key: cord-0021118-w3kq0oy9 authors: Schaupp, Anna; Martini, Sebastian; Schmidmaier, Ralf; Drey, Michael title: Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen bei Sarkopenie date: 2021-09-20 journal: Z Gerontol Geriatr DOI: 10.1007/s00391-021-01968-7 sha: 9d53ff52757ace5c1af4ead229719fd0879e70bd doc_id: 21118 cord_uid: w3kq0oy9 Sarcopenia describes a generalized loss of muscle power, mass and function. It is marked by an impaired quality of life and an increased mortality rate. The SARC‑F questionnaire was developed as a screening tool to identify patients at risk of impairment in primary care. It addresses five functional areas of physical activity in daily life. In case of a relevant impairment this is to be followed by measurement of hand grip strength using a dynamometer and/or of leg muscle strength by the chair rising test. Patients with pathological results should undergo a measurement of the skeletal muscle index, e.g. by Dual-energy X‑ray Absorptiometry. If this lies below the gender-specific threshold, the diagnostic criteria for sarcopenia are met. Cases with normal lean muscle mass are coined as probable sarcopenia. In both cases, causes must be clarified and treatment should be initiated. To differentiate between acute and chronic sarcopenia it is necessary to assess disease progress after a certain period of time. Frau H. (79 Jahre alt) ging bis vor einem Jahr täglich mindestens eine Stunde spazieren. Aus Angst vor einer Infektion mit dem "severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2" (SARS-CoV-2) hat sie nun das Haus seit mehreren Monaten nicht mehr verlassen. Sie erhält Essen auf Rädern, jedoch hat der Appetit sehr nachgelassen. Insgesamt hat sie im letzten Jahr ca. 6 kg abgenommen. Vor 4 Monaten kam es durch kurze Unachtsamkeit beim Treppensteigen zu einem Stolpersturz. Zwar blieben Verletzungen aus, doch fühlt sich Frau H. nun deutlich unsicherer beim Gehen. Aus Angst vor einem erneuten Sturz meidet sie das Treppensteigen gänzlich und selbst das Aufstehen bereitet ihr inzwischen aufgrund zunehmender Lumbalgien Schwierigkeiten. Sie sucht ihre Hausärztin auf, die eine Röntgenuntersuchung der LWS veranlasst, in der sich mehrere Sinterungsfrakturen zeigen. Mithilfe einer anschließenden Knochendichtemessung ("dual energy x-ray absorptiometry", DXA) wird auch der relative Skelettmuskelindex (SMI) bestimmt; er beträgt 5,1 kg/m 2 . Frau H. fragt die Hausärztin um Rat, wie sie nun wieder auf die Beine kommen könne. Der Begriff Sarkopenie, zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern "sarx" (Fleisch) und "penia" (Mangel), wurde erstmals 1989 von Rosenberg eingeführt und beschrieb zunächst ausschließlich einen Mangel Sarkopenie bezeichnet ein Syndrom, das durch einen progressiven und generalisierten Verlust von Muskelmasse und -kraft charakterisiert und mit negativen Folgen einschließlich Stürzen, Funktionseinschränkungen und Gebrechlichkeit assoziiert ist [8] . Im Jahr 2016 fand die Sarkopenie als eigenständige Entität mit entsprechender Kodierung (M62.84) erstmals Eingang in die International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, 10 . Auflage (ICD-10), und wurde 2018 auch in Deutschland mit der Chiffre M62.50 ins ICD-10-GM integriert. Von der Sarkopenie abzugrenzen ist die Kachexie, die einen kombinierten Verlust von Abstract Diagnostic and therapeutic approach to sarcopenia Sarcopenia describes a generalized loss of muscle power, mass and function. It is marked by an impaired quality of life and an increased mortality rate. The SARC-F questionnaire was developed as a screening tool to identify patients at risk of impairment in primary care. It addresses five functional areas of physical activity in daily life. In case of a relevant impairment this is to be followed by measurement of hand grip strength using a dynamometer and/or of leg muscle strength by the chair rising test. Patients with pathological results should undergo a measurement of the skeletal muscle index, e.g. by Dual-energy X-ray Absorptiometry. If this lies below the gender-specific threshold, the diagnostic criteria for sarcopenia are met. Cases with normal lean muscle mass are coined as probable sarcopenia. In both cases, causes must be clarified and treatment should be initiated. To differentiate between acute and chronic sarcopenia it is necessary to assess disease progress after a certain period of time. Muscle strength · Skeletal muscle · Falls · Screening · Immobility Fett-und Muskelmasse auf dem Boden einer konsumierenden Erkrankung beschreibt [9] . Wie alle Organe unterliegt die Muskulatur physiologischen Veränderungen im Alter, die vorwiegend durch eine Atrophie gekennzeichnet sind. Eine Reduktion der Muskelproteinbiosynthese führt zum Verlust von etwa 40 % der Muskelfasern zwischen der 3. und der 7. Lebensdekade. Dies betrifft v. a. die schnell kontrahierenden Typ-II-Fasern [10] , sodass die Schnellkraft doppelt so stark abnimmt wie die Maximalkraft [11] . Die Muskelfunktion verringert sich deutlich schneller als die Muskelmasse [12] . Der durchschnittliche jährliche Verlust an Muskelkraft beträgt bis 4 %, wohingegen sich die Muskelmasse um weniger als 1 % reduziert [13] . Auch die Zahl der Satellitenzellen, die für die Muskelregeneration zuständig sind, verringert sich. So zeigte sich in "Bed Rest studies", dass sich die Muskelproteinbiosynthese durch Immobilisation von gesunden 80-Jährigen innerhalb von 10 Tagen um 30 % reduziert, was zu einem Verlust von 10 % der Muskelmasse und 16 % der Muskelkraft führt [14] . Der reduzierte Muskelumsatz hat vielfältige Ursachen [15] . Eine wesentliche Rollte spielen die Degeneration der neuromuskulären Endplatte sowie der Verlust motorischer Einheiten [16] , aber auch eine reduzierte Aktivität der somatotropen Achse, inflammatorische Prozesse, Mangelernährung und eine verminderte körperliche Aktivität tragen entscheidend dazu bei [17] . Nur etwa 14 % der 70bis 79-Jährigen bewegen sich gemäß den Empfehlungen 2,5 h/ Woche mit moderater Intensität [18] . CME Mangelernährung Die Muskulatur ist der größte Aminosäurespeicher. Bei katabolen Vorgängen, beispielsweise im Rahmen von Mangelernährung oder akuten Entzündungen, wird dieser zuerst aufgebraucht, während neurologische Strukturen geschützt werden [19] . Zugleich benötigen Patienten über 70 Jahre eine höhere Proteinzufuhr, um die gleiche myofibrilläre Proteinsyntheserate wie jüngere Patienten zu erreichen [20] . Studien zeigten, dass der tägliche Proteinbedarf zur Stimulierung der myofibrillären Proteinsynthese bei Männern unter 37 Jahren etwa 0,24 g/kgKG beträgt, während Männer über 65 Jahre ca. 0,4 g/kgKG benötigen [21] . Ein wesentlicher Risikofaktor für Sarkopenie ist eine unzureichende Zufuhr von Proteinen, insbesondere ein Mangel der essenziellen Aminosäure Leucin [22] . Auch endokrinologische Veränderungen im Alter können die Entstehung einer Sarkopenie bedingen. Eine Reduktion der anabolen Hormone (im Rahmen eines männlichen Hypogonadismus) ebenso wie eine Resistenz dagegen (Insulin-oder Wachstumshormonresistenz) bewirken eine Beeinträchtigung der Muskelfunktion [23, 24] . Zwillingsstudien zeigen, dass etwa 30 % der Varianz in Muskelmasse und -kraft durch genetische Einflüsse bedingt sein können [7] . Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass sich ein hohes Geburtsgewicht und eine längere Stilldauer positiv auf Muskelmasse und -kraft auswirken [25] . Auch Adipositas stellt einen Risikofaktor für Sarkopenie dar, indem sie sowohl zur Verfettung des Skelettmuskels als auch zu einer chronischen Inflammation beiträgt und so die Muskelfunktion beeinträchtigt [15] . Akute Erkrankungen können einen kurzfristigen Therapiebedarf nötig machen und sind von chronischen Einflussfaktoren zu differenzieren, die längerfristige Konzepte erfordern. Zur Verlaufsbeurteilung ist eine Wiedervorstellung 3 bis 9 Monate nach der Diagnosestellung empfohlen. Liegen die Einschränkungen weiterhin vor oder sind gar progredient, ist von einer chronischen Sarkopenie auszugehen. CME Fortführung des Fallbeispiels. Bei Frau H. fällt der Skelettmuskelindex mit einem Wert von 5,1 kg/m 2 pathologisch aus. Die Tatsache, dass ihr das Aufstehen aus dem Sitzen schwerfällt, deutet zudem auf eine verminderte Beinkraft hin. Ob eine Sarkopenie vorliegt, lässt sich jedoch nur nach standardisierter Messung der Muskelkraft mithilfe des Chair rise test und/oder des Handdynamometers feststellen. Eine Studie mit über 90-Jährigen zeigte, dass das muskuläre System bis in höchste Alter trainierbar ist, mit einem Zugewinn an Kraft und Funktionalität [31] . Dabei übersteigen die Effekte des körperlichen Trainings auf die Muskulatur deutlich die Effekte alleiniger Ernährungstherapien [32] . Um das Sturzrisiko effektiv zu reduzieren, ist eine Kombination mit einem Gleichgewichtstraining notwendig [3]. Die Integration sozialer Aktivitäten wiederum fördert die Compliance und führt zum besseren Trainingsergebnis [33] . Durch konsequentes Training kann mittelfristig Immobilität verhindert und Mortalität reduziert werden [17] . 7 Merke Krafttraining ist auch bei Hochbetagten noch effektiv. Eine zusätzliche Ernährungstherapie ist wichtig, um die Trainingseffekte zu steigern [6] . Aufgrund einer verzögerten myofibrillären Proteinbiosynthese bedürfen geriatrische Patienten einer erhöhten Proteinzufuhr [34] . Gemäß der Konsensusdefinition der EWGSOP2 ist eine Zufuhr von 1,2 g/kgKG nötig, um die Optimierung der Muskelgesundheit zu gewährleisten [20] . Jedoch sollte bei Patienten mit einer chronischen Nierensuffizienz ohne Dialysepflichtigkeit die Zufuhr von 0,8 g/kgKG nicht überschritten werden [35] . Insbesondere die Aminosäure Leucin zeigte eine positive Wirkung auf die Muskelproteinsynthese: Durch die Zufuhr von 3 g Leucin wird fast eine maximale Proteinsynthese ermöglicht [36] . Relationship between sarcopenia and physical activity in older people: a systematic review and meta-analysis Clinical definitions of sarcopenia and risk of hospitalization in community-dwelling older men: the osteoporotic fractures in men study Health outcomes of sarcopenia: a systematic review and meta-analysis Sarcopenia -Endocrinological and Neurological Aspects Sarcopenia: revised European consensus on definition and diagnosis Consensus on cachexia definitions Type-2 muscle fiber atrophy is associated with sarcopenia in elderly men with hip fracture Skeletalmusclepower: acriticaldeterminantofphysical functioning in older adults Epidemiologyofsarcopenia:determinants throughout the lifecourse Sarcopenia, dynapenia, and the impact of advancing age on human skeletal muscle size and strength Effect of 10 Days of Bed Rest on Skeletal Muscle in Healthy Older Adults Sarcopenia:characteristics,mechanismsandfunctional significance Muscle performance and physical function are associated with voluntary rate of neuromuscular activation in older adults Roleofexerciseonsarcopeniainthe elderly Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland. Stress, Schlafstörungen, Depressionen und Burn-out: Wie belastet sind wir? Bundesgesundheitsblatt The selfish brain: Competition for energy resources Evidence-based recommendations for optimal dietary protein intake in older people: a position paper from the prot-age study group Protein ingestion to stimulate myofibrillar protein synthesis requires greater relative protein intakes in healthyolderversusyoungermen GLIM criteria for the diagnosis of malnutrition-a consensus report from the global clinical nutrition community Aging of the endocrine system and its potential impact on sarcopenia IGF-I/IGFBP3/ALS deficiency in sarcopenia: low GHBP suggests GH resistance in a subgroup of geriatric patients Theepidemiology of Sarcopenia Sarcopenia is associated with disability status-results from the KORA-Age study International clinical practice guidelines for Sarcopenia (ICFSR): screening, diagnosis and management German version of SARC-F: translation, adaption, and validation Assessing appendicular skeletal muscle mass with bioelectrical impedance analysis in free-living Caucasian older adults The FNIH sarcopenia project: rationale, study description, conference recommendations, and final estimates High-intensity strength training in nonagenarians Influence of resistance exercise on lean body mass in aging adults Recruitment of mobility limited older adults into a facility-led exercise-nutrition study: the effect of social involvement Dietary protein in older adults: adequate daily intake but potential for improved distribution Prevention and treatment of protein energy wasting in chronic kidney disease patients: a consensus statement by the InternationalSocietyofRenalNutritionandMetabolism Effects of leucine-enriched essential amino acid and whey protein bolus dosing upon skeletal muscle protein synthesis at rest and after exercise in older women