key: cord-0018031-g1rrd7j7 authors: Benzian, Habib; Listl, Stefan title: Globale Mundgesundheit im internationalen gesundheitspolitischen Rampenlicht – Herausforderungen und neue Chancen für nachhaltige Verbesserungen date: 2021-06-08 journal: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz DOI: 10.1007/s00103-021-03353-6 sha: 374f6637a739ae3370fea147955e480939e6c47d doc_id: 18031 cord_uid: g1rrd7j7 Oral diseases are a significant global health problem across all countries and populations. With about 3.5 billion cases (2017), more people are affected than by any other disease group. The main oral diseases comprise tooth decay of permanent and deciduous teeth, severe periodontal disease, and oral and lip cancer. With a largely unchanged high global prevalence, but significantly growing population sizes, the pressure on health systems is increasing, particularly in low- and middle-income countries. Nonetheless, in many countries oral health has insufficient priority as a key health topic, including the global health policy discourse of German and international stakeholders. One of the fundamental challenges is ensuring universal and equitable access to basic oral healthcare services for all and without financial hardship (Universal Health Coverage). This paper provides an introductory overview of the global trends for the main oral diseases, which are generally characterized by stark inequalities. Opportunities for improving the situation through population-wide risk reduction and preventive approaches, access to oral healthcare, and policy options are highlighted. In addition, a range of relevant global (oral) health topics with potential for tangible change are discussed. Lastly, the reform areas of the Lancet Series on Oral Health from 2019 are presented and recommendations for the German and international global health policy discourse are provided. Die Situation der Mundgesundheit ist ein globales Gesundheitsproblem über alle Länder und Bevölkerungsgruppen hinweg. Mit geschätzten fast 3,5 Mrd. Erkrankungsfällen weltweit 2017 sind so viele Menschen betroffen wie von keiner anderen Krankheitsgruppe. Auch wenn sich die Herausforderungen in Ländern der hohen Einkommensgruppe (Weltbankklassifikation) deutlich von den Krankheits-und Versorgungsproblemen in Ländern der niedrigen oder mittleren Einkommensgruppen unterscheiden, so gibt es doch viele Parallelen, grundlegende globale Probleme und auch globale Lösungsansätze, die lokal umgesetzt werden können. Eine der fundamentalen Herausforderungen ist dabei die Gewährleistung eines allgemeinen und fairen Zugangs zu adäquater universeller Basisgesundheitsversorgung für alle Menschen und ohne finanzielle Härten. Beide Autoren haben zu gleichen Teilen zu Konzeption und Erstellung des Manuskripts beigetragen. Health Coverage (UHC) bezeichnete Konzept ist Teil der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen verankerten Entwicklungsziele bis zum Jahr 2030, auch "Agenda 2030" genannt [1] . Leider wird der Zahn-und Mundgesundheit in vielen Ländern nur unzureichende gesundheitspolitische Priorität eingeräumt. Dies trifft insbesondere in den Ländern zu, deren öffentliche Gesundheitsausgaben eher gering sind und die dadurch kaum eine essenzielle Gesundheitsversorgung der Bevölkerung gewährleisten können. Obwohl die enge Verknüpfung zwischen oraler und allgemeiner Gesundheit sowie die gesellschaftliche Relevanz der Mundgesundheit hinreichend belegt sind, erhält die Mundgesundheit als wichtiges Gesundheitsthema und Interventionsbereich im allgemeinen politischen Diskurs der deutschen und globalen Akteure nach wie vor wenig Aufmerksamkeit [2] . DieserBeitragstütztsichinweitenTeilen auf die Analysen und Empfehlungen der Artikelserie zur Mundgesundheit, die 2019 erstmals in der renommierten me-dizinischenFachzeitschriftThe Lanceterschienen ist und an der beide Co-Autoren aktiv beteiligt waren [3] . Zunächst werden die globalen Trends der seit 30 Jahren fast stetig ansteigenden Krankheitslast für die oralen Haupterkrankungen dargestellt und einige der vielschichtigen und komplexen Ursachen für diese Situation beleuchtet. Schließlich werden Ansätze aus der bevölkerungsweiten Risikoreduktion und Prävention, der Versorgungsplanung sowie gesundheitspolitische Lösungen vorgestellt. Empfehlungen für die deutsche und internationale gesundheitliche Entwicklungspolitik, die in den kommenden Jahren die Situation der globalen Mundgesundheit entscheidend verbessern könnten, schließen den Beitrag ab. [4] . Als Endpunkt von lebenslangen Erkrankungen wie Karies oder Parodontopathien betrifft komplette Zahnlosigkeit weltweit fast 270 Mio. Menschen, vorwiegend im höheren Alter. Die Prävalenz ist in Ländern der niedrigen Einkommensgruppe am geringsten, dort und in Ländern der unteren bis mittleren Einkommensgruppe ist sie jedoch im Zeitraum 1990-2017 am stärksten angestiegen [4] . Zuverlässige epidemiologische Daten zu Karzinomen der Mundhöhle und Lippen (ICD-Codes C00-06) wurden kürzlich von der International Agency for Research on Cancer (IARC), einer Unterorganisation der WHO, vorgestellt [8] . Die Gruppe dieser Krebserkrankungen steht an 16. Stelle aller Krebserkrankungen mit geschätzten 378.000 neuen Fällen, fast 180.000 Todesfällen pro Jahr und einer 5-Jahres-Prävalenz von fast 960.000 Fällen. Die altersstandardisierte Inzidenz ist am höchsten in Melanesien (16,7/100.000), Süd-/Zentralasien (9/100.000), gefolgt von Australien und Neuseeland (6/100.000) und Zentral-/ Osteuropa (5,1/100.000) mit jeweils erheblich höheren Raten für Männer. In Ländern wie Indien oder Pakistan ist Mundhöhlenkrebs die häufigste Todesursache [9] . Risikofaktoren wie Tabakund Alkoholkonsum spielen die größte Rolle in der Krebsentstehung sowie kulturspezifische Praktiken wie Betelnusskonsum. Verstärkte Evidenz für humane-papillomviren-(HPV-)assoziierte orale Karzinome hat in vielen Ländern eine Anpassung von Impfempfehlungen beschleunigt [10, 11] . Epidemiologische Daten für andere orale Erkrankungen, wie orofaziales und dentales Trauma, orofaziale Spalten, Mundschleimhauterkrankungen oder Noma (Wangenbrand) sind unvollständig oder werden gar nicht koordiniert erhoben. Als Folge lässt sich deren Relevanz für die Bevölkerungsgesundheit nur schwer abschätzen (mit Ausnahme von Spalterkrankungen; [12] [13] [14] Oral diseases are a significant global health problem across all countries and populations. With about 3.5 billion cases (2017), more people are affected than by any other disease group. The main oral diseases comprise tooth decay of permanent and deciduous teeth, severe periodontal disease, and oral and lip cancer. With a largely unchanged high global prevalence, but significantly growing population sizes, the pressure on health systems is increasing, particularly in low-and middle-income countries. Nonetheless, in many countries oral health has insufficient priority as a key health topic, including the global health policy discourse of German and international stakeholders. One of the fundamental challenges is ensuring universal and equitable access to basic oral healthcare services for all and without financial hardship (Universal Health Coverage). This paper provides an introductory overview of the global trends for the main oral diseases, which are generally characterized by stark inequalities. Opportunities for improving the situation through population-wide risk reduction and preventive approaches, access to oral healthcare, and policy options are highlighted. In addition, a range of relevant global (oral) health topics with potential for tangible change are discussed. Lastly, the reform areas of the Lancet Series on Oral Health from 2019 are presented and recommendations for the German and international global health policy discourse are provided. Oral health care · Global burden of disease · Health policy · Dental caries · Political priority Bundesgesundheitsblatt -Gesundheitsforschung -Gesundheitsschutz Abb. 2 9 Versorgungskosten für Erkrankungen der Zähne im Vergleich zu anderen stark verbreiteten Erkrankungen in den EU-Ländern (2015). (Adaptiert aus: [17]) gelnde Hygiene, um nur die wichtigsten Elemente der sogenannten "common risk factors" zu nennen [2] . Die Kontrolle dieser Risikofaktoren, die für die oralen Haupterkrankungen und alle anderen chronischen Erkrankungen gleichermaßen verantwortlich sind, ist einer der vielversprechendsten Ansätze in der Prävention und bevölkerungsweiten Gesundheitsförderung [15] . Um die wirtschaftlichen Auswirkungen oraler Erkrankungen und der zahnmedizinischen Versorgung auf Einzelpersonen und die gesamte Gesellschaft zu verstehen, ist es hilfreich, verschiedene Kostenkategorien zu betrachten. Dazu zählendie direktenKosten(Versorgungskosten), indirekten Kosten (Produktivitätsverluste) und immateriellen Kosten im Sinne eingeschränkter Lebensqualität. Zahnerkrankungen haben erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auf Einzelpersonen und Gesellschaften [16, 17] [17, 18] . Die zahnärztlichen Ausgaben sind sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zu den Kosten für die Behandlung anderer Krankheiten erheblich [2] . Die direkten Kosten für Zahnerkrankungen in EU-Ländern stehen an 3. Stelle hinter den direkten Kosten für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, jedoch vor Demenz, Atemwegserkrankungen und Krebs (. Abb. 2; [17] ). Für eine Reihe von Ländern, insbesondere Länder der niedrigen und mittleren Einkommensgruppe, wurde nachgewiesen, dass Selbstbehalte für zahnmedizinische Versorgung zu katastrophalen Gesundheitsausgaben führen und Haushalte in die Armut treiben können [19, 20] . Orale Erkrankungen können die Aktivitäten des täglichen Lebens deutlich einschränken. Erhebliche Fehlzeiten und reduzierte Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz und in der Schule sowie schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und geringeres Einkommen sind nur einige der möglichen Folgen [21, 22] . Für die erwachsene US-Bevölkerung wurde geschätzt, dass Zahnerkrankungen einen Verlust an qualitätsadjustierter Lebenserwartung (sog. QualityAdjusted Life Expectancy = QALE) in Höhe von 5,3 % des QALE-Verlusts durch die Gesamtmorbidität ausmacht [23] . QALE ist ein aggregiertes Maß für die Lebenserwartung unter Berücksichtigung der Lebensqua-lität. Weiterhin können orale Erkrankungen die Morbidität und Versorgungskosten anderer systemischer Erkrankungen erhöhen. So wird Parodontitis mit einer schlechteren Blutzuckerkontrolle bei Diabetikern in Verbindung gebracht. Untersuchungen auf Grundlage von administrativen Routinedaten zeigen, dass die Versorgung von Parodontitis zu einer Senkung der diabetesbedingten Versorgungskosten führen kann [24, 25] . Funding. Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL. Interessenkonflikt. H. Benzian und S. Listl haben keine Interessenskonflikte in Bezug auf den Inhalt des Manuskripts. Beide Autoren waren Co-Autoren der Lancet Oral Health Series (2019) und sind Mitglieder der Lancet Commission on Oral Health (https:// www.ucl.ac.uk/epidemiology-health-care/research/ epidemiology-and-public-health/research/dentalpublic-health/lancet-commission-oral-health). Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ licenses/by/4.0/deed.de. Transforming our World: The 2030 Agenda for Sustainable Development Oral diseases: a global public health challenge Oral health at a tipping point Oral Disorders Collaborators (2020) Global, regional, and national levels and trends in burden of oral conditions from 1990 to 2017: A systematic analysis for the Global Burden of Disease 2017 study Global burden of untreated caries: a systematic review and metaregression Global burden of severe periodontitis in 1990-2010: a systematic review and meta-regression Institute of Health Metrics and Evaluation (IHME) GBD Compare Visualisierung Ranking nach Prävalenz alle Erkrankungen/beide Geschlechter/ alleAltersgruppen2017 InternationalAgencyforResearchonCancer(IARC) Lip, oral cavity (Globocan 2020 fact sheet Global patterns and trends in cancers of the lip, tongue and mouth RKI) Faktenblatt zur HPV Impfung Human papillomavirus (HPV): making the case for 'Immunisation for All World traumatic dental injury prevalence and incidence, a meta-analysis-One billion living people have had traumatic dental injuries Systematic review and meta-analysis of the birth prevalence of orofacial clefts in low-and middle-income countries Why is noma a neglected-neglected tropical disease Ending the neglect of global oral health-time for radical action Global economic impact of dental diseases What is health economics? Global-, regional-, and country-level economic impacts of dental diseases in The impact of out-of-pocket payments for dental care on household finances in low and middle income countries World Health Organization (WHO) Regional Office for Europe (2019) Can people afford to pay for health care? New evidence on financial protection in Europe Oral health, academic performance, and school absenteeism in children and adolescents: a systematic review and meta-analysis The economic value of teeth Impact of dental diseases on Quality-Adjusted Life Expectancy in US adults Effectofperiodontaltreatmenton diabetes-related healthcare costs: a retrospective study The impact of periodontal treatment on healthcare costs in newly diagnosed diabetes patients Niederman R (2020) Pandemic considerations on essential oral health care Universal health coverage, oral health, equity and personal responsibility United Nations Development Programme (UNDP) (2019) Non-communicable disease prevention and control: a guidance note for investment cases From theoretical concepts to policies and applied programmes: the landscape of integration of oral health in primary care Analysis of human resources for oral health globally: inequitable distribution Planning the oral health workforce: time for innovation The minamata convention on mercury and its implications for management of dental caries in low-and middle-income countries FDI vision 2030: delivering optimal oral health for all Green dentistry: the art and science of sustainable practice Carbon modelling within dentistry-towards a sustainable future Watt RG (Hrsg) Oral epidemiology: a textbook on oral health conditions, research topics and methods An international working definition for quality of oral healthcare Integrating the common risk factor approach into a social determinants framework Transnational corporations and oral health: examples from the sugar industry Conflicts of interest between the sugary food and beverage industry and dental research organisations: time for reform The Lancet Oral Health Series: implications for oral and dental research Roleofdentistryinglobalhealth:challenges and research priorities Political priority of global oral health: an analysis of reasons for international neglect Universal health coverage: moving together to build a healthier world" (Resolution A/RES/74/2) The UN High-level meeting on prevention and control of non-communicable diseases and its significance for oral health worldwide World Health Organization (WHO) (2021) Oral health Executive board resolution EB148/R1 World Health Organization (WHO) (2020) Oral Health Achieving better oral health as part of the universal health coverage and noncommunicable disease agendas towards 2030 Time to align: development cooperation for the prevention and control of noncommunicable diseases Fit For School-a school-based water, sanitation and hygiene programme to improve child health: results from a longitudinal study in Cambodia, Indonesia and Lao PDR German Health Practice Collection: Keeping children "Fit for School