key: cord-0033428-e9dqhydb authors: Krönke, M. title: Die Dialektik der Wissenschaftsfreiheit vor dem Hintergrund der Bioterrorismus-Bekämpfung date: 2003 journal: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz DOI: 10.1007/s00103-003-0723-1 sha: 2d1a5ceebde6346a9c0051d4efc9f7ef05f36ac8 doc_id: 33428 cord_uid: e9dqhydb Die mikrobiologische Forschung ist durch die jüngsten Ereignisse in den USA in unerwartet scharfer Form auf den Prüfstein gestellt worden. Nach dem 11. September 2001 und den darauf folgenden Milzbrandanschlägen wurde dem Terrorismus und speziell dem Bioterrorismus in den USA die höchste Priorität eingeräumt. Damit verbunden war auch eine Problematisierung vor allem der mikrobiologische Forschungsfreiheit. Im vorliegenden Artikel wird daher der Versuch unternommen, einen Überblick über den „Dualuse“- Charakter und die möglichen Gefahren der mikrobiologischen Grundlagenforschung zu geben und auf die negativen Auswirkungen von Selbstzensur, einschränkenden Gesetzesbestimmungen und einseitiger Forschungsförderungspolitik aufmerksam zu machen. Die mikrobiologische Forschung ist durch die jüngsten Ereignisse in den USA in unerwartet scharfer Form auf den Prüfstein gestellt worden. Nach dem 11. September 2001 und den darauf folgenden Milzbrandanschlägen wurde dem Terrorismus und speziell dem Bioterrorismus in den USA die höchste Priorität eingeräumt. Damit verbunden war auch eine Problematisierung vor allem der mikrobiologische Forschungsfreiheit. Im vorliegenden Artikel wird daher der Versuch unternommen, einen Überblick über den "Dualuse"-Charakter und die möglichen Gefahren der mikrobiologischen Grundlagenforschung zu geben und auf die negativen Auswirkungen von Selbstzensur, einschränkenden Gesetzesbestimmungen und einseitiger Forschungsförderungspolitik aufmerksam zu machen. Im Januar 2003 fand in der National Academy of Science in Washington ein Treffen zum Thema Wissenschaft und Sicherheit statt.Vor dem Hintergrund des Bioterrorproblems diskutierten führende Wissenschaftler darüber, wie wissenschaftliche Informationen behandelt werden sollen, die eine potenzielle Gefahr für die Sicherheit der Nation darstellen [1] . Die anwesenden Mikrobiologen beklagten den Verlust ihrer Unschuld, die gleichzeitig geladenen Sicherheitsexperten warfen den Mikrobiologen Naivität und grobe Fahrlässigkeit vor. Der Generalsekretär der Abteilung Bioterrorismus des Verteidigungsministeriums brachte es auf den Punkt, indem er sagte: "Ich möchte nicht vor den Särgen meiner Familie, meiner Kinder und Enkelkinder stehen, weil ein naiver und arroganter Haufen von Leuten voller Hybris nicht einsehen wollte, dass da ein Problem existiert." Ginge es also allein nach den militärischen Sicherheitskräften, würde die Einschränkung der Forschungsfreiheit drohen und damit evtl. sogar die Fortentwicklung der mikrobiologischen Wissenschaften auf dem Spiel stehen. 1) Das Gesetz sieht die Vernichtung jedes der gelisteten Erreger vor, wenn nicht aktiv wissenschaftlich an ihm gearbeitet wird.Auch Erreger, die im Rahmen der Diagnostik identifiziert werden, sind innerhalb von 7 Tagen zu vernichten. Die ersten Verhaftungen und Verurteilungen von Wissenschaftlern, die diese Auflagen verletzt hatten [3] , führten dazu, dass viele Wissenschaftler überstürzt darangingen, ihre oft mühsam gesammelten Kollektionen an Erregerstämmen zu vernichten. Damit gehen natürlich wertvolle Stammsammlungen unwiederbringlich verloren. 2) Das Gesetz sieht eine Sicherheitsüberprüfung von allen Wissenschaftlern, die mit den genannten Erregern aktiv forschen, durch das Innenministerium vor. Überprüft werden auch solche Personen, die nur potenziell Zugang zu den Laborräumen haben. Darunter fallen also auch alle Verwaltungskräfte und das Reinigungspersonal, das in dem Bereich tätig ist. Dies führt zwangsläufig zu einer Isolierung und Ausgrenzung von Mikrobiologen, da sich andere, eigentlich unbeteiligte Personen und Wissenschaftler nicht unbedingt dieser zusätzlichen Sicherheitsüberprüfung unterziehen wollen. 3) Der Umgang und der Zugang zu den gelisteten Erregern ist allen Wissenschaftlern untersagt, die aus Ländern stammen, die mit der Unterstützung von Terror in Verbindung gebracht werden. Darunter fällt beispielsweise auch der Iran. Ob durch diese Maßnahmen der Bioterror zurückgedrängt werden kann, scheint indes mehr als fraglich, was im Folgenden näher erläutert werden soll. Naturgemäß hat gerade die mikrobiologische Forschung einen so genannten Dual-use-Charakter, d. h., ihre Ergebnisse können häufig sowohl für aggressive als auch für friedliche Zwecke, z. B. zum Wohle der Gesundheit, Anwendung finden. So attraktiv der Gedanke an eine vorsorgende Kontrolle in der mikrobiologischen Forschung auch manchem erscheinen mag, so führt doch das Prinzip der Unumkehrbarkeit des wissenschaftlichen Fortschritts derartige Bemühungen zwangsläufig ad absurdum. Humanpathogene Erreger sind prinzipiell überall verfügbar.Auch wenn heute der Austausch von Anthrax und Pesterregern zwischen Wissenschaftlern und Institutionen unterbunden würde, so sind diese Erreger nach wie vor in ihrer natürlichen Umgebung anzutreffen, werden im Rahmen der mikrobiologischen Diagnostik regelmäßig isoliert und dürften durch die vorhandenen bioterroristischen Labors jeder anderen interessier- Aufgrund der gegenwärtigen Lage kann sich die Mikrobiologie allerdings der Diskussion um die Forschungsfreiheit nicht entziehen und muss eine eindeutige Position einnehmen. Zugegebenermaßen kann die mikrobiologische Grundlagenforschung potenziell, d. h. auch ohne die Absicht eines Missbrauchs, Gefahren bergen. Die angewandte Forschung rechtfertigt sich durch den von ihr mit Wahrscheinlichkeit zu erwartenden unmittelbaren Nutzen (zur Übersicht s. [8] ). Der Nutzen der Grundlagenforschung -speziell in der Mikrobiologie -ist dagegen nicht immer sofort zu erfassen. Er kann sich unmittelbar oder mittelbar und auf kurze oder auf lange Sicht ergeben und sich in der erwarteten oder in einer nicht erwarteten Richtung entwickeln. Der Nutzen der Grundlagenforschung wird daher leicht unterschätzt oder verkannt. Entsprechend lassen sich die Chancen und Gefahren der Grundlagenforschung schwerer gegeneinander abwägen als es bei der angewandten Forschung der Fall ist. Diese Tatsache kann die Motivation senken, Grundlagenforschung zu ermöglichen, und kann die Motivation steigern, sie zu begrenzen oder zu verhindern. Für den Fortschritt der Erkenntnis ist die Freiheit der Grundlagenforschung jedoch von besonderer Bedeutung. Im Es ist nun die Natur der Sache, dass Gesetze den Sorgen gegenüber der Forschung eine besondere Chance geben. Sowohl für die Medien als auch für die Politik konstituieren die Sorgen gegenüber der Forschung häufig ein leichter vernehmbares Potenzial als die Hoffnungen auf die Forschung -insbesondere als die Hoffnungen auf die Grundlagenforschung. Für Gesellschaft und Politik erscheint es oft einfacher, neue Erkenntnis zu erschweren, statt ihren Gebrauch differenziert zu bewerten und mit Augenmaß zu steuern.Werden schließlich politische oder rechtliche Entscheidungen gegen die Forschung getroffen, so wirken diese grundsätzlich unabhängig von der Richtigkeit der Annahmen, die ihnen zugrunde liegen. Entscheidungen können zudem jene Widerstände und Vorbehalte gegenüber der Forschung verstärken, die in ihnen zum Ausdruck kommen. Wir müssen also anerkennen, dass die Gesellschaft, das Gemeinwesen, in dem sich diese Gesellschaft verfasst, und das Recht, das das Gemeinwesen sich und der Gemeinschaft gibt, legitimiert sind, Güter und Werte, die durch die Anwendung der Forschungsergebnisse beeinträchtigt werden können, gegen die Freiheit der Forschung und ein individuelles und öffentliches Interesse an der Forschung abzuwägen und auf verhältnisgerechte Weise zu schützen. Letztendlich geht es doch um die Frage, ob sich die mikrobiologische Grundlagenforschung im Hinblick auf ihre potenziellen Anwendungen überhaupt rechtfertigen kann.Wollte man aber ein solches Rechtfertigungsgebot erlassen, würde dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ein geringerer Rang in der Werteskala der Gesellschaft zugewiesen, als es die Gesetzgebung vorsieht. US officials urge biologists to vet publications for bioterror risk Nebulous rules rouse fear and loathing in laboratories Chemical synthesis of poliovirus cDNA: generation of infectious virus in the absence of natural template Expression of mouse interleukin-4 by a recombinant ectromelia virus suppresses cytolytic lymphocyte responses and overcomes genetic resistance to mousepox Statement on the consideration of biodefence and biosecurity Statement on scientific publication and security Biomedizinische Forschung zwischen Freiheit und Verantwortung Biodefence on the research agenda Editorial Biodefence takes its toll Es muss darauf verwiesen werden, dass neue Erkenntnisse grundsätzlich immer ein Spektrum von Handlungsmöglichkeiten eröffnen, die teils positiv, teils negativ bewertet werden können. Die Entscheidung über die Verwendung dieser Erkenntnisse liegt nicht einzig und allein bei den Mikrobiologen, sondern auch in der Verantwortung der Gesellschaft, der Politik und der Rechtsordnung. Die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber einer potenziellen Bedrohung kann für Wissenschaftler auch von Vorteil sein. In den USA wurde z. B. das Budget für die infektiologische Forschung nach den Anschlägen im Jahr 2001 um 2 Milliarden US $ erhöht [9] . In Deutschland wurden die Entscheidungsträger -vor allem im Verbraucherministerium -aufgrund der BSE-Krise und der Möglichkeit, dass der Erreger über das Rindfleisch die Menschen infiziert, veranlasst, Mittel zur Ausarbeitung und Durchführung von BSE-Testung bereitzustellen. Bis zum vergangenen Jahr wurden mehr als 2,5 Millionen Rinder getestet und mehr Geld für die Analysen ausgegeben, als für die gesamte mikrobiologische Diagnostik in den Krankenhäusern in einem Jahr. Mit der Aufmerksamkeit für die Mikrobiologie kann also unter Umständen auch die Gefahr einer unausgewogenen Verteilung der finanziellen Ressourcen drohen, die für die Forschung zur Verfügung stehen. So wird z. B. in den USA stark angezweifelt, ob das Milliardenprogramm von Präsident Bush auf allen Gebieten die erhofften Erfolge in der Bioterrorbekämpfung zeigen wird. Es ist beispielsweise fraglich, ob dieses Geld jetzt tatsächlich die Entwicklung der Impfstoffe ermöglicht, an der sich viele kluge Köpfe bereits seit Jahrzehnten erfolglos versucht haben. Der fast ausschließlich für die Bioterro- Die Bioterrorismusdebatte droht, sich in doppelter Hinsicht negativ auf die mikrobiologische Grundlagenforschung auszuwirken. Auf der einen Seite werden die für die Bioterrorismusforschung aufgebrachten finanziellen Mittel und personellen Ressourcen anderweitig eingespart werden müssen, beispielsweise im Kampf gegen neue Seuchen und gegen antibiotikaresistente Bakterien [9, 10] . Auf der anderen Seite würde die Einschränkung der mikrobiologischen Forschungsfreiheit in öffentlichen Einrichtungen die weitere Entwicklung der mikrobiologischen Wissenschaften nachhaltig behindern -ohne dass dadurch wesentlich zur Lösung des Problems des Bioterrorismus beigetragen werden könnte.Wie wichtig der freie, uneingeschränkte Informationsaustausch unter Mikrobiologen ist, wird bei SARS deutlich: Nur 2 Wochen nach Bekanntwerden der neuen Seuche war der Erreger bereits identifiziert, 2 weitere Wochen später konnte dessen Genom entschlüsselt werden, und in den darauf folgenden 2 Wochen wurde der erste Schnellnachweis entwickelt. An dieser Stelle darf nicht vergessen werden: Die Natur selbst ist eine große Gefahrenquelle, d. h., sie bedroht uns ständig durch antibiotikaresistente Infektionserreger und durch neue und wieder auftretende Seuchenerreger mit bisher unbekannten Eigenschaften.