key: cord-0035667-64mfqks9 authors: Schillmeier, Michael; Heinlein, Michael title: Risiko-Akteur-Netzwerke date: 2009-08-07 journal: Handeln unter Unsicherheit DOI: 10.1007/978-3-531-91674-3_16 sha: b8d2e0d0218df54a275820e030183c807a09b6f5 doc_id: 35667 cord_uid: 64mfqks9 Einen Monat nach dem globalen Ausbruch einer bisher unbekannten, jedoch hochgradig ansteckenden und lebensbedrohlichen atypischen „Lungenkrankheit“ – die Rede ist von SARS, einer Krankheit, die zum ersten Mal im Februar 2003 in einer südchinesischen Provinz beobachtet wurde – beschreibt David L. Heymann, Leiter der Abteilung Emerging and other Communicable Diseasesder World Health Organization(WHO), das spezifische Risiko- und Gefahrenpotential des Severe Acute Respiratory Syndrom: „SARS is emerging in ways that suggest great potential for rapid international spread under the favorable conditions created by a highly mobile, closely interconnected world. Anecdotal data indicate an incubation period of 2 to 10 days (average 2 to 7 days), allowing the infectious agent to be transported, unsuspected und undetected, in a symptomless air traveler from one city in the world to any other city having an international airport. Person-to-person transmission through close contact with respiratory secretions has been demonstrated. The initial symptoms are nonspecific and common. The concentration of cases in previously healthy staff and the proportion of patients requiring intensive care are particularly alarming. The „21 century“ disease could have other consequences as well. Should SARS continue to spread, the global economic consequences – already estimated at around US $ 30 billion – could be great in a closely interconnected and interdependent world.“ (WHO 2003: 5) "SARS is emerging in ways that suggest great potential for rapid international spread under the favorable conditions created by a highly mobile, closely interconnected world. Anecdotal data indicate an incubation period of 2 to 10 days (average 2 to 7 days), allowing the infectious agent to be transported, unsuspected und undetected, in a symptomless air traveler from one city in the world to any other city having an international airport. Person-to-person transmission through close contact with respiratory secretions has been demonstrated. The initial symptoms are nonspecific and common. The concentration of cases in previously healthy staff and the proportion of patients requiring intensive care are particularly alarming. The "21 century" disease could have other consequences as well. Should SARS continue to spread, the global economic consequences -already estimated at around US $ 30 billion -could be great in a closely interconnected and interdependent world." (WHO 2003: 5) Die Welt bekam es mit einem Akteur zu tun, der in der Lage war, gesellschaftliches und individuelles Leben zu tangieren, zu bedrohen oder gar zu vernichten. Gerade die Möglichkeit, dass wir Menschen mit Hilfe von Flugzeugen weltweit schnell von einem Ort zum anderen reisen können, machte die Gefährlichkeit des SARS-Virus aus, da dieser das Risiko darstellte, als eine Art blinder Passagier mitzureisen und sich so ebenso global entlang dieser Flugrouten und darüber hinaus auszubreiten. Da sich die Symptome nicht leicht erkennen ließen, konnte jeder Mensch, besser gesagt: jeder menschliche Körper, der sich zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Gebiet aufhielt, zu einem potentiellen Risiko und Verbreitungsmedium der Krankheit werden. Das gesellschaftliche und individuelle Leben wurde durch die Möglichkeit der Ansteckung mit einer zunächst unbekannten, aber potentiell tödlichen Virus-Krankheit in seinen alltäglichen privaten und öffentlichen, lokalen und translokalen Routinen und Bezügen in Frage gestellt, gefährdet und verändert. Das Tragen oder Nicht-Tragen von Atemmasken wurde zur Risiko-und Gefahrenpraxis in einem, da die damit verbundene gängige Differenz von Entscheidern und Betroffenen unterlaufen wurde. Man wusste weder wie man sich ansteckte noch ob man bereits angesteckt ist oder nicht. Gerade das Ärzte-und Krankenhauspersonal, dessen Auftrag es ist, Krankheiten abzuwehren, zu bekämpfen und zu heilen, wurde dadurch zu einem markanten Risikofaktor für eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus. In Singapur und anderen fernöstlichen Ländern wurde das gesellschaftlich so unthematisierte wie routinisierte Spucken in öffentlichen Räumen verboten, da man damit ein erhöhtes Ansteckungsrisiko verband. In Kanada wie in anderen Ländern wurden Schulen geschlossen, und zwar gerade dann (jedoch nicht nur), wenn sie sich in der Nähe von Krankenhäusern befanden. In China wurde zwischen zwei angrenzenden Universitäten eine Mauer gebaut, um so den als potentiell riskant eingestuften Kontakt großer Gruppen von Menschen einzuschränken und zu vermeiden. Quarantänen wurden in allen betroffenen Ländern errichtet, wobei Verstöße gegen die Quarantäne streng sanktioniert wurden (in China reichten die Sanktionen beispielsweise bis hin zur Todesstrafe). Für Gläubige wurden der Kirchgang und damit verbundene Praktiken wie z.B. der Empfang der Kommunion zu einer hoch riskanten Angelegenheit, die womöglich über Leben und Tod entscheiden konnte. Das Risiko, sich mit SARS anzustecken, wurde in Ontario/Kanada zwar niedrig eingestuft, doch wurde dennoch offiziell angeraten, sich regelmäßig und gründlich die Hände zu waschen, sollte man in Kontakt mit der Außenwelt stehen. Darüber hinaus stellte man fest, dass das öffentliche Gesundheitswesen für diesen Fall schlichtweg unzureichend und unterentwickelt war. Kommissionen wurden gegründet, die an neuen institutionellen Arrangements arbeiten sollten -ohne jedoch genau zu wissen, wie das bewerkstelligt werden sollte (vgl. Schillmeier 2008a) . SARS verwies somit auf das gleichermaßen strukturelle wie praktische Problem, auf einen öffentlichen Notstand dieser Tragweite adäquat zu reagieren. Privat/öffentliche Notstände, wie sie durch SARS ausgelöst werden Obwohl gerade im Falle solcher durch Viren ausgelöster Notstände die lokale Autonomie des öffentlichen Gesundheitswesens nicht zu gering einzustufen ist, gerät der lokale Umgang mit der Gefährdungslage an seine handlungsmächtigen Grenzen. Dies wurde auch in der kanadischen Diskussion um SARS und deren Folgen deutlich: "Although this system maximizes the ordinary local autonomy of local medical officers of health, municipal autonomy is hardly a value of superordinate importance when dealing with viruses that cross municipal, provincial, federal, national, and international boundaries. And the complicated legal machinery necessary to trigger the imposition of central powers, unless made infinitely more simple than the almost medieval system for provincial override of local public health boards, would deprive the provincial override of any practical value in a public health threat." (Campbell 2004: 204f) Die üblichen Sicherheitspraktiken und Identitätskontrollen an Flughäfen (beispielsweise das Durchleuchten von Gepäckstücken, Überprüfen von Pässen und Abtasten von Fluggästen) liefen hier ins Leere, so dass letztlich die Körpertemperatur von Menschen gemessen werden musste, um eine mögliche Infektion mit SARS festzustellen und damit auch über die Freiheit oder Einschränkung des Reisens zu entscheiden. Das SARS-Virus war jedoch nicht nur in der Lage, Sicherheitseinrichtungen und Identitätskontrollen global (Hong Kong, Frankfurt, Toronto, New York, etc.) zu unterlaufen, sondern erwirkte auch die verstärkte Implementierung neuer globaler, nationaler und lokaler Governancestrukturen und -prozesse sowie neuer Formen von Überwachungstechnologien (vgl. SARS Watch™ Org; Roloff 2007; Schillmeier 2008a) . Institutionell vorausgesetzte Nationalstaatsgrenzen wurden durch das Virus außer Kraft gesetzt und in ihrer Einhegungs-und Kontrolllogik eingeschränkt. Dies zeigte sich zum Beispiel auch an den anfänglichen Schwierigkeiten institutioneller Zusammenarbeit über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Es war gerade der weltöffentliche Druck auf China, der dazu führte, dass China seine nationalen Idiosynkrasien im Umgang mit SARS überdachte und eine transnationale Zusammenarbeit anstrebte. Das SARS-Virus war also in der Lage, unterschiedliche Orte in unterschiedlichen Kontinenten, kranke und gesunde Körper betroffener und nicht-betroffener Menschen, verschiedene medizinische Praktiken, Sicherheitseinrichtungen an Flughäfen, lokale, regionale, nationale, transnationale, politische, juristische, ökonomische und religiöse Ordnungszusammenhänge zu politisieren, differente kulturelle Wahrnehmungsmuster der Gefährdungslage in Konflikt zu bringen aber auch miteinander zu verknüpfen, etc. Dadurch wurde SARS zu einem hochmobilen Risiko-Akteur, der -völlig indifferent gegenüber den gewohnten Grenzen sozialer Ordnungs-und Regulierungszusammenhänge und ihrer Beobachtungsroutinen -drohte, sich hochgradig folgenreich im globalen Maßstab auszubreiten. SARS markiert ein "kosmo-politisches Ereignis" (Schillmeier & Pohler 2006) : Es stellt einen grenzüberschreitenden, öffentlichen Akteur dar, der nicht nur gesellschaftliche Ordnungsmuster, sondern auch die etablierten Routinen seiner Beschreibung kontingent erscheinen lässt und reformuliert. Die Bedeutung von SARS liegt darin, dass es sich -paradoxerweise -der Macht sozialer Zuschreibung, "Sinn" zu kommunizieren, entzieht. SARS als kosmo-politisches Ereignis agiert vielmehr als ein paradoxer Sinnstifter, der seine soziale Relevanz in genau dem Moment aktualisiert, in dem er den Kosmos der jeweiligen Sinn-und Wissensarrangements sozialer Praxis verunsichert und gefährdet. Für SoziologInnen muss es sich bei dem SARS-Virus um einen sonderbaren Akteur handeln, dem man eigentlich gar keine Handlungsmacht zuschreiben kann, da es hier ja kein Mensch ist, der denkend, wahrnehmend und fühlend sich auf andere Menschen bezieht und so soziales, d.h. sinnhaftes Handeln initiiert. Vielmehr haben wir es mit einem für die alltägliche Wahrnehmung und Interaktion unsichtbar bleibenden -aus soziologischer Sicht im wahrsten Sinne des Wortes "sinnlosen" -Akteur zu tun, einem Virus nämlich, dem es mit der unintendierten Hilfe des Menschen möglich war, seinen ontologischen Status so zu verändern, dass er für menschliches und gesellschaftliches Leben eine massive Bedrohung darstellte. Der Auslöser bzw. Ursprung von SARS ist ein sogenanntes Coronavirus, dem es gelang, von einem für den Menschen ungefährlichen Virus, das man vor allem in wilden Zibet-Katzen findet (die in bestimmten asiatischen Teilen als kulinarische Delikatesse gelten), zu einem für den Menschen hochgradig ansteckenden und gefährlichen Virus zu transmutieren und SARS auszulösen. Evelyn Roloff beschreibt die Gefährlichkeit der Biographie von SARS wie folgt: (Roloff 2007: 9) Das globale Risiko von SARS bestand also darin, dass es sich um eine Viruserkrankung handelte, die das Potential in sich trug, sich entlang der globalen Vernetzung weltweiter Strukturen rasend schnell zu verbreiten und so womöglich eine Pandemie auszulösen, deren globale Folgen katastrophal wären. Das Virus hat sich, wie man sagen kann, die "interconnectedness" unserer Welt zunutze gemacht, diese gleichzeitig aber auch zu einem globalen Risiko werden lassen. Handlung, kognitiv/nicht-kognitiv, menschlich/nicht-menschlich, Sinn/Nicht-Sinn bestimmen lassen, sondern gerade in der Infragestellung dessen, was unterschieden und sukzessive ausgeschlossen wird. Das SARS-Virus geht nicht nur aus einer Verknüpfung menschlicher und nicht-menschlicher Elemente hervor, sondern verknüpft auch selbst menschliche und nicht-menschliche Akteure und stellt dadurch sein epidemisches und damit immer auch soziales Potential her. Bereits an dieser Stelle lässt sich erkennen, dass mit dem Risiko-Akteur SARS eine prozessuale, man könnte auch sagen, eine propagationale Perspektive von Handlung erforderlich ist, die sich der klassischen Konzeptionen und Begrifflichkeiten sozialwissenschaftlicher Methode entziehen. SARS stellt einen riskanten Akteur dar, der in seinem Tun und in seinen Aktionen für Turbulenzen, Probleme und Irritationen sorgt, der auf seinem Weg durch die globale Welt Spuren hinterlässt und Menschen und Dinge auf eine Weise "infiziert", so dass eindeutige Ontologien und Unterscheidungen in Frage gestellt werden. Da hilft es auch wenig, zwischen Individuum und Gesellschaft oder Handlung und System vermitteln zu wollen oder gar den Begriff "Kultur" an deren Stelle treten zu lassen, um sich endgültig von so etwas wie "Natur" zu verabschieden. Die Soziologie ist vielmehr durch Risiko-Akteure wie SARS, die sich völlig indifferent gegenüber den Konzepten, Methodologien und Handlungstheorien der Sozialwissenschaften positionieren, aufgefordert, ja gerade dazu gezwungen, ihre hegemonialen Unterscheidungen, Methodologien und Ideologien zu hinterfragen. Das macht die "Kosmo-Politik" solcher Risiko-Akteure aus, die durch ihre Praxis gerade die tradierten Unterscheidungsroutinen und die damit verbundenen sozialen Ordnungszusammenhänge hinterfragen, verunsichern und verändern (vgl. Schillmeier 2008a, d; Schillmeier/Pohler 2006) . Handlungsmacht oder die Macht der Limitierung und Verweigerung -so lässt sich weiter argumentieren -ist dann nicht der Effekt exklusiver Perspektiven (des Subjekts oder allgemein des Beobachters), sondern die Folge inklusiver Differenzen, d.h. die Folge der Verknüpfungen heterogener Elemente, die dann zum Beispiel die Handlungen von "Subjekten" und "Objekten", menschlichen und nicht-menschlichen "Gesamtheiten" (Tarde 2009 ) bestimmen und so als "hybride Akte" (Tarde 1969 Die Differenz des Sozialen wird so durch Prozesse der Propagation und Transmission, d.h. durch Prozesse der Zirkulation und Assoziation, der Verknüpfung und Übersetzung ermöglicht. Diese sind es auch, die soziale Wirklichkeit als Möglichkeit bestimmen und nicht umgekehrt. Akteure innerhalb einer solcher selbst-propagierenden sozialen Welt sind grundsätzlich Risiko-Akteure, die die Konfigurationen des Sozialen ständig "re-assoziieren" (Latour 2007) . Somit benennt das Soziale selbst einen riskanten Zeit-Raum, d.h. einen permanenten Prozess der Propagierung, Verknüpfung und Übersetzung sozialer und nicht-sozialer, menschlicher und nicht-menschlicher Gesamtheiten: Unter dem Einfluss des kosmo-politischen Ereignisses SARS kann das "Soziale" nicht mehr als abstrakter globaler Raum vom Nicht-Sozialen (Sach-und Zeitdimension) unterschieden und zu dessen Erklärung herangeführt werden. Indem SARS die Psycho-mit der Sach-und Zeitdimension verknüpft, wird es vielmehr selbst erklärungsbedürftig. Das, was wir Soziologen als gesellschaftliche Wirklichkeit verstehen, wird dadurch zu einem dis-lokalisierten und heterogenen, d.h. zu einem zeit-räumlich und materialen multiplen Ereignis. In methodischer Hinsicht ist hier wichtig zu sehen, dass dadurch sowohl der Beobachtungsgegenstand als auch der sozialwissenschaftliche Beobachter zu einem in Frage zu stellenden und in Frage gestellten gesellschaftlichen Akteur werden. Was also zeichnet das Virus vor diesem Hintergrund aus? Wir behaupten, dass es gerade dessen Fähigkeit ist, Heterogenität, d.h. Ungleichartigkeit zu erkennen und für das eigene Sein zu übersetzen. Die Praxis des Virus, sich zu erhalten und auszubreiten, anerkennt dabei Unein-heitlichkeit und gebraucht die dadurch entstehenden Veränderungen zur Stabilisierung des eigenen Seins und Tuns. Viren müssen das Andere (z.B. die Zelle) "begehren", um das sein zu können, was sie sind. Die prekäre Folge dieser Praxis des "Begehrens" besteht jedoch darin, dass das Virus den Kosmos, d.h. die Ordnung seiner selbst und die der anderen verändert. So differieren soziale Handlungszusammenhänge von nicht-sozialen Handlungszusammenhängen (biologischen, physikalischen, chemischen) gerade dadurch, dass sie sich mit diesen assoziieren bzw. "begehren" und diese von ihren Potentialen zu überzeugen versuchen. Mit Gilles Deleuze und Felix Guattari lassen sich die hybriden Akte solcher Risiko-Akteure des Sozialen wie folgt beschreiben: "Propagation by epidemic, by contagion, has nothing to do with filiation by heredity, even if the two themes intermingle and require each other. (…) The difference is that contagion, epidemic, involves terms that are entirely heterogeneous: for example, a human being, an animal, and a bacterium, a virus, a molecule, a microorganism. (…) These combinations are neither genetic nor structural; they are interkingdoms, unnatural participations. That is the only way Nature operates -against itself. (…) There are (…) as many differences as elements contributing to a process of contagion. (…) These multiplicities with heterogeneous terms, cofunctioning by contagion, enter certain assemblages." (Deleuze/Guattari 1987: 266f) Zentrale Merkmale einer solchen Logik der Propagation sind Prozess, Verknüpfung und Heterogenität. Dies entspricht ziemlich genau der Rede von Akteur-Netzwerken (Callon 1986 (Callon , 1991 Latour 2007; Schillmeier & Pohler 2006) , deren Handlungspotentiale sich nicht in den Akteuren oder Dingen selbst befinden, sondern in den materialen (Inter-)Mediationen von heterogenen Elementen. Für Michel Callon ist "... an intermediary (...) anything passing between actors which defines the relationship between them. (...) Sociologists assume that every actor contains a hidden but already social being: that agency cannot be dissociated from the relationships between actors. (...) Actors define one another in interaction -in the intermediaries that they put into circulation." (Callon 1991: 135) Somit ist jede Aktion der Effekt einer triadischen Struktur von Übersetzungsprozessen heterogener Akteure und (Inter-)Mediatoren. Interessanterweise wird damit jeder Akteur zu einem Akteur durch ein Netzwerk von Mediatoren. Akteure sind Netzwerke und Netzwerke sind Akteure, die wiederum nichts anderes sind als Übersetzungen heterogener Gesamtheiten. Dieser Zusammenhang begründet ein handlungstheoretisches Unterfangen "in which what counts are the media-tions and not the sources" (Callon 1998: 267) . Das ist die Quintessenz einer primär prozessorientierten, handlungstheoretisch ausgelegten Konzeption der Möglichkeits-‚Zeit-Räume' des Sozialen (Schillmeier 2008b) , die sich prinzipiell von einer kognitivistischen, kulturalistischen oder kommunikationstheoretischen Perspektive und Methodologie unterscheidet. Das wird allein schon dadurch sichtbar, dass man im Sinne der Akteur-Netzwerktheorie weiterhin von "Subjekten" und "Objekten" sprechen kann, ohne sich auf ein wissendes Subjekt und ein wissbares Objekt zu reduzieren (bzw. reduzieren zu müssen) bzw. im Zuge von Kommunikation in die Umwelt der Gesellschaft zu verbannen. Vielmehr werden Subjekte und Objekte durch dritte Akteure -eben jene (Inter-)Mediatoren -zu dem, was sie sind: je spezifische Mittler von Handlungspotenzialen. Wir haben es hier, wie man weiter argumentieren kann, mit einer Neo-Monadologie des Sozialen im Sinne von Gabriel Tarde zu tun, bei der soziale Zusammenhänge nur durch die "Überzeugung" und das "Begehren" der beteiligten heterogenen Elemente -oder, wie Tarde sagen würde, der entgegenstrebenden Kräfte -die Differenz und Wiederholung von Akteur-Netzwerken und somit soziale Wirklichkeit ermöglichen (Schillmeier 2009a; Tarde 2009; Latour 2009 Tarde (2003) ist die Nachahmung solcher Ereignisse, die es trotz der Individualität des Einzelnen erlauben, das vereinende, universale Begehren und den Glauben der Einzelnen zu kommunizieren, zu übersetzen. Derartige Transmissionen können sowohl innerhalb eines und/oder zwischen Menschen stattfinden. Dieser homogene Prozess formt in Folge der Kommunikation von Glauben "spezifische Ideen, präzise Urteile" und in Folge der Kommunikation des Begehrens spezifische "Handlungen oder Bedürfnisse" (Tarde 1969: 96) und so "soziale Kräfte und Quantitäten" (Tarde 1969: 95; Übersetzung MS), die als "Nachahmungsstrahlen" sozial diffundieren und zu sozialen Objekten -z.B. zu Objekten der Sozial-Statistiker -werden. Überzeugung und Begehren, Wunsch und Glauben sind Tendenzen, Energien, Kräfte. Ganz im Gegensatz zu exklusiv gedachten autopoietischen, geschlossenen sozialen Systemen (die im Sinne Luhmanns sowieso weder handeln noch denken können, sondern nur eigenlogisch kommunizieren) oder zur Idee rationaler Akteure (die dadurch, dass sie denken, handeln) kommunizieren, denken und handeln Akteurnetzwerke in der Folge inklusiver Differenzen, die nur in der Verknüpfung (Begehren und Überzeugen) mit dem Anderen das sind, was sie haben. Letzteren Zusammenhang aufzuzeigen war Gabriel Tardes große Leistung, die hier als direkter Anknüpfungspunkt dient für das in diesem Rahmen nur in aller Kürze vorgestellte Handlungs-Konzept. Tarde entwickelte in seinen Schriften eine empirisch ausgelegte Handlungslogik des Sozialen, das sich aus der Propaga-tion, der Übersetzung, der Heterogenität und Differenz von Menschen und Dingen bildet. Tarde verknüpft damit eine Philosophie des Habens von Sozialität, die sich von einer Philosophie des Seins von Sozialität unterscheidet, die Propagation, Übersetzung, Heterogenität und Differenz nur sozial erklären kann. Für die Leibnizsche Monadologie heißt dies der Übergang von einer fensterlos gedachten Monaden-Welt (exklusive Perspektive) hin zu einer offenen Welt (inklusiver Differenzen). Letztere zeichnet sich durch nichts anderes als durch das Begehren und Überzeugen-Wollen des Anderen aus. Die Monadologie des Sozialen -für Leibniz wie für Tarde -ist kosmologisch gedacht; sie gilt für alle Gesamtheiten, ob menschlich oder nicht-menschlich, ob organisch oder anorganisch. So verstanden sind Risiko-Akteure kosmologische Gebilde, deren Anfang und Ende sich der Kosmo-Politik des ausgeschlossenen Anderen verdanken. Das heißt radikal weitergedacht: Anfang und Ende von Homogenität ist Heterogenität, Anfang und Ende von Sozialität ist Individualität, Anfang und Ende der Soziologie ist die Psychologie, Anfang und Ende des Materiellen ist das Geistige -das ist Tardes Grundgedanke, und er entzieht somit jeglicher Praxis den Nährboden, die sich einem methodologischen Materialismus, einem methodologischen Soziologismus oder gar methodologischen Nationalismus zuwenden könnte. Dazu Tarde: "Wenn es in ihnen nichts als das Soziale und besonders das Nationale gäbe, so könnte man davon ausgehen, dass die Gesellschaften und Nationen ewig unveränderlich blieben. Doch trotz des großen Einflusses unseres sozialen und nationalen Milieus, ist es offensichtlich, dass ihm nicht alles geschuldet ist. Ebenso wie wir Franzosen oder Engländer sind, sind wir auch Säugetiere, in deren Blut nicht nur die Anlagen sozialer Instinkte liegen, welche uns prädisponieren, es unseres gleichen nachzutun, an das zu glauben, was sie glauben und zu wollen, was sie wollen, sondern auch Fermente nichtsozialer Instinkte, unter denen sich auch nicht-soziale befinden." (Tarde 2009:81) Dies handlungstheoretisch zu reflektieren, kann ein soziologischer Beitrag sein, der sich jenseits einer Philosophie des Seins des Sozialen verortet und sich so der primären Logik erstmoderner Entweder-Oder-Kalküle entzieht. Daran werden dann auch die Relevanzen einer neuen kritischen Sozialwissenschaft zu bewerten sein, die sich von einer klassischen ,Kritik des Sozialen ' (vgl. Schillmeier 2009a ' (vgl. Schillmeier , 2009b dadurch unterscheidet, dass sie methodologisch das ,Soziale' nicht durch die Exkludierung des Nicht-Sozialen bestimmt, sondern gerade als Folge der inklusiven Differenzen sozialer und nicht-sozialer Konfigurationen. Es werden so kosmo-politische Prozesse sichtbar und beschreibbar, die die Zirkulation, die Neu-und Umverteilung sowie die Produktion von Wissen und Nichtwissen vor dem Hintergrund von potentiell unsicherem und zukunftsoffenem und damit auch immer zukunftsbeschränkendem Wissen und Nicht-Wissen bestimmen und die Routinen tradierter Unterscheidungen riskant und öffentlich streitbar werden Möglichkeitsräume des Zukünftigen, die wiederum heterogene soziale Szenarien initiieren und damit Handlungspragmatiken erfordern, die sich genau dieser riskanten Praxis (und deren Folgen) von Zukunft in der Gegenwart zuwenden. Mit SARS konnten wir zeigen -wenn auch in allzu kurz vermittelter Form -dass die Thematisierung von Risiko-Akteur-Netzwerken genau auf diese empirische Brisanz des experimentellen Charakters des Sozialen verweist. Die Beschreibung von Risiko-Akteur-Netzwerken ermöglicht es gerade auch, Handlungsmacht jenseits kognitivistischer, kulturalistischer und sozialkonstruktivistischer Routinen zu thematisieren. Dies theoretisch wie method(olog)isch zu reflektieren erscheint uns als eine entscheidende und produktive Aufgabe für eine kritische, zweitmoderne Sozialwissenschaft zu sein Some Elements of a Sociology of Translation: Domestication of the Scallops and the Fishermen of St. Brieuc Bay Techno-economic Networks and Irreversibility The SARS Commission Interim Report. SARS and Public Health in Ontario A Thousand Plateaus. Capitalism and Schizophrenia Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft Eine andere Wissenschaft des Sozialen? In: G. Tarde, Monadologie und Soziologie. Vorwort. Herausgegeben und übersetzt von M. Schillmeier und J. Sarnes (S. 7-15). Frankfurt a.M.: Suhrkamp Actor Network Theory and After Emerging Viruses The SARS Outbreak: Global Challenges and Innovative Infection Control Measures Assembling Around SARS: Technology, Body Heat, and Political Fever in Risk Society Die SARS-Krise in Hong Kong. Zur Regierung von Sicherheit in der Global City Riskante Routinen. Die Weltgesellschaft in Klimaturbulenzen Globalizing Risks. The Cosmo-Politics of SARS and its Impact on Globalizing Sociology Time-Spaces of Becoming In/dependent and Dis/abled Visual) Disability. From Exclusive Perspectives to Inclusive Differences Zu Gabriel Tardes Neo-Monadologie. Nachwort The Social, Cosmopolitanism and Beyond Kosmo-politische Ereignisse. Zur sozialen Topologie von SARS On Communication and Social Influence Die Gesetze der Nachahmung Monadologie und Soziologie. Vorwort. Herausgegeben und übersetzt von M. Schillmeier und Epidemic and Pandemic Alert and Response, SARS -multi-country outbreak -Update