key: cord-0006880-wjss0gny authors: Burchardi, H. title: 5. Das akute Lungenversagen — eine kritische Analyse date: 1987 journal: Langenbecks Arch Chir DOI: 10.1007/bf01297789 sha: a3bfa013f6e148d0e99ecdfcfda3cb6fed09a826 doc_id: 6880 cord_uid: wjss0gny The Adult Respiratory Distress Syndrome (ARDS) is a clinical syndrome with acute progressive lung function deterioration based on increased pulmonary permeability and caused mostly by non-pulmonary lesions (like sepsis or polytrauma), occasionally also by pulmonary diseases (like pneumonia) or intoxications (e.g. by paraquat). In the complex, interactive pathomechanisms (e.g. complement activation, stimulation of the arachidon metabolism) with release of numerous damaging mediators the massive accumulation of neutrophils in the lung plays an important role. Das Krankheitsbild ist ein klinisches Syndrom eines akuten, rasch progredienten Atemversagens, bei dem die Vitalfunktionen nur durch maximale Intensivmedizin gesichert werden k6nnen. Dabei ist es insbesondere die Morphologie, die das Gemeinsame und Eindeutige dieses Krankheitsbildes kennzeichnet: Ein frfihes Charakteristikum ist die pulmonale Permeabilit~itsst6rung, die zum interstitiellen Odem ffihrt. Sp~iter (nach etwa 2-3 Wochen) dominiert eine progressive interstitielle Fibrosierung. Offenbar ist die Lunge nur in der Lage, einf6rmig und monoton auf unterschiedlichste Noxe und L~isionen zu reagieren. Die Folge ist, dab auch das klinische Erscheinungsbild recht charakteristisch ist: Es kommt zu einer Gasaustauschst6rung zun~ichst ffir Sauerstoff (arterielle Hypox~imie), sp~iter auch ffir CO2 (vermehrte Totraumventilation), die rasch progredient ist und die bald die apparative Beatmung erforderlich macht. Dabei mfissen immer gr613ere Beatmungsvolumina (15 l/min und mehr) aufgebracht werden, um eine ausreichende Ventilation zu sichern. Die sich kontinuierlich verschlechternde Lungendehnbarkeit (Compliance) ffihrt aul3erdem dazu, dab die Beatmungsdrficke st~indig steigen und die geffirchtete Drucksch/idigung der Lunge (,,Barotrauma") droht. Die R6ntgenaufnahmen der Lunge zeigen die typischen, meist seitengleichen Ver~inderungen: Anfangs die homogene Verschattung des interstitiellen Odems, sp~iter die netzf6rmige Zeichnung der interstitiellen Fibrosierung; diese Veranderungen sind jedoch oft fiberlagert durch grobfleckige bronchopneumonische Verschattungen. Kann trotz aggressiver Intensivmedizin keine Heilung erreicht werden, so ffihrt der progrediente Verlauf bald zur v611igen Insuffizienz der pulmonalen Gasaustauschfunktion. Der Tod tritt jedoch meist ein als Folge weiterer, begleitender Organversagen (z. B. Nierenversagen) im ,,multi-organ failure". Dieses zwar eindrucksvolle Krankheitsbild ist dennoch klinisch nur schwer fal3bar, da die klinische Symptomatik vieldeutig ist. Als Definition bleibt daher lediglich ein akutes, progredientes Atemversagen unterschiedlicher Jt'tiologie auf dem Boden einer pulmonalen Permeabiliti#sst6rung. In dieser unklaren Definition liegt der Grund, dab alle Statistiken zu diesem Syndrom fiber H~iufigkeit, Therapieerfolge und Mortalit~it fragwfirdig sind: Ein Krankheitsbild, dessen Definition unsicher ist, l~il3t sich nicht genau quantifizieren. Es erscheint daher berechtigt zu fragen, ob hier fiberhaupt ein einheitliches Krankheitsbild vorliegt? F fir die Entit~it dieses Syndroms spricht in erster Linie die Morphologie: Das Einheitliche liegt somit in der einf6rmigen Reaktion der Lunge auf die verschiedensten ausl6senden Noxe. Die Zahl der Sch~idigungen, die bekanntermal3en zum Entstehen eines ,,Akuten Lungenversagens" ffihren k6nnen, ist inzwischen sehr grog geworden (Tabelle 1). Angesichts dieser langen Liste recht verschiedenartiger Ursachen erscheint es zumindest berechtigt, einzelne Gruppen unterschiedlicher Sch~idigungsmechanismen herauszusondern: Am h~iufigsten entsteht das ,,Akute Lungenversagen" auf der Grundlage nicht-pulmonaler, systemischer Einfliisse, wie z.B. bei Polytrauma, bei Infektion (z. B. Peritonitis) und Sepsis [13] . Demgegeniiber scheint auch ein pulmonaler Entstehungsmechanismus abgrenzbar zu sein: z.B. nach Aspiration, nach Wirkung toxischer D~impfe, nach Pneumonien (insbesondere atypischen Virus-Pneumonien) etc. Ein solcher Sch~idigungsweg, der fiber das Bronchialsystem zur Wirkung kommt, k6nnte v611ig andere Ausl6sungsmechanismen in Gang setzen, die dann letztlich auch zum gleichen Endergebnis ffihren. Abgrenzbar ist m6glicherweise auch eine Gruppe toxischer Reaktionen (z. B. nach Paraquat, nach Bromcarbamiden, nach Heroin etc.), die ebenfalls zum ,,Akuten Lungenversagen" ffihren k6nnen. Es erscheint denkbar, dab auch hier andere Pathomechanismen am Anfang stehen. Pathomechanismen Die Vorstellungen fiber den Pathomechanismus wechselten ebenfalls rasch: Durch die H~iufung dieses Krankheitsbildes nach Polytrauma und nach (post)operativen Schocksituationen hielt man in den 70er Jahren den Kreislaufschock und die pulmonale Minderperfusion fiir einen wesentlichen ausl6senden Pathomechanismus; so hat sich der Ausdruck ,,Schocklunge" lange erhalten. Dennoch kann die pulmonale Minderperfusion heute nicht als ausl6sendes Prinzip angesehen werden. Zur gleichen Zeit wurde dann die disseminierte intravasale Gerinnung und die Bildung von Thrombocyten-Aggregaten und Mikrothromben in der Lunge mit diesem Syndrom in Verbindung gebracht [1, 12] . Die hyalinen Membranen wurden als Folge einer Fibrinabscheidung angesehen. Saldeen u. Mitarb. [19] haben sp~iter nachweisen k6nnen, dab Fibrin-Spaltprodukte aus der Fibrinolyse Per-meabilit~itsst6rungen an der Capillarmembran verursachen k6nnen. Heute wissen wir, daf5 das Gerinnungs-und Fibrinolyse-System sicher nicht den Hauptmechanismus darstellt; es mag aber in der verzahnenden Interaktion der zahlreichen Pathomechanismen eine wichtige, erg~inzende Rolle spielen. Wechselwirkungen mit anderen Systemen, wie dem Komplement-System, dem Kallikrein-Kinin-System, dem Arachidons~iure-Metabolismus und den unspezifischen, cellul~iren Proteasen sind bekannt. Durch Beobachtungen von Hammerschmidt [6] und Jacob [7] 1980 wurde dann auf die m6gliche Schlfisselrolle einer Complement-Aktivierung aufmerksam gemacht. Die massive Anh~iufung von polymorphkernigen Granulocyten in der Lunge (sog. ,,pulmonale Granulocytose") im Frfihstadium des ,,Akuten Lungenversagens" paBte zu diesem Konzept. Die H~tufigkeit des ARDS bei Infektionen und Septik~imien war ein fiberzeugendes Argument ftir diese Hypothese. Bisher ist es allerdings nicht gelungen, die Schlfisselrolle der Komplement-Aktivierung ffir das ,,Akute Lungenversagen" generell zu untermauern. Wahrscheinlich ist auch sie eher ein Teilmechanismus als ein gemeinsames Grundprinzip. Die entscheidende Rolle der Granulocyten im Friihstadium des ,,Akuten Lungenversagens" entspricht heute allerdings allgemeiner lJberzeugung. Um so bemerkenswerter sind daher einige Berichte aus jfingster Zeit, die fiberzeugend nachweisen, dab es auch bei Patienten mit extremer Granulocytopenie zum ,,Akuten Lungenversagen" kommen kann [2, 14] . Dies wfirde bedeuten, dab selbst die Granulocyten nicht zwangsl~iufig ffir die Entste-hung des ,,Akuten Lungenversagens" erforderlich sind. Hier sind aber noch weitere, eingehendere Erkenntnisse abzuwarten. Es gibt Hinweise dafiJr, dab auch die Alveolar-Makrophagen und die Endothelzellen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen. Sie scheinen sich, gemeinsam mit den Granulocyten, die entscheidende Schliisselrolle im friJhen pathogenetischen Geschehen zu teilen. Die stimulierten Granulocyten, aber auch die Alveolar-Makrophagen, Endothelzellen, Monocyten etc. setzen vor Ort verschiedene Mediatoren frei, die fiJr die typische Endothell~ision und f~ir die Ver~inderungen der Lungenperfusion verantwortlich gemacht werden miissen. Diese Mediatoren entstehen aus zahlreichen biologischen ,,Kaskadesystemen", die sich gegenseitig (zum Tell verst~irkend, zum Teil inhibitorisch) beeinflussen: Der Arachidons~iure-Stoffwechsel, aus dem Prostaglandine, Thromboxane [15] und Leukotriene [4] freigesetzt werden, das Kallikrein-Kinin-System, das wiederum mit dem Gerinnungssystem in engem Zusammenhang steht. Aus den stimulierten Granulocyten kommt es zur lokalen Freisetzung toxischer Sauerstoff-Radikale (,,respiratory burst") [17, 18] . Dariiber hinaus werden unspezifische Proteasen (insbesondere Elastase) massiv ausgeschiittet. Hierbei wird die Abwehrkapazit~it der physiologischen Proteasen-Inhibitoren (~-2-Makroglobulin, ~-l-Proteasen-Inhibitor u.a.) ersch6pft [11] . Gleichzeitig inaktivieren die freigesetzten Sauerstoff-Radikale die Funktion der Inhibitoren [3] . So k6nnen die nun ungehemmten Proteasen sich entweder direkt oder indirekt wesentlich an der Funktionssch~idigung der Lunge beteiligen: Bei ARDS-Patienten fanden Lee u. Mitarb. [10] hohe Proteasen-Aktivit~iten in der Lavageflfissigkeit aus dem Bronchialsystem. Hohe Elastase/Inhibitor-Konzentrationen wurden auch bei Sepsis-Patienten gefunden [9] . Auch tierexperimentelle Befunde stiitzen diese Hypothese [20] . Sicher gibt es fiir viele dieser Pathomechanismen fundierte Argumente aus der Grundlagenforschung. Es ist jedoch bis heute unm6glich festzulegen, welche Mechanismen im einzelnen und insbesondere bei welchen klinischen Konstellationen die tragende Rolle spielen. So stellt sich hier wieder die Frage nach der Entit~it dieses Krankheitsbildes! Wie nicht selten in der Medizin, so l~iuft auch hier die praktische Erfahrung den theoretischen Erkenntnissen voran: In vielen Zentren besteht heute der Eindruck, dal3 die H~iufigkeit des ,,Akuten Lungenversagens" im Laufe der Jahre deutlich geringer geworden ist. Es ist jedoch sehr schwer aufzuzeigen, welche therapeutischen Konzepte und Mal3nahmen hierfiir letztlich verantwortlich zu machen sind. Das entscheidendste Konzept zur Senkung der ARDS-H~iufigkeit ist die Verbesserung der Friihbehandlung. Fiir den Polytraumatisierten liegt dieses insbesondere in der Verbesserung der pr~iklinischen Phase und in der ersten klinischen Notfallversorgung. Wichtig sind insbesondere: rasche, effektive Schockbehandlung, konsequente Behandlung der beginnenden Atemst6rung bereits am Unfallort und ausreichende Analgesie. In diesem Zusammenhang kann wahrscheinlich auch die Friih-Osteosynthese [5] [8, 16] . Alle Therapie-Ans~itze sind jedoch nutzlos, wenn es nicht gelingt, die ausl6sende und unterhaltende Sch~idigung zu beseitigen. Dieses gilt insbesondere ffir die Infektion, die heute wohl die Hauptursache des ,,Akuten Lungenversagens" ist. Es ist daher alles zu tun, um Infektionen zu vermeiden: Interessant ist in diesem Zusammenhang die von einer Groninger Arbeitsgruppe [21] weiterentwickelte selektive Darm-Dekontamination. Unter der Vorstellung, dal3 der gef~ihrliche, sekund~ire Keimbefall vom Gastrointestinaltrakt ausgeht, wird unter Erhalt der physiologischen Darmflora eine enterale und erg~inzende systemische ,,Antibiotica-Prophylaxe" durchgeffihrt. Bereits eingetretene Infektionen mfissen sehr aggressiv angegangen werden. Bei Peritonitis erscheint die wiederholte, geplante Relaparotomie als ein gutes Konzept. Trotz der zahlreichen wichtigen Erkenntnisse in den letzten Jahren bleibt also das ,,Akute Lungenversagen" auch heute noch eine Herausforderung sowohl ffir die Grundlagenforschung als auch ftir die intensivmedizinische Therapie, in der noch viele ungel6ste Fragen beantwortet werden mfissen. The mechanism of pulmonary damage following traumatic shock Adult respiratory distress syndrome after allogene bone-marrow transplantation: Evidence for a neutrophil-independent mechanism The presence of neutrophil elastase and evidence of oxidant activity in bronchoalveolar lavage fluid of patients with the adult respiratory distress syndrome Leukotrienes promote plasma leakage and leukocyte adhesion in postcapillary venules: In vivo effects with relevance to the acute inflammatory response Early osteosynthesis and prophylactic mechanical ventilation in the multitrauma patient Association of complement activation and elevated plasma-C5a with adult respiratory distress syndrome Complement-induced granulocyte aggregation. An unsuspected mechanism of disease Dimethyl thiourea, an oxygen radical scavenger, prevents acute edematous lung injury (ARDS) following injection of phorbol myristate acetate Proteinases and their inhibitors in septicemia -basic concepts and clinical implications Elastolytic activity in pulmonary lavage fluid from patients with adult respiratory distress syndrome Studies of the pathogenesis of the adult respiratory distress syndrome Pulmonale Mikrothrombosierung als Ursache der respiratorischen Insuffizienz bei Verbrauchskoagulopathie (Schocklunge) Causes of mortality in patients with the adult respiratory distress syndrome Adult respiratory distress syndrome in patients with severe neutropenia Indomethacin augments endotoxin induced increased lung vascular permeability in sheep Neutrophils, oxygen radicals, and acute pulmonary edema Mechanisms of oxygen free radicals production in granulocytes Oxygen radicals mediate endothelial cell damage by complement-stimulated granulocytes The effect of fibrin and platelets on the microembolism syndrome in the dog Experimental studies on the adult respiratory distress syndrome: effects of induced DIC, granulocytes and elastase in minipigs The effect of selective decontamination of the digest tract on colonisation and infection rate in multiple trauma patients