key: cord-0021552-bgl1zn6b authors: Lang, Klaus title: Berufliche Trauer date: 2021-09-27 journal: Urologe A DOI: 10.1007/s00120-021-01666-7 sha: 1e41ad39f829e39f15ebb953a70cdc2cc91a484a doc_id: 21552 cord_uid: bgl1zn6b nan Trauer stellt eine natürliche Reaktion auf den Verlust von Personen oder Dingen dar, zu denen eine emotionale Bindung bestanden hat. In der Onkologie entstehen infolge langer Krankheitsverläufe und der für die Betroffenen existenziellen Situation mitunter Beziehungen, die von Nähe und Sympathie geprägt sind. Der Tod dieser Patientinnen und Patienten kann Elemente von Trauer hervorrufen. Für entsprechende Trauerreaktionen hat sich im angloamerikanischen Sprachraum der Begriff "professional grief" etabliert, der im vorliegenden Beitrag mit beruflicher Trauer übersetzt wird. Private Trauer unterscheidet sich von beruflicher vor allem im Hinblick auf das Ausmaß des Einschnitts in bedeutsame Lebensbereiche und deren erforderliche Neuausrichtung. Demgegenüber sind in beruflicher Trauer spezifische Elemente enthalten, die in der privaten Trauer fehlen: Die Häufung von Todesfällen und die Mitverantwortung für den Krankheits-und Sterbeprozess. Über die private Trauer Hinterbliebener liegt eine Fülle theoretischen und empirischen Wissens vor. Demgegenüber existieren nur wenige systematische Untersuchungen zur beruflichen Trauer aufseiten der behandelnden Fachkräfte. Zwölf Untersuchungen zu beruflicher Trauer von Onkologinnen und Onkologen wurden seit dem Jahr 2000 veröffentlicht. Die dafür Befragten stammen aus Kanada [2, 8, 10] , den USA [18, 22] , Israel [6, 7, 9, 12] , Spanien [19] und Griechenland [17] . Hinzu kommen theoretische Publikationen [1, 5, 16, 20] . Weitaus häufiger wird berufliche Trauer im Hospiz-und Palliativsetting sowie bei Pflegenden untersucht (für einen aktuellen Überblick vgl. [3] ). Etwa 50 % der Befragten äußern, dass sie sich von Todesfällen ihrer Patient* innen belastet fühlen. Dabei liegt die Belastungsschwere in mittleren Intensitätsbereichen: 4,7 auf einer 10er-Skala (Befragung von 188 Onkolog* innen in den USA [19] ) bzw. 26 auf einer Summenskala von 13 bis 65 (71 Onkolog* innen in Israel [11, 12] ). In einer weiteren Befragung von 79 israelischen Onkolog* innen betrachten es zwar 80 % als Gewinn, durch die Konfrontation mit dem Sterben einen vertieften Blick auf das Leben zu bekommen; allerdings leiden auch 70 % unter emotionaler Erschöpfung und Burn-out-Symptomen infolge häufiger Todesfälle [6] . Diese Trauerfolgen beschränken sich nicht auf den Zeitpunkt des Todes; sie entwickeln sich bereits bei der Diagnose eines Progresses, beim Antizipieren absehbarer Todesfälle und beim Übermitteln schlechter Nachrichten [5, 9, 10] In der Trauerpsychologie hat bereits in den 1990er-Jahren eine Abkehr von den früher populären Phasenmodellen stattgefunden, weil diese empirisch widerlegt waren und die Gefahr einer Normierung von Trauerverläufen bargen. » In der Trauerpsychologie wurden die früheren Phasenmodelle vom dualen Prozessmodell abgelöst Sie wurden vom sog. dualen Prozessmodell [21] abgelöst, das auch für berufliche Trauerverläufe gilt [16] und diese als natürliche Fluktuation zwischen zwei psychischen Prozessen beschreibt: Der verlustorientierte Prozess beinhaltet das Wahrnehmen und Ausdrücken von Trauerreaktionen; der wiederherstellungsorientierte Prozess umfasst das Vermeiden und Unterdrücken von Trauer zugunsten eines Funktionierens im Alltag und einer Konzentration auf das eigene Leben. Beide Prozesse gelten als normal und adaptiv, da erst ihr Zusammenspiel ermöglicht, eine Verlusterfahrung zu betrauern, ohne von ihr überwältigt zu werden. In den meisten Selbstbeschreibungen von ärztlichem und pflegendem Fachpersonal in der Onkologie findet sich eine Kombination der beiden Prozesse Hinwendung zur Trauer und Hinwendung zum Leben [8, 17] . Da jede Person über eigene Lebenserfahrungen, Persönlichkeitseigenschaften und Glaubensvorstellungen verfügt, folgt auch der Umgang mit beruflichen Verlusterfahrungen individuellen Handlungslinien. Entsprechend zeigt sich empirisch eine große Heterogenität in den von Onkolog*innen berichteten Coping-Strategien [8] , sodass sich keine Pauschalempfehlungen für den Umgang mit beruflicher Trauer formulieren lassen und die nachfolgenden Ausführungen individuell zu gewichtende Anregungen darstellen. Empathie mit Patient* innen ist differenziert zu betrachten: Sie korreliert bei vielen Ärzt* innen mit Arbeitszufriedenheit. Andererseits kann ein starkes Mitfühlen ohne die Fähigkeit zur anschließenden Distanzierung berufliche Trauer unangemessen verstärken [11] . In einer Untersuchung kanadischer Onkolog* innen versuchte die Hälfte der Befragten, ihre Trauerreaktion abzumildern, indem sie weniger Energie auf die Versorgung terminaler Patient* innen verwendete und seltener Termine oder Visiten durchführte [10] . Davon abgesehen, dass Menschen in Todesnähe ärztliche Zuwendung und empathische Kommunikation über Behandlungswünsche benötigen, kann der Eindruck, sich aus Selbstschutz distanziert zuhaben, bei Behandelnden Schuldgefühle auslösen und die berufliche Trauer verkomplizieren [8, 9] . Deshalb kann es durchaus im eigenen Interesse liegen, den Kontakt in Todesnähe so zu gestalten, dass möglichst wenig Versäumtes zurückbleibt. Ziel ist dann nicht mehr professionelle Distanz, sondern "professionelle Nähe" [14] . Entlastung durch Aussprache im beruflichen oder privaten Umfeld Die Hälfte bis zwei Drittel der Befragten gibt an, sich bei beruflicher Trauer im Gespräch mit anderen zu entlasten, ob im kurzen "Zwischen-Tür-und-Angel-Gespräch" oder im ausführlichen Austausch [8, 18] . Die verstorbene Person wird dadurch noch einmal kurz gewürdigt und es erfolgt eine emotionale Entlastung; beides erleichtert den inneren Abschluss. Allerdings merken Onkolog* innen an, dass es im Beruf häufig an geeigneten Gesprächspartner* innen fehlt und dass auch der Aussprache im privaten Umfeld Grenzen der Zumutbarkeit gesetzt sind [7] . Neben informellen Ad-hoc-Gesprächen kann eine Aussprache auch formalisiert in Supervision (einzeln oder in Gruppen), Mentoring-Programmen, Balint-Gruppen oder Debriefings erfolgen. Diesen Formaten kommt neben emotionaler Entlastung auch eine Fortbildungsfunktion im Hinblick auf das Selbstmanagement von Trauer zu [20] . 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