key: cord-0006109-wccv8a9s authors: Fischer, M.; Wohlrab, J.; Radke, J.; Marsch, W. C.; Soukup, J. title: Ulzerierende Herpes-simplex-Infektionen bei intensivpflichtigen Patienten date: 2002 journal: Anaesthesist DOI: 10.1007/s00101-002-0394-6 sha: a5d4a6c68bc1e220d6a04048e5dfc0297e4cee39 doc_id: 6109 cord_uid: wccv8a9s Herpes simplex infections are potentially a life-threatening situation for immunocompromised as well as critically ill patients. The correct diagnosis is made more difficult in comatose patients by the fact that the characteristic symptom of extreme pain cannot be registered. The clinical dermatological findings (polycyclic configuration, easily bleeding ulcers) are thus especially important in patients under intensive care conditions. As examples, the cases of 3 critically ill patients (subarachnoid bleeding or head injury) developing therapy-resistant, flat sacral or perioral skin ulcers with peripheral blisters are presented. Herpes simplex virus was confirmed immunohistologically and in the smear test. All patients subsequently died. These cases emphasize that patients in the intensive care unit are in danger of developing a chronic persistent Herpes simplex infection due to latent immunosuppression. Chronic persistent Herpes infections may be underrated in intensive therapy, and must always be ruled out in case of therapy-resistant erosions or ulcerations. Intensivpflichtige Patienten sind latent immunsupprimiert und für opportunistische Infektionen besonders anfällig.Am Beispiel von 3 Kasuistiken soll auf ulzerierende Herpes-simplex-Infektionen bei Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen hingewiesen werden.Klinisch zeigten alle chronische, therapieresistente, flache Hautulzera mit randständigen, teils hämorrhagischen Blasen.In Abstrichen konnten jeweils Herpes-simplex-Viren (2-mal HSV1, 1-mal HSV2) nachgewiesen werden.In einem Fall gelang aus einer Hautbiopsie zusätzlich der immunhistologische Nachweis von HSV Typ I.Bei einer anderen Patientin fand sich HSV2 im Liquor.Alle 3 Patienten verstarben.Obwohl die Herpes-simplex-Infektionen nicht sicher für den letalen Ausgang verantwortlich gemacht werden können, zeigt sich dennoch, dass chronisch-persistierende kutane Herpes-simplex-Infektion unterschätzt werden können.Die korrekte Einordnung wird insbesondere durch das Fehlen des klinisch charakteristischen Leitsymptoms der starken Schmerzhaftigkeit bei bewusstlosen Patienten auf der Intensivstation erschwert. Herpes-simplex-Virus · Intensivmedizin · Immunsupression Die Durchseuchung der Bevölkerung mit Herpes-simplex-Viren (HSV) ist sehr hoch und beträgt für HSV Typ I ca. 80% und HSV Typ II ca. 20%. Charakteristisch für Herpes simplex ist die Neigung zu Rezidiven, die für HSV Typ I bei ca. 20% der Bevölkerung angenommen wird. Bei immunkompetenten Personen sind diese Rezidive im Allgemeinen selbslimitierend [10] . Bei Patienten mit einer eingeschränkten zellulären Immunsituation kann sich hingegen eine persistierende Infektion als chronisch ulzerierender (vegetierender) Herpes entwickeln. Dies wurde besonders bei Patienten mit Morbus Hodgkin und Leukämien [3, 4, 16] , aber auch nach Organtransplantationen [19] , im Rahmen der HIV-Infektion [11] und bei hereditären Immundefekten [2, 17] beobachtet. Da Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen als latent immunsupprimiert anzusehen sind, sind auch sie Risikopatienten für herpetische Infektionen [6] . Problematisch ist hier jedoch, dass die typische ausgeprägte Schmerzhaftigkeit kutaner Herpesinfektionen bei bewusstlosen Patienten naturgemäß nicht zu erfassen ist. Daher kommt der Kenntnis der klinisch-dermatologischen Charakteristika herpetischer Infektionen auf der Intensivstation eine besondere Bedeutung zu. Diese Problematik soll nachfolgend anhand von 3 klinischen Fällen verdeutlicht werden. Herpes simplex infections are potentially a life-threatening situation for immunocompromised as well as critically ill patients.The correct diagnosis is made more difficult in comatose patients by the fact that the characteristic symptom of extreme pain cannot be registered.The clinical dermatological findings (polycyclic configuration, easily bleeding ulcers) are thus especially important in patients under intensive care conditions.As examples, the cases of 3 critically ill patients (subarachnoid bleeding or head injury) developing therapy-resistant, flat sacral or perioral skin ulcers with peripheral blisters are presented.Herpes simplex virus was confirmed immunohistologically and in the smear test.All patients subsequently died. These cases emphasize that patients in the intensive care unit are in danger of developing a chronic persistent Herpes simplex infection due to latent immunosuppression. Chronic persistent Herpes infections may be underrated in intensive therapy, and must always be ruled out in case of therapy-resistant erosions or ulcerations. Herpes simplex virus · Intensive care medicine · Immunosuppression nes Ulkus zeigten sich die typischen histologischen Befunde einer Herpesläsion mit intraepidermaler Blase, synzytialen Riesenzellen und einer perinukleär akzentuierten ballonierenden Degeneration von Keratinozyten (Abb. 2). Immunhistochemisch ließ sich HSV-Typ-I-Antigen nachweisen. Der Abstrich auf Herpes-simplex-Virus-Antigen war positiv für Herpes simplex Typ I. Serologisch (EIA) zeigten sich im Serum hochtitrige IgG-Antikörpertiter gegen Herpes simplex I (1.993 IU/ml), Herpes simplex II (>2.000 IU/ml) und Zytomegalie (>2.000 IU/ml) bei jeweils positiven IgM-Antikörpern. Die Patientin verstarb noch bevor eine virustatische Therapie begonnen wurde. Eine Obduktion wurde abgelehnt. Ein 68-jähriger Mann (SAPS II bei Aufnahme 47 Punkte) musste wegen eines Schädel-Hirn-Traumas III o mit intrakranieller Blutung intensivmedizinisch behandelt werden. Nach 10 Tagen entwi-ckelten sich perioral und an der Oberlippe leicht blutende, unregelmäßig begrenzte, flache Ulzerationen, die sich in den folgenden Tagen auf die Nasenflügel ausdehnten. Im Randbereich waren einzelne Bläschen mit erythematösem Randsaum erkennbar. Die klinische Verdachtsdiagnose einer Herpesinfektion ließ sich rasch durch eine Blasengrundzytologie, in der sich synzytiale Riesenzellen und zytopathische Viruseffekte zeigten, sichern. Immunhistochemisch ließ sich im Ausstrich Herpes simplex Typ I nachweisen; daraufhin wurde eine intravenöse Behandlung mit Aciclovir (10 mg/kg 3-mal täglich.) begonnen. Hierunter entfieberte der Patient, und es entwickelten sich keine neuen Bläschen. Zusätzlich konnten im Wundabstrich Candida-Spezies nachgewiesen werden, die als Superinfektion ohne Einfluss auf das Krankheitsgeschehen gewertet wurden. Die Therapie erfolgte mit Fluconazol. Der Patient verstarb am 3. Tag der virustatischen Therapie im Herz-Kreislauf-Versagen. Eine Obduktion erfolgte auf Wunsch der Angehörigen nicht. Eine 76-jährige Patientin (SAPS II bei Aufnahme 36 Punkte) wurde wegen eines Ramus-communicans-anterior-Aneurysmas (Hunt & Hess 3) insgesamt 6 Wochen intensivmedizinisch und neurochirurgisch behandelt. Nach ca. 4 Wochen fielen zunehmende perianale Ulzerationen sowie rezidivierende Fieberschübe auf. Die Herpesserologie ergab für HSV1-IgG 1.116 IU/ml und HSV2-IgG >2.000 IU/ml. Der Nachweis von IgM-Antikörpern war sowohl für HSV1 als auch für HSV2 negativ. Das HSV-Typ-2-Antigen konnte in den perianalen Ulzerationen mit dem direkten Immunfluoreszenztest belegt werden; im Liquor gelang der HSV2-DNA-Nachweis mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Die Therapie erfolgte intravenös mit Aciclovir in einer Dosierung von 10 mg/kg 3mal täglich. Die Patientin verstarb am Kreislaufversagen. Eine Obduktion wurde nicht durchgeführt. Chronisch-persistierende Herpesinfektionen sind bei Einschränkungen der Tzellulären Immunitätslage wiederholt sowohl für das Varizella-zoster-Virus (VZV), Zytomegalievirus (CMV) und die Herpes-simplex-Virustypen beschrieben worden [14] . Nur in Einzelfällen sind auch Gesunde betroffen [20] . Die HSV-Infektionen können klinisch sowohl als Papeln, verruköse Knoten und Plaques imponieren [2] . Meistens zeigen sich jedoch die auch in unseren Fällen gefundenen Erosionen oder hämorrhagische Ulzerationen. Die korrekte Diagnose wird bei bewusstlosen Patienten durch die nicht zu erfassende Schmerzhaftigkeit erschwert. Als wichtigen klinischen Charakteristika kommt daher bei intensivpflichtigen Patienten den polyzyklischen, leicht blutenden Ulzera eine besondere Bedeutung zu. Die Verdachtsdiagnose stützt sich daher auf den klinischdermatologischen Befund. Dieser kann zur raschen Klärung durch eine Blasengrundzytologie ohne größeren labortechnischen Aufwand, wie in unserem 2. Fall, ergänzt werden. Der Ausstrich wird dabei mit Methylenblau oder Giemsa-Färbung gefärbt. Details dieser einfachen Methode sind an anderer Stelle ausführlich beschrieben worden [5] . Im Falle einer Herpesinfektion zeigen sich mehr-kernige synzytiale Riesenzellen. Die Methode ist jedoch genau wie der elektronenmikroskopische Nachweis von Herpesviren ("negative staining") nicht spezifisch für Herpes simplex [15] . Beweisend sind entweder der Antigennachweis im Abstrich mit Immunfluoreszenzverfahren (hier ist eine schnelle Diagnose innerhalb 1 h möglich), die PCR oder die (Immun-)Histologie [15] . Die Serologie ist hingegen, wie in unseren Fällen auch, unspezifisch und nicht selten für die verschiedenen Viren der Herpesfamilie positiv [12] . Chronisch-persistierende Herpessimplex-Infektionen treten typischerweise im Gesicht (perioral) oder im Genitoanal-bzw. Sakralbereich auf [21] . Differenzialdiagnostisch muss besonders in mechanisch belasteten Arealen ein Dekubitus abgegrenzt werden,das unter intensivmedizinischen Bedingungen mit einer Häufigkeit von 33-56% auftritt [18] . Weitere Differenzialdiagnosen, die ebenfalls mit chronischen Ulzerationen der Perianalregion einhergehen können, sind CMV-Infektionen [14] sowie seltener extraintestinale Manifestationen chronischentzündlicher Darmerkrankungen sowie Hauttuberkulosen [7] . Ein isolierter Schleimhautbefall durch HSV muss darüber hinaus von blasenbildenden Autoimmunerkrankungen wie einem initialen Pemphigus vulgaris abgegrenzt werden. Auch muss das Erythema exsudativum multiforme inklusive seiner alleinig auf die Schleimhäute begrenzten Variante (Fuchs-Syndrom) bedacht werden. In beiden Fällen hilft die Histologie die Diagnose rasch zu sichern. Der Nachweis von HSV I im 1. Fall ist ungewöhnlich, da im Genitoanalbereich der Typ II vorherrschend ist.Allerdings sind 10-15% der genitalen Herpessimplex-Infektionen durch den Serotyp I verursacht [10] . Chronische Herpes-simplex-Infektionen stellen für immunkompromittierte Patienten eine potenziell lebensbedrohliche Situation dar. So fanden Cook et al. [8] unter intensivpflichtigen chirurgischen Patienten in 14% einen positiven kulturellen Nachweis von Viren der Herpesfamilie im Blut oder im Sputum. Diese Patienten zeigten eine Häufung bakterieller und mykotischer Infektionen im Anschluss an Herpesvirus-induzierte Septikämien und eine erhöhte Mortalität, insbesondere wenn sich während der Virusinfektion eine Thrombozytämie entwickelte.Als weitere Herpes-simplex-induzierte Organkomplikationen sind Pneumonien, Tracheobronchitiden, Keratokonjunktivitis und die Enzephalitis gefürchtet [9, 10] . Eine hoch dosierte intravenöse Therapie mit Aciclovir (Standarddosis bei intakter Nierenfunktion 5 mg/kg Körpergewicht 3-mal täglich über 5-7 Tage; ggf. Dosis bis 10 mg/kg K) ist eine wirksame Therapie. In Abhängigkeit des klinischen Ansprechens kann auch eine längere Therapie erforderlich werden. Die Indikation zur systemischen virustatischen Behandlung sollte nach unserer Erfahrung großzügig gestellt werden. Bei Thymidinkinase-negativen Stämmen steht Foscarnet (Standarddosis bei intakter Nierenfunktion: 40-60 mg/kg Körpergewicht 3-mal täglich über mindestens 10 Tage) als Therapeutikum zur Verfügung [17, 20] . Die Lokaltherapie konzentriert sich auf die Behandlung der in den allermeisten Fällen vorliegenden bakteriellen Superinfektion. Hier hat sich die Anwendung von Fusidinsäure-haltigen Externa oder 1%igem Clioquinol in Zinköl bewährt. Der Infektionsweg ist in den vorliegenden Fällen nicht sicher nachzuvollziehen.Am ehesten ist eine endogene Reaktivierung als Ausdruck einer allgemeinen Immunsuppression anzunehmen. Die kutane Ausbreitung erfolgt dann meist durch Autoinokulation [14] . Grundsätzlich ist aber auch eine Übertragung durch das Personal der Intensivstation möglich. Bereits Anfang der 80er-Jahre wurde über die Verbreitung von HSV auf pädiatrischen Intensivstationen durch Angehörige und Personal berichtet [1, 13] . Daher sollte beim Auftreten herpetischer Läsionen bei Patienten auf der Intensivstation auch an diesen potenziellen Übertragungsweg gedacht werden. Die geschilderten Fälle unterstreichen, dass chronisch-persistierende Herpesinfektionen in der Intensivtherapie unterschätzt werden können und bei therapieresistenten Erosionen oder Ulzerationen immer ausgeschlossen werden müssen. Gleichzeitig zeigt sich der Nutzen einer interdisziplinären Betreuung intensivpflichtiger Patienten, zu der der Dermatologe beitragen kann. 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