key: cord-0012628-xnm5mlir authors: Trentzsch, H.; Osterhoff, G.; Heller, R.; Nienaber, U.; Lazarovici, M. title: Herausforderungen der Digitalisierung in der Traumaversorgung date: 2020-08-27 journal: Unfallchirurg DOI: 10.1007/s00113-020-00859-7 sha: a4e079898d57df091361de349fd98835ef62c4e2 doc_id: 12628 cord_uid: xnm5mlir The increasing digitalization of social life opens up new possibilities for modern health care. This article describes innovative application possibilities that could help to sustainably improve the treatment of severe injuries in the future with the help of methods such as big data, artificial intelligence, intelligence augmentation, and machine learning. For the successful application of these methods, suitable data sources must be available. The TraumaRegister DGU® (TR-DGU) currently represents the largest database in Germany in the field of care for severely injured patients that could potentially be used for digital innovations. In this context, it is a good example of the problem areas such as data transfer, interoperability, standardization of data sets, parameter definitions, and ensuring data protection, which still represent major challenges for the digitization of trauma care. In addition to the further development of new analysis methods, solutions must also continue to be sought to the question of how best to intelligently link the relevant data from the various data sources. Einleitung Das Thema Digitalisierung in der Medizin ist eines der am intensivsten diskutierten Themen der Zeit und hat vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie ("coronavirus disease 2019") zusätzlichen Schub gewonnen. Die zunehmende Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens verändert die Anforderungen an eine moderne Gesundheitsversorgung und bietet zugleich Chancen und Risiken für ein patientenzentriertes, effizientes Gesundheitssystem [1] . Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Schwerverletztenversorgung die Frage, wie durch Digitalisierung neue, zukunftsorientierte und innovative Anwendungsmöglichkeiten erschlossen werden können. Digitale Entwicklungen können die Errungenschaften aus Informationstech-H. Trentzsch ist stellvertretender Leiter der Sektion Notfall-, Intensivmedizin und Schwerverletztenversorgung (Sektion NIS) der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). U. Nienaber ist Mitglied der Sektion NIS. H. Trentzsch und U. Nienaber gehören dem AK TraumaRegister in der Sektion NIS an. R. Heller, G. Osterhoff sind Mitglieder des AK Digitalisierung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU). nologie und Medizintechnik zusammenführen. Sie besitzen großes Potenzial, die Gesundheitsversorgung effizienter zu gestalten und Diagnostik wie Therapien zu verbessern [1] . Dafür müssten die bisher getrennt voneinander arbeitenden Datenquellen (z. B. Dokumentationssysteme und medizinische Geräte) miteinander vernetzt werden, um Datenströme zu verbinden und Patientendaten kontinuierlich zu erheben. Dem Datenschutz kommt in diesem sensiblen Bereich besondere Bedeutung zu. "Big Data" und künstliche Intelligenz -Zukunftsperspektive für die Datenauswertung "Big Data" ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Verfahren, mit denen Datenmengen, welche zu groß, zu komplex, zu schnelllebig oder zu schwach strukturiert sind, um sie mit manuellen und herkömmlichen Methoden der Datenverarbeitung auszuwerten, erschlossen werden können [2] . Künstliche Intelligenz (KI) beschreibt allgemein den Versuch, menschliche Entscheidungsstrukturen nachzubilden. Hieraus ergibt sich eine enorme Bandbreite an Ansätzen bis hin zur Simulation menschlichen Denkens [3] . "Intelligence Augmentation" (IA) ist eine alternative Konzeptualisierung künstlicher Intelligenz. Im Unterschied zur klassischen Definition von KI fokussiert IA auf die positive Ergänzung menschlicher Kognition durch computergesteuerte kognitive Technologien. Die Wahl des Wortes "augmentation" bestärkt im Sinne von "erweitern" die unterstützende Rolle der KI bei der Lösung von Problemen [4] . Die aktuell erfolgreichsten Ansätze in der KI-Forschung basieren auf "Machine Learning", insbesondere in der Form von "Deep Learning". Hierbei erlernt das Programm unter Anwendung einer sehr großen Zahl von positiven und negativen Beispielen die relevanten Merkmale der im Fokus stehenden Situation und bildet diese automatisch in internen Strukturen ab. Der wesentliche Unterschied zur "klassischen" KI ist dieser automatische Aufbau interner Abbildungen, die nicht vorab bestimmt werden müssen [5, 6] . Von Ärzten wird erwartet, dass sie aus verfügbaren Informationen Diagnosen ableiten und Empfehlungen zur Behandlung unter Abwägung aller verknüpften Faktoren aussprechen. Im chirurgischen Setting schließt das eine technische Komponente hinsichtlich der Verfahrenswahl ein. Hier bieten sich eine Vielzahl möglicher Anwendungsgebiete für KI und IA, um komplexe Zusammenhänge aufzuzeigen. Es ist aber essenziell die Abgrenzung von Kausalität zu betonen, denn rechnerische Zusammenhänge zwischen einzelnen Parametern oder hochdimensionalen Clustern können zufällig sein oder aufgrund weiterer, u. U. unbekannter Einflussgrößen ("Confounder") entstehen. Es liegt in der Verantwortung des Fragestellers, die Interpretation der Ergebnisse unter Beachtung von Mög-lichkeiten und Grenzen dieser Methoden vorzunehmen. Um das volle Potenzial dieser Technologien auszuschöpfen und gleichzeitig ihre Risiken zu minimieren, müssen alle Bausteine in eine nahtlose und benutzerfreundliche Plattform integriert werden, auf die Patienten und Ärzte vertrauen können und die den ethischen Ansprüchen unserer Gesellschaft standhält. Um das Vertrauen zu gewährleisten, ist die Rückverfolgbarkeit der Systemprozesse von entscheidender Bedeutung, um die Einschränkungen nicht transparenter Systeme zu überwinden und die Rechenschaftspflicht bei falschen Diagnosen oder Behandlungskomplikationen zu gewährleisten. KI-Systeme in der Patientenversorgung werden auch kritisch gesehen. Studien von besserer methodischer Qualität zwingend notwendig [7] . Nebeninfrastrukturellenund prozeduralen Anforderungen an die Rettungskette kommt dem Informationsfluss zwischen den verschiedenen Sektoren von prähospitaler und innerklinischer Versorgung eine wichtige Bedeutung zu, um die erforderlichen Ressourcen für die bestmögliche Behandlung rechtzeitig bereitstellen zu können. Prähospitale Triage und Telematik zur Übermittlung von Unfall-und Vitaldaten des Patienten an die Zielklinik noch vor der Aufnahme im Schockraum sind mögliche Anwendungsgebiete. Angesichts eingeschränkter diagnostischer Möglichkeiten müssen Notärzte und Rettungskräfte Zustandseinschätzungen anhand limitierter Informationen treffen, um den Transfer in ein geeignetes Traumazentrum einzuleiten. Zwar existieren Hilfestellungen, wie z. B. in der S3-Leitlinie "Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung" der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), diese gehen jedoch selbst für erfahrenes medizinisches Personal teils mit hohen Übertriageraten einher [8] . Die KI kann genutzt werden, um präklinisch erhobene Vitalparameter, Informationen zu Unfallmechanismus und Patientencharakteristika zur Abschätzung der Verletzungsschwere heranzuziehen, um dann die Verfügbarkeit der zur Behandlung erforderlichen Kapazitäten der nächstgelegenen Krankenhäuser abzufragen und die nächste, geeignete, aufnahmebereite Klinik vorzuschlagen. Anhand von Leitstellendaten gelingen z. B. Vorhersagen für die stationäre oder ambulante Versorgung von Notfallpatienten [9] . Mit besseren Daten könnten in ähnlicher Weise Vorhersagen über Intensivbehandlungs-oder Operationsbedürftigkeit getroffen werden. Schon heute existieren Systeme wie IVENA (https://www.ivena-hessen.de) und IG-NRW (https://www.ig.nrw.de), welche Krankenhauskapazitäten erfassen und die Zuweisung von Patienten anhand der benötigten Ressourcen steuern. KI könnte diese Instrumente verbessern. Digitale Systeme können Daten vom Einsatzort direkt in den Schockraum senden. Systeme wie "peeqBOX" erlauben die sichere Übertragung von EKG-Daten in Echtzeit über Mobilfunk [10] . Für andere Daten gestaltet sich die Übertragbarkeit noch schwierig, v. a. weil standardisierte Schnittstellen fehlen [11] . Die Anmeldung von Schwerverletzten über digitale Dokumentationssysteme ist schon heute möglich. Welchen Wert solche Systeme für das Behandlungsergebnis besitzen ist unklar. Damit sie funktionieren, müssen die Systeme mit entsprechenden Daten befüllt werden, was zusätzliche Zeit kostet, wenn die Daten nicht automatisch erhoben werden. Automatisierung kann helfen, diese Zeit zu sparen, ist aber auch fehleranfällig. Anwendungen zur Situationseinschätzung sind beschrieben: So konnten mithilfe von maschinellem Lernen anhand der pulsoxymetrisch gemessenen Sauerstoffsättigung und validierten Herzfrequenzen Abschätzungen der Verletzungsschwere und der Notwendigkeit zur Notfallintervention getroffen werden [12] . Des Interoperabilität von Gesundheitsinformationen · Datenspeicherung · Datenschutz · Elektronische Patientenakte · Register The increasing digitalization of social life opens up new possibilities for modern health care. This article describes innovative application possibilities that could help to sustainably improve the treatment of severe injuries in the future with the help of methods such as big data, artificial intelligence, intelligence augmentation, and machine learning. For the successful application of these methods, suitable data sources must be available. The TraumaRegister DGU ® (TR-DGU) currently represents the largest database in Germany in the field of care for severely injured patients that could potentially be used for digital innovations. In this context, it is a good example of the problem areas such as data transfer, interoperability, standardization of data sets, parameter definitions, and ensuring data protection, which still represent major challenges for the digitization of trauma care. In addition to the further development of new analysis methods, solutions must also continue to be sought to the question of how best to intelligently link the relevant data from the various data sources. Potenzielle Anwendungen für IA-gestützte Systeme finden sich in 4 klinischen Bereichen: 4 Analyse und Interpretation anamnestischer Daten und Untersuchungsergebnissen [16] [17] [18] [19] [20] [21] , digitaler Algorithmen die Fehlerrate in den ersten 30 min der Schockraumversorgung signifikant reduziert werden kann [26] . Assistenzsysteme unterstützen zudem die Datenerhebung für die innerklinische Triage [19] . Im Vergleich erwiesen sich "menschliche" und "künstliche" Intelligenz dabei als gleichwertig [20] . Ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung aus Sicht des TR-DGU wäre eine Effizienzsteigerung bei der Datenerhebung durch Import aus bestehenden digitalen Datenquellen. Der Datensatz umfasst derzeit 198 Parameter. Der Umfang bleibt trotz regelmäßiger Anpassungen an den medizinischen Fortschritt über die Jahre aber relativ konstant [27] . Alle Parameter sind Routinedaten und finden sich daher alle in der Patientenakte wieder, welche zunehmend elektronisch geführt wird. Es liegt daher nahe, die Daten elektronisch importieren zu wollen. Schon jetzt bietet das TR-DGU eine XML-Schnittstelle. Die Diversität der Systeme erschwert jedoch den Import von Daten. Die Schnittstellen benötigen deshalb regelhaft individuelle Anpassungen. Das betrifft sowohl unterschiedliche Bereiche innerhalb einer Klinik (Notaufnahme, Intensiv-und Normalstation, [bildgebende] Diagnostik, Labor) als auch verschiedene Kliniken, die dasselbe System in unterschiedlicher Konfiguration benutzen. Die Anpassung ist zeit-und kostenintensiv und kann nur von der jeweils eigenen EDV-Abteilung erarbeitet werden. Krankenhausinformationssysteme (KIS) sind eher abrechnungstechnisch orientiert und entsprechen weniger einer Behandlungsdokumentation. So werden Diagnosen z. B. über ICD-10 verschlüsselt, der Gesundheitszustände mit Diagnose oder Symptome beschreibt. Für medizinisch-wissenschaftliche Fragestellungen eignen sind Codesysteme, die anatomisch gegliedert sind und Verletzungen nach ihrem Schweregrad be-schreiben besser. Das TR-DGU benutzt die "abbreviated injury scale" (AIS), die sich in derselben Exaktheit nicht in den ICD-10 ("International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems") übertragen lässt [28] . Auch andere, in KIS verwendeten Kataloge, wie z. B. der Operationen-und Prozedurenschlüssel (OPS), sind nicht optimal für die Verwendung in langlaufenden medizinischen Registern, da die Bedeutung der einzelnen Codes ständigen Anpassungen unterliegt und somit nicht konstant bleibt. Eine faszinierende Zukunftsvision ist es, Bilddaten im Register zu hinterlegen. Erste Vorstöße dazu gab es schon. Eine automatisierte Mustererkennung zur Analyse von CT-Bildern mit KI/IA wurde für das TR-DGU aber noch nicht realisiert. Zur nahtlosen Weitergabe von Daten über Systemgrenzen hinweg (Interoperabilität) ist die Vereinheitlichung der Daten nach internationalen Standards, wie z. B. "logical observation identifiers names and codes" (LOINC) für Laborwerte [29] oder medizinische Terminologiesysteme wie "systematized nomenclature of medicine clinical terms" (SNOMED CT; [30] ) erforderlich. Damit ist vor einem Transfer von Daten aus KIS-Systemen in Registeranwendung, aber eben auch in neuartige KI und IA-Systeme, zunächst eine Normalisierung der Daten auf der Basis einheitlicher Definitionen notwendig. Gute Lösungen lieferte das Verbundforschungsprojekt "Verbesserung der Versorgungsforschung in der Akutmedizin in Deutschland durch den Aufbau eines Nationalen Notaufnahmeregisters" (AKTIN) der Gruppe um das DIVI-Notaufnahmeprotokoll (DI-VI-NAP), welches in Zusammenarbeit mit KIS-Herstellern eine elektronische Umsetzung des ehemals papierbasierten Protokolls für den Aufbau eines nationalen Notaufnahmeregisters ermöglichen soll [31] . Dank enger Abstimmung mit dem TR-DGU sind die Parameter des TR-DGU von der Präklinik bis zum Ende der Schockraumphase im DIVI-NAP entsprechend abgebildet. Bei der Umsetzung ist Beständigkeit wichtig. KIS-Hersteller müssen frühzeitig informiert werden, um ihre Systeme bei Änderungen anpassen zu können. Anpassungensind immermitKostenverbunden. Werden sie versäumt, dann fehlen Dateneingabefelder oder sind veraltet, was wiederum zu fehlenden oder fehlerhaften Daten führt. Es scheint sinnvoll, die Verantwortung für die Konstanz in die Hände der wissenschaftlichen Fachgesellschaften zu geben. Digitalisierung in der Medizintechnik Kommerzielle digitale Überwa-chungimAlltag-Erfassung The quest for artificial intelligence-a history of ideas and achievements Augmented Intelligence -Wie Menschen mit KI zusammen arbeiten Artificial intelligence in modern medicine-the evolving necessity of the present and role in transforming the future of medical care Machine learning and the profession of medicine A comparison of deep learning performance against health-care professionals in detecting diseases from medical imaging: a systematic review and meta-analysis Prehospital triage accuracy in a criteria based dispatch centre Differences between cases admitted to hospital and discharged from the emergency department after emergency medical services transport Implementation phase of a multicentre prehospital telemedicine system to support paramedics: feasibility and possible limitations A systematic review of the implementation challenges of telemedicine systems in ambulances Automatic pre-hospital vital signs waveform and trend data capture fills quality management, triage and outcome prediction gaps Nicht vor Ort, aber doch verfügbar: Virtuelle Präsenz im medizinischenNotfallbereich OR.NET: a service-oriented architecture for safe and dynamic medical device interoperability Artificial intelligence: Bayesian versus heuristic method for diagnostic decision support Accuracy of a Chatbot (Ada) in the diagnosis of mental disorders: comparative case study with lay and expert users A patient like me"-An algorithm-based program to inform patients on the likely conditions people with symptoms like theirs have An integrated computerized triage system in the emergency department Comparison of emergency department trauma triage performance of clinicians and clinical prediction models: a cohort study in India diffcyt:differentialdiscoveryinhigh-dimensional cytometry via high-resolution clustering Automateddetectionandclassification of the proximal humerus fracture by using deep learning algorithm Artificial intelligence in musculoskeletalimaging:currentstatusandfuture directions Deep neural network improves fracture detection by clinicians Evolution and current applications of robotassisted fracture reduction: a comprehensive review Trauma resuscitation errors and computer-assisted decision support Der Datensatz des TraumaRegister DGU ® , seine Entwicklung uber 25 Jahre und Fortschritte in der Schwerverletzenversorgung Vergleich von ICD-10 und AIS mit der Entwicklung einer Methode zur automatisierten Umwandlung SNOMED CT: Meilenstein für die Standardisierung Vom Protokoll zum Register -Entwicklungen für ein bundesweites Qualitätsmanagement in deutschen Notaufnahmen. The development of a national data set, quality indicators and an emergency department registry by the DIVI