key: cord-0020597-at5tgt3s authors: Ryll, Bettina title: Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA): Patientenzentrierte Gesundheitsversorgung mit disruptivem Potenzial date: 2021-09-03 journal: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz DOI: 10.1007/s00103-021-03421-x sha: 9b272877fa10121221a80e3cbebd56c98d2481f4 doc_id: 20597 cord_uid: at5tgt3s Digital applications, or “DiGA” in German, come with the promise of cost-effective interventions to improve patient care. Patient networks are frequently approached when DiGA are developed or need to be tested in a real-world setting. The network of those affected by melanoma, the “Melanoma Patient Network Europe” (MPNE), has thereby gained valuable insights into the fundamental characteristics of successful DiGA: a validated initial hypothesis, value generation through vertical integration, responsible financing models and data security. This article provides a patient advocacy perspective on the wider digital context in which DiGA exists and reflects on the disruptive potential as these applications enable patients to increasingly impose their preferences with regards to their own care. Das Melanoma Patient Network Europe (MPNE) ist ein europäisches Netzwerk von Melanompatient:innen und Angehörigen und stellt eine Plattform für wissenschaftliche Information und Training, Kommunikation und Zusammenarbeit bereit. Melanompatienten werden damit einerseits befähigt, an ihrer eigenen Versorgung aktiv mitzuwirken und andererseits eine konstruktive Rolle in Entscheidungsprozessen im Gesundheitssystem zu spielen. Das MPNE ist ein aktiver Partner in zahlreichen Forschungs-und Innovationsprojekten auf nationaler und internationaler Ebene, mit einem expliziten Schwerpunkt auf patientenzentrierter Forschung und Versorgung. Als Patientenvertretung ist das Netzwerk auch in diverse politische und gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse sowie strategische Initiativen involviert, zunehmend in den Bereichen Innovation und Daten, zum Beispiel dem European Health Data Space. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) fallen in die Schnittmenge von Gesundheitsversorgung und Digitalisierung und sind für Patientengemeinschaften besonders relevant, da sie einerseits die Patientenautonomie erhöhen und andererseits wichtige Themen wie das Eigentum, Zugangsrechte und Sicherheit von sensitiven Gesundheitsdaten betreffen. Patientennetzwerke sind häufig Ansprechpartner, wenn Produktentwürfe oder Prototypen von DiGA in der Praxis getestet werden sollen. Dieser Beitrag reflektiert daher unsere diesbezüglichen Erfahrungen als europäische Patientenorganisation und Teilhaber an Innovationsprozessen in diesem Bereich sowie den breiteren gesellschaftlichen Kontext mit steigendem Druck auf Gesundheitssysteme, dem allgemein wachsenden Verständnis um die Bedeutung von Gesundheitsdaten und einer beginnenden disruptiven Verschiebung von Machtverhältnissen im Gesundheitsbereich mit zunehmender Patientenemanzipierung. Der Blickwinkel ist dabei gewollt international. Nach dem europäischen Subsidiaritätsprinzip ist Gesundheit national oder regional organisiert und oft auch reguliert. Mit dem wachsenden Druck auf unsere Gesundheitssysteme und die Gesellschaft im Allgemeinen, nicht zuletzt aufgrund der COVID-19-Pandemie, steigt allerdings auch das Interesse an Austausch und Zusammenarbeit. Digitale Lösungen sind dabei aufgrund ihrer Skalierbarkeit besonders attraktiv und so wird die Einführung der DiGA in Deutschland auch im Ausland mit großem Interesse verfolgt. In den letzten Jahren haben digitale Lösungen viele unserer Lebensbereiche von Grund auf verändert: Unsere Art und Weise zu kommunizieren, zu reisen, Bücher zu kaufen und Musik zu hören unterscheidet sich erheblich von den Gewohnheiten vorhergehender Generationen. Digitale Dienstleistungen im Gesundheitsbereich blieben dagegen trotz klar erkennbarer und häufig diskutierter theoretischer Vorteile erstaunlich blass und unterentwickelt. Angesichts der weiten Verbreitung digitaler Lösungen in vielen Lebensbereichen ist damit die Aussage "Patient:innen wollen persönlichen Kontakt" merklich unbefriedigend, wenn es um den spürbaren Mangel an effektiven digitalen Lösungen im Gesundheitsbereich geht. Patient:innen sind eine extrem heterogene Gruppe, teilweise schon innerhalb der gleichen Indikation. Digital health applications-patient-centric care with disruptive potential Abstract Digital applications, or "DiGA" in German, come with the promise of cost-effective interventions to improve patient care. Patient networks are frequently approached when DiGA are developed or need to be tested in a real-world setting. The network of those affected by melanoma, the "Melanoma Patient Network Europe" (MPNE), has thereby gained valuable insights into the fundamental characteristics of successful DiGA: a validated initial hypothesis, value generation through vertical integration, responsible financing models and data security. This article provides a patient advocacy perspective on the wider digital context in which DiGA exists and reflects on the disruptive potential as these applications enable patients to increasingly impose their preferences with regards to their own care. Digital application · Patient-centred care · Limitations · Disruptive potential · Patient advocacy tientenvertreter:innen an. Patienteninformation, die im Rahmen von DiGA angeboten wird, konkurriert daher unter Umständen mit wissenschaftlich ausgerichteten Patientengemeinschaften, dem Angebot medizinischer Gesellschaften, medizinischen Newslettern und Suchprogrammen, wie z. B. Meta [5] . Das MPNE hat darüber hinaus im Rahmen eines Horizon-2020-Projektes "Share4Rare" [6] Wie sensitiv diese Datenplattformen auch aus politischen und geopolitischen Gründen sind, hat die Diskussion um den US-Vorreiter PatientsLikeMe [11] gezeigt, der unter der Trump-Admi-nistration aufgrund eines chinesischen Mehrheitsanteils zum Verkauf an einen US-Versicherer gezwungen wurde. Aus Patientensicht ist das nicht unbedingt eine Verbesserung, da der lokale Versicherungsmarkt schon jetzt weitreichende Diskriminierung erlaubt. Eine Erstattung durch Versicherer bietet einerseits eine attraktive Alternative zu existierenden Finanzierungsmöglichkeiten, andererseits aber auch Möglichkeiten der Qualitäts-und Erfolgskontrolle. Während Patient:innen auf der Suche nach Lösungen willens sind, mehrere Plattformen parallel zu testen und gegebenenfalls wieder zu verlassen, werden Versicherer als Direktzahler auf den Nachweis eines konkreten Nutzens bestehen. Bei Versicherern mit langfristiger Perspektive haben DiGA auf Rezept daher das Potenzial, Patientenrelevanz und langfristigen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Nutzen in sich zu vereinen. Letztendlich wird die Akzeptanz in der Bevölkerung allerdings davon abhängen, zu welchem Grad Anbieter und Bezahler der Versuchung widerstehen können, Daten für Sachverhalte zu missbrauchen, die nicht im Interesse der Patient:innenoderderÖffentlichkeitliegen. Digitale Lösungen haben bereits in einigen Bereichen unser Leben grundlegend verändert. Mit den Erfahrungen steigen allerdings auch die allgemeinen Erwartungen an den Nutzen, die Qualität und die Sicherheit digitaler Lösungen. Aufgrund ihrer Skalierbarkeit können digitale Produkte auch tiefgreifende und unerwünschte Veränderungen verursachen, die zunehmend zu Kritik einladen. In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass die zugrunde liegenden Geschäfts-und Finanzierungsmodelle dabei eine fundamentale Rolle spielen: Die verkaufsoptimierendenAlgorithmendominanter sozialer Medien erlauben auch eine zunehmende politische Radikalisierung und haben Rufe nach Regulierung laut werden lassen. Anwender erwarten heute außerdem nicht nur Datensicherheit, sondern auch zunehmend den Respekt für ihre Privatsphäre. Seit der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in der Europäischen Union [12] und der FAIR-Prinzipien ("findable, accessible, interoperable, portable"; [13] ) und auch mit der Open-Science-Bewegung wächst das allgemeine Bewusstsein in der Bevölkerung über die Bedeutung von Daten, aber auch über persönliche Rechte. Patient:innen, vor allem diejenigen, die sich in Patientenorganisationen engagieren, sammeln überdies auch dort relevante Erfahrungen. Patienteninitiativen wie die Duchenne Data Foundation [14] bieten zum Beispiel ihren Mitgliedern schon heute Privacy-by-Design-Lösungen -Individuen halten ihre Daten in einem persönlichen digitalen Safe [15] , zu dem nur sie den Schlüssel besitzen. Zugang, zum Beispiel für Forschungsprojekte, wird durch einen anspruchsvollen Einverständnisprozess gelöst -wobei der Anspruch in der technischen Lösung, nicht in voluminöser Papierarbeit liegt. Patient:innen erhalten eine Benachrichtigung per App und können Zugangsrechte progressiv adaptieren. Fortbildungen über FAIR-Prinzipien, Datenschutz und Dateneigentum -die Duchenne-Gemeinschaft bevorzugt den Ausdruck "Stewardship" -gehören zu den regelmäßigen Aktivitäten der Organisation. Pharmazeutische Betriebe beginnen überdies, Studiendaten an die Studienteilnehmer zu überführen, die diese dann im sicheren Rahmen der Duchenne Data Foundation verwalten können. Als Spinoff (Ableger) der World Duchenne Organisation, in der viele der Patient:innen selbst Mitglieder sind, hat die Stiftung dabei eine unumstrittene Legitimation. Factors predicting intentional non-adherence in chronic myeloid leukemia: a multivariate analysis on 2546 patients by the CML advocates network Share4Rare V2A2: a tool to promote patient agency through effective patient information Heal Capital Presents | VIMPROs in Europe PatientsLikeMe Live better European Commission (2021) Turning FAIR into reality Duchenne Data Foundation Consumer reporting of adverse drug reactions Patient-reported side effects, concerns and adherence to corticosteroid treatment for asthma, and comparison with physician estimates of side-effect prevalence: a UK-wide, cross-sectional study WeAreNotWaiting to reduce the burden of Type 1 diabetes