key: cord-0030128-v5vhrawo authors: Mohsen, Ghaith; Görtzen-Patin, Jan title: Zusammenfassung der PLUS-Studie zur Gabe von bilanzierter Vollelektrolytlösung oder NaCl auf der ICU date: 2022-04-20 journal: Anaesthesist DOI: 10.1007/s00101-022-01119-6 sha: bc720066a8e0245efcc01981e5a7f9e40395c74c doc_id: 30128 cord_uid: v5vhrawo nan Natriumchlorid-Lösung (NaCl) 0,9 % ist die weltweit meistverwendete Infusionslösung auf Intensivstationen. In den letzten Jahren zeigten mehrere Studien, dass NaCl 0,9 % die Inzidenz für ein akutes Nierenversagen erhöhen kann. Das hat zur Zunahme der Verwendung von bilanzierten Multielektrolytlösungen (BMES) geführt. Die PLUS-Studie untersucht, ob die Gabe bilanzierter Elektrolytlösungen im Vergleich zu NaCl 0,9 % die 90-Tage-Letalität intensivstationärer Patienten reduziert. Methoden. Bei der PLUS-Studie handelt es sich um eine multizentrische, randomisierte kontrollierte Doppelblindstudie mit parallelen Gruppen. Es wurden erwachsene Patienten mit einer erwarteten Aufenthaltsdauer von mindestens 3 Tagen auf der Intensivstation eingeschlossen. Ausgeschlossen wurden Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma, mit medizinischer Indikation für eine spezielle Infusionslösung und mit zu erwartender Lebenserwartung von weniger als 90 Tagen. Die Flüssigkeitssubstitution während des intensivstationären Aufenthalts wurde entweder mit NaCl 0,9 % oder BMES durchgeführt. Der primäre Endpunkt war die 90-Tage-Letalität nach Randomisierung. Sekundäre Endpunkte waren der Beginn von Nierenersatzverfahren und der Anstieg des Kreatininwerts während des Aufenthalts. Um eine Risikoreduktion von 2,9 % mit einer Power von 90 % festzustellen, hätten 8800 Patienten eingeschlossen werden müssen. Aufgrund der COVID-19-Pandemie musste die Studie nach dem Einschluss von 5037 Patienten gestoppt werden; mit dieser Patientenanzahl kann eine Risikoreduktion von 3,8 % bei gleicher Power festgestellt werden. Ergebnisse. Es wurden 5037 Patienten mit einem mittleren Alter von ca. 62 Jahren eingeschlossen. Es wurden im Median 3,9 l BMES oder 3,7 l NaCl 0,9 % infundiert. In der BMES-Gruppe erhielten 63 % der Patienten > 500 ml Infusion mit einer anderen Flüssigkeit als BMES, was zur Beeinflussung der Ergebnisse geführt haben könnte. Nach 90 Tagen starben ca. 22 % der Patienten in jeder Gruppe ("odds ratio" 0,99, 95 %-KI:-3,60 bis 3,30;p = 0,90).Diesekundären Endpunkte (Beginn von Nierenersatzverfahren, Anstieg des Kreatininwerts) zeigten keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Der arteriellepHwar inder BMES-Gruppe signifikant höher, und der Chloridwert signifikant niedriger als in der NaCl-Gruppe. In den letzten Jahren beschäftigten sich einige Studien mit den Auswirkungen verschiedener Infusionslösungen auf die Letalität. Im Jahr 2015 hat die gleiche Arbeitsgruppe der PLUS-Studie das SPLIT-Trial publiziert. Im SPLIT-Trial wurde gezeigt, dass die Verwendung von BMES das Risiko für akutes Nierenversagen auf der Intensivstation nicht reduziert. Eine Schwäche dieser Studie war, dass mehr als 50 % der ICU-Patienten nach elektiven Operationen aufgenommen wurden und daher eine geringere Grundletalität aufwiesen. Im Gegensatz dazu, konnte das SMART Trial im Jahr 2018 an ca. 15.000 ICU-Patienten demonstrieren, dass BMES die Letalität und den Bedarf von Nierenersatzverfahren und die persistierende Niereninsuffizienz im Vergleich mit NaCl 0,9 % reduziert. Diese Studie war cluster-randomisiert, jedoch nicht verblindet und wurde in nur einem Zentrum durchgeführt. Die Patienten hatten im Durchschnitt ca. 1 l Flüssigkeit bekommen, was deutlich weniger als in der PLUS-Studie ist. In 2021 zeigte die randomisierte, multizentrische BaSICS-Studie mit mehr als 11.000 eingeschlossenen intensivstationären Patienten keinen Unterschied zwischen BMES und NaCl 0,9 % in Bezug auf die 90-Tage-Letalität. Auch hier lagen ca. 50 % der eingeschlossenen Patienten nach elektiven Operationen auf der Intensivstation. Die PLUS-Studie wurde in 53 ICU in 2 Ländern durchgeführt. Die Patienten wurden häufiger invasiv beatmet (76 %) und befanden sich seltener nach elektiven Operationen auf der Intensivstation (18 %) als bei den oben genannten Studien. Zu den wichtigsten Limitationen dieser Studie gehört, dass ca. 63 % der Patienten in der BMES-Gruppe mehr als 500 ml NaCl 0,9 % erhielten. Die Gabe erfolgte überwiegend für die Verdünnung von Medikamenten. Zum anderen wurde die Flüssigkeitsgabe außerhalb der ICU nicht mehr kontrolliert, was ggf. zur Verfälschung der beobachteten Effekte der gegebenen Lösung geführt haben kann. Eine weitere Limitation der PLUS-Studie ist, dass die gegebene Menge an Studienflüssigkeit ab Tag 3 deutlich abnahm. Am Tag 3 wurde fast die gleiche Menge an Studienflüssigkeit wie an "Open-label"-Kristalloiden transfundiert, ab Tag 4 noch weniger. Die Patientenzahl nach dem 4. Tag war um 1000 Patienten reduziert. Diejenigen Patienten, die kränker und weiterhin ICU-pflichtig waren, bekamen im Durchschnitt nur 400 ml Studienflüssigkeit, aber ca. 800 ml andere Kristalloide infundiert. Hierdurch wird die Aussagekraft der beobachteten Effekte stark eingeschränkt. Weiterhin wurde von den Autoren der Umstand, dass sich trotz ähnlichen Kreatininwerten die Chloridspiegel und die pH-Werte zwischen den Gruppen signifikant unterschieden, nicht näher erläutert. Diese Befundkonstellation (niedriger pH, erhöhtes Chlorid) kann zu renaler Vasokonstriktion und damit zu reduzierter GFR führen [1] . I don't get no respect": the role of chloride in acute kidney injury