischen Schwesterchromatiden. Betrachtet man Chromosomen genauer, so erkennt man in einzelnen Chromosomen eines Chromosomensatzes neben der primären Konstriktion eine weitere Einschnürung. Man bezeichnet sie als sekundäre Konstriktion. In cytologisch günstigen Fällen kann man erkennen, dass an dieser Stelle des betreffenden Chromosoms während der Interphase und der frühen Prophase der Nukleolus mit dem Chromosom verbunden ist. Wir wissen heute, dass der Nukleolus von diesem Chromosomenbereich her geformt wird. Er wird daher auch Nukleolenbildungsort oder Nukleolusorganisator [engl. nucleolus organizer region (NOR)] genannt. NORs befinden sich, je nach Organismus, nur an einem Teil der Chromosomen. Sie sind für die Zelle lebenswichtig, da sie die Gene für ribosomale RNA tragen, die als struktureller Bestandteil der Ribosomen für die Proteinsynthese erforderlich ist (s. S. 60). Der Nukleolus ist ein Organell, dessen Bildung den funktionellen Zustand der betreffenden Gene anzeigt (s. S. 176), und er ist daher in allen stoffwechselaktiven Zellen zu finden. Die Anzahl der NORs in den Metaphasechromosomen stimmt nicht immer mit der Anzahl der in der Interphase sichtbaren Nukleolen überein. Hierfür gibt es zwei Ursachen: Erstens neigen Nukleolen in vielen Organismen zur Verschmelzung. Diese kann soweit gehen, dass nur ein Nukleolus sichtbar ist, obwohl mehrere NORs im Genom enthalten sind. Zweitens hat man beobachtet, dass in manchen Zellen nicht alle NORs aktiv werden und einen Nukleolus formen (s. S. 290). ! Die sekundäre Einschnürung (Konstriktion) in manchen Chromosomen kennzeichnet die chromosomale Region, in der während der Interphase der Nukleolus gebildet wird. Sie wird daher auch Nukleolenbildungsort oder Nukleolusorganizerregion (NOR) genannt. Es soll noch erwähnt werden, dass sekundäre Konstriktionen bisweilen weit terminal im Chromosom auftreten und dann einen kurzen Chromosomenbereich abtrennen, den man als Satelliten bezeichnet. E. Heitz hat für solche Chromosomen auch den Namen SAT-Chromosomen eingeführt. Die Konstriktion kann in einem solchen Fall eine NOR-Region enthalten oder auch nicht. Warum es im letzten Fall zur Ausbildung einer Konstriktion kommt, ist unklar. Bereits an ungefärbten Metaphasechromosomen, deutlicher aber in gefärbten Chromosomenpräparaten, kann man erkennen, dass Chromosomen nicht gleichförmig strukturiert sind, wenn man einmal von den bereits besprochenen Strukturelementen absieht. Sie sind in kompaktere -und zugleich auch stärker anfärbbare -Abschnitte und weniger kompakte Bereiche unterteilt. Kompakte Chromosomenregionen findet man regelmäßig um die Centromerenbereiche herum, manchmal auch terminal, oder sie umfassen ganze Chromosomenarme oder sogar ein ganzes Chromosom (Abb. 7.2 (Abb. 7.4) , die ebenfalls nur vorübergehend während der Pro-oder Metaphase an die Centromerenbereiche binden. Andererseits scheint die generelle Centromerenstruktur auch während der Interphase erhalten zu bleiben, da sich die sogenannten CREST-Proteine (engl. calcinosis, Raynaud's phenomenon, esophageal dismotility, sclerodactyly, and telangiectasia) auch in Interphasekernen in punktförmigen Bereichen des Kerns nachweisen lassen, die wohl den Centromerenbereichen der Chromosomen entsprechen. Zu den bisher identifizierten Säuger-Centromerenproteinen gehören: • CENP-A. Es ist nur in aktiven Centromeren vorhanden und zeigt Ähnlichkeit zu Histon H3. • CENP-B. Es bindet an die DNA in der CENP-Box, die man in menschlicher α-Satelliten-DNA (centromerassoziiert) und in der minor-satellite-DNA (s. Abb. 7.5) der Maus findet. Deletion des Gens für CENP-B in Mäusen zeigt keine phänotypischen Effekte. • CENP-C. Es ist nur in aktiven Centromeren vorhanden. Im Gegensatz zu CENP-B ist es für die Centromerenfunktion erforderlich. • CENP-E. Möglicherweise ein Motorprotein für die Bewegung der Chromosomen in der Spindel. Außerdem ist im Centromerenbereich Topoisomerase IIa vertreten, die für Chromosomenkondensation und die Trennung von Schwesterchromatiden erforderlich ist. Weiterhin sind Proteinkinasen (Mas und Bub) gefunden worden, deren Funktion wahrscheinlich mit der Anheftung der Chromosomen an die Spindel zusammenhängt. Auch auf der DNA-Ebene weist der Centromerenbereich Besonderheiten auf. Durch in-situ-Hybridisierung hat sich zeigen lassen, dass im centromerassoziierten Heterochromatin stets größere Blöcke von hochrepetitiven DNA-Sequenzen liegen (Abb. 7.5) . Am bekanntesten ist die Satelliten-DNA, die in den Centromerenregionen der Mäusechromosomen zu finden ist (s. auch S. 237). Die Centromerenbereiche der Mäusechromosomen sind aus (mindestens) zwei Klassen hochrepetitiver DNA aufgebaut, die als minor und major satellite, also als kleine und große Satelli-ten-DNA, bezeichnet werden. Diese Bezeichnung bezieht sich auf die relativen Anteile beider Sequenztypen am Genom. Die genauere Untersuchung dieser DNA-Bereiche enthüllt eine klare Untergliederung in mehrere Teilbereiche. Man findet die gleichen Satelliten-DNA-Fraktionen auch in einer der Hausmaus Mus musculus verwandten Art, M. spretus, und auch hier sind sie in einem charakteristischen, aber von der Hausmaus verschiedenen Muster organisiert (Abb. 7.5a) . Auch in anderen Organismen hat man Hinweise auf eine z. T. chromosomenspezifische Organisation dieser hochrepetitiven DNA-Blöcke erhalten, und in Hefechromosomen wurde eine spezielle Struktur der Centromerenregionen unter Beteiligung repetitiver Elemente nachgewiesen (Abb. 7.6 Die Funktion der hochrepetitiven DNA-Blöcke in den Centromerenbereichen ist noch ungeklärt. Vermutlich spielen die besonderen Eigenschaften repetitiver DNA hinsichtlich ihrer Bindungseigenschaften für Proteine eine wichtige Rolle. Hierfür geben die Analysen von Centromerenregionen in Drosophila-Chromosomen Hinweise. Bei Drosophila bestehen Centromeren aus Blöcken von repetitiven Sequenzen, in die einzelne (teilweise defekte) Transposons eingelagert sind. Es ist daher anzunehmen, dass in höheren Eukaryotenim Gegensatz zur Bäckerhefe -Centromerenfunktionen durch die Komplexbildung von Satelliten-DNA mit chromosomalen Proteinen erzielt werden. Mit einer solchen Annahme lässt sich auch die Vorstellung vereinbaren, dass Centromere durch Kontakte bestimmter Chromosomenregionen mit funktionellen Centromerbereichen neu entstehen können. Solche "Neocentromere" sind nach Deletionen funktioneller Centromere in menschlichen Chromosomen wiederholt beobachtet worden und haben zu dem Verdacht geführt, dass eine Centromerenfunktion auch epigenetisch programmiert werden kann. Man könnte auch annehmen, dass die Blöcke repetitiver DNA im Centromerenbereich für die Homologenerkennung in der Meiose eine Bedeutung haben, da sie eine eindeutige Kennzeichnung eines bestimmten Chromosoms durch ein besonderes DNA-Muster ermöglichen. Ob jedoch solche oder andere Funktionen mit den Heterochromatinblöcken verbunden sind, oder ob sie lediglich hier zu finden sind, weil beispielsweise die Mechanismen zur Elimination nichtfunktioneller DNA in den Centromerenbereichen nicht sehr effektiv sind, oder ob sie gänzlich andere, noch unverstandene Funktionen ausüben, bleibt abzuwarten. Natürliche Chromosomenenden (Telomeren) sind cytologisch durch keine besonders auffälligen Strukturen gekennzeichnet. Auf ultrastrukturellem Niveau erkennt man jedoch ähnliche strukturelle Unterschiede zum übrigen Chromosom wie im Centromerenbereich (s. Abb. 7.3) . Cytologisch erscheinen sie heterochromatisch, wenn sie überhaupt als besonderer Chromosomenabschnitt erkennbar sind. Auf ultrastrukturellem Niveau lassen sie im Zygotän eine Verdickung erkennen, die zunächst von der Bildung des synaptonemalen Komplexes ausgeschlossen ist: Die Paarung der Homologen beginnt meist in einem Chromosomenbereich der etwas proximal des Telomers liegt. Das weist auf einen gewissen Sonderstatus der Chromosomenenden hin. Nach Abschluss der Homologenpaarung im Pachytän sind jedoch auch die Telomeren vollständig an der Bildung des synaptonemalen Komplexes beteiligt. Funktionell sind den Telomeren besondere Aufgaben zuzuweisen: • Sie müssen gegen Fusionen mit anderen Chromosomen geschützt sein und die Enden der DNA-Doppelhelix gegen exonukleolytische Angriffe schützen. • Sie müssen besondere Eigenschaften besitzen, um die vollständige Replikation der Doppelhelix zu ermöglichen. • Sie tragen zur spezifischen Lokalisation der Chromosomen im Kern bei. In der meiotischen Prophase sind sie oft mit der Kernmembran assoziiert. Diese unterschiedlichen Aspekte der Telomerenfunktion müssen sich in einer dementsprechenden molekularen Struktur widerspiegeln. Eine besondere molekulare Struktur der Telomeren-DNA ist auch zu erwarten, wenn man sich den Mechanismus der DNA-Replikation vergegenwärtigt (s. S. 51). Im Gegensatz zur Synthese des leading strand, die bis zum Ende der chromosomalen DNA durchläuft, kann der komplementäre Strang (lagging strand) nicht bis zum Ende repliziert werden, da die DNA-Polymerase nicht im Stande ist, Nukleotide an 5′-Enden anzufügen. Die Synthese dieses Stranges muss daher über RNA-Primersequenzen und Okazaki-Fragmente erfolgen. Es wäre durchaus denkbar, dass am einen Ende der Chromatiden eine Einzelstrang-DNA vorhanden ist. Das würde aber Probleme bei der folgenden Replikation ergeben: Dieser Bereich könnte überhaupt nicht mehr repliziert werden, so dass die Chromatide an einem Ende ständig kürzer würde. Diese Probleme wurden ausführlich in Kapitel 2 erörtert. Die Struktur der Chromosomenenden von Hefe ist komplexer als die der makronukleären Ciliatenchromosomen. Sie erstreckt sich über mehr als 100 Basenpaare, enthält aber ebenfalls GC-reiche DNA-Repeats (Abb. 7.8) . Im Anschluss an solche GC-Repeats der Telomeren findet man längere repetitive DNA-Sequenzen, die sogenannten Xund Y′-Repeats, die an einigen (Y′) oder allen (X) Telomerenbereichen zu finden sind. Die Telomerenregion ist aus einer X-Sequenz und einer Y′-Sequenz aufgebaut, die durch eine (interne) C 1-3 A-Sequenz miteinander verbunden werden. Am Ende des Y′-Bereiches befindet sich eine weitere (telomerische) C 1-3 A-Sequenz. Während der Replikation werden enzymatisch einzelne oder mehrere 3′-G 1-3 T-5′-Gruppen an das 3′-Ende der replizierenden DNA angehängt. Diese Verlängerung gestattet es den Replikationsenzymen, den Telomerenbereich in einen 5′-C 1-3 A-3′-RNA-Primer zu kopieren, mit dessen Hilfe der unvollständige Strang dann aufgefüllt werden kann. Die Anzahl der angefügten Repeats ist bei verschiedenen Hefestämmen unterschiedlich, jedoch konstant innerhalb eines Stammes. Wie bei Ciliaten wird also auch in Hefen eine GC-reiche Sequenz zur Erhaltung des Telomerenbereiches verwendet. Der GC-Reichtum der Telomerenenden scheint jedoch kein generelles Kriterium zu sein. Die Struktur der Chromosomenenden, die man bei Drosophila gefunden hat, ist komplexer, ähnelt im Prinzip aber der der Hefen. Dass Telomerenbereiche vieler Eukaryoten DNA-Repeats enthalten, war schon lange durch in-situ-Hybridisierungsexperimente bekannt. Bei D. melanogaster ist es Mary Lou Pardue und Harald Biessmann (1992) gelungen, eine solche telomerenassoziierte DNA-Sequenz zu identifizieren. Es handelt sich um die HeT-A-und TART-Sequenzen, Mitglieder von Familien repetitiver DNA-Sequenzen, die in Telomeren und im centromerenassoziierten 235 7.1 Das eukaryotische Chromosom Abb. 7.8 a,b. Strukturelle Organisation und Replikation eines Hefetelomers. a Das Telomer von Hefen ist komplexer aufgebaut als das der Ciliaten (Abb. 2.24) . Wesentliche DNA-Elemente sind auch hier GC-reiche Repeats (C 1-3 A), die durch die Telomerase ergänzt werden können. Neben den terminalen C 1-3 A-Sequenzrepeats findet man bei manchen Telomeren ein X-Y′-DNA-Element, dessen beide Teilbereiche durch eine weitere interne C 1-3 A-Sequenzrepeatregion voneinander getrennt sind. Die Bedeutung der X-Y′-Elemente ist noch ungeklärt, sie scheinen jedoch den Charakter von Transposons zu besitzen. Diese Beobachtungen zeigen wiederum, dass repetitive DNA-Sequenzfamilien eine unentbehrliche Rolle in der Chromosomenstruktur ausüben können. Ob auch bei Drosophila einfache GC-reiche Tandem-Repeats an den äußersten Chromatidenenden vorhanden sind, wie bei Ciliaten und Hefen,ist bisher ungeklärt,aber es gibt keine Hinweise darauf. Auch die Funktionen der komplexeren DNA-Repeats bei Hefen bzw. HeT-A-und TART-Sequenzen bei Drosophila hinsichtlich der Telomerenstruktur sind unverstanden. Sie könnten beispielsweise der Telomerase als Erkennungssequenzen dienen oder auch Funktionen in der Interaktion der Telomeren mit der Kernmembran ausüben. Mittels künstlicher Hefeminichromosomen, sogenannter YACs (engl. yeast artificial chromosomes) lässt sich,wie schon die Centromerenfunktion,so auch die Telomerenfunktion isolierter DNA-Sequenzen testen. Kombiniert man beispielsweise Telomerensequenzen von Tetrahymena, eine Hefe-CEN3-Sequenz (s. S. 233) und eine ARS-Sequenz (s. S. 46) mit beliebigen anderen DNA-Sequenzen einer Länge von 50 kb bis weit über 1000 kb und transformiert diese linearen Moleküle dann in eine Hefezelle, so werden sie wie normale Hefechromosomen repliziert und in Mitose und Meiose korrekt auf die Tochterzellen verteilt. Sie verhalten sich mithin wie "echte" Chromosomen. Die Besonderheiten der DNA-Struktur in den Telomeren lassen die Frage aufkommen, ob sie sich auch durch besondere Proteine auszeichnen, wie wir es bereits für die Centromerenregionen gesehen haben. Man hat nicht nur spezifische Telomerenproteine gefunden, sondern alles deutet daraufhin, dass die Proteinzusammensetzung von Telomeren sehr komplex ist. Eine wesentliche Funktion solcher Proteine besteht neben der Kontrolle der Telomerenlänge darin, die Fusion mit anderen Telomeren zu verhindern. Andere Proteine müssen spezifische Interaktionen mit der Kernmembran eingehen, wie sie in der meiotischen Prophase in manchen Organismen erfolgt und sich in der Ausbildung von Bukett-Stadien anzeigt. Es sind mehrere Telomerenproteine bekannt, deren Funktionen jedoch nur unvollständig aufgeklärt sind. Bei Hefe kennt man das Telomerenprotein TAZ1, bei Säugern die Proteine TRF1 und TRF2. Für das Telomerenprotein TAZ1 konnte gezeigt werden, dass seine Überexpression zu einer Verkürzung der Telomeren, eine Störung seiner Funktion zu einer Verlängerung der Telomeren führt. In Schistosaccharomyces pombe führt eine Deletion von TAZ1-Protein zu einer Blockierung der Meiose. Es erfolgt keine Rekombination, und das Chromosomen-Clustering unterbleibt, Telomere werden nicht verlängert, und es kommt zu keinem Silencing. In diesem Zusammenhang ist es auch von Interesse, dass zellzyklusrelevante Proteine wie Cdc13 in Telomeren von S. cerevisiae zu finden sind. Mutationen zeigen eine schnelle Verkürzung der Telomeren. So zeigt es sich erneut, dass Zellzyklusregulation und Chromosomenstruktur eng miteinander verwoben sind. Es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass mit dem Vorhandensein von Telomerase die Fragen bezüglich der Instandhaltung von Telomeren gelöst sind. Es hat sich nämlich bei knock-out-Mäusen gezeigt, dass diese ohne Telomerase über mehrere Generationen lebensfähig bleiben. Untersuchungen in Hefe und an menschlichen Tumorzelllinien ohne Telomeraseaktivität zeigen, dass Telomeren auch ohne Telomerase instand gehalten werden können. Höchstwahrscheinlich spielen hierbei Rekombinationsmechanismen eine Rolle. Es ist verständlich, dass in einem so kritischen Bereich des Genoms alternative Mechanismen verfügbar bleiben, wenn der primäre Korrekturmechanismus ausfällt. Auch unsere Kenntnis der Telomerenstruktur und -funktion steht noch in den Anfängen. Viele diesbezügliche Fragen werden sich erst mit unserer zunehmenden Kenntnis molekularer Interaktionen zwischen Nukleinsäure und Proteinen stellen und lösen lassen. Dass die Kenntnis der biologischen Funktionen im Telomerenbereich der Chromosomen von großer Bedeutung ist, deutet sich in der Möglichkeit an, dass Telomeren und Telomerasefunktionen eng mit der Regulation des Zellzyklus verknüpft sind und dass die Kontrolle der Telomerenlänge eine wichtige Rolle im Proliferationsverhalten der Zelle, z. B. als Tumorsuppressormechanismus, und für Fragen der Alterung von Zellen spielt. Das wird durch Beobachtungen belegt, nach denen in bestimmten menschlichen Tumorzellen die Aktivität der katalytischen Telomerase-Untereinheit TERT erhöht ist. Generell findet man hohe Telomeraseaktivität in Keimbahnzellen und wenig oder keine Telomerase in somatischen Zellen. Die Untersuchung von Reaktionskinetiken von eukaryotischer DNA ließ bereits frühzeitig erkennen, dass aufgrund unterschiedlicher Sequenzhäufigkeiten mehrere DNA-Sequenzfraktionen unterschieden werden müssen. Am auffälligsten in einigen Organismen waren DNA-Anteile, die besonders schnell renaturierten und einen relativ großen Anteil an der Gesamt-DNA umfassen können. Man bezeichnete diese repetitiven DNA-Fraktionen daher als hochrepetitive DNA (engl. highly repetitive DNA). Zuerst ausführlich untersucht wurde eine hochrepetitive DNA-Fraktion der Hausmaus, Mus musculus, die bereits zuvor als Satelliten-DNA (engl. satellite DNA) bekannt gewesen war. Die Bezeichnung Satelliten-DNA ist durch die analytische Methodik bedingt, die zur Entdeckung dieser DNA-Fraktion geführt hat. In den frühen 1960er Jahren war Gleichgewichtsultrazentrifugation, vor allem in CsCl oder CsSO 4 , von DNA eine der wenigen verfügbaren Methoden, um DNA zu fraktionieren. Grundlage der Fraktionierung ist in solchen Experimenten die mittlere Basenzusammensetzung der DNA, da das Kriterium der Trennung die Schwimmdichte (engl. buoyant density) ist. Die Schwimmdichte wird durch die Basenzusammensetzung bestimmt. Während der Zentrifugation stellt sich im Zentrifugenröhrchen ein Gradient aus Cs + -Ionen ein, der schließlich ein Gleichgewicht erreicht, bei unveränderten Zentrifugationsbedingungen unverändert bleibt und unbegrenzt stabil ist. Da die Schwimmdichte der DNA mit abnehmendem AT-Gehalt steigt, erfolgt eine Trennung der DNA-Moleküle nach ihrem mittleren AT-(oder GC-) Gehalt. Es zeigt sich, dass bei praktisch allen Eukaryoten der Hauptanteil der DNA-Moleküle einen mittleren GC-Gehalt von etwa 40% hat. In CsCl-Gradienten bedingt das bei 20°C eine Schwimmdichte von 1,701 g × cm -3 . Neben dieser Hauptfraktion, der sogenannten Hauptbande (engl. main band), findet man beinahe immer zusätzliche kleinere Fraktionen, die sich in ihrem jeweiligen GC-Gehalt deutlich von dem der Hauptbande unterscheiden und dadurch eine andere Schwimmdichte besitzen. Im Gleichgewichtsgradienten erscheinen sie daher auch als getrennte Fraktionen, sogenannte Satellitenfraktionen oder Satellitenbanden, da sie von der Hauptmenge der DNA abgetrennt sind (Abb. 7.9 ). Satellitenbanden können, je nach GC-Gehalt, eine niedrigere oder höhere Schwimmdichte besitzen und daher im Zentrifugenröhrchen über oder unter der Hauptbande erscheinen. Man spricht demgemäß auch von leichten (niedriger GC-Gehalt) oder schweren (hoher GC-Gehalt) Satelliten-DNAs. Die Beobachtung, dass Satelliten-DNA-Fraktionen selbst zwischen nahe verwandten Organismengruppen in völlig verschiedenen Anzahlen, relativen Mengen der Gesamt-DNA des Genoms und unterschiedlichen mittlerer Basenzusammensetzung auftreten, hatte zunächst zu dem Verdacht geführt, dass es sich hierbei um Viren handelt. Erste Sequenzanalysen, die durch Edwin Southern Ende der 1960er Jahre durchgeführt wurden, schlossen diese Möglichkeit sehr schnell aus. Die Lokalisierung von Satelliten-DNAs im Genom durch in-situ-Hybridisierung (Technik-Box 13) räumte die letzten Zweifel darüber aus, dass es sich bei Satelliten-DNA um integrale Teile des Eukaryotengenoms handelt. ! Hochrepetitive DNA zeichnet sich meist durch eine besondere, von der Hauptmenge der DNA abweichende Basenzusammensetzung aus. Sie erscheint dann in Gleichgewichtszentrifugationsexperimenten aufgrund ihrer abweichenden Schwimmdichte als Satellitenbande. Die Gleichgewichtszentrifugationstechnik gestattete es, Satelliten-DNAs relativ einfach zu isolieren. Die Analyse solcher DNA-Fraktionen hat gezeigt, dass es sich meist um hochrepetitive DNA-Sequenzen handelt, so dass der Begriff Satelliten-DNA heute üblicherweise alternativ zum Begriff hochrepetitive DNA-Fraktion gebraucht wird, obwohl auch andere DNA-Sequenzen als Satellitenfraktion sichtbar werden können. Ein weiterer Begriff, der ebenfalls oft auf hochrepetitive DNA-Fraktionen angewendet wird, ist der von Peter Walker geprägte Begriff simple sequence DNA. Er beruht auf dem Befund, dass hoch-repetitive DNA-Sequenzen meist aus sehr einfachen, tandemartig wiederholt angeordneten DNA-Sequenzen bestehen. Die Länge einer dieser wiederholten Sequenzen ist bisweilen äußerst kurz und kann, beispielsweise bei Satelliten-DNA der Hausmaus, nur fünf Basenpaare umfassen, wie Edwin Southern gezeigt hat. In anderen Fällen können solche Grundsequenzen jedoch auch einige Hundert Basenpaare lang sein. Die tandemartig angeordneten DNA-Sequenzen sind in den meisten Fällen nicht identisch, sondern ihre Nukleotidsequenzen weichen im Allgemeinen erheblich von der als Consensussequenz ermittelten Grundsequenz ab, sie divergieren (engl. diverged nucleotide sequences) (Abb. 7.10 Neben hochrepetitiver DNA enthalten Eukaryotengenome noch erhebliche Anteile von niedrigerrepetitiven DNA-Sequenzen. Die meisten dieser DNA-Sequenzen sind über das gesamte Genom verstreut zu finden, bilden aber bisweilen ähnliche tandemartige Anordnungen, wie das für hochrepetitive DNA die Regel ist. Da die Häufigkeit solcher DNA-Sequenzen im Allgemeinen sehr viel niedriger ist als die der hochrepetitiven Sequenzfraktionen, unterscheidet man etwas willkürlich "mittelrepetitive" (engl. middle repetitive) und "niedrigrepetitive" (engl. low repetitive) Anteile. Beide DNA-Fraktionen gehören Sequenzen an, die man unterschiedlichen Familien repetitiver DNA-Sequenzen zuweisen muss. Ähnlich wie hochrepetitive DNA besteht innerhalb jeder dieser Sequenzfamilien große Sequenzähnlichkeit der verschiedenen Familienangehörigen. Im Gegensatz zu hochrepetitiver DNA sind die Kopien dieser Familien jedoch im Genom verstreut (engl. interspersed repetitive sequences). Wir unterscheiden aufgrund der Größe zwei Klassen von mittelrepetitiven Sequenzen: Kurze Sequenzen von 200 bis 400 bp Länge werden als SINEs (engl. short interspersed element) bezeichnet. Zu ihnen gehören auch die Alu-Elemente, die den größten Teil der mittelrepetitiven Sequenzen des menschlichen Genoms ausmachen. Ihren Namen haben sie aufgrund ihrer Eigenschaft erhalten, dass sie alle die Erkennungssequenz des Restriktionsenzyms AluI enthalten. Alu-Elemente haben eine Größe von ca. Abb. 7.10. Modellvorstellung der Evolution von Satelliten-DNA. Dieses Modell versucht, die Verteilungs-und Evolutionsmuster von Satelliten-DNA zu erklären. Nach einer lokalen Amplifikation einer Grundsequenz werden Kopien allmählich durch das Genom verstreut. Die verstreuten Kopien degenerieren und sind nicht mehr als Elemente der zuvor amplifizierten DNA-Sequenzfamilie erkennbar. Die ursprünglich amplifizierten Satelliten-DNA-Sequenzen werden im Laufe der Evolution relativ häufig durch neu amplifizierte Sequenzen ersetzt wie die großen Unterschiede in der Ausstattung mit Satelliten-DNA zwischen nahe verwandten Organismen beweisen. (Aus Walker 1971) 300 bp und kommen etwa 700 000 bis 1 000 000-mal im menschlichen Genom vor. Die zweite Klasse mittelrepetitiver Sequenzen hat eine Länge von mehreren kb (1,4 bis 6 kb) und wird daher als LINEs (engl. long interspersed element) bezeichnet; sie kommen in geringerer Kopienzahl im Genom vor (60 000 bis 100 000). Aufgrund ihrer Eigenschaft, von bestimmten Restriktionsenzymen geschnitten zu werden, werden sie verschiedenen Familien zugeordnet; die bekannteste ist die Kpn-Familie (wird mit dem Restriktionsenzym KpnI geschnitten). Vollständige Elemente dieser Familie enthalten eine Reverse Transkriptase; sie sind daher nichtvirale Retroelemente. Weitere Details der SINEund LINE-Elemente werden aufgrund ihrer Transposon-Eigenschaften dort besprochen (s. Kap. 9). Die Anzahl der Mitglieder einer Sequenzfamilie mittelrepetitiver DNA kann in einem weiten Bereich variieren. So gibt es Sequenzfamilien mit Hunderttausenden von Kopien im Genom, während andere Sequenzfamilien nur 2 bis 10 Kopien umfassen. Im Übrigen ist es schwierig, eine Abgrenzung zwischen mittelrepetitiver und hochrepetitiver DNA auf der Grundlage der Kopienanzahl zu treffen. Es kann durchaus zu Überschneidungen der Häufigkeitsverteilungen kommen, wenn man die Charakteristik des Sequenztypes zur Grundlage der Unterscheidung macht. Die Unterscheidung von hoch-und mittelrepetitiver DNA ist daher bisweilen mehr als eine operationelle Unterscheidung anzusehen. Wie schon bei hochrepetitiver DNA sind auch bei niedrigerrepetitiven DNA-Familien die einzelnen Kopien im Genom nicht notwendigerweise identisch, sondern können in der Sequenz beträchtlich voneinander abweichen. Im Extremfall ist die Zusammengehörigkeit überhaupt nur durch sorgfältige Sequenzvergleiche festzustellen. Im Vergleich zu hochrepetitiven DNA-Sequenzen sind DNA-Sequenzen niedrigerer Repetitionsgrade evolutionär weniger variabel und oft noch in entfernter verwandten Organismen zu finden. Dafür ist teilweise natürlich die verstreute Anordnung im Genom mit verantwortlich. Unter diesen Umständen ist eine Korrektur und Angleichung an eine Grundsequenz, wie sie z. B. in der rDNA erfolgt, gegenüber einer Anordnung in Gruppen generell erschwert. Hauptgrund für die größere Sequenzerhaltung aber ist, dass zu dieser DNA-Fraktion auch Gene gehören. Man kann davon ausgehen, dass Gene im Allgemeinen zumindest in Teilbereichen weniger Veränderun-gen durch Mutationen im Laufe der Evolution zulassen als DNA-Bereiche, die nicht für Proteine kodieren. Es hat relativ vieler Experimente und letztlich der Anwendung gentechnologischer Methoden bedurft, um zu einem genaueren Verständnis der Zusammensetzung repetitiver DNA-Fraktionen niedriger Repetitionshäufigkeiten zu gelangen. Zusammenfassend lässt sich heute sagen, dass der Hauptanteil an der mittelrepetitiven DNA aus transponierbaren DNA-Sequenzen (Transposons) besteht, also DNA-Sequenzen, die ihre Position im Genom verändern können (s. Kap. 9). Diese DNA-Sequenzfamilien können in der Anzahl vorhandener Kopien äußerst variabel sein. So gibt es im menschlichen Genom transponierbare Elemente mit 300 000 bis 500 000 Kopien im haploiden Genom (z. B. die sogenannten Alu-Sequenzen, s. S. 352). In Drosophila hingegen hat sich die mittlere Größe einer Familie transponierbarer Elemente bei 30 bis 60 Kopien stabilisiert. Ihre Längen können ebenfalls in weiten Bereichen variieren, liegen aber meist zwischen 1 und 8 kb. Neben Transposons gibt es auch eine Anzahl von Genen, die in größeren Kopienzahlen vorhanden sind. Insbesondere sind hier die Gene für strukturelle RNA-Moleküle zu nennen (ribosomale RNA, S. 295), aber auch Proteinkodierende Gene können in größeren Kopienzahlen vorkommen. Als Beispiel seien die Gene für Histonproteine genannt (s. S. 309), die, je nach Organismus, mit 50 bis zu mehreren hundert Kopien im haploiden Genom vertreten sind. ! Neben hochrepetitiver DNA besitzen eukaryotische Genome größere Anteile an mittel-und niedrigrepetitiven DNA-Sequenzen. Diese sind im Genom verstreut und bestehen aus längeren DNA-Sequenzen als hochrepetitive DNA. Unter solchen DNA-Sequenzen befinden sich auch Gene. Ein anderer Teil mittelrepetitiver DNA-Sequenzen gehört zur Klasse der "mobilen genetischen Elemente" (Transposons). Abschließend soll hier noch eine Fraktion repetitiver DNA-Sequenzen erwähnt werden, die sich von den bisher besprochenen repetitiven DNA-Sequenzen grundsätzlich dadurch unterscheidet, dass sie nicht mit einer Reaktionskinetik 2. Ordnung reassoziiert, sondern als Reaktion 1. Ordnung, also nach Art einer monomolekularen Reaktion. Das bedeutet, dass es sich um intramolekulare Renaturierung handeln muss. Die Kinetik 1. Ordnung unterscheidet sich von der einer Reaktion 2. Ordnung dadurch, dass sie nicht von der Zeit oder der Konzentration der Reaktionspartner abhängig ist. Die Renaturierungsgeschwindigkeit dieser DNA-Fraktionen ist so hoch, dass man sie mit der normalen Messung einer Renaturierungskinetik praktisch nicht erfasst, da die Renaturierung bereits beendet ist, wenn man mit der Messung beginnt. Es fiel bei Renaturierungsexperimenten bereits frühzeitig auf, dass praktisch in allen eukaryotischen Genomen eine solche schnelle Anfangsreaktion zu beobachten ist, die etwa 1 % der DNA umfassen kann. Elektronenmikroskopische Untersuchungen, und spätere DNA-Sequenzanalysen zeigten, dass es sich hierbei um denaturierte DNA-Moleküle handelt, die aufgrund interner gegenläufiger (d. h. invertierter) komplementärer Nukleotidsequenzen einen (partiellen) Doppelstrang formen (Abb. 7.11 Die Anwendung von in-situ-Hybridisierung zur Lokalisation hochrepetitiver DNA-Sequenzen ergab, dass diese vornehmlich in heterochromatischen Chromosomenregionen, insbesondere in Centromeren-und Telomerenbereichen, aber auch in konstitutiv heterochromatischen Chromosomenarmen, stark angereichert sind. Das ist auch mit dem Befund, dass im Allgemeinen keine Transkripte solcher DNA-Sequenzen beobachtet werden, vereinbar. Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Betrachtung hochrepetitiver DNA ist, dass Satelliten-DNA-Fraktionen evolutionär schnellen Veränderungen unterworfen sind. Das kann nur bedeuten, dass das Genom über Eliminations-und Amplifikationsmechanismen verfügt, die gemeinsam in der Lage sind, eine vorhandene hochrepetitive DNA-Fraktion kurzfristig und relativ vollständig durch eine neue zu ersetzen. Geht man von der Lokalisation von hochrepetitiver DNA im Heterochromatin aus, so drängt sich die Vermutung auf, dass sie mit dem besonderen Verpackungsmodus der DNA in diesen Genombereichen, zumindest aber mit der Bindung spezieller chromosomaler Proteine in Verbindung gebracht werden müssen. Auch die Lokalisation in Centromerenbereichen spricht hierfür. Der kurze Abriss der wesentlichsten Eigenschaften von Chromosomen, wie sie von der klassischen Cytologie verstanden worden sind, hat einen wichtigen Gesichtspunkt außer acht gelassen: den der Variabilität in der Morphologie der Chromosomen, wie sie bereits mit einfachen cytologischen Methoden erkennbar ist. Zwei grundlegende Beobachtungen an Chromosomen, die bereits mit einfachen Mikroskopen möglich waren, sind einerseits die generelle Konstanz der Chromosomenanzahl in den verschiedenen Zellen eines Organismus und zugleich innerhalb einer biologischen Art (Spezies) oder Unterart. Ausnahmen findet man lediglich in den Keimzellen einiger Organismen, die eine abweichende Chromosomenanzahl besitzen. Diese Besonderheiten sollen in einem besonderen Abschnitt besprochen werden (s. S. 258). Im Gegensatz zu dieser Uniformität der Chromosomen innerhalb eines Organismus und zwischen Organismen einer Art steht die große Variabilität der Chromosomenanzahlen und -morphologie, die man beim Vergleich verschiedener Arten und vor allem höherer Gruppen des Tier-und Pflanzenreiches findet (Tabelle 7.1). Weder die Anzahl noch die Gestalt der Chromosomen weist dabei eine Korrelation zur (Abb. 7.13) . Hinzu kommen neue Techniken der in-situ-Hybridisierung (Chromosomenpainting), die den Anwendungsbereich der Bänderungstechniken noch erweitern (s. Abb. 7.12b) . Man unterscheidet heute im Wesentlichen vier Färbemethoden, die unterschiedliche, aber genau reproduzierbare Färbungsmuster der Chromosomen ergeben. G-Banden erhält man nach einer Vorbehandlung in warmer Salzlösung oder mit proteolytischen Enzymen (Proteinase K oder Pronase E) und anschließender Giemsafärbung oder durch die Verwendung AT-spezifischer Fluoreszenzfarbstoffe (z. B. DAPI, DIPI). Q-Banden sieht man als fluoreszierende Chromosomenabschnitte nach Quinacrinfärbung. R-Banden (engl. reversed bands) erkennt man nach einer Behandlung mit Fluoreszenzfarbstoffen, die bevorzugt GC-reiche DNA anfärben (z. B. Mithramycin, Acridinorange). Schließlich findet man C-Banden nach Behandlung der Chromosomen mit Alkali und Säure und anschließender Giemsafärbung. Dass es sich hierbei um keine zufälligen Eigenschaften chromosomaler Verpackung handelt, wird durch zwei Tatsachen belegt. Zum einen findet man, dass bestimmte Bänderungsmuster im Laufe der Evolution, zwar in veränderten chromosomalen Positionen, aber im Übrigen doch strikt konserviert erhalten bleiben. Solche Befunde wurden vor allem bei der vergleichenden Untersuchung von Primatenkaryotypen gemacht. Offenbar bleiben bestimmte Genkombinationen in der gleichen Gruppierung von Banden erhalten, durchlaufen aber chromosomale Verschiebungen ganzer Gruppen von Banden. Zum anderen weisen bestimmte Bandenmuster wie das G-und das R-Bandenmuster eine enge Korrelation zur DNA-Synthese der betreffenden Chromosomenabschnitte auf. Das zeigt, dass die Möglichkeit, bestimmte Chromosomenbereiche differenziell zu färben, eine grundlegende strukturelle Eigenschaft der Organisation von Chromosomen reflektieren muss: Banden zeigen chromosomale Organisationseinheiten an, deren molekulare Struktur bisher unverstanden ist. Einer der Bandentypen, die C-Banden, lässt sich spezifisch bestimmten heterochromatischen Chromosomenbereichen zuordnen. sifizieren lassen (Abb. 7.14 b). Es lässt sich leicht feststellen, dass diese Schwierigkeit meist nur für ein Geschlecht besteht, während sich im anderen Geschlecht alle Chromosomen völlig normal in Zweiergruppen sortieren lassen (Abb. 7.14 a): Hierbei fehlt das eine der beiden ungleichen Chromosomen des anderen Geschlechtes, während das andere doppelt, also diploid vorhanden ist wie alle übrigen Chromosomen auch. Ganz offensichtlich besteht also ein Zusammenhang des Vorhandenseins dieses morphologisch abweichenden Chromosoms mit dem Geschlecht des Organismus. Derartige Chromosomen werden daher als Geschlechtschromosomen bezeichnet -im Gegensatz zu allen übrigen Chromosomen, die man Autosomen nennt. Die wichtigste Konsequenz des Besitzes von unterschiedlichen Geschlechtschromosomen wird uns bei der Betrachtung der Meiose deutlich: Die Gameten besitzen zur Hälfte jeweils das eine oder das andere Geschlechtschromosom. Im Geschlecht mit identischen Geschlechtschromosomen gibt es diesen Unterschied in den Gameten natürlich nicht. Welches Geschlecht dabei die "normale" und welches die abweichende Chromosomenkonstitution zeigt, hängt vom Organismus ab. Bei Säugern beispielsweise ist das Männchen das heterogametische Geschlecht, während bei Vögeln oder bei Schmetterlingen (Lepidopteren) das Weibchen heterogametisch ist. Zur nomenklatorischen Kennzeichnung von Geschlechtschromosomen verwendet man generell die Namen Xund Y-Chromosom, wenn das Männchen heterogametisch ist, oder W-(≈Y) und Z-Chromosom (≈X), wenn das Weibchen heterogametisch ist. In einem Fall haben also die Weibchen die Geschlechtschromosomenkonstitution XX, die Männchen die Konstitution XY, im anderen die Weibchen die Geschlechtschromosomen WZ, die Männchen ZZ. Nicht bei allen Organismen findet man unterschiedliche Geschlechtschromosomen in einem der Geschlechter. Bei manchen Tiergruppen besitzt das heterogametische Geschlecht lediglich ein Geschlechtschromosom im diploiden Satz, während dasselbe Chromosom im homogametischen Geschlecht doppelt vorhanden ist. In diesem Fall kennzeichnen wir die Geschlechtschromosomenkonstitutionen mit XX und X0. Wir können diese Beobachtung, mehr noch als die Strukturunterschiede in Organismen mit zwei verschiedenen Geschlechtschromosomen, als Hinweis darauf verstehen, dass Geschlechtschromosomen funktionell, also hinsichtlich ihrer genetischen Information, nicht identisch sind. Im Prinzip sind die Geschlechtschromosomen im heterogametischen Geschlecht stets haploid, ein Zustand den man auch als hemizygot bezeichnet. Für die Ausprägung der auf hemizygoten Chromosomen lokalisierten Gene hat das schwerwiegende Konsequenzen, denn ein dort vorhandenes Allel wird stets voll ausgeprägt, unabhängig davon, ob es im anderen (homogametischen) Geschlecht rezessiv oder dominant erscheint. Cytologen bezeichnen Geschlechtschromosomen aufgrund der unterschiedlichen Morphologie auch als heteromorph und nennen sie dementsprechend Heterosomen. Obwohl weit weniger gebräuchlich, ist diese Bezeichnung in mancher Hinsicht zweckmäßiger als der Begriff Geschlechtschromosomen, denn dieser suggeriert eine direkte Funktion des Chromosoms bei der Geschlechtsbestimmung des Organismus. Das ist jedoch nur bedingt richtig, wie später noch gezeigt wird (s. Kap. 13.5.5). Das Geschlechtschromosom des Männchens von Drosophila, das Y-Chromosom, hat zum Beispiel keinerlei geschlechtsbestimmende Funktionen, während beim Menschen wichtige männliche geschlechtsbestimmende Gene auf dem Y-Chromosom liegen. In beiden Fällen ist das männliche Geschlecht heterogametisch, wie uns die Bezeichnung der Geschlechtschromosomen verrät. Nicht näher eingegangen wird hier auf Fälle multipler Geschlechtschromosomen, wie sie z. B. bei einigen Marsupialiern (Beuteltieren), Rodentiern (Nagern), anderen Vertebraten, aber auch bei Insekten oder Pflanzen gelegentlich beobachtet werden. Es Abb. 7.14 a,b. Metaphasechromosomen von Drosophila melanogaster. a Weibchen mit zwei X-Chromosomen, b Männchen mit einem X-und einem Y-Chromosom. Zwei der Autosomenpaare sind metazentrisch, das dritte Paar ist punktförmig können in solchen Fällen mehrere X-oder Y-Chromosomen vorhanden sein. Der Erbgang von Geschlechtschromosomen ist nicht nur von großer praktischer Bedeutung, sondern seine Erforschung hat grundlegende Mechanismen der Chromosomenverteilung in Meiose und Mitose aufgedeckt (s. Kap. 6.3.1 und 6.3.2). Sein Verständnis ist daher besonders wichtig. ! Bei vielen Organismen findet man Geschlechtschromosomen (Heterosomen), die sich von den übrigen Chromosomen (Autosomen) dadurch unterscheiden, dass sie sich trotz ihres homologen Charakters morphologisch unterscheiden. Während das eine Geschlecht zwei identische Geschlechtschromosomen besitzt (es ist homogametisch), ist das andere durch zwei unterschiedliche Geschlechtschromosomen heterogametisch. Heterogametie kann im männlichen (X/ Y-Chromosomen) oder weiblichen Geschlecht (W / Z-Chromosomen) auftreten. In manchen Organismen fehlt das zweite Geschlechtschromosom im heterogametischen Geschlecht ganz (X / O-Typ) oder es sind mehr als zwei Geschlechtschromosomen vorhanden. Bisher haben wir eine Form von Variabilität der Chromosomenstruktur betrachtet, die den Organismus insgesamt betrifft, also mit seiner genetischen Ausstattung in Beziehung steht. Variabilität der Chromosomenstruktur findet man aber auch, wenn man verschiedene Zelltypen vergleicht. Es gibt gute Gründe zu vermuten, dass solch eine Variabilität mit der Funktion der Chromosomen in den betreffenden Zelltypen zu tun hat. Eine ungewöhnliche cytologische Struktur finden wir beispielsweise bei den Prophasechromosomen einiger Organismen während der ersten meiotischen Teilung. Ganz allgemein sind meiotische Prophasechromosomen durch die vielen Chromomeren charakterisiert, die sich perlschnurartig auf den Chromosomenachsen zeigen. In manchen Organismen bilden sich -meist in der weiblichen Keimbahn -von diesen Chromomeren schleifenartige Strukturen aus, sogenannte Lampenbürstenschleifen, die den Chromosomen ein diffuses Aussehen geben (Abb. 7.15 ). Wegen ihres Erschei-nungsbildes werden diese Chromosomen auch Lampenbürstenchromosomen (engl. lamp-brush chromosomes) genannt, da sie im Extremfall den früher zur Reinigung von Petroleumlampen gebräuchlichen Bürsten ähnlich sehen (Abb. 7.16) . Solche Lampenbürstenchromosomen sind vor allem in den primären Oocyten vieler Organismen zu beobachten, treten jedoch bisweilen auch im primären Spermatocytenstadium auf. H-markierter RNA wurden die wachsenden Transkripte an der Schleife radioaktiv markiert und anschließend autoradiographisch sichtbar gemacht. Die markierte Probe ist komplementär zu den neusynthetisierten RNA-Molekülen an der DNA-Achse. Es wird spezifisch die RNA im sphere-Locus im Chromosom 6 markiert. (Aus Gall et al. 1981) markierter RNA-Vorstufen (z. B. 3 H-Uridin) für kurze Zeit (wenige Stunden) RNA synthetisieren (eine sogenannte Pulsmarkierung), so sind sie nur in einem Teilbereich, beginnend an einem Ende, radioaktiv markiert, wie die anschließende Autoradiographie zeigt. Die Länge des radioaktiven Teilbereiches nimmt mit der Inkubationszeit zu, bis nach etwa 24 Stunden die gesamte Lampenbürstenschleife radioaktiv markiert ist. Das kann nur bedeuten, dass sie nicht über die ganze Länge transkriptionsaktiv ist. Der molekulare Mechanismus, der diesem Markierungsmuster zugrunde liegt, ist bisher nicht verstanden. Wir müssen Lampenbürstenschleifen jedenfalls als aktive Gene ansehen.So stellt sich die Frage,welche Beziehung zwischen Lampenbürstenschleifen und Genen besteht. Die Länge der Lampenbürstenschleifen in manchen Arten, wie beispielsweise Notophthalmus, übersteigt bei weitem die Länge einzelner Gene. Durch in-situ-Hybridisierungsexperimente konnten Joseph G. Gall und seine Mitarbeiter zeigen, dass zumindest ein Teil der Schleifen mehrere Transkriptionseinheiten beherbergt. Diese Beobachtung schließt an die Befunde an Riesenchromosomen an, deren Querscheiben ebenfalls oft mehr als eine Transkriptionseinheit enthalten (s. S. 252). In der klassischen Cytologie ist man hingegen davon ausgegangen, dass Chromomeren die cytologischen chromosomalen Äquivalente einzelner Gene sind. Inwieweit Lampenbürstenschleifen (und Querscheiben in Riesenchromosomen) tatsächlich ausschließlich mit den Chromomeren meiotischer Prophasechromosomen zu korrelieren sind, ist jedoch nach wie vor eine offene Frage. Eine völlige Übereinstimmung eines Lampenbürstenschleifenbereiches mit dem Bereich eines einzelnen Gens kann heute ausgeschlossen werden, wenn man ein Gen als die DNA-kodierende Region für ein Protein ansieht (s. auch Diskussion des Genbegriffes, S. 8). Es wäre mit Sicherheit eine grobe Vereinfachung, Lampenbürstenschleifen einfach als Orte erhöhter Transkription zu betrachten. Warum sind sie dann auf die meiotische Prophase beschränkt? Ganz offenbar erfüllen sie für die Keimzellentwicklung wichtige Stoffwechselfunktionen. Besonders deutlich wird das an Lampenbürstenschleifen, die von Fertilitätsgenen im Y-Chromosom von Drosophila während des primären Spermatocytenstadiums ausgebildet werden, wie Meyer, Hess und Beermann zu Beginn der 1960er Jahre feststellten. Offenbar ist die Ausbildung solcher großer Lampenbürstenschleifen, wie sie besonders gut ausgebildet bei D. hydei gefunden werden, eine Besonderheit einer begrenzten Anzahl von Drosophila-Arten, während kleinere Schleifen des Y-Chromosoms wohl bei den meisten, wenn nicht allen Drosophila-Arten, zu finden sind. Große Lampenbürstenschleifen in D. melanogaster, D. hydei und einigen anderen Arten enthalten mehr als 250 000 Basenpaare (bisweilen weit über 1 000 000 bp) DNA, wie die elektronenmikroskopische Darstellung transkriptionsaktiver Lampenbürstenschleifen beweist. Die DNA dieser Y-chromosomalen Lampenbürstenschleifen ist in sehr komplexer Weise aus repetitiven (wiederholten) DNA-Sequenzen aufgebaut. Neuerdings wurde ein Dynein-Gen im Y-Chromosom nachgewiesen. Es ist jedoch fraglich, ob dieses Gen einer Transkriptionseinheit innerhalb einer Lampenbürstenschleife zugeordnet werden kann. Vieles spricht dafür, dass diese riesigen Transkriptionseinheiten, die die Lampenbürstenschleifen bilden, in ihrer Hauptfunktion keine Protein-kodierenden Eigenschaften aufweisen. Vielmehr dienen die noch an der DNA befindlichen Transkripte wahrscheinlich der Bindung von Kernproteinen. Sie tragen also zu einer Kompartimentierung des Kerns bei, wie sie in letzter Zeit für verschiedene Moleküle beobachtet wurde. Man kann daher diese Lampenbürstenschleifen auch als ein weiteres Beispiel für übergeordnete Funktionen von Chromosomen im Kernstoffwechsel ansehen, wie wir sie in der Bindung von Lamin an die Chromosomen über die Mitose hinweg erwähnen (s. S. 182) und in der Form der centromerassoziierten chromosomal passenger proteins besprechen (s. S. 231). ! In manchen Organismen werden in der Prophase der ersten Reifeteilung Lampenbürstenchromosomen gebildet. Von den Chromomeren auf der Chromosomenachse werden zwei laterale symmetrische Schleifen ausgebildet, die transkriptionsaktiv sind. Jede dieser Schleifen ist einer der Chromatiden zuzuordnen. Ein anderer Typ von cytologisch ungewöhnlichen Chromosomen lässt sich in manchen Geweben, vor allem von Insekten, beobachten. Sie zeichnen sich durch eine ungewöhnliche Größe und einen großen strukturellen Detailreichtum aus (Abb. 7.18 (Abb. 7.20) . Dass in solchen Puffs RNA synthetisiert wird, lässt sich durch den Einbau radioaktiv markierten Uridins nachweisen (Abb. 7.21) . Bei Einstellung der Transkription erfolgt eine Kondensation der chromosomalen DNA und damit eine Rückbildung in die stärker lichtbrechenden Querscheiben. Die Tatsache, dass in Riesenchromosomen eine intensive RNA-Synthese zu beobachten ist, kennzeichnet diese Chromosomen als Interphasechromosomen. Das erklärt auch ihre Länge: Wie bei normalen Interphasechromosomen ist die chromosomale DNA der Riesenchromosomen dekondensiert, und die Chromosomen sind nur dadurch sichtbar, dass sie aus einer Vielzahl lateral gepaarter Chromatiden bestehen. Der Interphasecharakter dieser Chromosomen wird auch dadurch deutlich, dass in ihnen durch Autoradiographie mit radioaktivem Thymidin Replikation nachgewiesen werden kann. Sie durchlaufen also gewissermaßen sich wiederholende S-Phasen, ohne zwischendurch einen vollen Zellzyklus, der eine Mitose beinhaltet, abzuschließen. Messungen des DNA-Gehaltes haben ergeben, dass die Vermehrung der DNA in den Riesenchromosomen mit dem Faktor 2 n erfolgt. Die Anzahl der Verdoppelungsschritte (n) kann mehr als 13 betragen, so dass der Polytäniegrad in diesem Fall über 8192 liegt. Solche Polytäniegrade findet man in Speicheldrüsenchromosomen Vergleichen wir einen mitotischen Metaphasechromosomensatz mit einem Riesenchromosomensatz aus den Speicheldrüsen von Drosophila (Abb. 7.22), so müssen wir einige grundsätzliche Unterschiede feststellen. Der auffallendste Unterschied liegt darin, dass die Chromosomenanzahl in den Speicheldrüsenkernen der einer haploiden Zelle entspricht. Die Ursache hierfür ist nicht Haploidie dieser Zellen, sondern liegt in der somatischen Paarung der Chromosomen begründet. Somatische Paarung ist eine Besonderheit von Drosophila und anderen Insekten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Organismen sind hier homologe Chromosomen in allen Geweben, also nicht nur in meiotischen Zellen, gepaart. In den Riesenchromosomen erfolgt diese Paarung so intensiv, dass eine Unterscheidung der beiden Homologen normalerweise nicht mehr möglich ist. Liegen allerdings Chromosomenaberrationen, z.B. eine Inversion, vor, so werden beide Homologe im Bereich der Aberration sichtbar: Die Inversion induziert die Bildung einer Inversionsschleife (Abb. 7.23), vergleichbar der Struktur, die beim Vorliegen von Inver-sionsheterozygotie während der Homologenpaarung in der meiotischen Prophase I auftritt (s. Abb. 6.18). Liegt eine Deletion in einem der Homologen vor, bildet sich eine Paarungslücke. Solche Heterozygotien waren von großer Bedeutung für die praktische genetische Arbeit, da sie die cytologische Kartierung von Genen sehr erleichterten (Abb. 7.24 Df(1)w rJ1 Df (1)62g18 Df (1) kation oder Inversion) in eine neue chromosomale Position verlagert wird.Dieser inaktivierende Einfluss der Umgebung ist jedoch oft nicht vollständig, so dass in einigen Zellen noch Genexpression beobachtet wird, während sie in andern unterdrückt ist. In Mutanten, die Positionseffekte zeigen, ist das cytologische Erscheinungsbild von Querscheibenbereichen, in denen das in seiner Expression variable Gen liegt, verändert. Die Querscheibenstruktur wird in einem Teil der Kerne in solchen Chromosomenabschnitten aufgegeben und ist der Struktur von β-Heterochromatin vergleichbar. Offensichtlich erfolgt hier in einem Grenzbereich von Chromosomenbrüchen eine in ihrem lokalen Ausmaß nicht genau kontrollierte Strukturveränderung der Chromosomen durch Assoziation mit Proteinen, die normalerweise charakteristisch im Heterochromatin zu finden sind. Das führt zu einer veränderten Verpackung der DNA, die eine Inaktivierung des davon betroffenen Chromosomenabschnittes zur Folge hat. Im Riesenchromosom werden solche strukturellen Chromosomenveränderungen, die normalerweise allenfalls aufgrund phänotypischer Effekte erkennbar sind, direkt sichtbar. Eine zusätzliche Einschränkung erfährt die Annahme, dass alle Chromosomenbereiche während der Polytänisierung gleichmäßig replizieren, durch Beobachtungen,nach denen einzelne Querscheiben oder kleine Bereiche mit mehreren Querscheiben nur teilweise an der Polytänisierung teilnehmen. Sie bleiben im Polytäniegrad hinter den übrigen euchromatischen Chromosomenabschnitten zurück oder befinden sich sogar auf einem 2C-oder 4C-Niveau. Einige dieser Regionen sind in Riesenchromosomen cytologisch als weak points zu erkennen. Kann man für heterochromatische Chromosomenabschnitte den Ausschluss von der Replikation vom funktionellen Standpunkt her noch verstehen, da solche Bereiche im Allgemeinen keine,oder in den polytänen Zellen nicht relevante Gene enthalten, so ist die Ursache und der Mechanismus für die partielle Unterreplikation euchromatischer Chromosomenbereiche ebenso unverstanden wie deren strukturelle Grundlage. Man ist bisher davon ausgegangen, dass in solchen Regionen die Kontinuität der chromosomalen DNA in einem Teil der Chromatiden unterbrochen ist. Es kann jedoch auch zum Ausschluss von DNA-Abschnitten von der Replikation kommen,wobei die flankierenden DNA-Abschnitte anschließend wieder kovalent miteinander verbunden werden, so dass die Kontinuität der chromosomalen DNA wiederhergestellt wird. In anderen Fällen hat man übrigens eine entgegengesetzte Situation gefunden: die Überreplikation von Chromosomenbereichen mit der Folge einer Erhöhung der Kopienzahl bestimmter Gene, beispielsweise der Choriongene in den Follikelzellen des Drosophila-Ovars (s. Kap. 13.3.1). Wir ersehen hieraus, dass Chromosomen eine erhebliche strukturelle Flexibilität besitzen und sich den stoffwechselphysiologischen Bedingungen eines Zelltyps auf unterschiedliche Weise anpassen können. Wir werden später noch weitere Gesichtspunkte solch einer Flexibilität des Genoms auf dem DNA-Niveau besprechen. Fragt man nach dem funktionellen Hintergrund der partiellen Unterreplikation, so wird man wohl davon ausgehen müssen, dass hierbei quantitative Fragen der Genexpression eine Rolle spielen. Es ist bemerkenswert, dass partielle Replikation bisher vor allem bei Genen festgestellt wurde, die sehr grundlegende Funktionen in der Zelle wahrnehmen, beispielsweise bei rDNA und für Histongene. Vielleicht sind die normalen Regulationsmechanismen dieser Gene nicht in der Lage, die zellspezifisch erforderliche Aktivität dieser Gene mit der erhöhten Gendosis nach der Polytänisierung regulativ in Einklang zu bringen. Die Folge könnte sein, dass eine Regulation der Anzahl verfügbarer Genkopien durch Regulation des Polytäniegrades stattfindet, ähnlich wie der hohe Bedarf an Chorionproteinen in Drosophila-Ovarien durch eine intrachromosomale Überreplikation der erforderlichen Gene erzielt wird. Angesichts dieser Beobachtungen lokaler Unterschiede der DNA-Replikation selbst in mitotischen Chromosomen ist es wichtig festzustellen, dass alle experimentellen Daten dafür sprechen, dass eine Chromatide im Normalfall aus einer einzigen kovalent hindurchlaufenden DNA-Doppelhelix besteht. In unserer bisherigen Besprechung von Riesenchromosomen haben wir Puffs als Orte intensiver RNA-Synthese kennengelernt. Klassische Cytologen wie Breuer und Pavan,später auch Swift,Gabrusewicz-Garcia,Crouse und Keyl,haben jedoch bereits frühzeitig erkannt, dass es in Insektenpolytänchromosomen auch Puffs gibt, in denen eine Überreplikation der DNA (DNA-Puffs) stattfindet, die vergleichbar ist mit der Überreplikation der Choriongene in ovarialen Follikelzellen von Drosophila. 7.2 Variabilität der Chromosomen und Dosiskompensation Besonders auffallend und daher besonders ausgiebig untersucht sind diese DNA-Puffs in Larven von Sciara-und Rhynchosciara-Arten (Trauermücken der Familie Sciaridae). In Rhynchosciara angelae werden gegen Ende des 4. Larvenstadiums (Tag 62 der larvalen Entwicklung) gleichzeitig mehrere große Puffs gebildet, die sich während der Präpuppenperiode allmählich wieder zurückbilden (Abb. 7.27) . In diesen Puffs wird die DNA während der Puffingperiode bis zu 16fach überrepliziert. Gleichzeitig erfolgt eine intensive Transkription, die mRNA für Sekretproteine liefert. Diese fibrillären Sekretproteine sind in großen Mengen zur Bildung des Kokons erforderlich (s. auch S. 314f). Wir lernen hiermit einen der Mechanismen kennen, die Zellen zur Verfügung haben, um große Mengen bestimmter Moleküle in kurzer Zeit zu produzieren. Andere Mechanismen neben der hier erwähnten intrachromosomalen Überreplikation, auch Amplifikation genannt, zur Erhöhung der Stoffwechselleistung eines bestimmten Gens sind neben der Polytänisierung von Chromosomen die Polyploidisierung und die extrachromosomale Amplifikation. Für diese alternativen Wege der Erhöhung der Anzahl der DNA-Templates für mRNA-Synthese werden wir an anderen Stellen noch Beispiele besprechen (Kap. 12.4.2) . Eine andere Möglichkeit zur Deckung eines hohen Bedarfs an bestimmten Molekülen ist der Import dieser Moleküle aus Hilfszellen. Ein Beispiel für einen solchen Fall ist die Funktion der Nähr-und Follikelzellen während der Oogenese von Drosophila (Kap. 13.3.1). ! Heterochromatische Chromosomen und Chromosomenabschnitte sind von der Replikation ausgeschlossen und daher in polytänen Kernen nicht sichtbar. Einige andere Chromosomenabschnitte können partiell unterrepliziert sein oder werden überrepliziert. Man unterscheidet aufgrund des unterschiedlichen Unterreplikationsverhaltens zwischen αund β-Heterochromatin. α-Heterochromatin nimmt an der Polytänisierung nicht teil. Wie so oft in der Biologie, gilt auch hier die Regel, dass alle Zellen eines mehrzelligen Organismus über einen vollständigen Chromosomensatz verfügen, nur mit Einschränkungen. Die auffälligsten Abweichungen von dieser Regel beobachtet man in Keimzellen mancher Organismen. In den einfachsten Fällen findet man hier zusätzliche Chromosomen, deren Anzahl und Größe mehr oder weniger variieren kann. Man spricht auch von überzähligen Chromosomen, Extrachromosomen (E-Chromosomen) oder, wenn sie in somatischen Zellen nicht zu finden sind, von Keimbahn-limitierten Chromosomen. In der cytologischen Nomenklatur werden sie auch häufig als B-Chromosomen bezeichnet. Prinzipielle Unterschiede zwischen diesen Chromosomen betreffen wahrscheinlich ausschließlich den Verteilungsmechanismus, der für ihre Elimination aus somatischen Zellen verantwortlich ist. Sie werden daher im Fol-Abb. 7.27. DNA-Puffs in Rhynchosciara. Die Folge von Riesenchromosomen aus Speicheldrüsen von Rhynchosciara angelae zeigt die allmähliche Ausbildung eines DNA-Puffs im Laufe der Entwicklung der Larve. Die Puffs bilden sich nach ihrer Aktivitätsphase zu normalen Querscheiben zurück, die aber nun durch einen erhöhten DNA-Gehalt gekennzeichnet sind. (Aus Breuer u. Pavan 1955) genden als biologisch prinzipiell gleichwertig betrachtet. Besonders gut untersucht sind die B-Chromosomen von Zuckmücken der Familie Orthocladiinae (Dipteren), deren Anzahl sich mit einer gewissen Variationsbreite bei etwa 100 je Keimzelle stabilisiert. Hans Bauer hat in genetischen Experimenten gezeigt, dass diese Chromosomen für die Fertilität der Individuen unentbehrlich sind. B-Chromosomen kommen besonders häufig bei Pflanzen vor. Ihre biologische Funktion ist unbekannt. In ihren cytologischen Eigenschaften sind sie als heterochromatisch zu bezeichnen, und damit stimmt auch überein, dass sie offenbar vorwiegend aus repetitiver DNA aufgebaut sind. Vielleicht sind sie in ihrer Funktion intrachromosomalen heterochromatischen Chromosomenbereichen anderer Organismen vergleichbar, die anscheinend eine keimbahnspezifische Funktion haben. Hinweise auf die Existenz solcher Bereiche geben Organismen, bei denen heterochromatische Chromosomenabschnitte bei der Entstehung somatischer Zellen während der Frühentwicklung aus dem Genom eliminiert werden. Die bisher erwähnten Keimbahnchromosomen kommen häufig in nicht genau festgelegter Anzahl im Genom der Keimbahn vor, und sie gehen bei der Bildung somatischer Zellen im frühen Embryo offenbar nicht durch gerichtete Eliminationsmechanismen, sondern einfach durch das Fehlen eines geregelten Verteilungsmechanismus verloren. Die Ursachen für diese Zufallsverteilung bzw. ihren Verlust muss man im Fehlen von Centromeren suchen, ohne die Chromosomen bei der Zellteilung nicht geordnet verteilt werden können (s. S. 179). Es gibt jedoch auch keimbahnspezifische Chromosomen, sogenannte limitierte Chromosomen (L-Chromosomen), die in den Keimzellen durch besondere Mechanismen verteilt werden. Am bekanntesten sind die limitierten Chromosomen der Nematocere Sciara (Diptera), deren komplizierter Verteilungsmechanismus in Abb. 7.28 dargestellt ist. Die Verteilung der Chromosomen ist in dieser Art nicht allein durch die Unterscheidung von somatischen und Keimbahnzellen, sondern auch durch das Geschlecht des Individuums bestimmt. Somatisch besteht das Genom von Sciara coprophila aus drei Autosomenpaaren und einem X-Chromosom im männlichen Soma oder zwei X-Chromoso-men in weiblichen Somazellen. Ungewöhnlich ist nun bereits, dass in (haploiden) Spermatozoen neben je einem Autosom zwei X-Chromosomen (mütterlichen Ursprungs) vorhanden sind, während ein (haploides) Ei einen Autosomensatz, jedoch nur ein X-Chromosom besitzt. Die Geschlechtschromosomenkonstitution ist also in Soma und Keimbahn umgekehrt. Als Folge dieser Geschlechtschromosomenkonstitution erhält die Zygote drei X-Chromosomen. Je nach Geschlecht werden ein oder zwei der X-Chromosomen während der frühen Furchungsteilungen bei der Bildung somatischer Zellen eliminiert. Der zur Elimination erforderliche Mechanismus kann zwischen den X-Chromosomen männlichen und weiblichen Ursprungs unterscheiden, denn im Männchen bleibt stets das mütterliche X-Chromosom somatisch erhalten, während im weiblichen Soma stets ein X-Chromosom mütterlichen und eines väterlichen Ursprungs zu finden ist. Die X-Chromosomen müssen also in ihrem Ursprung gekennzeichnet sein, ein Zustand, den man mit dem Begriff Imprinting charakterisiert (s. Abb. 7.38) . Ein solches chromosomales Imprinting scheint auch bei den Autosomen vorzuliegen, denn die Autosomen in den Spermatozoen sind stets mütterlichen Ursprungs. Diese bereits hochgradig spezialisierte Chromosomenkonstitution wird noch zusätzlich durch die Anwesenheit keimbahnlimitierter Chromosomen (limitierter Chromosomen) kompliziert. In der Zygote finden wir drei große metazentrische L-Chromosomen, zwei väterlichen und eins mütterlichen Ursprungs. Diese L-Chromosomen werden in einem Eliminationsschritt nach der 5. oder 6. Zellteilung, noch vor der Elimination der X-Chromosomen, aus den somatischen Zellen entfernt. Im Gegensatz zu den früher beschriebenen B-Chromosomen werden die limitierten Chromosomen gezielt eliminiert. Sie durchlaufen einen normalen Zellzyklus bis zur Metaphase, bleiben dann aber zwischen den Tochterzellkernen liegen, da die Chromosomenenden sich offenbar nicht in zwei Chromatiden spalten und dadurch voneinander trennen können. Der zugrundeliegende molekulare Mechanismus ist unbekannt. Auch in der männlichen Keimbahn erfolgen mehrere komplexe Eliminationsschritte. Zunächst wird eines der L-Chromosomen entfernt, in einem nächsten Schritt verliert die Zelle eines der väterlichen X-Chromosomen. Diese ersten Eliminationsschritte erfolgen während der Spermatogonienmitosen. Die übrigen Eliminationsereignisse fallen ins Spermato-7. und Weibchen unterscheiden sich lediglich in der Elimination der X-Chromosomen: Im Männchen werden beide paternalen X-Chromosomen eliminiert und nur das maternale X-Chro-mosom bleibt erhalten, während im Weibchen eines der paternalen X-Chromosomen im Genom verbleibt. Die L-Chromosomen sind auf die Keimbahn beschränkt und werden beim Männchen teilweise nach einem komplizierten Mechanismus in der Frühentwicklung bzw. während der Meiose entfernt. Ungewöhnlich ist auch die unterschiedliche X-Chromosomenkonstitution in Keimzellen und somatischen Zellen des Männchens. (Aus Metz 1938) cytenstadium. In einer ersten meiotischen Teilung (Abb. 7.29) , die als monozentrische Mitose verläuft, werden die väterlichen Chromosomen von den Homologen mütterlicher Herkunft getrennt, wobei alle verbliebenen L-Chromosomen unabhängig von ihrem Ursprung mit den mütterlichen Chromosomen segregieren. Die väterlichen Chromosomen sammeln sich in einem kleinen Eliminationsvesikel und degenerieren. Aus dieser Teilung entsteht demnach eine einzige sekundäre Spermatocyte. Diese teilt sich mittels einer normalen bipolaren Spindel (Abb. 7.29) . Hierbei erfährt jedoch das X-Chromosom, das den übrigen Chromosomen in der Verteilung vorausläuft, keine Chromatidenverteilung, wie sie für die übrigen Chromosomen stattfindet, sondern beide Chromatiden werden zusammen an einen Pol verlagert. Die Zelle, die diesen Zellkern erhält, wird zum Spermatozoon, während die andere Zelle degeneriert. Der komplizierte Eliminationsmechanismus hat sich offenbar in einer Reihe verwandter Nematoce-ren-Arten erhalten. Das deutet auch darauf hin, dass der Besitz von keimbahnlimitierten Chromosomen für diese Gruppe von Organismen selektive Vorteile bietet. Wie schon im Falle der B-Chromosomen müssen wir davon ausgehen, dass die heterochromatischen L-Chromosomen in der Keimbahn eine biologische Funktion haben. Von der ungewöhnlichen Chromosomenkonstitution von Sciara ist der Schritt zu den vielerlei Anomalien, die wir bei verwandten Dipterengruppen antreffen, nicht weit. Es sollen an dieser Stelle jedoch nur noch die Chromosomenverhältnisse von Schildläusen (Sternorrhynchi: Coccidina) dargestellt werden, da sie ein klassisches Beispiel für chromosomales Imprinting sind. In beiden Geschlechtern findet man in somatischen Zellen 2n = 10 Chromosomen. Während diese im Weibchen ein normales Verhalten im Zellzyklus aufweisen, bleibt im männlichen Soma die Hälfte der Chromosomen heterochromatisch und verschmilzt in einem Chromozentrum des Interphasekerns (Abb. 7.30) . Auch in der männlichen Keimbahn ist das Verhalten der Chromosomen ungewöhnlich. Abweichend von einer typischen ersten meiotischen Teilung erfolgt zunächst eine äquationale Teilung der Chromosomen, also eine Verteilung der Chromatiden auf die Tochterzellen. Auch die zweite meiotische Teilung ist nicht nur dadurch abnormal, dass hier nun die Homologen getrennt werden, sondern deren Verteilung auf die Tochterzellen ist nicht zufallsgemäß. Es werden nämlich die in den somatischen Zellen heterochromatischen Chromosomen von den euchromatischen Chromosomen getrennt. Nur die Tochterzelle mit den euchromatischen Chromosomen ist in der Lage, ein funktionelles Spermatozoon zu bilden, während die andere Zelle degeneriert. Was unterscheidet nun die beiden Chromosomensätze und was ist die Ursache für die Heterochromatisierung eines der haploiden Komplemente im Männchen? Die Antwort haben Bestrahlungsversuche ergeben. Bestrahlt man elterliche Tiere und untersucht die Nachkommen cytologisch, findet man, je nach Dosis der Röntgenbestrahlung (s. Abb. 10 .28), Chromosomenaberrationen. Diese treten ausschließlich in den heterochromatischen Chromosomen männlicher Nachkommen auf, wenn Elternmännchen bestrahlt wurden, aber ausschließlich im euchromatischen Chromosomensatz, wenn die Elternweibchen bestrahlt wurden. Bestrahlt man Männchen mit erhöhten Dosen, beobachtet man eine zunehmende Letalität weiblicher Nachkommen, während die Überlebensrate männlicher Nachkommen nicht beeinflusst wird. Mutationen kommen also nur zur Wirkung, wenn der bestrahlte Chromosomensatz in den Nachkommen euchromatisch bleibt (also in Weibchen), während sie im heterochromatischen Zustand der Chromosomen (in Männchen) nicht sichtbar werden. Das bedeutet, dass der Chromosomensatz väterlicher Herkunft im Männchen heterochromatisch wird und offenbar, zumindest in somatischen Zellen, nicht funktionell ist. Es liegt hier, wie schon bei Sciara, ein chromosomales Imprinting vor, das den Nachkommen gestattet, zwischen Chromosomen väterlicher (paternaler) und mütterlicher (maternaler) Herkunft zu unterscheiden. Welcher Art die im Chromosom niedergelegte Information zu ihrer Identifikation ist, ist nicht bekannt. Frühere Annahmen, dass Methylierung der DNA für das Imprinting in Coccidenchromosomen verantwortlich ist, scheinen sich nicht zu bestätigen. Die Tatsache, dass Mutationen im heterochromatischen Zustand der Chromosomen nicht zur Ausprägung kommen, ist ein weiterer Beweis für funktionelle Inaktivität heterochromatisierter Chromosomen. Die inaktivierten (väterlichen) Chromosomen der Coccidenmännchen sind zudem ein weiteres Beispiel für fakultatives Heterochromatin. Meiose I Abb. 7.29. Schematische Darstellung der ersten und zweiten meiotischen Teilung in der männlichen Keimbahn von Sciara coprophila (vgl. Abb. 7.28) . Oben: In der ersten meiotischen Teilung bildet sich eine monopolare Spindel, die die noch vorhandenen L-Chromosomen, das mütterliche X-Chromosom und ein Homologes jedes der zwei Autosomenpaare zum Pol wandern lässt, während die übrigen vier Chromosomen aus der Zelle eliminiert werden. Unten: In der zweiten meiotischen Teilung wandert das X-Chromosom mit beiden Chromatiden vorab zum Spindelpol. Von den übrigen Chromosomen folgt jeweils nur die eine Chromatide während die andere eliminiert wird. Die Abbildung lässt noch die klumpenförmigen Reste des Eliminationschromatins aus der ersten Teilung erkennen. (Aus Gerbi 1986) 7.2 Variabilität der Chromosomen und Dosiskompensation mit der Ausstattung der Keimzellen mit keimbahnlimitierten Chromosomen selektive Vorteile verbunden sein müssen. Das spricht für spezielle biologische Funktionen in der Keimbahn. In einigen Fällen ist die Verteilung von limitierten Chromosomen mit chromosomalem Imprinting verbunden, das in den Nachkommen diese Chromosomen nach väterlicher oder mütterlicher Herkunft unterscheiden lässt. Das Genom eines Organismus ist genetisch sehr genau balanciert. Es toleriert größere Abweichungen, insbesondere wenn diese die Chromosomenanzahl betreffen, nicht, ohne mit schwerwiegenden Störungen der Funktion des genetischen Materials zu reagieren. Umso erstaunlicher ist es, dass bei einem einzigen Chromosomenpaar Abweichungen offenbar nicht zu vergleichbar schwerwiegenden Defekten führen: bei Veränderungen der Geschlechtschromosomenzahlen durch Nondisjunktion. Mehr noch: Die Verteilung der Geschlechtschromosomen in beiden Geschlechtern selbst schließt bereits eine abnormale Konstitution ein. Während eines der Geschlechtschromosomen im einen Geschlecht in diploider Anzahl vorhanden ist, liegt es im anderen Geschlecht nur haploid (hemizygot) vor. Ist überhaupt ein zweites Geschlechtschromosom vorhanden, wie in allen X / Y-oder W/Z-Geschlechtsbestimmungsmechanismen oder in davon abgeleiteten Geschlechtschromosomenkonstitutionen, so ist dieses in einem Geschlecht haploid vorhanden, fehlt aber im anderen Geschlecht vollständig. Diese genetische Situation kann nicht einfach durch eine (partielle) genetische Identität der Geschlechtschromosomen erklärt werden. Wie lässt es sich aber dann erklären, dass hier unterschiedliche Genkopienzahlen keine Funktionsstörungen hervorrufen, während das im übrigen Genom fast stets der Fall ist? Wie bereits erwähnt, spielt das Sxl-Gen nicht nur bei der Geschlechtsbestimmung eine wichtige Rolle, sondern auch bei der Dosiskompensation. Untersucht man seine Funktionen, wird deutlich, dass bei der Aktivierung der ersten zygyotisch aktiven Gene im syncytialen Blastoderm (frühes Entwicklungsstadium bei Drosophila; vgl. Abb. 13.17) eine Dosiskompensation X-chromosomaler Gene im Männchen noch nicht erfolgt sein kann. Dosiskompensation würde den Zählmechanismus, der das X:A-Verhältnis im Embryo ermittelt und damit das Geschlecht bestimmt, außer Kraft setzen. Dosiskompensation kann daher erst in späteren Entwicklungsphasen voll wirksam werden. Für das Verständnis der Dosiskompensationsmechanismen spielen einige autosomale Gene eine wichtige Rolle, die im Falle einer Loss-of-function-Mutation zu männlicher Letalität führen. Es handelt sich um das Gen maleless (mle) und die vier Gene male-specific lethal1, 2 und 3 (msl1, msl2, msl3) und males-absent-on-the-first (mof). Homozygot mutante Männchen aller dieser fünf Gene sterben im Laufe der Larvalentwicklung ab, während Weibchen lebensfähig sind. Untersuchungen von J. M. Belote und J. Lucchesi haben gezeigt, dass in solchen mutanten Männchen die Menge X-chromosomaler Genprodukte verringert ist. Das deutet darauf hin, dass die Dosiskompensation in solchen Männchen nicht richtig funktioniert. Die Vermutung, dass die Genprodukte des mle-Gens und der msl-und mof-Gene die Hyperaktivität des X-Chromosoms im Männchen kontrollieren, ließ sich durch Untersuchungen der zellulären Lokalisation der fünf genannten Proteine beweisen. Diese Proteine binden in Männchen spezifisch an das X-Chromosom, während sie in Weibchen am X-Chromosom nicht nachweisbar sind (Abb. 7.31) . Die fünf Proteine bilden einen Multiproteinkomplex, der an das X-Chromosom bindet. Das MLE-Protein ist eine ATP-abhängige RNA-Helikase. MOF hat Histon-Acetyltransferase-(HAT-)Aktivität. Es bindet an das N-terminale Ende von Histon H4. Zusätzlich sind für die Bindung des Multiproteinkomplexes zwei RNA-Moleküle, roX1 und roX2, erforderlich, die beide im X-Chromosom kodiert werden. Nach gegenwärtigen Vorstellungen über die molekularen Prozesse, die zur Aktivitätserhöhung im X-Chromosom führen, werden zunächst die MSL-Proteine an spezifischen Stellen des X-Chromosoms gebunden, die die roX-Gene einschließen. Sie bilden Komplexe mit den roX-RNAs, die dann in der Lage sind, an weitere X-chromosomale Loci zu binden. Von hier aus vermögen sie, sich über flankierende Chromosomenbereiche auszubreiten. Die Bindung dieser RNP-Komplexe bewirkt Veränderungen in der Chromatinstruktur, die zur Erhöhung der Transkriptionsrate im männlichen X-Chromosom führen. Abb. 7.31 a,b. Dosiskompensation bei Drosophila. Das nur im Männchen gebildete MSL-1-Protein bindet spezifisch an das männliche X-Chromosom. Es spielt eine noch ungeklärte Rolle bei der Regulation der aufgrund der Dosiskompensation erhöhten Transkriptionsrate dieses Chromosoms. a Riesenchromosomensatz aus Larven von D. melanogaster, Stamm Samarkand, nach DNA-Färbung. b Der gleiche Chromosomensatz nach Immunreaktion mit Anti-MSL-1-Antiserum und anschließender Immunreaktion mit Texas-Rot-konjugiertem sekundärem Antiserum. (Photo: J. Lucchesi, Atlanta) ! Die Hyperaktivität des X-Chromosoms im Männchen wird durch fünf chromosomale Proteine induziert, die durch Kombination mit strukturellen RNA-Molekülen (roX1 und roX2) durch Veränderungen der Chromatinstruktur eine erhöhte Transkriptionsaktivität ermöglichen. Die Expression solcher Proteine im Weibchen wirkt sich ebenso letal aus wie das Fehlen dieser Proteine im Männchen. In beiden Fällen ist die fehlerhafte Dosiskompensation für die Letalität verantwortlich. Auf einem ganz anderen Weg wird die Dosiskompensation in Säugern erreicht. Auf der Grundlage cytologischer Studien und genetischer Daten wurde von Mary Lyon 1961 die Hypothese (Lyon-Hypothese) formuliert, dass im weiblichen Geschlecht von Säugern eines der X-Chromosomen inaktiv ist. Auf der cytologischen Seite war ein zentraler Befund für das Verständnis der Dosiskompensation die Beobachtung von M.L.Barr,dass in Interphasezellen von weiblichen Säugern ein stark anfärbbarer Chromatinkörper, auch Geschlechtschromatin (engl. sex chromatin) genannt, zu beobachten ist, der in männlichen Zellen fehlt. Der klassischen Definition nach handelt es sich hierbei um Heterochromatin. Heterochromatin wird aber als funktionell inaktives chromosomales Material angesehen. Die Korrelation dieses Geschlechtschromatins mit dem nach Lyon inaktiven X-Chromosom würde somit die Lyon-Hypothese unterstützen. Diese Korrelation lässt sich tatsächlich durch einfache cytologische Methoden beweisen. Nach seinem Entdecker (Barr u. Bertram 1949) wird das Geschlechtschromatin auch Barr-Körper (engl. Barr body) genannt. Dieser Barr-Körper entsteht durch eine ringförmige Struktur des inaktiven X-Chromosoms. Entscheidend war, dass cytologische Beobachtungen erkennen ließen, dass dieser heterochromatische Körper im Falle von Geschlechtschromosomenanomalien fehlt oder auch in erhöhter Anzahl vorhanden ist. Die Anzahl vorhandener Barr-Körper ist jeweils um eins geringer als die Gesamtzahl der vorhandenen X-Chromosomen (Abb. 7.32) . Das bedeutet, dass Klinefelter-Männer (XXY) einen Barr-Körper besitzen, Turner-Frauen (X0) keinen, während XXX-, XXXX-oder XXXXX-Individuen zwei, drei oder vier Barr-Körper aufweisen.Das ist ein sehr eindeutiger Hinweis darauf, dass alle gegenüber der männlichen Normalkonstitution (mit einem X-Chromosom) überzähligen X-Chromosomen inaktiviert werden, und zwar unabhängig vom Geschlecht des Individiums. Sie bleiben auch in der Interphase kondensiert und liegen als spätreplizierendes Heterochromatin vor. Diese Interpretation wird von der genetischen Seite her gestützt. Die maßgeblichen Experimente sind leicht zu verstehen, wenn man die Folge einer Abb. 7.32 a,b. Barr-Bodies in Interphase-Zellkernen von Säugern mit unterschiedlichen Anzahlen von X-Chromosomen. Es bleibt jeweils nur ein X-Chromosom aktiv, während die übrigen als inaktives ("fakultatives") Heterochromatin (= Barr-Body) erscheinen. Im Allgemeinen verschmelzen sie nicht miteinander, so dass die genetische Konstitution aus einem Interphasekern (beim Menschen z. B. in Schleimhautabstrichen von den Innenseiten der Wangen) leicht zu ermitteln ist. Allerdings kann eine bestimmte Anzahl von Barr-Bodies durch unterschiedliche Konstitutionen der Geschlechtschromosomen verursacht werden wie die obere Zeile anzeigt (a). Menschliche XXX-Zellen, gefärbt mit fluoreszierenden Antikörpern gegen Histon H1. Zwei der X-Chromosomen formen Barr-Bodies. Die Barr-Bodies sind durch die Antikörperfärbung besonders deutlich sichtbar (b). Photo: T. Yang Inaktivierung eines der X-Chromosomen in Individuen bedenkt, die für ein Markergen heterozygot sind. Wichtig ist hierbei, dass man ein Markergen auswählt, das zellautonom zur Ausprägung kommt, dessen Genprodukte also auf die Zelle beschränkt bleiben, in der das Gen stoffwechselaktiv ist. Offensichtlich können Zellen in diesem Falle nur eine Ausprägung eines der beiden Allele zeigen, wenn eines der X-Chromosomen inaktiv ist. Es stellt sich dann die Frage, ob in allen Zellen dasselbe X-Chromosom inaktiv ist, oder ob verschiedene Zellen unterschiedliche X-Chromosomen inaktivieren und wenn ja, wie diese Zellen zueinander angeordnet sind. Die Antwort lässt sich sehr einfach an Markergenen ablesen, die die Fellfarbe von Mäusen bestimmen. Sieht man sich ein für ein solches Gen heterozygotes Mäuseweibchen an, so erkennen wir eine gefleckte Färbung des Fells (Abb. 7.33) . Dieses Muster beantwortet zwei unserer Fragen: Erstens kann offenbar jedes der beiden X-Chromosomen inaktiv werden. Zweitens betrifft die Inaktivierung jeweils Gruppen benachbarter Zellen, bei denen dasselbe X-Chromosom inaktiv ist, wie die fleckenförmige Verteilung des Ausprägungsmusters beider Allele belegt. Dass das bei Mäusen beobachtete Verteilungsmuster keine Ausnahme, sondern die Regel ist, beweisen ähnliche Untersuchungen am Menschen (Abb. 7.34) . Ein geschlechtsgebundenes Gen, das verschiedene Merkmale beeinflusst, führt auch zur Absonderung eines Substrates durch die Schweißdrüsen, das durch eine Farbreaktion leicht sichtbar gemacht werden kann. Das Verteilungsmuster der Expression des Allels entspricht dem der Verteilung der Farbflecken im Mäusefell. Aus der vergleichenden Untersuchung von weiblichen Individuen aufeinanderfolgender Generationen lässt sich leicht erkennen, dass die Ausprägung des Allels nicht an bestimmte Körperregionen gebunden ist, sondern sich zufallsgemäß im Körper verteilt. Wir können also davon ausgehen, dass das Ausprägungsmuster des einen X-Chromosoms gegenüber dem des anderen nicht genetisch fixiert ist. Wie erklärt sich dann die Bildung von homogenen Bereichen, die sich mit Bereichen der Ausprägung des alternativen Allels abwechseln? Die Antwort können wir aus einem Schema der Entwicklung eines Organismus ableiten. Dieses Schema zeigt uns, dass Gruppen miteinander verwandter Zellen, sogenannte Zellklone, bestimmte Gewebe, Organe oder andere Unterteile eines Organismus bilden. (In der englischsprachigen Literatur wird der Begriff cell lineage gebraucht.) Übertragen wir dieses Schema einer klonalen Zelldifferenzierung auf die Inaktivierung des X-Chromosoms, so gelangen wir zu der Erkenntnis, dass Gruppen benachbarter Zellen, die eine einheitliche Genexpression des einen Allels zeigen, in der Entwicklung (Ontogenese) des Organismus aus einer gemeinsamen Urprungszelle herstammen müssen, in der die Entscheidung über die Aktivität oder Inaktivität eines bestimmten Allels erfolgt ist. Diese Entscheidung muss, wenn man das Fleckenmuster betrachtet, irreversibel sein, da offensichtlich innerhalb eines Farbbereiches kein Umschlag zur Expression des anderen Allels erfolgt. Zudem können wir erkennen, dass die Größe eines Farbfleckes uns Infor-Zygote Abb. 7.33. Fleckenhafte Ausprägung von heterozygoten Markergenen als Folge der Inaktivierung eines X-Chromosoms in Säugern. Bei Anwesenheit geeigneter heterozygoter Zellmarker in den X-Chromosomen ist die Inaktivierung bzw. Aktivierung eines bestimmten Allels leicht zu erkennen, da bei Zellautonomie der Genexpression phänotypische Mosaike gebildet werden. In der Abbildung ist ein Mosaik in der Fellfarbe einer Maus und die jeweilige physiologische Konstitution der X-Chromosomen in den zugehörigen Interphasekernen dargestellt. Die Größe der Farbflecken im Fell wird durch die Anzahl der gleichartigen Zellen, d.h. durch den Zeitpunkt der Inaktivierung des einen X-Chromosoms in der Embryonalentwicklung bestimmt (vgl. Abb. 7.35) . (Nach Lyon 1963 und Thompson 1965 mationen über den Zeitpunkt der Inaktivierung des anderen X-Chromosoms vermittelt: Ist der Fleck groß, so sind viele Mitosen nach dieser Entscheidung erfolgt. Das bedeutet, dass die Entscheidung früher in der Entwicklung des Organismus erfolgt sein muss als bei kleineren Flecken. Diese Situation ist in Abb. 7.35 dargestellt, die die Ergebnisse solcher Untersuchungen zusammenfasst. Aus dem Schema können wir hinsichtlich der Entscheidung über die Aktivität eines X-Chromosoms als wichtigste Schlüsse das Folgende zusammenfassen: • Die Entscheidung über die Aktivität eines X-Chromosoms erfolgt in der frühen Embryonalentwicklung. • Die Entscheidung erfolgt nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb der Entwicklung, sondern kann zeitlich für verschiedene Zellen variieren. • Die Entscheidung ist irreversibel, d. h. ein einmal inaktiviertes X-Chromosom bleibt in allen folgenden Zellgenerationen inaktiv. Über die molekularen Ursachen der Inaktivierung der X-Chromosomen bei Säugern gibt es heute schon recht präzise Vorstellungen. Die frühen Ereignisse dieses Prozesses werden durch ein Inaktivierungszentrum (engl. X-chromosome-inactivation centre, Xic) kontrolliert. Aufgrund cytogenetischer Daten wird die Größe des Xic-Genorts mit etwa 1 Mb angegeben. Diese Region enthält mindestens vier Gene, die an der X-Inaktivierung beteiligt sind: Xist kodiert für ein spezifisches Transkript des inaktiven X-Chromosomes (engl. X inactive-specific transcript), das allerdings nicht für ein Protein kodiert. Xist ist für die Funktion von Xic wichtig. Die anderen Elemente innerhalb der Xic-Region sind verantwortlich für die Xist-Expression. Eines davon ist DXPas34, das ursprünglich aufgrund seines Methylierungsprofils auf dem aktiven X-Chromosom definiert wurde. Das andere ist das TsiX-Transkript, ein nicht-kodierendes Transkript, das vom Gegenstrang zu Xist abgelesen wird und das die Aktivität von Xist zu Beginn der Inaktivierung reguliert (Abb. 7.36) . Ein hervorragendes Modell, um die frühen Vorgänge bei der X-Inaktivierung zu untersuchen, sind embryonale Stammzellen (ES) der Maus. Durch insitu-Hybridisierung mit Fluoreszenzmarkern (engl. fluorescence in situ hybridization, FISH) kann die Xist-RNA erkannt werden: In weiblichen ES-Zellen erscheinen zwei punktförmige Signale, wohingegen bei männlichen ES-Zellen nur ein derartiges Signal erscheint (Abb. 7.37) . Werden die weiblichen ES-Zellen zur Differenzierung angeregt, häufen sich Xist-Transkripte an dem später inaktiven X-Chromosom an, wohingegen die Expression von Xist an den aktiven männlichen und weiblichen X-Chromosomen abgeschaltet wird. Der Beginn der X-Inaktivierung erscheint daher unmittelbar mit der Anhäufung von Xist-Transkripten gekoppelt zu sein. Dabei ist die Hochregulierung der Xist-Expression offensichtlich auch mit einer Verlängerung der Lebenszeit der Xist- Abb. 7.34. Zufallsgemäße Inaktivierung eines der weiblichen X-Chromosomen beim Menschen. Eine X-chromosomale rezessive Mutation (Anhidrotische ektodermale Dysplasie) führt zu Veränderungen in den Sekreten der Haut, die durch geeignete Färbungen sichtbar gemacht werden können. Bei einem Vergleich der Sekretmuster, die durch die Heterozygotie der Mutation und die Inaktivierung des X-Chromosoms entstehen, über mehrere Generationen zeigt sich, dass die Muster nicht erblich festgelegt sind, sondern individuell variieren. (Nach Passarge u. Fries 1973) Transkripte verbunden. Zwei Promotoren (P1, P2; Abb. 7.36) sind für die stabile Xist-Transkription verantwortlich; es wird diskutiert, ob der weiter oberhalb liegende Promotor P0 oder weitere regulatorische Elemente für die frühere Expression der instabilen Xist-Transkripte verantwortlich sind. Wichtige Hinweise auf die Funktion von Xist kamen von verschiedenen künstlichen Maus-Mutanten. Das Ausschalten des Xist-Gens in knock-out-Mäusen zeigt, dass Xist für die Inaktivierung in cis, d. h. auf demselbem Chromosom, notwendig ist; umgekehrt zeigt die Überexpression von Xist in transgenen Mäusen und auch in entsprechenden ES-Zellen eine weitreichende Hemmung der gesamten Transkription in cis. Diese Hemmung ist zunächst abhängig von der kontinuierlichen Xist-Expression und zunächst noch umkehrbar. Xist muss über 48 Stunden aktiv sein, um eine Abschaltung zu erzielen. Wenn 72 Stunden erreicht sind, ist der Fortschritt der X-Inaktivierung nicht mehr von Xist abhängig, und es erscheint das Gesamtbild der sekundären X-Inaktivierung. Dazu gehört vor allem die Hypoacetylierung der Histone. (Die noch undifferenzierten Zellen sind hyperacetyliert, wohingegen die Zellen, die schon festgelegt sind, hypoacetyliert sind.) Deletionsexperimente in der Xic-Region machen deutlich, welche Abschnitte für die Auswahl des zu inaktivierenden X-Chromosoms verantwortlich sind. Die Deletion des DxPas34-Locus, der in der Initiationsregion des TsiX-antisense-Transkripts liegt, beseitigt sowohl die antisense-Aktivität von TsiX als auch die Xist-Transkription (oder vermindert sie zumindest stark). Ein weiterer wichtiger Hinweis über die Auswahl des zu inaktivierenden Chromosoms kommt aus Untersuchungen über die X-Inaktivierung in extraembryonalem Gewebe wie dem Trophektoderm. Hier spielt sich offensichtlich ein Mechanismus ab, der über Imprinting gezielt das väterliche X-Chromosom ausschaltet (Abb. 7.38) . Die Inaktivierung des pater-Zygote X-Inaktivierung X-Inaktivierung X-Inaktivierung Zellgenerationen Abb. 7.35. Inaktivierung des Säuger-X-Chromosoms während der frühen Embryonalentwicklung. Die Inaktivierung eines der beiden X-Chromosomen erfolgt zufallsgemäß, ist jedoch hinsichtlich des Zeitpunktes nicht genau festgelegt. Eine einmal erfolgte Inaktivierung ist im Allgemeinen irreversibel und führt daher zu phänotypischen Mosaiken, falls zellautonom ausgeprägte unterschiedliche Allele geeigneter Markergene in beiden X-Chromosomen vorhanden sind (siehe Abb. 7.33) . Im inaktiven Zustand ist das X-Chromosom als dargestellt. Die beiden elterlichen X-Chromosomen sind mit unterschiedlichen Farben gekennzeichnet Abb. 7.36. Das X-Inaktivierungszentrum. Die dargestellten bekannten Elemente und Regionen im X-Inaktivierungszentrum (Xic) beeinflussen die Auswahl und die cis-Inaktivierung während des Beginns der X-Inaktivierung. Gene sind fett dargestellt, und die Pfeilrichtungen geben die jeweilige Richtung der Transkription an. Brx (brain X-linked), Tsx (testis X-linked) und Cdx4 (caudal-4) sind Gene, die zwar im Xic liegen, aber wohl keine definierte Funktion im Zusammenhang mit der X-Inaktivierung haben. Die 2.1(2)P-Region zeigt unterschiedliche Histon-H4-Hyperacetylierung in undifferenzierten weiblichen und männlichen embryonalen Stammzellen (ES) und ist möglicherweise ein regulatorisches Element in der X-Inaktivierung. P1 und P2 sind somatische Promotoren von Xist, und von P0 wird vermutet, dass es in undifferenzierten ES-Zellen und in frühen Embryonen als Promotor von Xist wirkt. S12 und S19 sind Pseudogene ribosomaler Gene, die im 5'-Bereich des Xist-Gens der Maus liegen. Regionen, die in verschiedenen Mausmutanten deletiert wurden, sind als schwarze Balken eingezeichnet. Die blauen Balken zeigen Regionen, denen bestimmte Funktionen (Wahl, Zählen, Inaktivierung) zugeordnet werden konnten. (Avner u. Heard 2001) nalen X-Chromosoms wird außerdem in allen Geweben der Beuteltiere gefunden; es wird daher auch die Hypothese vertreten, dass dies die ursprüngliche Form der X-Inaktivierung sei, und dass die zufällige X-Inaktivierung erst später bei der Evolution der Eutheria (Plazenta-Tiere) "erfunden" wurde. Die Inaktivierung des X-Chromosoms beginnt am Xic und breitet sich von dort über das gesamte X-Chromosom aus. Die Inaktivierung kann sich dabei auch in autosomale Bereiche ausdehnen, wenn diese durch Translokation in die Nachbarschaft von Xic kommen. Diese Ausbreitung kann über weite Distanzen erfolgen -100 Mb oder mehr sind dabei keine Seltenheit. Die Inaktivierung dieses autosomalen Materials unterscheidet sich nicht von dem des X-Chromosoms -höchstens in seinem Ausmaß: Es ist gewöhnlich nicht so effektiv und nicht so ausgeprägt, und es ist mit einer begrenzten Ausdehnung der Xist-RNA in dem autosomalen Bereich assoziiert. Mary Lyon (2003) vermutete, dass repetitive Sequenzen vom LINES-Typ für die Ausbreitung der Xist-RNA verantwortlich sind, indem sie als Zwischenstationen oder Verstärker-Elemente wirken. Sowohl im menschli-chen X-Chromosom als auch im X-Chromosom der Maus wurden doppelt so viele LINE-Elemente gefunden wie in den Autosomen,und es scheint,dass sowohl die Zahl der LINE-Elemente als auch ihre Verteilung innerhalb des X-Chromosoms mit der Effizienz der X-Inaktivierung korrelieren. Eine Analyse von mehr als 600 Genen des X-Chromosoms des Menschen zeigte allerdings, dass ca. 15 % der X-gekoppelten Gene der Inaktivierung "entkommen". Die meisten davon liegen auf dem kurzen Arm des X-Chromsoms (Xp). Die Häufigkeit, mit der Gene auf dem kurzen Arm von der Inaktivierung verschont bleiben, entspricht der Häufigkeit autosomaler Gene bei X:autosomalen Translokationen und ist ein Zeichen dafür, dass der kurze Arm des menschlichen X-Chromosoms unter evolutionären Gesichtspunkten erst "kürzlich" zum X-Chromosom hinzugekommen ist. Dieser Abschnitt enthält auch deutlich weniger LINE-Elemente -umgekehrt ist deren Dichte am höchsten in der Region Xq13-Xq21, die das menschliche XIC enthält. Weiterhin sind etwa 10% der X-gekoppelten Gene in unterschiedlichem Ausmaß inaktiviert, was zu einer beachtlichen seitlich daran anliegenden Dimeren aus H2A/H2B. Durch Vertiefungen an der Oberfläche dieses Histoncores windet sich die DNA. Positiv geladene Aminosäuren an den sogenannten β-Brücken zwischen den Histonen treten in Kontakt mit der negativ geladenen DNA. Diese relativ einfache Konstruktion der Histon-DNA-Interaktion erlaubt eine leichte Dissoziation, wie sie wahrscheinlich für Replikation und Transkription unabdingbar ist. Die Röntgenstrukturanalyse des Nukleosoms (Abb. 7.41) hat wichtige Einzelheiten der Organisation der Histone aufgezeigt. Die C-terminalen Regionen der Histone sind einander sehr ähnlich und bestehen aus zentralen α-Helices, die über β-Schleifen auf jeder Seite mit zwei kürzeren seitlichen α-Helices verbunden sind. Je zwei β-Schleifen formen durch Kontakt eine β-Brücke. Die 16 β-Schleifen ergeben somit 8 Brücken, deren jede einen Kontaktpunkt mit der DNA schafft. Die zentralen Helices dienen der Dimerisierung der Histone, die sich in diesem Bereich berühren (man spricht von einer Handshake-Region). Die N-terminalen Enden der Nterminalen α-Helices berühren sich ebenfalls und formen vier weitere Kontaktstellen mit der DNA in deren minor groove. Nachdem wir nun die grundlegende Organisation der DNA in Form von Nukleosomen kennen gelernt haben, wollen wir uns der Architektur des Zellkerns insgesamt zuwenden. Diese Architektur ist gekennzeichnet durch dreidimensionale Netzwerke höherer Chromatinstrukturen einerseits und Kompartimentierung andererseits. Beides ist essenziell für die Integration biologischer Prozesse wie DNA-Replikation, Transkription und Reifung der mRNA. In den letzten Jahren haben es neue Methoden der Zellbiologie erlaubt, die Architektur des Zellkerns und mögliche Funktionen genauer zu beschreiben. Farblich kombinierte Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierungen an einzelnen Zellen zeigten, dass einzelne Chromosomen an bestimmten Stellen ("Territorien") im Zellkern zu finden sind. Ein typisches Beispiel aus einer Hühnerzelle zeigt Abb. 7.44. Ob es ein reproduzierbares Arrangement der Chromosomen in den jeweiligen Zellkernen gibt, ist noch Abb. 7.43a-c. Die Struktur von Metaphasechromosomen. a Submetazentrisches menschliches Chromosom aus einer Zellinie (COLO-320), bei dem die Windung der Chromatiden in der elektronenmikroskopischen Darstellung gut zu erkennen ist. b Submetazentrisches Chromosom aus einer Mäusezellinien (L929), das durch besondere Vorbehandlung die Win-dung der Centromerenregion im Elektronenmikroskop besonders deutlich zeigt. c Die spiralige Struktur der Chromatiden menschlicher Metaphasechromosomen (COLO-320) ist auch im Lichtmikroskop zu erkennen. (a und c: aus Rattner u. Lin 1987a; b: aus Rattner u. Lin 1987b) unklar. Es verdichten sich aber zumindest bei menschlichen Chromosomen die Hinweise darauf, dass die kleineren Chromosomen üblicherweise innen und die größeren an der Peripherie des Zellkerns zu finden sind. Allerdings ist für die Position weniger die Größe des Chromosoms entscheidend als vielmehr die Zahl der Gene (bzw. die Gendichte). Besonders deutlich wird dies an den fast gleich großen, menschlichen Chromosomen 18 und 19 (85 bzw. 67 Mb): Das genärmere Chromosom 18 befindet sich üblicherweise am Rande des Zellkerns, wohingegen das gendichtere Chromosom 19 im Innern des Zellkerns vorkommt (Abb. 7.45) . Auch das Bandenmuster der mitotischen Chromosomen ist ein Beispiel für Kompartimentierung. Die Arme der mitotischen Chromosomen bestehen aus früh-replizierenden Banden (den hellen Giemsa-Banden = R-Banden), die sich mit den mittel bis spät replizierenden, dunklen Giemsa-Banden (= G-Ban-den) abwechseln. R-Banden haben eine höhere Gendichte und enthalten Haushaltsgene und gewebespezifische Gene, wohingegen G-Banden arm an Genen sind und nur gewebespezifische Gene enthalten. Die höchste Gendichte ist in einer Unterfraktion der R-Banden, den T-Banden, enthalten. Spät replizierende C-Banden, die wahrscheinlich überhaupt keine Gene enthalten, beinhalten das centromere Heterochromatin und einige Elemente des konstitutiven Heterochromatins. Es war allgemein anerkannte Ansicht, dass die DNA-Replikation an Hunderten verschiedener Stellen in R/T-Banden beginnt, die im Innern des Zellkerns lokalisiert sind. Allerdings zeigen neuere Arbeiten an primären Fibroblastenzellen, dass die Replikation an wenigen Stellen in der Nähe des Nukleolus beginnt. Das in der mittleren Phase der Replikation replizierende Chromatin der G-Banden wird überwiegend in der Mitte des Zellkerns und der Gegend des Nukleolus gefunden, aber auch an Ein-Abb. 7.44a-d. Chromosomen-Territorien in einer Hühnerzelle. a DAPI-gefärbte, diploide Metaphase einer Hühnerzelle. b Dieselbe Metaphase nach in-situ-Hybridisierung mit verschiedenen Fluoreszenzfarbstoffen. Die Proben zur Anfärbung der Hühnerchromosomen wurden mit einem kombinatorischen Schema mit Östradiol (1, 4, 5, 6), Digoxigenin (2, 4, 6, Z) und Biotin (3, 5, 6, Z) markiert. c Östradiol-und Digoxigeninmarkierte Proben werden über Sekundärantikörper nachge-wiesen, die mit Cy3 und FITC markiert sind; biotinylierte Proben werden über Cy5-gekoppeltes Streptavidin nachgewiesen. d Der optische Schnitt in der Mitte eines Fibroblasten-Zellkerns des Huhns zeigt wechselseitig ausschließliche Chromosomen-Territorien, wobei homologe Chromosomen an unterschiedlichen Stellen lokalisiert sind (beachte, dass in diesem Schnitt jeweils nur eines der beiden Chromosomen-Territorien für die Chromosomen 4 und 6 sichtbar ist). (Cremer u. Cremer 2002) buchtungen der Kernlamina. Spät replizierendes Chromatin enthält die heterochromatische Region und ist sowohl an der Peripherie als auch im Innern des Zellkerns enthalten. Die Markierung der DNA mit Thymidin-Analoga ergab Hinweise darauf, dass in verschiedenen lebenden Säugerzellen bei der DNA-Synthese Chromatinaggregate entstehen. Diese "Replikations-Foci" bestehen aus Clustern aktiver Replikons zusammen mit den Replikationsfaktoren; sie haben einen DNA-Gehalt von ca. 1 Mb. Während der S-Phase ist die Replikationsmaschinerie mit einem Replikations-Focus für die Zeit verbunden, die notwendig ist, um dessen Replikation zu beenden (ca. 1 Stunde). Erstaunlicherweise bleiben die Replikations-Foci aber auch nach der Replikation sichtbar und können unabhängig vom aktuellen Zustand des Zellzyklus durch mehrere Zellzyklen beobachtet werden. Neben den bisher besprochenen Kompartimenten des Zellkerns, die von Chromosomen angefüllt werden, gibt es auch definierte Bereiche, die offensichtlich frei von Chromatin sind. Dieser Interchromatinbereich ist mit einem Netz von Ribonukleoproteinen angefüllt. Es ist vorstellbar, dass hier gespleißte RNA mit Proteinen komplexiert und zu den Kernporen transportiert wird, um so ein Verwir-ren der RNA im Inneren der kompakten Chromatindomänen zu verhindern. Weiterhin gibt es deutlich Hinweise darauf, dass transkriptionell stille Gene in der Nähe des centromeren Heterochromatinclusters lokalisiert sind; aktive Gene sind dagegen an anderen Stellen positioniert. Die Position einzelner Gene erscheint dynamisch und abhängig vom Zustand der Transkription. Eine Zusammenfassung dieses Modells gibt Abb. 7.46. ! Untersuchungen der höheren Ordnung des Chromatins zeigten, dass Chromosomen in bestimmtem Kompartimenten des Zellkerns (Territorien) zu finden sind. Der Ort eines Gens innerhalb eines Chromosoms beeinflusst seinen Zugang zur Maschinerie spezifischer Kernfunktionen wie der Regulation der Transkription und das Spleißen. Diese Betrachtungsweise lässt sich mit einem topologischen Modell der Genregulation verbinden. An dieser Stelle kommen mögliche neuartige Strukturen ins Spiel, die als Insulatoren von Chromatinregionen bezeichnet werden. Insulatoren werden in vielen Organismen (von Hefen bis zu Menschen) gefunden. Es sind Sequenzelemente, die die Wechselwirkungen zwischen Enhancern und Promotoren (vgl. Kap. 8) verhindern, wenn sie zwischen diesen lokalisiert sind. Sie verhindern auch Positionseffekte auf die Wirkung von Transgenen. Sie markieren offensichtlich Grenzen zwischen größeren Transkriptionseinheiten als dies einzelne Gene alleine darstellen. Daher sind sie Schlüsselelemente in dem Prozess, voneinander unabhängige Domänen der Genexpression zu etablieren. Erste Hinweise auf diese Rolle der Insulatoren beim Aufbau von Chromatindomänen erhielt man bei der Analyse des gypsy-Insulators von Drosophila. Proteinkomponenten dieses Insulators kommen an ca. 500 Stellen im Drosophila-Genom vor. Diese Stellen sind jeweils an den Grenzen der Banden zu den Interbanden der polytänen Chromosomen vorhanden, was eine Funktion bei der Trennung von kondensiertem (= stillem) und nicht-kondensiertem (= aktivem) Chromatin nahe legt. Diese 500 Insulatoren verschmelzen aufgrund von Wechselwirkung mit daran gebundenen Proteinen zu ca. 25 größeren Strukturen, die als "Insulator-Körperchen" bezeichnet werden und überwiegend in der Peripherie diploider Zellen Abb. 7.45 a,b. Chromosomen-Territorien genreicher und genarmer Chromosomen. Im Zellkern einer nicht-stimulierten menschlichen Lymphocyte sind 3-dimensionale Rekonstruktionen der Territorien der Chromosomen 18 (rot: genarm) und 19 (grün: genreich) gezeichnet. Die Territorien des Chromosoms 18 werden üblicherweise an der Peripherie des Zellkerns gefunden, wohingegen die Territorien des Chromosoms 19 im Innern des Zellkerns gefunden werden. a X, Y-Ansicht: Der Schnitt durch die Mitte des Nukleus ist als grauer Schatten gezeigt. Es können nur die Territorien unterhalb der Schnittebene gesehen werden. b X, Z-Ansicht: Der Pfeil markiert die Seite, von der der Schnitt in a betrachtet wurde. ( rakterisiert, die die Anheftung individueller Chromatinschleifen an eine proteinhaltige Matrix bzw. an ein Kernskelett sowohl in Interphase-Kernen als auch im mitotischen Chromosom bewirken. Eine mögliche Funktion der MAR/SAR-Elemente ist aber auch die Wirkung als Insulatoren. Eine derartige Identität von struktureller und funktioneller Wirkung wurde für die MAR-Elemente der apoB-, b-Interferonund α1-Antitrypsin-Gene des Menschen und für das Lysozymgen des Huhns gezeigt. Ein weiteres Beispiel ist der gypsy-Insulator von Drosophila. Hier wurden Wechselwirkungen nicht nur mit der Kernmatrix gezeigt, sondern auch mit Topoisomerase II und Histon H1 (als Übersicht dazu siehe Zhan et al. 2001 im Literaturverzeichnis) . Das Konzept der Insulatoren wird ergänzt durch unterschiedliche Modifikationen der Histone (Methylierung des Histon H3 an Lys9 korrespondiert mit Heterochromatin und inaktivem Zustand und Methy-lierung an Lys4 sowie Acetylierung der Histone H3 und H4 korrespondiert dagegen mit dem aktiven Zustand). Zusätzlich sind weitere Proteine in der inaktiven Region mit dem Chromatin assoziiert (z. B. bei Hefe Swi6 Drosophila HP1). Für das β-Globincluster wurde gezeigt, dass die flankierenden Insulator-Sequenzen Bindestellen für das CTCF (engl. CCCTC-binding factor) Protein enthalten. Werden Transgene mit CTCF-Bindestellen flankiert, behalten sie den Zustand hoher Histonacetylierung unabhängig vom Transkriptionszustand des Gens oder der Anwesenheit aktiver Enhancer in der entsprechenden Domäne. Gerade das Beispiel der Insulatoren des β-Globingenclusters zeigt aber auch, dass das Insulator-Konzept dynamisch sein muss, um die unterschiedliche Aktivierung der individuellen β-Globingene während der Embryonalentwicklung zu erklären. Ein mögliches Modell dazu ist in Abb. 7 Exponieren Entwickeln Präparat Cytologisches Autoradiographie. Radioaktiv markiertes Gewebe wird auf einen Objektträger gebracht und mit lichtempfindlicher Emulsion bedeckt. Nach Exposition des Films wird er entwickelt. Die durch Silberkörnchen gekennzeichneten Regionen des Präparates lassen die Lokalisation radioaktiven Materials im Gewebe erkennen. In den Photos sind die Resultate einer Autoradiographie zu sehen. Im Phasenkontrast lassen sich cytologische Strukturen des Gewebes identifizieren (oben), während im Durchlicht (unten) die Silberkörnchen in der Emulsion deutlich erkennbar sind. Falls erforderlich, lassen sie sich nachträglich auch wieder durch Behandlung mit Abschwächerlösung entfernen, um die darunterliegenden Gewebeteile genauer erkennen zu können. Atomstruktur eines Nukleosoms. a Core-Partikel (146 bp DNA), links von oben, rechts von der Seite. Die DNA-Stränge sind braun und türkis dargestellt, die Histone blau (H3), grün (H4), gelb (H2A) und rot (H2B). b Die 73 bp-Hälfte des Core-Partikels, von oben. Die vertikale Dyadenachse liegt bei dem zentralen Basenpaar Die Histone sind in b, c und d farblich gekennzeichnet wie in a, die carboxy-(C) und aminoterminalen (N) Enden Obwohl es für viele Einzelaspekte experimentelle Beweise gibt, ist das Gesamtbild (noch) spekulativ. a Chromosomen-Territorien haben komplexe gefaltete Oberflächen. Die Vergrößerung zeigt das topologische Modell der Genregulation: Eine große Chromatinschleife mit vielen aktiven Genen (rot) dehnt sich von der Oberfläche des Chromosomen-Territoriums in das Interchromatin-Kompartiment aus. b Chromosomen-Territorien enthalten unterschiedliche Bereiche für die kurzen bzw. langen Chromosomenarme sowie für das Centromer (Stern) Stille Gene (schwarze Punkte) liegen eher im Inneren der Chromatinstrukturen. f Interchromatin-Kompartimente (grün) enthalten Komplexe (orange Punkte) und größere Domänen (Anhäufungen oranger Punkte), die kein Chromatin enthalten. Dort findet stattdessen Transkription, Spleißen, DNA-Replikation und -Reparatur statt. g Chromosomen-Territorien mit Chromatindomänen in der Größenordnung ~1Mb (rot) und Interchromatin-Kompartimente (grün) dehnen sich zwischen diesen Bereichen aus. Die Vergrößerung zeigt die topologischen Beziehungen zwischen den Interchromatin-Kompartimenten und aktiven bzw. stillen Genen. Aktive Gene (weiß) sind an der Oberfläche dieser Domänen lokalisiert Dadurch trennen die Insulatoren die Chromatinfasern in Schleifen oder Domänen und bilden dabei rosettenartige Strukturen. Diese sind wahrscheinlich an perinukleäre Substrate gebunden (vielleicht die Kernlamina?), die als Gerüst dienen Es ist eine interessante Hypothese, dass die Insulator-Sequenzen gleichzeitig auch diejenigen Stellen repräsentieren, die aufgrund von Strukturuntersuchungen als Matrix-Binderegionen bekannt wurden (engl. matrix attachment region, MAR, oder auch scaffold attachment region SARs wurden als DNA-Sequenzen cha Die Natur hat hierfür einen einfachen Ausweg gewählt. Durch geeignete molekulare Kontrollmechanismen hat sie dafür gesorgt, dass die Aktivität der geschlechtschromosomalen Gene in beiden Geschlechtern im Prinzip gleich ist und dass das Expressionsniveau X-chromosomaler Gene dem autosomaler Gene entspricht. Diese Kontrollmechanismen werden Dosiskompensationsmechanismen genannt. Es sind zwei prinzipiell unterschiedliche Dosiskompensationmechanismen bekannt.• Der eine wird bei Drosophila und wahrscheinlich bei anderen Insekten gefunden. Er beruht auf einer Verdoppelung der Aktivität X-chromosomaler Gene im Männchen im Vergleich zur Aktivität dieser Gene im Weibchen.• Der andere Mechanismus wurde bei Säugern aufgedeckt. Er sorgt dafür, dass jeweils nur ein X-Chromosom aktiv ist, während das andere (im weiblichen Geschlecht) inaktiviert wird.! Die ungleiche Anzahl von Geschlechtschromosomen in den beiden Geschlechtern verlangt einen regulativen Ausgleich der Expression der auf ihnen gelegenen Gene. Der hierfür erforderliche Mechanismus wird als Dosiskompensation bezeichnet.Das Problem des Dosisunterschiedes bei geschlechtsgekoppelten Genen war den Drosophila-Genetikern bereits frühzeitig bewusst geworden. Da es aus genetischen Experimenten herzuleiten war, dass die Allele beider X-Chromosomen von Drosophila zur Ausprägung kommen, schlug H. J. Muller 1932 einen Dosiskompensationsmechanismus vor, nach dem X-chromosomale Gene im Weibchen nur in reduziertem Maße aktiv sind, so dass ihre Gesamtaktivität der des einen X-Chromosoms im Männchen entspricht. Diesem Modell Mullers widersprachen Experimente von Mukherjee und Beermann (1965) , die in ihren Untersuchungen von der damals neu entwickelten Methode der Autoradiographie Gebrauch machten (siehe Technik-Box 13).Sie markierten neu synthetisierte RNA mit 3 H-Uridin und ermittelten die Einbauraten, d. h. die RNA-Syntheseraten, für X-chromosomale und autosomale Gene in Riesenchromosomen männlicher und weiblicher Speicheldrüsen. Es zeigte sich, dass die RNA-Syntheseaktivität in den X-Chromosomen beider Geschlechter gleich und zudem vergleichbar mit der von Genen in den stets diploiden Autosomen war. Die Wissenschaftler schlossen aus diesen Beobachtungen auf eine Hyperaktivität des X-Chromosoms im Männchen. Diese Interpretation wurde in der Folge durch weitere Studien sowohl auf dem RNA-als auch auf dem Proteinsyntheseniveau untermauert.Wie lässt sich eine Hyperaktivität des X-Chromosoms im Männchen molekular erklären? Es ist plausibel anzunehmen, dass eine Kopplung dieses Regulationsmechanismus mit der Geschlechtsbestimmung vorliegen sollte, da ja die unterschiedlichen Chromosomenkonstitutionen direkt mit dem Geschlecht des Organismus zusammenhängen. So konnte Thomas Cline 1978 zeigen, dass ein für die Geschlechtsbestimmung zentrales Gen, Sex-lethal (Sxl), zugleich auch die Dosiskompensation kontrolliert. Zusätzlich sind jedoch für die erhöhte X-chromosomale Genaktivität im Männchen eine Reihe autosomaler Gene (u. a. male specific lethal, msl) mit verantwortlich. Ihr Ausfall hat letale Folgen im männlichen, nicht aber im weiblichen Geschlecht, wie J. M. Belote und John Lucchesi (1980) zeigen konnten. Die Letalität erscheint auf diesem Hintergrund verständlich: Wird die Aktivität des X-Chromosoms im Männchen nicht erhöht, so werden zu wenig Genprodukte produziert und die Entwicklung wird so gestört, dass die Männchen sterben.Alle diese Befunde zeigen an, dass das X-Chromosom eine Ausnahmestellung hinsichtlich seiner Genregulation einnehmen muss: Wie ist es sonst zu erklären, dass die autosomalen Gene in ihrer Aktivität weder durch das Geschlecht noch durch die erwähnten msl-Gene beeinflusst werden? Es liegt nahe, die Ursache in der Struktur X-chromosomaler Gene zu suchen. Die molekulare Feinstrukturanalyse einzelner Gene hat jedoch bis heute keine Hinweise auf regulatorische Besonderheiten ergeben, sieht man von der hohen Konzentration von CA/GT-Sequenzen im X-Chromosom ab. Solche Sequenzen können eine Z-Konformation der DNA induzieren. Die neueren Befunde über die molekularen Komponenten des Dosisregulationsmechanismus zeigen ein komplexes Bild der Interaktion von Proteinfaktoren. Ein zweiter interessanter Punkt ist die Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Wegen der Dosiskompensation bei Drosophila und Säugern. Auch wenn das Ergebnis im Detail unterschiedlich ist (Drosophila: Überaktivität im X-Chromosom; Säuger: Inaktivierung), so gibt es doch eine auffallende Parallele: Auch hier spielen zwei kleine, nicht-kodierende RNA-Transkripte (roX1 und roX2) eine wichtige Rolle. Insbesondere bindet offensichtlich das roX2-Transkript an MOF, eine Histon-Acetyltransferase, die dadurch aktiviert wird. Wechselwirkungen mit RNA sind also offensichtlich ein weit verbreitetes Phänomen in regulatorischen, Chromatin-abhängigen Netzwerken. Inaktivierung eines X-Chromosoms in weiblichen Zellen. Die Inaktivierung erfolgt in der frühen Embryonalentwicklung und betrifft zufallsmäßig das väterliche oder mütterliche Chromosom. Das inaktive X-Chromosom ist als Barr-Körperchen cytologisch sichtbar.Die Inaktivierung des X-Chromosoms geht vom X-Inaktivierungszentrum aus und beruht im Wesentlichen auf der Expression des Xist-Transkripts, das für kein Protein kodiert. Als Ergebnis der Xist-Bedeckung wird die Transkription der Gene des X-Chromosoms abgeschaltet. Dabei werden die Promotoren der Xgekoppelten Gene methyliert und das entsprechende Chromatin deacetyliert. Histonbereiche, die durch die minor groove der DNA (weiß) aus dem Nukleosomencore-Partikel herausragen. Links: H2B (rot) und H3 (blau). Rechts: Vergrößerte Darstellung des N-terminalen H3-Bereiches (Aminosäuren 39 bis 42: HRYRP), der durch die minor groove zwischen den DNA-Windungen SHL1 (Zentrum der DNA im Nukleosom) und SHL-7 heraustritt. Die Elektronenverteilung der Aminosäuren ist in magenta angegeben. d Das H3-H4-(oben) und das H2A-H2B-(unten) Histonfaltenpaar. Die Dyadenachse verläuft durch die SHL1 1/2und SLH4 1/2-Bereiche der DNA (s. b). Die Seitenketten der Aminosäuren bzw. Arginine, die in die minor groove der DNA eingreifen, sind angegeben (Nummern der Aminosäuren). Die α-Helixbereiche der Histone sind mit α gekennzeichnet, die Loop-Bereiche mit L. Die L1-und L2-Loops formen miteinander β-Strukturen über Wasserbindungen. (Aus Luger et al. 1997) Abb. 7.48a-c. Dynamik von Insulatoren. Die Regulation der Insulator-Funktion führt zu verschiedenen Mustern der Chromatinorganisation. a Lineare Anordnung des Interphase-Chromatins. Das hoch kondensierte Chromatin ist blau markiert, und offene Chromatindomänen sind gelb gekennzeichnet. Domänen mit regulierbaren Insulatoren sind rot; diese Insulatoren können während der Zelldifferenzierung verändert werden. b Während der Entwicklung sind Domänen höherer Chromatinstrukturen durch aktive Insulatoren (rote Quadrate) organisiert. Inaktive Insulatoren und ihre flankierenden Regionen bleiben im heterochromatischen Kompartiment. c In einem bestimmten Gewebe werden die Chromatindomänen nach der Aktivierung der flankierenden Insulatoren geöffnet, und nach der Inaktivierung anderer Insulatoren werden dessen Regionen heterochromatisch. (Labrador u. Corces 2002) Es gibt außerdem Hinweise, dass während der Evolution verschiedene Klassen von Genen in solchen Domänen zusammengefasst wurden. Man schätzt, dass ca. 20% der Drosophila-Gene in einer der etwa 200 Gruppen benachbarter Gene gefunden wurden, die in gleicher Weise exprimiert werden. Jede dieser Gruppen umfasst ca. 10 bis 30 Gene. Obwohl die Art der Cluster bei Hefen ähnlich ist, gibt es keine funktionelle Beziehung. Auch beim Menschen gibt es derartige Cluster, allerdings entspricht das einzige signifikant co-replizierende Cluster Haushaltsgenen.! Insulator-Elemente können Domänen unterschiedlicher Genexpression dadurch etablieren, dass die lineare Information der Chromatinfasern in eine dreidimensionale Struktur übersetzt wird, die es erlaubt, das Genom in einzelne Kompartimente zu zerlegen. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass die Anwesenheit von Insulatoren auch für den Übergang der Banden/Zwischenbanden der polytänen Chromosomen von Drosophila verantwortlich ist. Die Analyse der Histonmodifikationen innerhalb einer Insulator-Domäne lässt vermuten, dass diese dreidimensionale Struktur die Aktivität der Histon-modifizierenden Enzyme ermöglicht, so dass die Methylierung und Acetylierung der Histone H3 und H4 ebenso zur Aufrechterhaltung der offenen Chromatinstruktur beiträgt. Diese Chromatinorganisation spiegelt das offensichtliche Clustering aktiv exprimierter Gene im Eukaryotengenom wider. Insulatoren beeinflussen auch die Enhancer-Funktion durch die Veränderung der DNA-Topologie oder Histonmodifikation. Die Anheftung der Insulatoren an die Kernlamina oder Kernporenkomplexe bildet das notwendige Gerüst.regulativen Ausgleich der Genexpression ihrer Gene (Dosiskompensation). In Drosophila erfolgt diese Dosiskompensation durch erhöhte Genaktivität im X-Chromosom, bei Säugern durch zufällige Inaktivierung eines der beiden X-Chromosomen im weiblichen Geschlecht. Das inaktive X-Chromosom ist als Barr-Körperchen sichtbar; die Inaktivierung geht vom X-Inaktivierungszentrum aus. Differenzielle Färbung von Chromosomen mit Fluoreszenzfarbstoffen (Photo: Ilse Chubola)