key: cord-0037073-g1n28afw authors: Dierkes, Christine; Salzberger, Bernd title: Infektionen bei Immundefizienz date: 2014-07-07 journal: Die Intensivmedizin DOI: 10.1007/978-3-642-54953-3_75 sha: 503a2f81c6ee6eccedf4fcc30295faf1fe104f83 doc_id: 37073 cord_uid: g1n28afw nan Infektionen verlaufen bei immunsupprimierten Patienten rascher, schwerer und je nach Art des Immundefekts mit einem spezifischen Erregersspektrum. Wichtige Immundefekte für eine differenzielle Behandlung von Patienten sind die iatrogene Immunsuppression nach zytotoxischer Chemotherapie, die medikamentöse Immunsuppression nach allogener Stamzell-, Organtransplantation und bei Autoimmunerkrankungen sowie die HIV-Infektion. Die Frühkomplikationen bei zytotoxischer Chemotherapie wie auch bei allogen stammzelltransplantierten Patienten sind akute bakterielle und Pilzinfektionen. In beiden Fällen muss eine empirische antibakterielle Therapie rascher und breiter eingesetzt werden, Pilzinfektionen müssen in der Differenzialdiagnose früher bedacht werden. Ein unterschiedliches Erregerspektrum jedoch ist v. a. bei den spezifischen immunsuppressiven Therapien nach Transplantationen und bei Autoimmunerkrankungen und der HIV-Infektion gegeben. Bei den meisten anderen erworbenen Immundefekten (z. B. Immunglobulinmangelsyndrome) sind Infektion zwar häufiger und schwerer als bei anderen Patienten, aber das Spektrum betrifft mehr die klassischen schweren Infektionen (bakterielle Pneumonie, Sepsis), und die Behandlung der Manifestationen ist analog zu denen bei nichtimmunsupprimierten Patienten. Zunehmend werden immunsuppressive Therapien mit höherer Potenz bei Patienten mit rheumatologischen, autoimmunen oder anderen Erkrankungen eingesetzt, z. B. bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, rheumatoider Arthritis oder Kollagenosen. Hierzu zählen sowohl die Substanzen, mit denen bereits langjährig Erfahrung besteht wie z. B. Steroide, Cyclophosphamid, Azathioprin oder auch Methotrexat, als auch neue insbesondere antikörperbasierte Therapien mit dem Ansatz einer Hemmung der Wirkung von Tumornekrosefaktor α (TNF-Inhibitoren bzw. "biologicals"), IL-1 und anderen Ansätzen. Mit dieser Änderung der Therapie hat sich nicht die Häufigkeit von Infektionen bei diesen Patienten verändert, diese ist unter der Steroidtherapie ähnlich hoch wie bei den TNF-Inhibitoren, es hat sich jedoch ein Wandel im Erregerspektrum gezeigt. Unter der Therapie mit den neuen antikörperbasierten Substanzen sind in diesem Patientenkollektiv u. a. Tuberkulose und Pneumonien durch Pneumocystis carinii mit hoher Mortalität aufgetreten. Seltener sind diese Infektionen auch unter Therapie mit hochdosierter Steroidtherapie zu finden (Lubel et al. 2007; Salliot et al. 2009 (Morris et al. 2003) . Heute ist die Langzeitprognose HIV-infizierter Patienten mit einer wirksamen antiretroviralen Therapie am ehesten vergleichbar mit der anderer chronischer Erkrankungen (Hogg et al. 2008) . Damit hat sich auch das Spektrum der zum Intensivaufenthalt führenden Erkrankungen geändert: Opportunistische Erkrankungen sind seltener und nicht-HIV-assoziierte, wie z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen, häufiger geworden. Da sich die intensivmedizinische Betreuung von HIV-infizierten Patienten bei diesen Erkrankungen nicht von denen anderer Patienten unterscheidet, werden hier nur die spezifisch HIV-assoziierten Erkrankungen behandelt. Opportunistische Erkrankungen sind durch die moderne antiretrovirale Therapie sehr viel seltener geworden, sie treten jedoch immer noch als Primärmanifestation der HIV-Infektion auf und führen dann auch häufig zu einem schweren und intensivpflichtigen Verlauf (Vincent et al. 2004) . Patienten, deren HIV-Infektion erst durch schwere Komplikationen oder bei weit fortgeschrittenem Immundefekt entdeckt wird, machen einen Anteil von ca. 25 % aller Erstdiagnosen der HIV-Infektion aus. Die Diagnose der HIV-Infektion kann durch Nachweis von Antikörpern oder Virusbestandteilen erfolgen. Sie wird in der Regel gestellt mittels eines ELISA-Tests, der HIV-1-und HIV-2-Antikörper sowie HIV-Antigen nachweisen kann. Die sehr hohe Sensitivität des ELISA bedingt eine niedrige Spezifität, deshalb ist eine Bestätigung im Immunfluoreszenz-bzw. Western-Blot-Test notwendig. Ein direkter Virusnachweis mittels PCR, besonders bei unklarer Serologie und Verdacht auf Primärinfektion, kann ebenfalls die Diagnose sichern. Die Stadieneinteilung erfolgt nach der Klassifikation der CDC (. Tab. 75.4). Hierzu gehört die Messung der CD4-Zellzahl im peri-auftreten, später ist das Muster durch die Art der Immunsuppression (Unterdrückung der zellulären Immunität, ähnlich wie bei Organtransplantation, aber initial schwerere Immunsuppression) bestimmt (Boeckh et al. 2002) . Neben Bakteriämien stehen Pneumonien im Vordergrund. Es wird auf den entsprechenden Abschnitt in ▶ Kap. 72 verwiesen. Eine Übersicht über das zeitliche Muster der Infektionen findet sich in . Tab. 75.3 In den ersten Jahren der Aids-Epidemie war die Behandlung von HIV-assoziierten Komplikationen mit einer ICU-Mortalität von 80-90 % verknüpft (Gatell et al. 1996) . Mit der rascheren Diagnose und besseren Therapie zuerst der opportunistischen Erkrankungen und der HIV-Infektion verbesserte sich die Prognose deutlich Zur Intensivaufnahme können v. a. die neurologischen Komplikationen (Meningitis oder Guillain-Barré-Syndrom), seltener eine Blutungsneigung bei Thrombopenie, führen (Tindall et al. 1989 ). Bei schweren Komplikationen durch eine primäre HIV-Infektion kann eine antiretrovirale Therapie erwogen werden, eine Verbesserung der Langzeitprognose durch einen derart frühen Therapiebeginn ist bisher jedoch nicht nachgewiesen (Deutsche AIDS-Gesellschaft 2012). Einleitung und Fortsetzung der antiretroviralen Therapie Kurz nach Einführung der antiretroviralen Kombinationstherapie wurden bei einigen Patienten unübliche klinische Verläufe von opportunistischen Erkrankungen unter einer eingeleiteten antiretroviralen Therapie beobachtet. Mittlerweile sind solche Verläufe für nahezu alle opportunistischen und sogar für Autoimmunerkrankungen beschrieben. Allen diesen Verläufen ist eine paradoxe klinische Verschlechterung nach Beginn einer antiretroviralen Therapie gemein, z. B. einer Verschlechterung einer Tuberkulose oder auch das Auftreten einer neuen opportunistischen Infektion bzw. einer Autoimmunerkrankung. Alle diese Verläufe werden unter dem Begriff des inflammatorischen Immunrekonstitutionssyndroms (IRIS) zusammengefasst. Das Risiko eines IRIS ist besonders hoch, wenn der initiale Immundefekt schwer war und der Zeitpunkt des Auftretens mit einem raschen Anstieg der CD4-Zellzahl im Blut korreliert. Nach dem Verlauf und den gemessenen Zytokinmustern muss am ehesten von einer Aktivierung des angeborenen Immunsystems ausgegangen werden. Welcher genaue Pathomechanismus diesem Syndrom zugrunde liegt, ist aber bisher ungeklärt. Am häufigsten ist eine solche paradoxe kli-pheren Blut als wichtigster Marker des Immunstatus. Im natürlichen Verlauf der HIV-Infektion schließt sich an eine symptomatische (▶ unten.) oder asymptomatische primäre HIV-Infektion häufig eine langjährige klinische Latenzphase an. Erst bei deutlicher Verminderung der CD4-Zellzahl kommt es dann zum Auftreten von opportunistischen Erkrankungen. Eine symptomatische primäre HIV-Infektion tritt etwa bei 20-30 % aller Infizierten auf. Dabei kommt es 3-6 Wochen nach Erstinfektion zu einem mononukleoseähnlichen Krankheitsbild mit sehr unterschiedlicher Ausprägung. Neben Fieber, einem generalisierten makulopapulösem Exanthem und schwerem Krankheitsgefühl können auch generalisierte Lymphknotenschwellungen vorhanden sein. Im Labor findet sich eine Lymphozytose mit Reizformen, eine mäßige Erhöhung der Transaminasen und LDH sowie eine Thrombopenie. . Tab Die häufigste pulmonale Manifestation der HIV-Infektion ist die Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie (PcP). Sie ist außerdem der häufigste Grund für eine Intensivaufnahme bei HIV-Infizierten. Sie tritt auf bei fortgeschrittenem Immundefekt (< 200 CD4/mcl). Die Symptome sind Fieber, Dyspnoe und trockener Husten. Im Labor findet sich häufig eine Erhöhung der LDH, grob korreliert mit dem Schweregrad. Radiologisch zeigt sich anfangs eine geringe interstitielle Zeichnungsvermehrung, später ein ausgedehntes, meist bihilär schmetterlingsförmig konfiguriertes Infiltrat. Eine Compu- Pneumocystis jirovecii kann mittels Zytologie bzw. PCR aus der Bronchiallavage nachgewiesen werden. Trotz Fortschritten in der Diagnostik und Therapie liegt die ICU-Mortalität der beatmungspflichtigen PcP bei etwa 25 %. Prognostisch ungünstig ist dabei ein hoher Anteil von Granulozyten in der BAL oder ein gleichzeitiger Nachweis von CMV-Virus. Die Standardtherapie ist hochdosiertes Cotrimoxazol, alternativ Pentamidin (. Tab. 75.7). Bei schweren Verläufen verbessert eine adjuvante Therapie mit Glukokortikoiden die Prognose. Ob bei Nachweis von CMV in der BAL eine antivirale Therapie sinnvoll ist, ist nicht klar.Viele Experten sind jedoch der Ansicht, dass dies nicht notwendig und aufgrund der zusätzlichen Toxzität auch nicht sinnvoll ist. Generell sind genuine CMV-Pneumonien bei der HIV-Infektion eine extreme Rarität und auch deshalb der pathogenetische Wert eines Nachweises von CMV-Virus oder -DNA in der BAL in dieser Situation unklar. Als Komplikation sind bei der PcP häufig Pneumatozelen vorhanden, die für einen Pneumothorax prädisponieren. Obwohl hierfür keine speziellen Studien vorhanden sind, sollte eine Beatmung bei PcP nach den gängigen Standards des ARDS (mit niedrigen Tidalvolumina) erfolgen (▶ Benson et al. 2004; ▶ Masur 2006) Die Häufigkeit von bakteriellen Pneumonien ist bei der HIV-Infektion deutlich erhöht. Die häufigsten Erreger sind S. pneumoniae und H. influenzae. Da hier P. aeruginosa und S. aureus häufige Pathogene sind, sollten diese Erreger bei der empirischen Therapie ebenfalls berücksichtigt werden (Benson et al. 2004; Masur 2006) . Andere spezifische Ursachen für ein respiratorisches Versagen bei HIV-infizierten Patienten können eine Infektion mit M. tuberculosis (▶ Kap. 74), Pilzpneumonien, ein Non-Hodgkin-Lymphom, eine HIV-assoziierte pulmonale Hypertonie oder eine kardiale Dekompensation bei HIV-assoziierter Kardiomyopathie darstellen. Immune reconstitution syndromes in human immuno-deficiency virus infection following effective antiretroviral therapy Treating Opportunistic Infections Among HIV Infected Adults and Adolescents Leitlinien zur antiretroviralen Therapie im Erwachsenenalter Infection in solid-organ transplant recipients Severe pulmonary infections in AIDS patients Life expectancy of individuals on combination antiretroviral therapy in high-income countries: a collaborative analysis of 14 cohort studies HIV Drug Interactions Hepatitis B virus reactivation following immunosuppressive therapy: guidelines for prevention and management Management of patients with HIV in the intensive care unit Improved survival with highly active antiretroviral therapy in HIV-infected patients with severe Pneumocystis carinii pneumonia Interactions among drugs for HIV and Opportunistic Infections Risk of serious infections during rituximab, abatacept and anakinra treatments for rheumatoid arthritis: metaanalyses of randomised placebo-controlled trials Severe clinical manifestations of primary HIV infection Characteristics and outcomes of HIV-infected patients in the ICU: impact of the highly active antiretroviral treatment era Virale Enzephalitiden können durch das assoziierte Koma oder andere schwere neurologische Störungen zur Aufnahme auf die Intensivstation führen. Hier sind v. a. Enzephalitiden mit JC-Virus, CMV, HSV und VZV zu nennen. Während die Enzephalitiden durch Herpesviren häufiger Anfälle und schwere Bewusstseinsstörungen verursachen, präsentiert sich die JC-Virusenzephalitis (auch progressive multifokale Leukenzephalopathie, PML) häufiger mit kognitiven und fokalen neurologischen Störungen. Der Nachweis der Erreger gelingt durch Liquorpunktion und PCR. In der Bildgebung zeigen sich bei den Enzephalitiden durch Herpesviren meist einzelne fokale Läsionen, während die ausgeprägten entzündlichen Veränderungen bei der PML fast pathognomonisch sind.Die Enzephalitiden mit HSV und VZV werden nach den bekannten Schemata behandelt, für die Therapie der CMV-Enzephalitis ist Ganciclovir die 1. Wahl, Foscarnet und Cidofovir sind Alternativen. Eine Therapie der PML ist nicht durch Studien etabliert, in vitro wirkt Cidofovir auf JC-Virus.Eine genuine HIV-Enzephalopathie ist v. a. durch schwerste kognitive Einbußen apparent. Im Liquor zeigt sich ein hoher Nachweis von HIV-RNA und in der Bildgebung eine ausgeprägte Erweiterung der äußeren und inneren Liquorräume. Die Therapie der Wahl ist die antiretrovirale Therapie, durch die oft eine fast vollständige Remission der Klinik erzielt werden kann (Benson et al. 2004) . Gastrointestinale Blutungen und seltener Perforationen können durch CMV-Ulzerationen im Ösophagus, Magen, Kolon und seltener Dünndarm auftreten. Endoskopisch zeigen sich ausgestanzte multiple Ulzerationen. Blutungen können ebenfalls durch Schleimhautbefall von Kaposi-Sarkomen entstehen. Eine Remission mukokutaner Kaposi-Sarkome kann durche eine antiretrovirale Therapie weitestgehend gelingen. Nur bei Progression bzw. Nichtansprechen sollte eine zytostatische Therapie angewandt werden.Hepatitiskoinfektionen v. a. mit HCV sind bei der HIV-Infektion häufig und mit einer rascheren Progression zum Leberversagen verbunden. Die Behandlung von hepatologischen Komplikationen unterscheidet sich jedoch nicht von der anderer Patienten, eingeschlossen die Lebertransplantation als Ultima ratio (Benson et al. 2004) .