key: cord-0036524-8y5i194s authors: Lakoff, Andrew title: Nationale Sicherheit und der sich wandelnde Gegenstand der öffentlichen Gesundheit date: 2010-07-30 journal: Risiko Gesundheit DOI: 10.1007/978-3-531-92448-9_16 sha: c1c24f6e31aea653c4889cae24529b60262bec9e doc_id: 36524 cord_uid: 8y5i194s Im November 2005 gab die Busch-Regierung eine 7,1 Milliarde teure Pandemie- Vorsorge-Strategie bekannt, die der US-Gesundheitsminister als den solidesten Vorschlag bezeichnete, der je zur Unterstützung der öffentlichen Gesundheit gemacht wurde (Leavitt 2005). Der Maßnahmenkatalog umfasste die Finanzierung von Programmen, die die Entwicklung von Krankheiten überwachen sollten, die Vorratshaltung von antiviralen Wirkstoffen sowie die Erforschung neuer Methoden der Impfstoffgewinnung. Die Einzelheiten dieser Planung wurden innerhalb der Public Health-Community scharf kritisiert. Moniert wurde die ihrer Ansicht nach zu starke Betonung pharmazeutischer Interventionen bei gleichzeitig zu geringer Beachtung der Bedarfe der Gesundheitsbehörden auf nationaler wie auf der Ebene der einzelnen Bundesstaaten. In einigen Punkten bestand jedoch Einigkeit: Erstens war man sich einig, dass die Strategien im Umgang mit Pandemien eine dringende Angelegenheit sei, zweitens, dass die USA bislang nicht annähernd genügend auf ein derartiges Ereignis vorbereitet seien, und drittens, dass – egal, ob es eine Pandemie geben würde oder nicht – die vorbereitenden Maßnahmen sie zugleich für diverse andere Bedrohungslagen wappnen würde oder wie es ein Mitglied des US-Senats beschrieb: „Selbst wenn wir von einer Grippe-Pandemie verschont bleiben, wird die Arbeit, die wir heute leisten, in einem nationalen Notfall, der eines Tages eintreffen könnte, hilfreich sein“ (US Senate 2006a). liche Ereignisse sind" (Agwunabi 2006 [Herv.BP] ). Er warnte aber auch davor, dass dieser Zustand des Vorbereitetseins weder plötzlich oder gar einfach zustande käme: "Preparedness ist eine Reise und kein Ziel". Es ist eine Reise, die auf nationaler Ebene alle Bundes-, Landes-und örtliche Behördenleitungen zusammenbringen und dabei jeden Sektor unserer Gesellschaft einbeziehen muss. " Und wie er betonte: DzWir sind überfällig und nicht annähernd so gut vorbereitet, wie wir es sein müssten. Wir sind besser vorbereitet als wir es noch gestern waren. Wir werden morgen besser vorbereitet sein, als wir es heute sind. Wir haben es mit einem Kontinuum an Preparedness zu tun" (Leavitt 2006 [Herv.BP] ). Im vorliegenden Beitrag möchte ich der Frage nachgehen, wie die US-Gesundheits-und Sicherheitseinrichtungen in die Lage gerieten, nicht genug auf biologische Bedrohungen vorbereitet zu sein. Mit dieser Frage will ich nicht unterstellen, dass die USA einmal vorbereitet waren und es nun weniger sind. Vielmehr will ich hinterfragen, wie die Norm der Preparedness entstanden ist, die gegenwärtig die Art, wie wir über Bedrohungen der Gesundheit der Bevölkerung denken, bestimmt. Darüber hinaus blicke ich auf die Etablierung der spezifisch neuen Reaktionen auf diese Bedrohungen. Das Ganze ist eine recht komplexe Angelegenheit, da es hier um Techniken geht, die aus dem militärischen und dem Verteidigungsbereich stammen, und die auf andere Felder der Regierungsintervention übertragen wurden. Meine Analyse bezieht sich nicht auf die weit verbreitete Debatte über biologische Bedrohungen. Ich beziehe mich vielmehr auf die ganz spezifischen Fachkreise, in denen sich ein ungewöhnliches Verständnis von Bedrohungen und diesbezüglicher Interventionen entwickelt hat und angewandt wird. Im Folgenden konzentriere ich mich auf eine spezifische, nämlich die "Szenarien-basierte" Technik. Ich werde argumentieren, dass diese Technik zwei bedeutende Funktionen innehat: Erstens verschafft sie den Eindruck von Dringlichkeit innerhalb offizieller Kreise, ohne dass es einen entsprechenden Anlass oder Vorfall gibt. Und zweitens verschafft sie Wissen über die Schwachstellen in der Reaktionsfähigkeit. So bietet sie einen Leitfaden für die antizipierten Interventionen. Die Szenarien-basierte Machtausübung steht exemplarisch für die derzeit in den USA herrschende Rationalität im Bereich von nationaler Sicherheits-und Gesundheitspolitik. Ich schließe meine Ausführungen mit einem Blick auf die Auswirkungen, die dieser Ansatz auf das System der Öffentlichen Gesundheit hat. Durch die Konzentration auf die Sicherung der vitalen Systeme 2 unserer Gesell-schaft werden die eigentlichen Ursachen unserer Verletzlichkeit -wie die gegenwärtigen Lebensbedingungen der Bevölkerung -übersehen. Eine grundlegende Orientierung bietet der Soziologe Niklas Luhmann (1998) , der die Frage aufwirft, in welcher Weise sich die Zukunft in der Gegenwart manifestiert. Das Interesse von Luhmann liegt dabei nicht in dem Erahnen der Vergänglichkeit, indem sich ein determiniertes menschliches Schicksal bereits in der Gegenwart andeutet, sondern in der davon abzugrenzenden Charakteristik der Moderne, in der eine Zukunft kalkuliert ist, obschon sie jederzeit anders aussehen kann -eine vorläufige Vorausschau also. Besonders interessiert ihn die Rolle der Experten in dieser "Ökologie der Ignoranz". Diese Experten haben kein Problem damit, hier und jetzt einschneidende Entscheidungen zu treffen, im Angesicht einer durchkalkulierten -wenngleich imaginativen -Zukunft. Vielmehr haben sie ein Problem damit, solche Entscheidungen treffen zu müssen, wenn sie sich mit der Unwägbarkeit unserer Zukunft konfrontiert sehen. Risikobewertung und Versicherung sind Beispiele von Techniken, welche die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Ereignisse kalkulieren, um rationalen Handlungen im Hier und Jetzt den Weg zu weisen. Für diese Art der Planung ist die Zukunft das Produkt der in der Gegenwart kalkulierten Entscheidungen, basierend auf einer begrenzten Anzahl von Möglichkeiten: die Vergangenheit enthält Dinge, die uns auch in Zukunft erwarten. Jedoch, wie Luhmann argumentiert, trotzt das gegenwärtige Problem der Katastrophe dieser Kalkulation. Katastrophen beinhalten ein Ereignis, dessen Wahrscheinlichkeit ungewiss ist und dessen Konsequenzen nicht gemanagt werden können. Es ist, wie Luhmann beschreibt (1998): "das Ereignis, das niemand will, und für das weder Wahrscheinlichkeitsberechnung noch Risikobewertung oder Expertenmeinungen akzeptierbar sind". Dies führt zu der Frage, die ich ins Zentrum meiner Überlegungen stellen will: Wie bringen Experten der nationalen Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung die Aussicht auf eine Katastrophe näher, wenn sie nicht über Instrumente verfügen, die eine solche quantitative Risikobewertung möglich machen? Ein bekanntes Modell hierfür ist, wie ich zeigen werde, die "imaginative Szenarienplanung" der potentiellen Katastrophen. In einer Kongressanhörung zur Preparedness bei der Vogelgrippe in 2006 sagte der ehemalige Berater der Homeland Security des Weißen Hauses, Richard Falkenrath: "Wenn man dies mit allen denkbaren Bedrohungen der nationalen Sifentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden". (http: [//www.bbk.bund.de/) [23.11.2009] [Anmerk. B.P.] cherheit der USA vergleicht, ist und wird die katastrophenartige Krankheits-Bedrohung die größte Gefahr sein, der wir entgegensehen" (US Senate 2006b). Angesichts von Falkenraths Vergangenheit als Experte in Fragen der Anti-Terror-Maßnahmen und der Verbreitung von Atomwaffen ist dies eine erstaunliche Aussage, da sie den Trend unterstreicht, dass sich Strategen der nationalen Sicherheit nun auf einen neuen Bereich konzentrieren, der bisher nur aus der Perspektive der öffentlichen Gesundheit betrachtet wurde. Wie einige Wissenschaftler zeigen konnten (z.B. King 2002) , war dies nicht das erste Mal, das Fragen der nationalen Sicherheit der U.S.A. mit denen der öffentlichen Gesundheit in Verbindung gebracht wurden. 3 Um die sich an Falkenraths Behauptung anschließenden Folgerungen und den darin liegenden Unterschied zu vorangegangenen Verknüpfungen der beiden Bereiche "nationale Sicherheit" und "Gesundheit" zu verstehen, ist es hilfreich, das Konzept der "nationalen Sicherheit" analytisch in seine Bestandteile zu aufzubrechen. Anders ausgedrückt geht es darum, zu fragen, von welcher Art der "Sicherheit" eigentlich die Rede ist, was ihr politischer Gegenstand ist und welches ihre konkreten Vorgehensweisen sind. Wir werden sehen, dass die meisten der Sicherheitsexperten, die mit katastrophalen Krankheits-Bedrohungen zu tun hatten, sich nicht in der Logik der Unterbindung äußerten, welche mit den üblichen staatlichen Sicherheitspraktiken verbunden ist. 4 Auch konnte ihr Ansatz nicht mit der Präventions-Rationalität beschrieben werden, die man klassischerweise mit den Gesundheitswissenschaften verbindet. Vielmehr praktizieren sie eine ganz eigene Art, mit Sicherheitsbedrohungen umzugehen -nämlich den einer fortwährenden wachsamen Alarmbereitschaft für den Fall einer Katastrophe. Um dies näher zu erläutern, ist es zunächst wichtig zwischen verschiedenen analytischen Dimensionen der kollektiven Sicherheit zu unterscheiden. 5 Souveräne staatliche Sicherheit (Sovereign State Security) geht zurück auf die Monarchien des 17. Jahrhunderts und bezeichnet Praktiken, die sich mit der Verteidigung staatlichen Territoriums beschäftigen, gegenüber einem Feind, der von außen kommend mit militärischen Mitteln agiert. Die Bevölkerungs-Sicherheit (Population Security) dagegen, welche im 19. Jahrhundert ihren Einzug hielt, beschreibt den Schutz der heimischen Bevölkerung vor Bedrohungen, die regel-3 Ein gutes Beispiel hierfür ist die Rolle, die der Malaria Prävention in der Armee während des 2. Weltkrieges für die Entstehung des Centers of Disease Control (CDC) zukommt. 4 Natürlich gab es auch andere, wesentlich sichtbarere Akteure innerhalb der US-Regierung, die entsprechend mit biologischen Bedrohungen umgingen. Ein entsprechendes Beispiel führte zum Irak-Krieg (siehe für diese Diskussion Cooper 2006) . 5 Die ursprüngliche Unterscheidung geht zurück auf Foucault, der in seinen Vorlesungen am College de France 1978 zwischen Souveränität und Governmentalität unterscheidet (Foucault 2007) . Im Folgenden verwende ich Begriffe, die gemeinsam mit Stephen J. Collier entwickelt wurden. Für weitere Ausführungen siehe Collier und Lakoff (2008a) . mäßig von innen kommen, wie z.B. Krankheiten, Industrieunfälle oder Gebrechlichkeit. Diese Wissensform bedient sich vor allem der Epidemiologie und der Demographie. Ihre Interventionen reichen von der Sozial-Versicherung und öffentlicher Gesundheitssorge bis zur Entwicklung der urbanen Infrastruktur. Allerdings passen einige der aktuellen Sicherheitsinitiativen in den USA nicht in diese beiden Sicherheits-Konzeptualisierungen, z.B. die pandemische Bereitschaft (Pandemic Preparedness) oder der Schutz der kritischen Infrastruktur. So gesehen ist in den vergangenen Jahren eine dritte Art der Sicherheitspolitik immer zentraler geworden: Sie lässt sich am besten mit der "Sicherheit vitaler Systeme" (Vital Systems Security) beschreiben. Diese Art der Sicherheit ist einer ganz spezifischen Bedrohung zugeordnet, nämlich einem Ereignis, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit zwar nicht berechnet werden kann, dessen Konsequenzen aber höchstwahrscheinlich katastrophalen Ausmaßes wären. Zu schützendes Objekt ist dabei weder das nationale Territorium noch die heimische Bevölkerung; vielmehr treten hier die kritischen Systeme, die das soziale und ökonomische Leben regulieren, in den Fokus. In diesem Sicherheitskonzept der Vital Systems Security werden keine Informationen über einen fremden Feind oder regelmäßig auftretende Ereignisse gesucht, sondern vielmehr wird die Technik der imaginären Übung praktiziert, die Wissen über die Verwundbarkeit des internen Systems hervorbringen soll. Seine Interventionen richten sich nicht mehr auf den Schutz vor fremden Feinden oder auf die Veränderung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung. Vielmehr liegt ihnen daran, die Funktionsfähigkeit der kritischen Systeme so zu sichern, dass sie im Falle eines Notfalls keine Ausfälle haben (vgl. Graphik 1). 6 Diese Vital Systems Security ist nun allerdings nicht vom Himmel gefallen, sondern aus einem spezifischen Verständnis der souveränen staatlichen Sicherheit (Sovereign State Security) entstanden, das in den 1960er Jahren seinen Anfang nahm: die zivile Verteidigung. Die Techniken der zivilen Verteidigung sind ursprünglich entwickelt worden, um der atomaren Bedrohung zu begegnen, sie sind in ihrer Anwendung dann aber kontinuierlich auf andere potentielle Bedrohungen ausgeweitet worden. Beispiele hierfür sind Naturkatastrophen, technologische Unfälle, terroristische Anschläge -bis hin zu Epidemien ansteckender Krankheiten. Im Folgenden werden wir sehen: Immer dann, wenn ansteckende Krankheiten als ein Problem der Bevölkerungssicherheit betrachtet und behandelt werden, erfolgen die Interventionen in der Logik der Prävention. Wenn sie aber im Rahmen des Vital System Security-Verständnisses behandelt werden, heißt die bestimmende Logik "Preparedness". Bis zu diesem Zeitpunkt hatte in den Planungen der US-Gesundheitsbehörde die Grippe-Pandemie keine Rolle gespielt. Daher war auch nicht sofort klar, welche Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Eine Katastrophe wie die von 1918 war nicht absehbar, aber doch möglich. Aufgrund der den Behörden zu diesem Zeitpunkt zu Verfügung stehenden Maßnahmen, gab es eigentlich nur eine Möglichkeit zu reagieren: Die Impfung der gesamten US-Bevölkerung. Dieses Vorhaben wäre aber nicht nur extrem kostspielig, sondern auch praktisch eine gewaltige Herausforderung, da es bedeutet hätte, dass man bis zur nächsten Grippesaison genügend Impfstoff für über 200 Millionen Menschen hätte produzieren und verteilen müssen. Dies wiederum war seinerzeit eine neue technische Möglichkeit: Erst seit kurzem war man in der Lage, genug Grippe Impfstoff herzustellen und diesen rechtzeitig für eine Massenimmunisierung bereitzustellen. Allerdings würde eine Entscheidung, ob dieses Verfahren angewandt werden sollte, schnell gefällt werden müssen. Und niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob die Fort Dix Fälle wirklich erste Anzeichen einer Grippe-Pandemie waren oder nur ein Zufall. Die Gesundheitsbehörden waren so das erste Mal in die Lage versetzt worden, bereits vor einer (potentiellen) Grippe-Pandemie eingreifen zu können. Dies erwies sich jedoch als Problem für die Gesundheits-Experten, denn die modernen Gesundheitsinstitutionen waren als Antwort auf akute Krankheitsfälle eingerichtet worden, für potentielle Fälle waren sie nicht konzipiert. Deswegen benötigten sie historische Daten über Zeit und Ort der Ausbrüche, um angemessene und effektive Interventionen zu entwickeln. Aus diesem Grund bereitete es ihnen Probleme, einem vorhersehbaren, aber statistisch nicht zu berechnenden Ereignis gegenüberzutreten. Am 10. März 1976 trafen sich die CDC Vertreter mit dem Beratungsstab des Komitees für Impfpraxis (Advisory Committee on Immunization Practices -ACIP). Dieses Komitee legte jedes Jahr neu fest, gegen welche Viren und welche Bevölkerungsgruppen man impfen sollte. Eine Frage, die zu diesem Zeitpunkt aufkam, aber nicht weiter verfolgt wurde, war, unter welchen Umständen es Sinn machen würde, den Impfstoff nach der Produktion erst einmal zu lagern, anstatt gleich zu einer Massenimmunisierung überzugehen. Der Direkter der CDC, David Sencer, war der Ansicht, dass der Virus sich zu schnell verbreiten würde und die logistischen Anforderungen zu hoch seien, um in Erwägung zu ziehen, auf verlässliche Beweise für das Vorliegen einer Epidemie zu warten, bevor man mit der Impfung beginnen könne. Nach dem besagten Treffen übermittelte Sencer seinen Vorgesetzen in der Gesundheitsbehörde die Ergebnisse des Treffens. Ausgehend von der in seinen Worten "naheliegenden Möglichkeit" einer Schweinegrippe, die höchst ansteckend sei, sahen seine Empfehlungen vor, 213 Millionen Menschen innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten zu impfen, mit einem finanziellen Aufwand von 134 $ Millionen. Der Ton des Memos unterstrich die Dringlichkeit: "Wir haben es mit einer Alles oder Nichts-Situation zu tun … es gibt kaum genug Zeit … eine Entscheidung muss jetzt gefällt werden" (Neustadt/Fineberg 1983: 30) . Nach eingehender Beratung mit Gesundheitsexperten und Virologen verkündete Präsident Ford am 24. März 1976 den nationalen Impfplan: "Niemand weiß genau, wie ernst diese Bedrohung ist. So oder so, wir können die Gesundheit unserer Nation nicht riskieren" (Neustadt/Fineberg 1983: 46) . Doch während der Impfungen kamen Probleme auf: Die Impfstoffproduzenten kündigten an, dass sie den Impfstoff nicht ohne Versicherung abfüllen würden. Die Versicherer dagegen waren ihrerseits nicht gewillt, eine derartige Absicherung zur Verfügung zu stellen. Ihnen war die Unsicherheit bezüglich der Gesundheitsrisiken durch die Impfung zu groß. 8 Als mehrere ältere Menschen, die geimpft wurden, kurz danach verstarben, ließ die CDC lediglich verlauten, dass eine gewisse Anzahl derartiger Tode "zu erwarten" gewesen seien. Trotz dieser Probleme waren bis zum Dezember des Jahres 40 Millionen Menschen bereits immunisiert. In der Mitte des Monats berichteten Gesundheitsbehörden in Minnesota von etlichen Fällen des Guillain-Barré-Syndroms unter den Geimpften, einer ernsthaften Nervenstörung. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die erwartete Epidemie nicht eintreffen würde. Das Programm wurde daher sofort eingestellt. Die New York Times bezeichnete das Geschehen als "Schweine-Grippe-Fiasko". Ein später erschienener Bericht wertete die Entscheidung das Programm zu verfolgen nicht als Fehler; die Experten waren sich schließlich einig gewesen. Aber er legte nahe, dass die mangelnde Voraussicht der Verwaltung eine Fehlerquelle war. Die Gesundheitsbehörden hatten keine Notfallpläne in der Hinterhand und mussten daher ad hoc reagieren. Sie waren daher nicht in der Lage, sich einer Maßnahme zu bedienen, die hilfreich gewesen wäre: Die vorsorgliche Vorratshaltung des Impfstoffes und dann, im Falle einer epidemischen Entwicklung, den Einsatz avancierter logistischer Methoden, um den Impfstoff in erfor-derlichem Maße zu verbreiten. Sie hatten auch keinen Plan und keine Vorstellung von den potentiellen Problemen, die auftauchen würden. Vor dem Hintergrund der bis dahin üblichen Präventionsrationalität und den klassischen Public Health Instrumentarien, hatte es keine andere Möglichkeit gegeben als mit der Massenimpfung zu starten. Interessanterweise entwickelte sich zum selben Zeitpunkt eine systematische Methode für die flexible Handhabung potentieller Krisen auf einem ganz anderen Gebiet der Regierung heraus. Die Zivilverteidigung erweiterte ihren Bereich von der reinen Fokussierung auf Nuklearkatastrophen auf eine eher grundsätzlichere Form der Preparedness bei Notfällen. Im Folgenden wird das "Krisenmanagements" als eine neue Antwort auf ungewisse, aber potentiell katastrophenartige Bedrohungen beschrieben. Während das Krisenmanagement in seiner Anfangsphase noch völlig separat vom Public Health Bereich zu sehen war, sollte es später auch hinsichtlich der Bedrohungen katastrophenartiger Krankheiten zum Einsatz kommen. In den ersten Jahren des Kalten Krieges begannen die Zivilverteidigungsplaner nach Techniken zu suchen, die sie auf nukleare Angriffe vorbereiten sollten (z.B. Stadtpläne, die verwundbare Punkte ausweisen und die Koordination von Notfallmaßnahmen) (Collier/Lakoff 2008b) . Diese Techniken bildeten später die Basis für die grundsätzliche Form der Preparedness für Notfälle. Eine wichtige Person in diesem Prozess war Robert H. Kupperman, ein anwendungsbezogener Mathematiker, der in den späten 60er und frühen 70er Jahren stellvertretender Leiter von Nixon`s Office of Emergency Preparedness (OEP) war. Während seiner Zeit bei der OEP entwickelte Kupperman ein Interesse für die regelhaften Strukturen von Krisensituationen sowie für Methoden, die einem im Vorhinein darauf vorbereiten konnten. Er war davon überzeugt, dass Krisen, wie unterschiedlich sie auch sein mochten, gleichwohl einige grundsätzlich gemeinsame Probleme aufwiesen: den Mangel an akkuraten Informationen, die Schwierigkeit der Kommunikation unter jenen, die die Entscheidungen treffen müssen, und eine Vielzahl an Behörden, die sich alle in der Verantwortung sehen und die Leitung des Einsatzes übernehmen wollen. Zugleich war in diesen Situationen ungewiss, was sich entwickeln würde, während ein dringendes Bedürfnis bestand, unverzüglich zu handeln. Die Flexibilität der Entscheidungsträger hing davon ab, in welchem Maße die Krisenmanager in der Lage waren, die Situation vorauszusagen und vorbereitende Maßnahmen zu treffen (Kupperman/Wilcox/Smith 1975: 229) . Kupperman ging es vor allem darum, potentielle Fehlfunktionen aufzuspüren. Seine Erfahrungen im Office of Emergency Preparedness lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Verwunderbarkeit der kritischen Systeme und plötzliche, unerwartete Ereignisse. Nachdem er die OEP verlassen hatte, arbeitete er trotzdem weiter an der Frage, wie die Reaktion der Regierung auf Krisen systematischer erfolgen könnte. Er tat dies vor allem in Kontext seiner Tätigkeit für einen Washingtoner Think Tank, dem Center for Strategic and International Studies (CSIS), bei dem er in den späten 70er Jahren zu arbeiten begann. Neben James Woolsey war er Co-Autor eines CSIS-Berichts von 1984 über das Krisenmanagement in der Netzwerkgesellschaft mit dem Titel America`s Hidden Vulnerabilities. Im Bericht hieß es, dass die USA für ihr kollektives Wohlergehen auf Bündel hoch entwickelter und in sich verwobener Systeme (oder Netzwerke) angewiesen sei, die für die Energieversorgung, Kommunikation und Transportwesen sorgen. Weiter wurden in dem Bericht die jüngsten Störungen in diesen Systemen aufgeführt und auch eine Warnung ausgesprochen: "Es existiert ein ernstzunehmendes Bedrohungspotential … für schwerwiegende Beeinträchtigungen der Netzwerke, die für unser Leben, der ökonomischen Stabilität und der nationalen Verteidigung von hoher Bedeutung sind." (Woolsey/Kupperman 1985: 2) . In America`s Hidden Vulnerabilities werden eine Reihe von Maßnahmen aufgeführt, die sicherstellen sollten, dass die vitalen Systeme auch im Notfall funktionieren würden. Dazu gehören: die Verbesserung der Resilienz-Fähigkeiten der Systeme 9 , der Aufbau einer doppelten Absicherung (Ausfallsystem), die Vorratsbildung von Ersatzteilen, der Einsatz von Risiko-Analysen als Mittel der Prioritätensetzung für die Bereitstellung von Ressourcen sowie die Durchführung von Szenarien-basierten Übungen. Ein letztes Kernelement des Krisenmanagements aus dem Bericht besteht in der Vorab-Spezifizierung, auf wen konkret welche Verantwortung während der Krisensituation zu übertragen sei (Wollsey /Kupperman 1985: 16) . Während seiner Zeit bei der CSIS versuchten Kupperman und seine Kollegen die Verantwortlichen für die nationale Sicherheit von der Verletzlichkeit der Systeme zu überzeugen sowie von dem Bedarf, Techniken zu entwickeln, mit denen zukünftig potentielle Krisen gemanagt werden könnten. Einer ihrer Ansätze war die Durchführung Szenarien-basierter Simulationen von Krisensituatio-9 Andrew Lakoff benutzt hierfür den Begriff resilience, der auch mit Widerstandsfähigkeit oder Ausfallsicherheit übersetzt werden kann. In Anlehnung an den artverwandten Beitrag von Lentzos/Rose, in der die Resilienz eine zentrale Charakterisierung der von ihnen beschriebenen Notfallrationalitäten in Europa ist, wird hier von der Deutung als einem System ausgegangen, was sich jedem Vorfall wieder neu aufrichtet und dabei um die neue Verletzlichkeit weiser wird, also lernfähig ist. [Anmerkung B.P.] nen, an denen offizielle Regierungsvertreter teilnehmen sollten (Goldberg et al. 1987: 69) . Diese Notfallübungen waren ein Instrument, den Verantwortlichen die Verletzlichkeit der vitalen Systeme vor Augen zu führen. Es gibt eine lange Tradition der Reflektion darüber, wie mit spezifischen Krisensituationen umzugehen ist -von den frühen Quarantäne-Planungen bis zum Zivilschutz während des Kalten Krieges -und auch die militärische Praxis dieser Übungssimulationen (oder auch "Kriegsspiele") hat eine längere Geschichte 10 . Was aber Kupperman`s Herangehensweise von den älteren unterschied, war die Methode des imaginären Nachspielens generischer Krisensituationen, um damit Wissen über die internen Schwachstellen des System hervorzubringen. Wie wir sehen werden, hat die CSIS Technik der Krisensimulation letzen Endes wesentlich dazu beigetragen, die verantwortlichen Sicherheitsplaner zu überzeugen, sich über die biologischen Bedrohungen ernsthaft Sorgen zu machen. Wie aber sind die beiden Stränge, die wir bisher angesehen haben -Public Health auf der einen und das Krisenmanagement auf der anderen Seite -zusammengeführt worden? Der ersten Schnittstelle, der ich nachgehen will, ist eine Begegnung zwischen der Militärmedizin und der internationalen Gesundheit. nahmen die simulierte Katastrophe so war, dass es kein funktionierendes System gab, um einen Ausbruch entdecken oder einschränken zu können. Nach der Übung verkündete Legters: "Der Ausbruch hat in einer sehr dramatischen Weise gezeigt, wie schlecht wir vorbereitet sind globale epidemische Krankheitsbedrohungen zeitig aufzudecken, und sofern diese aufgedeckt sind, angemessen zu reagieren" (Morse 1993: 277) . Die Übung zeigt exemplarisch, wie in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren die Problematik der auftretenden infektiösen Krankheiten thematisiert wurde. 12 Ebenfalls in 1989 richteten der Virologe Stephan Morse und der Nobelpreisträger Joshua Lederberg eine riesige Konferenz zum Thema aus. Der Konferenz folgte die Veröffentlichung von Emerging Viruses (Morse 1993 In seinem Beitrag zu Emerging Viruses vertrat der Epidemiologe D.A. Henderson die Ansicht, dass das Auftreten neuer Krankheiten unvermeidbar sei: "Mutationen und Wandel sind natürliche Entwicklungen, die zeigen, dass unsere Welt zunehmend interdependent ist und das die menschliche Gesundheit und ihr Überleben herausgefordert werden, ad infinitem, von neuen und mutierten Mikroben mit unvorhersehbaren patho-physiologischen Manifestationen" (Morse 1993: 283) . 13 Als Ergebnis seien wir unsicher, was wir unter Beobachtung halten sollen oder sogar, wonach wir suchen müssen, sagte Henderson. Er kommt zu dem Schluss, dass ein System benötigt würde, welches neue Entwicklungen entdecken kann: Im Falle von AIDS hätte ein solches System frühzeitig vor dem neuen Virus warnen können, so dass Maßnahmen hätten ergriffen werden können, die seine Verbreitung verhindert hätten. Er befürwortete ein globales Überwachungs-System unter der Leitung der CDC, welches in peri-urbanen Gegenden der größten Städte der Tropen angesiedelt werden müsste. Dieses System 12 Wie Nicholas King (1982) Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Morse (1993) wurde das "Auftreten von infektiösen Krankheiten" noch nicht als Problem der nationalen Sicherheit aufgefasst. Dieses änderte sich jedoch innerhalb des nächsten Jahrzehnts, als sich das Thema der infektiösen Krankheiten mit der steigenden Angst vor Bioterrorismus vermischte. Wie wir sehen werden, waren die Szenarien-basierten Übungen zentral für diese Entwicklung. In der Mitte der 90er Jahre machte die Runde, dass ein enormes, geheimes Bio-Waffen-Programm der Sowjets, welches während des Kalten Krieges eingeführt worden war, weiter existiere und in diesem eine größere Anzahl von Wissenschaftlern beschäftigt wären, deren Aufenthaltsort inzwischen unbekannt war. 14 D.A. Henderson war einer der prominentesten biomedizinischen Experten -neben Joshua Lederberg -welcher die neue bioterroristische Bedrohung mit dem Problem der auftretenden Krankheiten in Verbindung brachte. Winter" genannt wurde, fand auf der Andrews Air Force Basis im Juni 2001 statt. Sie zielte auf die einflussreichen Experten der nationalen Sicherheit sowie Regierungsvertreter. Die Teilnehmer spielten Mitglieder der National Security Council (NSC), wie z.B. den ehemaligen Senator Sam Nunn in der Rolle des Präsidenten, den ehemaligen Berater David Gernen als nationalen Sicherheits-Berater und Robert James Woolsey als ehemaligen Leiter der CIA (wobei er die Rolle, die er in der Clinton Administration innehatte, wiederholte). Die Übung fand in drei Abschnitten statt und lief über zwei Tage. Sie stellte die Zeitspanne der zwei Wochen nach dem eigentlichen Anschlag dar. Das erste NSC-Treffen legte den Mitgliedern des Rats die Situation dar. Es gab Berichte eines Ausbruches der Pocken in Oklahoma City, bei denen man davon ausging, dass sie das Ergebnis eines terroristischen Anschlags waren. Die Auftaktfragen für den Rat waren technischer Art: "Mit einer Verfügbarkeit von nur 12 Millionen Portionen des Impfstoffes, was ist die beste Strategie, um den Ausbruch einzuschränken? Sollte es nationale oder einzelstaatliche Impf-Pläne geben? Welches ist die beste Strategie: eine Ring-Impfung oder eine Massenimpfung?" Das Problem war, dass es nicht genug Informationen über das Ausmaß des Anschlags gab, um eine Lösung entwerfen zu können. Beim zweiten Treffen sah die Situation bereits düster aus. "Nur 1.25 Millionen Portionen des Impfstoffes sind noch übrig und der öffentliche Unmut wächst, je mehr der Vorrat des Impfstoffs schwindet", war dem Szenario zu entnehmen. "Die Verteilung des Impfstoffes variiert von Staat zu Staat. Sie ist oftmals chaotisch und in einigen Gegenden führte sie sogar zu Gewaltausbrüchen." Die internationalen Grenzen waren geschlossen, so dass es zu Engpässen in der Nahrungsversorgung kam. In den simulierten 24-Stunden Nachrichten, die den Teilnehmern per Videoeinspielung gezeigt wurden, wurde die Regierung für ihre Reaktionen aufs Schärfste kritisiert. Dazu wurden ihnen Bilder von amerikanischen Pockenopfern gezeigt. Während die Impfstoffvorräte schwanden, wuchs zugleich der öffentliche Unmut. "Da es nicht mehr genug Impfstoff gibt, stürmen die zunehmend ungehaltenen Massen die Impf-Kliniken", ließ das Szenario weiterhin verlauten. "Bei Unruhen an einer der Impf-Stellen in Philadelphia starben zwei Menschen. An einer anderen Impf-Stelle fielen aufgebrachte Bürger über die Impfärzte her" (Johns Hopkins Center for Civilian Biodefense et al. 2001: 24) . Beim vierten NSC Treffen gab es bereits Tausende Tote und die Situation verschlimmerte sich zusehends. Die Übung endete am Eskalationspunkt der Katastrophe: Es gab keinen Impfstoff mehr und es war für etliche Wochen auch keiner in Sicht. Der Sinn der Übung war, den Vertretern der nationalen Sicherheit ein Gefühl davon zu vermitteln, wie sich ein derart beispielloses Ereignis entwickeln könnte. Die Übermittlung dieser Erkenntnis kam auch einem weiteren Kreise von Personen zu Gute als nur den Teilnehmern der Übung. Mittels einer ganzen Reihe von Briefings, die ein Video mit der realistischen Darstellung des Vorfalls enthielten, wurden z.B. der Vizepräsident Cheney, DHS Sekretär Tom Ridge und zentrale Kongressabgeordnete in die Effekte des Szenarios mit einbezogen. Die Übung war alleine dadurch erfolgreich, dass sie die Teilnehmer und später auch den weiteren gebrieften Kreis, davon überzeugen konnte, dass es eine höchste Dringlichkeit gab, sich auf Bio-Anschläge vorzubereiten. Woolsey bemerkte hierzu, dass man es nun mit einem neuen Feind zu tun hatte: "wir sind es gewohnt über unsere Gesundheitsprobleme als natürlich auftretende Probleme zu denken, und damit befinden wir uns außerhalb des gedanklichen Konzeptes von bösartig handelnden Personen." Mit Krankheiten als Instrumente eines Anschlages, "befinden wir uns in einer Welt, in der wir bisher noch nie gewesen sind." Die Übung konnte eine Reihe von Verwundbarkeiten aufzeigen. Erstens verfügten die offiziellen Vertreter nicht über ein Echt-Zeit-Empfinden -eine "situative Wachsamkeit" -gegenüber den verschiedenen Aspekten der Krise, während die sich entwickelte. Die Szenario-Designer formulierten dies so: "Dieses Fehlen von Informationen, die zentral für die situative Wachsamkeit der Verantwortlichen im Szenario Dunkler Winter ist, zeigt deutlich, dass nur wenige Systeme existieren, die den zügigen Informationsfluss zwischen medizinischen und Public Health Institutionen sicherstellen können, die in einem derartigen Notfall notwendig sind" (O`Toole et al. 2002: 980) . Zweitens konnten die Verantwortlichen ohne einen ausreichenden Vorrat an medizinischen Gegenmaßnahmen die Krise nicht angemessen managen. Drittens, gab es eine Kluft zwischen Public Health und nationaler Sicherheits-Expertise: "Es ist nicht nur eine Frage des vorhandenen Impfstoffs", meint Woolsey. "Es ist auch eine Frage, wie wir die Fachkreise der Public Health und die der nationalen Sicherheit unter ein Dach bekommen, damit wir die verschiedenen Facetten des Problems bewältigen können." Die Teilnehmer hatten ganz konkrete Verbesserungsvorschläge. Nunn plädierte für eine Impfung von Rettungskräften weit im Vorfeld eines Anschlages: "jeder der Personen, die ihr mobilisieren müsst, muss geimpft werden. Du kannst nicht erwarten, dass sie da reingehen und sich oder ihre Familien den Pocken oder einem anderen tödlichen Virus aussetzen, ohne dass sie vorher geimpft werden." Hauer, ein ehemaliger New York City Notfallmanager, thematisierte das Problem der Impfstoffverteilung in den Städten: "Die logistische Infrastruktur, die man benötigt, um die Menschen in New York City, Los Angeles und Chicago zu impfen, ist schlicht unfassbar." Die grundlegendere Lektion des ganzen Szenarios war jedoch die Erkenntnis, dass ein Anschlag zuvor imaginär herbeigeführt werden muss, damit man für ihn gewappnet ist. Hamre formuliert das so: "Wir hatten keine Strategie wie man damit umgehen sollte, weil wir das Ganze nie gedanklich durchgespielt hatten. Die ganze Krise systematisch durchzuspielen wird nun ein Kernelement dessen sein, was notwendig ist. Ganz klar werden noch viele weitere Übungen benötigt." In der Zeit zwischen 2001 und 2005 konnte man eine massive Aufstockung des zivilen Bio-Verteidigungsetats der USA beobachten, die Teil der Regierungs-Reaktion auf die Anschläge des 11. Septembers sowie der Anthrax-Briefe 16 waren. Bis 2005 waren die Anstrengungen der Biologischen US-Preparedness auf die spezifischen Bedrohungen wie Pocken oder Anthrax gerichtet. Der Ausbruch von SARS in 2004 sowie die zunehmende Aufmerksamkeit hinsichtlich einer sich entwickelnden Vogelgrippenpandemie waren der Grund, dass sich die Bio-Sicherheits-Experten einem breiteren Spektrum der Krankheitsbedrohungen zugewendet haben. Dieser Prozess wurde durch die fehlgeschlagene Reaktion der Regierung auf die Katastrophe des Hurrikan Katrina noch einmal intensiviert. Für die Vertreter der Preparedness-Rationalität war Katrina eine lebensnahe Übung, die die Lücken im System der Preparedness aufzuzeigen vermochte. Das Problem der Vogelgrippe erschien -bezogen auf die Verletzlichkeit der nationalen Public Health Infrastruktur -nun in einem anderen Licht. Für Senator Richard Burr, seines Zeichens Vorsitzender des Unterkomitees der Public Health Preparedness, offenbarte Katrina die instabile Infrastruktur des öffentlichen Gesundheitssektors auf allen Regierungs-Ebenen, die in einen derartigen Notfall involviert sind (US Senate 2006c). Burr zufolge war die Herausforderung vergleichbar mit der Errichtung der nationalen Highway Infrastruktur der 1950er. "Für das Wohl der Volksgesundheit und ihren Schutz benötigen wir ein nationales standardisiertes Gesundheitssystem", so Burr. Solch ein System müsste über die Vorbereitung auf bekannte Bedrohungen hinausgehen: "Die Frage, die sich stellt, ist: Sind wir schlau genug, um eine Schablone zu entwerfen, die uns die zukünftigen Bedrohungen angehen lässt, die wir noch nicht kennen?" Wie sollte ein System, welches das Unerwartbare vorhersehen musste, notwendigerweise aussehen? Die Aufgabe war, die Bestandteile eines biologischen Preparedness Systems auf der Basis des Wissens über die Verwundbarkeit der Vergangenheit zu kreieren. Den Behördenvertretern zufolge war das gravierendste Problem, welches durch den Hurrikane Katrina offengelegt wurde, das der Verortung der Verantwortung in einer Notfall-Situation. Der ehemalige Heimat-Sicherheits-Berater Richard Falkenrath sagte, dass "die staatlichen und lokalen Gesundheitsbehörden nicht fähig seien, die Reaktionen auf einen katastrophenartigen Krankheitsvorfall angemessen zu koordinieren." Das Gesundheitsministerium, so Falkenrath (2006) weiter, "wird ganz einfach nicht in der Lage sein, die Erwartungen der amerikanischen Bevölkerung an die Bundesbehörden im Falle einer Katastrophe wie einer tödlichen Pandemie oder eines gravierenden bioterroristischen Anschlages zu erfüllen." Er war insbesondere besorgt, dass es zu Unruhen in der Bevölkerung kommen könnte, die auf "das Fehlen von vitalen, lebensrettenden Gegenmaßnahmen hinsichtlich der in Frage kommenden Krankheit" zurückzuführen wären, so wie es sich beim Szenario Dunkler Winter abspielte. Falkenrath konzentrierte sich auf die Logistik der Impfstoffverteilung als das zentrale Problem, welches angegangen werden müsste. "Ich meine etwas sehr, sehr Spezifisches, das helfen wird, die lebensrettende Medizin zu riesigen Bevölkerungsgruppen in sehr, sehr kurzer Zeit zu bringen. Denn sie sind zu diesem Zeitpunkt verängstigt, weil sie von einer Krankheit mitbekommen, von der sie nicht wissen, wie sie mit ihr umgehen sollen." Falkenrath zitiert dazu Belege aus "einer großen Bandbreite von Planspielen und Simulationen", um seine Behauptung zu untermauern, dass die staatlichen Gesundheits-Behörden nicht über die operativen Fähigkeiten verfügen würden, um die medizinische Versorgung in einer Krise sicher stellen zu können. "Die Implikationen seien unausweichbar: die Umsetzung der Pläne, sofern sie in Kürze einem ernsthaften Katastrophen-Szenario unterzogen würden, würden fehlschlagen." Damit einher gingen klare politische Konsequenzen: der nationale Reaktions-Plan sollte dahingehend korrigiert werden, dass die Verteilung des medizinischen Bestandes im Falle eines Krankheits-Katastrophe auf das Militär übertragen werden sollte. Dies geschah auf Anordnung des Präsidenten. "Nur das Verteidigungsministerium verfügt über die Planungs-, Logistik-und personellen Ressourcen, die medizinische Rettungsaktionen auf nationaler Ebene bei einem Krankheits-Katastrophen-Szenario in der Originalgrößenordnung benötigen." Die Szenarien-basierte Übung realisierte also die Autorisierung von Wissensansprüchen in Abwesenheit eines realen Ereignisses. Am Ende des Jahres hatte sich der Kongress des Problems der Bio-Preparedness in einer nachhaltigen, umfassenden Art und Weise angenommen: Der Titel des Erlasses lautete: "The Pandemic and All-Hazards Preparedness Act of 2006." Selbst Kritiker des vorangegangenen Plans priesen den Gesetzeserlass als "Meilenstein" der Public Health Gesetzgebung (Mair/Maldin/Smith 2006) . Das Gesetz enthielt eine Reihe von Maßnahmen: von der Reorganisation der Bundesgesundheitsverwaltung bis zu Finanzierunghilfen der lokalen und staatlichen Gesundheitsinstitutionen, der Ausbildung von epidemiologischen Ermittlungsbeamten, und einer neuen biomedizinischen Forschungsinitiative. Ein Kernelement des Gesetzes war das Bestreben danach, wie ein umfassendes "System" der Bio-Preparedness installiert werden könnte. Eines, das sich von der Krankheitsaufdeckung über die Impfstoffproduktion ausweitete, bis hin zu den Beziehungen zwischen den verschiedenen Regierungsakteuren in verantwortlichen Positionen. Dieses System war nicht nur spezifisch auf Grippe-Pandemien ausgerichtet, sondern auf eine grundsätzliche Form der biologischen Bedrohung: das unvorhersehbare, aber potentiell katastrophenartige Krankheitsereignis. Es gab eine grundsätzliche Übereinstimmung unter den Bio-Preparedness Vertretern, dass das Angehen dieser Bedrohung nicht nur eine Frage der Public Health war, sondern eine der nationalen Sicherheit. Während die Verbindung zwischen nationaler Sicherheit und Public Health an sich nichts Neues war, war es der Versuch die Institutionen, die Wissensformen und die Interventions-Technologien, welche in der Zeit der modernen Public Health entwickelt wurden, in ein grundlegendes System der Preparedness zu integrieren, und damit in den Kontext einer weiteren Sicherheitsproblematik, die die Verletzlichkeiten der lebenswichtigen staatlichen Systeme fokussiert. Zum Schluss möchte ich die Kampagne gegen die Schweinegrippe von 1976 mit den Pandemie-Preparedness Maßnahmen, wie sie drei Jahrzehnte später entwickelt wurden, vergleichen. 17 Bei einer schematischen Gegenüberstellung kann man feststellen, dass sich die zwei technologisch-politischen Reaktionen grundlegend in der Art unterschieden, wie sie einer Krankheitsbedrohung gegenübertraten (vgl. Graphik 2). Der erste Vergleichspunkt ist die Auffassung von der Bedrohung, die gemanagt werden soll. Die Maßnahmen von 2005/06 richteten sich nicht nur auf die spezifische Bedrohung eines neuen und ansteckenden Grippe-Erregers, sondern auch auf die generische "katastrophenartige Krankheits-Bedrohung". Zweitens, unterschied sich das Ziel der Interventionen: während die 1976er Kampagne auf die nationale Bevölkerung abzielte und sich dafür klassischer gesundheitswissenschaftlichen Methoden bediente, waren die späteren Pläne auf diverse Elemente der Infrastruktur des öffentlichen Gesundheitssystems gerichtet. Dies galt für die Vereinigten Staaten ebenso wie auf einer globalen Ebene und umfasste die Krankheitsüberwachung, die Fähigkeit Gegenmaßnahmen zu entwickeln und zu verbreiten und die administrative Organisation der Reaktion. Der dritte Vergleichspunkt ist die Art des Wissens, das dazu eingesetzt wurde, die Expertenmeinungen über die erforderlichen Interventionen zu autorisieren: Während in 1976 die statistische Risikokalkulation basierend auf historischen Krankheits-Vorfällen die Maßgabe war, lag bei der Vogelgrippe die Betonung der Experten auf dem Wissen, das durch die imaginativen Verfügungen auf der Basis eines einzelnen Ereignisses generiert wurde. wie es uns der Fall des Hurricans Katrina leidvoll vor Augen geführt hat Testimony to House Government Reform Committee, Hearing on Government Pandemic Flu Planning Biohazard: The Chilling True Story of the Largest Covert Biological Weapons Program in the World-Told From Inside by the Man Who Ran It Bioterrorism Initiatives: Public Health in Reverse? In: American Journal of Public Health The Security of Vital Systems: How Critical Infrastructure Became a Security Problem b): Distributed Preparedness: Notes on the Genealogy of Homeland Security Preempting Emergence: The Biological Turn in the War on Terror Testimony to Senate Committee on Health Education and Labor From Chaos to Controlled Disorder: Syndromic Surveillance, Bioweapons, and the Pathological Future Security, Territory, Population. Lectures at the College de France The Coming Plague: Newly Emerging Diseases in a World out of Balance The Worlds of Herman Kahn: The Intuitive Science of Thermonuclear War Leaders and Crisis: the CSIS Crisis Simulations Emerging Infections: Microbial Threats to Health in the Center for Strategic and International Studies, ANSER, & Memorial Institute for the Prevention of Terrorism Commerce: Post-colonial Ideologies of Global Health Crisis Management: Some Opportunities Preparing for the Next Emergency Billions for Biodefense: Federal Agency Biodefense Funding, FY2006-FY2007 Remarks to the Convening of the States on Pandemic Influenza Preparedness Testimony to US Senate Special Committee on Aging, Hearing on Pandemic Flu Preparedness Observations on Modernity The Pandemic and All-Hazards Preparedness Act, UPMC, Center for Biosecurity Germs: Biological Weapons and America's Secret War Malaria: Evolution of a Killer Emerging Viruses The Epidemic That Never Was: Policy Making and the Swine Flu Scare Testimony to House to Committee on Government Affairs, Hearing on FEMA's Role in Managing Bioterrorist Attacks and the Impact of Public Health Concerns on Bioterrorism Preparedness Shining Light on 'Dark Winter The Hot Zone: A Terrifying True Story Bioterrorism: US Public Health and a Secular Apocalypse Pure Politics and Impure Science: The Swine Flu Affair Joint hearing on avian flu, House Homeland Security Committee: Prevention of Nuclear and Biological Attack Subcommittee with Emergency Preparedness Hearing of the Bioterrorism and Public Health Preparedness Subcommittee, Senate Health Education, Labor and Pensions Committee Press Release, November 1: President Outlines Pandemic Influenza Preparedness and Response America's Hidden Vulnerabilities: Crisis Management in a Society of Networks Terrorism and Biological Weapons: Forging the linkage in the Clinton Administration