key: cord-0010155-na23tv0y authors: Winckler, Thomas title: Systematik und Biologie der Hepatitis‐Viren. Ähnliche Erkrankung – unterschiedliche Viren date: 2010-12-30 journal: Pharm Unserer Zeit DOI: 10.1002/pauz.201100395 sha: f8f0cbfa34eb28f2380d19663b34d8bce30e966b doc_id: 10155 cord_uid: na23tv0y Hepatitis‐Viren wurden und werden dadurch gefunden und letztlich auch benannt, dass man die infektiösen Agenzien – meist in Form ihrer Nukleinsäuren – im Blut von Patienten mit Leberentzündungen nachweist. Die Nomenklatur folgt dann dem Alphabet. So ist es leicht nachvollziehbar, dass durchaus sehr unterschiedliche Virustypen gefunden wurden, die strukturell keine oder nur wenig Gemeinsamkeiten aufweisen. Umso interessanter ist es, sich die Biologie der verschiedenen Hepatitis‐Viren genauer anzusehen. Zwar können durchaus auch andere Viren wie das Cytomegalovirus oder auch das Gelbfiebervirus zu sporadischen Lebererkrankungen führen, aber die epidemischen, akut oder chronisch verlaufenden Leberentzündungen werden durch eine Reihe von Viren verursacht, die man als Hepatitis-Viren zusammenfasst. Im Gegensatz zu dieser einheitlichen Namensgebung sind die Hepatitis verursachenden Viren strukturell sehr unterschiedlich (Tab. 1). Viren sind demnach nicht als lebende Organismen anzusehen. Infektiöse Viruspartikel (auch Virionen genannt) enthalten ein Genom aus Nukleinsäure, entweder RNA oder DNA, das von schützenden Proteinen umgeben ("verpackt") ist. Diese viralen Strukturproteine werden vom jeweiligen Virusgenom selbst codiert. Diese Nukleinsäure-Protein-Komplexe können von weiteren viralen Proteinen umhüllt sein, die stäbchenförmige oder sphärische Viruscapside ausbilden. Außerdem codieren Virusgenome in der Regel für enzymatische Funktionen, die für die Replikation des Virusgenoms notwendig sind, sowie für weitere Proteine, die an der Regulation verschiedener biochemischer Vorgänge (Nukleinsäuresynthese, Proteinsynthese) in der infizierten Zelle beteiligt sind. Einige Viren sind zusätzlich von einer Doppelmembran umhüllt. Diese Hülle kann aus verschiedenen Kompartimenten der zuvor infizierten Zellen bestehen, z.B. der Zytoplasmamembran oder dem Endoplasmatischen Retikulum. In die Lipidhülle können wiederum virale Proteine eingelagert werden, die beispielsweise als Liganden für zelluläre Rezeptoren während des "Andockens" der Viren an eine Zelle zu Beginn eines Infektionszyklusses von Bedeutung sind. Die systematische Einteilung der verschiedenen Virus-Familien gelingt am besten nach folgenden Kriterien: • der Art der Nukleinsäure des Virusgenoms (RNA oder DNA) und der Form, in der sie vorliegt (Einzelstrang oder Doppelstrang, Positiv-oder Negativ-Orientierung, linear, zirkulär oder segmentiert), • der Symmetrieform der Viruscapside, • der An-oder Abwesenheit einer Membranhülle. Abbildung 1 zeigt eine grobe Einteilung der Viren nach dem ersten genannten Punkt, mit einigen Bei-spielen humanpathogener Viren aus jeder Gruppe. Aus der Übersicht wird auch deutlich, dass die in diesem Artikel besprochenen Hepatitis-Viren -obwohl sie eine ähnliche Erkrankung auslösen -zu sehr unterschiedlichen Virusfamilien gehören. Die Das Hepatitis-A-Virus (HAV) gehört zu den Picornaviren Der Name leitet sich aus den Wörtern "pico" (klein) und "RNA" ab. Gegen eine Infektion mit Hepatitis-A-Viren existiert eine effektive Schutzimpfung. Die Impfung ist allerdings nicht Teil der von der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) empfohlenen Standardimpfungen. Es stehen verschiedene Impfstoffe zur Verfügung, die als Impfantigene vollständige, mit Formaldehyd inaktivierte Hepatitis-A-Viren enthalten. Da die Inkubationszeit mit 15 bis 50 Tagen relativ lang ist und nach einer Impfung mit monovalentem Impfstoff ca. 95 % der Geimpften bereits nach zwei Wochen schützende Antikörper ausbilden, lohnt sich auch eine aktive Immunisierung unmittelbar nach einer vermutlichen Exposition mit Hepatitis-A-Viren. Picornaviren besitzen ein RNA-Genom, das einzelsträngig und in Positiv-Orientierung vorliegt. "Positiv" oder "(+)" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Virus-RNA nach der Freisetzung in einer Zelle direkt als mRNA zur Translation der viralen Proteine dienen kann, also ohne dass das virale Genom zuvor transkribiert werden musste. Solche viralen (+)-RNAs sind per se infektiös: Selbst als "nackte" RNAs, ohne in ein Viruscapsid verpackt worden zu sein, würden sie eine Infektion und die Produktion infektiöser Virionen auslösen können, wenn sie auf eine andere Art als die natürliche Infektion in eine Zelle gelangen würden. Picornaviren Das Hepatitis-B-Virus ist namensgebend für eine sehr ungewöhnliche Virus-Familie, deren Genome teilweise doppelsträngig vorliegende DNA enthalten. Der Familienname "Hepadnavirus" beinhaltet die Wortstämme "Hepatitis" und "DNA" und wurde ursprünglich eingeführt, um das Hepatitis-B-Virus von anderen damals bekannten Hepatitis-Viren abzugrenzen, die alle RNA-Genome enthalten (vgl. Abb. 1, Tab. 1). Hepatitis 3' (-)-S t r a n g (+ ) -S t r a n g DR1 DR2 Cap mit Gelbsucht. Die Hepatitis dauert in der Regel 2 bis 3 Wochen an, kann jedoch bei 5 bis 10 % der Fälle, bezogen auf alle Infizierten, in eine chronische Phase übergehen. Bei prä-oder perinataler Infektion muss in bis zu 90 % der Fälle mit einem chronischen Verlauf der Hepatitis B gerechnet werden. Die chronische Phase kann symptomlos verlaufen, die Betroffenen sind jedoch Virusträger. Als Spätfolgen der chronischen Hepatitis B können sich Folgeerkrankungen wie Leberzirrhose und Leberzellkarzinome ausbilden. Das Hepatitis-B-Virus ist selbst nicht cytopathogen. Es scheint, dass die beobachtete Zerstörung von Leberzellen die Folge der Immunanwort des Körpers auf die persistierende Virusinfektion darstellt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind 300 bis 420 Millionen Menschen weltweit (5 bis 7 %) chronisch mit Hepatitis-B-Viren infiziert. Es wird geschätzt, dass ca. 30 % aller Leberzirrhosen und 53 % aller Leberzellkarzinome durch Infektionen mit dem Hepatitis-B-Virus verursacht werden. In Deutschland wurden im Jahr 2008 insgesamt 822 und im Jahr 2009 748 Fälle akuter Hepatitis B, die der Referenzdefinition entsprachen, an das RKI gemeldet. In diesen Fällen war die Mehrzahl der Betroffenen (84 %) ungeimpft. Die Prävention durch Impfung gegen das Hepatitis-B-Virus wird seit 1995 von der STIKO als Standardimpfung im Säuglings-, Kinder-und Jugendalter empfohlen. Neuere Untersuchungen aus dem Jahr 2007 belegen, dass in Deutschland ca. 90 % der Kinder bei der Einschulung eine vollständige Grundimmunisierung gegen Hepatitis-B-Viren haben. Der Impfstoff enthält das gentechnisch in der Hefe Saccharomyces cerevisiae hergestellte Oberflächen-Antigen S-HBsAg. Das Hepatitis-C-Virus besitzt ein einzelsträngiges RNA-Genom in ( Derzeit gibt es keinen Impfschutz gegen Hepatitis-C-Viren. Allerdings wird Personen, die mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert sind geraten, sich gegen Hepatitis-A-und Hepatitis-B-Viren impfen zu lassen, da gleichzeitige Infektionen zu einem schwereren Krankheitsverlauf führen können. Das Hepatitis-D-Virus, manchmal auch als Hepatitis-Delta-Virus bezeichnet, müsste man eigentlich im Zusammenhang mit dem Hepatitis-B-Virus besprechen, denn es kann allein nicht replizieren. Tatsächlich benötigt das Hepatitis-D-Virus eine gleichzeitige Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus für seine eigene Verbreitung. Allerdings ist die Struktur des Hepatitis-D-Virus völlig verschieden von der seines "Helfervirus". Die Viruspartikel sind ca. 35 nm im Durchmesser, besitzen die Lipidhülle und die Membranproteine wie die Hepatitis-B-Viren und infizieren auch die Zielzellen ganz analog. Das Genom des Hepatitis-D-Virus besteht aus lediglich 1.680 Nukleotiden, die in einer zirkulären RNA mit (-)-Strang-Orientierung arrangiert sind. Die RNA ist prinzipiell einzelsträngig, zeigt aber einen hohen Grad an Selbst-Komplementarität, so dass ca. 70 % der viralen RNA als intramolekularer Doppelstrang vorliegen. Zusätzlich ist die RNA mit ungefähr gleich vielen Molekülen der großen und kleinen Variante des HDAg-Proteins komplexiert. Die virale RNA des Hepatitis-D-Virus gelangt nach der Infektion über eine Kernlokalisierungssequenz im Aminoterminus der HDAg-Proteine in den Zellkern und wird dort von der zellulären RNA-Polymerase II in eine ca. 800 Nukleotide lange mRNA transkribiert (Abb. 9). Diese codiert für die kleinere 24-kDa-Variante des HDAg-Proteins (SHDAg ViralZone Hepatitis B viruses: reverse transcription a different way Replication of hepatitis C virus GB Virus C/Hepatitis G Virus (GBV-C/HGV): still looking for a disease Hepatitis viruses: A Pandora's box? Biologie-Studium an der Universität Konstanz Promotion an der Universität Konstanz; 1991-1992 Postdoktorand am Institut Pasteur Paris; 1992-2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter, Assistent und Oberassistent am Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt; 2000 Habilitation im Fach Pharmazeutische Biologie; seit oder Prenylierung der größeren Variante (LHDAg), wodurch sich das Protein eventuell an die Membran der Golgi-Vesikel anlagern kann. Im Aminoterminus haben beide HDAg-Versionen neben der Kernlokalisierungssequenz eine Oligomerisierungsdomäne, wodurch sich die Proteine zu Dimeren und weiter zu Oktameren zusammenlagern können. Außerdem weisen beide Proteine eine in zwei Abschnitte unterteilte, Arginin-reiche RNA-Bindungsregion auf.SHDAg bewirkt gemeinsam mit der zellulären RNA-Polymerase II die Herstellung des zur genomischen (-)-RNA komplementären "Antigenoms", d.h. das Hepatitis-D-Virus nutzt weder eine eigene RNA-abhängige RNA-Polymerase noch die des Hepatitis-B-Virus für seine eigene Replikation. Die Genom-Replikation verläuft vermutlich in einem so ge-nannten Rolling-circle-Mechanismus, wobei Konkatemere entstehen, die vielfache Einheiten des Antigenoms enthalten. Diese werden durch RNAautokatalysierte Prozesse mehrfach geschnitten und prozessiert. Die Antigenome werden, ebenfalls durch die zelluläre RNA-Polymerase II, in neue RNA-Genom-Konkatemere transkribiert. Auch diese werden durch die Ribozym-Aktivität der RNA autoprozessiert (Abb. 9). In einem Teil der gebildeten Antigenome wird das Adenosin im UAG-Translations-Stoppcodon durch zelluläre Adenosin-Desaminasen zu einem Inosin desaminiert. Auch dieses editierte Antigenom wird in genomische (-)-RNA umgeschrieben, wobei das veränderte Stoppcodon zu einem ACC-Codon wird. Die aus einem erneuten Transkriptionsschritt entstandene (+)-RNA trägt nun anstelle des Stoppcodons das Codon UGG, das für die Aminosäure Tryptophan codiert. Dadurch wird der HDAg-Leserahmen um 19 Codons verlängert und die größere 27-kDa-Variante des Proteins, LHDAg, gebildet, die für die Verpackung der RNA-Genome wichtig ist. Sowohl das normale als auch das editierte (-)-Strang-Genom werden in Viruspartikel verpackt. Allerdings sind die editierten Genome selbstlimitierend, da direkt nach der Infektion LHDAg gebildet wird, das die Replikation des Virus-Genoms verhindert.Inzwischen kennt man acht verschiedene Genotypen des Hepatitis-D-Virus (I bis VIII), die sich in der RNA-Sequenz bis zu 40 % unterscheiden können.Die Übertragungswege einer Hepatitis-D-Virus-Infektion sind mit denen einer Hepatitis B identisch. Koinfektionen mit beiden Viren äußern sich symptomatisch in einer fulminant verlaufenden Hepatitis B mit erhöhten Sterblichkeitsraten. Werden Patienten mit einer chronischen Hepatitis B mit dem Hepatitis-D-Virus superinfiziert, entwickeln 60 bis 70 % dieser Personen eine Leberzirrhose.In Deutschland ist die Hepatitis D sehr selten, es wurden in den Jahren 2008 und 2009 nur je sieben Fälle einer gesicherten Hepatitis D an das RKI gemeldet. Eine antivirale Therapie gegen das Hepatitis-D-Virus ist derzeit nicht bekannt, allerdings schützt die Impfung gegen das Hepatitis-B-Virus in der Regel auch gegen eine Infektion mit dem Hepatitis-D-Virus. Die Verwendung weiterer Buchstaben für potenzielle Hepatitis-Viren hört nicht auf und so findet man in manchen Lehrbüchern auch das Hepatitis-F-und das Hepatitis-G-Virus. Ob das Hepatitis-F-Virus tatsächlich existiert, muss erst noch gezeigt werden; bisher gibt es nur indirekte Belege dafür. Dagegen wurde 1995 aus einem an einer Leberentzündung erkrankten Patienten ein neues Virus isoliert, das als Hepatitis-G-Virus (HGV) oder auch als GB-Virus C bezeichnet wird. Es gehört, wie das Hepatitis-C-Virus, zu den Flaviviridae und ähnelt diesem Virus auch sehr stark. Von HGV kennt man mittlerweile fünf verschiedene Genotypen, die regional gehäuft auftreten: Genotyp 1 findet sich überwiegend in Westafrika, Genotyp 2 in Nordamerika und Europa, Genotyp in Asien, Genotyp 4 in Südostasien und Genotyp 5 in Südafrika.Die Organisation des ca. 9.500 Basen langen (+)-RNA-Genoms von Hepatitis-G-Viren ist sehr ähnlich zu der von Hepatitis-C-Viren, unterscheidet sich allerdings darin, dass das gebildete Polyprotein kein Capsid-Protein enthält. Die Übertragungswege ähneln ebenfalls denen von Hepatitis-C-Viren, und HGV-RNA lässt sich zwei bis drei Wochen nach der Exposition im Blut des Infizierten nachweisen. Meist sind im Körper von Infizierten Antikörper gegen das Oberflächenprotein E2 nachweisbar, die dann dazu führen, dass praktisch keine HGV-RNA mehr nachweisbar ist.Allerdings ist noch fraglich, ob das Hepatitis-G-Virus tatsächlich eine Hepatitis auslöst. Da der Durchseuchungsgrad innerhalb der Bevölkerung mit bis zu 4 % relativ hoch ist, ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass man in einem an Hepatitis erkrankten Patienten zufälligerweise auch HG-Viren findet. Versuche, wirklich einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Lebererkrankung und Hepatitis-G-Viren herzustellen, haben bisher nicht zum eindeutigen Beweis geführt. Dann wird dieses Virus vielleicht nicht mehr unter Hepatitis-G-Virus, sondern nur noch unter GB-Virus geführt.