key: cord-0006074-bbu4tpvz authors: Knöbl, P. title: Thrombopenie auf der Intensivstation: Diagnose, Differenzialdiagnose und Therapie date: 2016-06-02 journal: Med Klin Intensivmed Notfmed DOI: 10.1007/s00063-016-0174-8 sha: 6fbd2ef7b0aae452b511a56d89352848c69a2380 doc_id: 6074 cord_uid: bbu4tpvz Thrombocytopenia is a frequent phenomenon in intensive care medicine. A variety of conditions can be responsible for low platelet counts. As platelets are part of the primary hemostatic system, bleeding is the most important complication of thrombocytopenia. Proper workup of the differential diagnosis to identify the cause of thrombocytopenia is essential because the various underlying disorders require different diagnostic and therapeutic management strategies. A low platelet count is a strong predictor of outcome in critically ill patients. This article summarizes the differential diagnosis and diagnostic workup of thrombocytopenia in the critically ill, describes the most important conditions, and gives an overview on therapeutic options and strategies. Thrombozyten sind kleine kernlose Zellelemente, die im Blut in einer Zahl von 150-450 G/l zirkulieren. Die Bildung der Thrombozyten erfolgt im Knochenmark durch Abschnürungen des Zytoplasmas von Megakaryozyten. Die Thrombopoese wird durch Thrombopoietin gesteuert, ein Zytokin das in der Leber gebildet wird und über Rezeptoren an den Megakaryozyten ihr Wachstum stimuliert. Die Funktion der Thrombozyten besteht in der primären Hämostase, einem komplexen Prozess, der zur Bildung von Thrombozytenaggregaten an Orten mit Störungen der Endothelintegrität führt. Die Thrombozytenaggregation erfolgt an den A1-Domänen des von-Willebrand-Faktors (VWF), der nach Stimulierung in hochmolekularer Form aus Endothelzellen freigesetzt wird. Durch Scherkräfte im Blutstrom wird er gestreckt, die A1-Domänen werden zugänglich und Thrombozyten binden mit ihren GP-Ib/-IX-Rezeptoren daran. Dadurch werden die Thrombozyten aktiviert und exprimieren GP-IIb/-IIIa-Rezeptoren, an denen Fibrinogen binden und dadurch eine Quervernetzung der Aggregate stattfinden kann. Thrombozytenzahlen kann eine thrombozytäre Blutungsneigung vorhanden sein Durch die dabei lokalisiert freiwerdenden Phospholipide, Mikropartikel, und Thrombozyteninhaltsstoffe wird die plasmatische Hämostase massiv gefördert. Alle diese Komponenten sind für eine normale Plättchenfunktion notwendig, Defekte in jedem Punkt können Blutungsneigung verursachen. Daher ist die Thrombozytenzahl alleine nicht für eine Blutungsneigung verantwortlich. Auch bei normalen Thrombozenzahlen kann eine thrombozytäre Blutungsneigung vorhanden sein. Im Labor können nur einige dieser Komponenten gemessen werden. Auch die moderne Plättchenfunktionsanalytik, wie PFA100 ® , Siemens Medical Solutions, Malvern, USA, Multiplate, "fluorescence-activated cell sorting" (FACS) etc., erfasst nicht alle Aspekte der Plättchenphysiologie. Mehr Details zur Thrombozytenphysiologie finden sich in [3] . Die Gründe für eine Thrombopenie sind vielfältig. In . Tab. 1 sind die Wichtigsten zusammengefasst. Das Erkennen und die richtige zielgerichtete Behandlung erfordern adäquate diagnostische Maßnahmen (. Tab. 2) sowie viel klinische Erfahrung in der Interpretation der Testresultate und Auswahl der Therapiestrategie. Generell kann eine Bildungsstörung von einem vermehrten Thrombozytenverbrauch unterschieden werden. Da Thrombozyten so wie die Zellen der anderen hämatopoetischen Reihen im Knochenmark gebildet werden, ist bei Knochenmarkserkrankungen die Thrombopenie nie isoliert. Es sind immer auch die Erythozyten-und Leukozytenzahlen vermindert. Reifungsparameter, wie Retikulozytenzahlen und die "immature platelet fraction" (IFP), sind bei Bildungsstörungen vermindert. Ursachen für eine Knochenmarksdysfunktion sind toxische Knochenmarksschäden (z. B. Auch die heparininduzierte Thrombopenie (HIT) ist eine immunologisch mediierte Erkrankung [5, 20] Kritische Erkrankung · Hämorrhagie · Thrombozytenerkrankungen · Verbrauchskoagulopathie · Thrombotischthrombopenische Purpura Thrombocytopenia in the intensive care unit. Diagnosis, differential diagnosis, and treatment Abstract Thrombocytopenia is a frequent phenomenon in intensive care medicine. A variety of conditions can be responsible for low platelet counts. As platelets are part of the primary hemostatic system, bleeding is the most important complication of thrombocytopenia. Proper workup of the differential diagnosis to identify the cause of thrombocytopenia is essential because the various underlying disorders require different diagnostic and therapeutic management strategies. A low platelet count is a strong predictor of outcome in critically ill patients. This article summarizes the differential diagnosis and diagnostic workup of thrombocytopenia in the critically ill, describes the most important conditions, and gives an overview on therapeutic options and strategies. Critical illness · Hemorrhage · Blood platelet disorders · Consumption coagulopathy · Purpura, thrombotic thrombopenic vierung, Mikropartikel-und Tissuefactor-Freisetzung und damit eine arterielle und venöse Thromboseneigung, die massiv und lebensbedrohlich sein kann (Details siehe [5] Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten kommt es zu unstillbaren Blutungen Einen entscheidenden diagnostischen Hinweis stellt eine progrediente Thrombozytopenie in Kombination mit einem Abfall des Fibrinogens und einem Ansteigen der D-Dimere dar. In der Routinelaboruntersuchung finden sich darüber hinaus eine verlängerte Prothrombinzeit, eine verlängerte aktivierte partiellen Thromboplastinzeit (aPTT), vermehrt Fibrinabbauprodukte und verminderte Gerinnungsinhibitoren (z. B. Protein C und S, Antithrombin). Fibrinogen wird ebenfalls verbraucht, kann aber als Akutphasenprotein auch scheinbar normal sein. Daher ist der Fibrinogenspiegel immer in Relation zu anderen Akute-Phase-Proteinen (z. B. C-reaktives Protein) zu beurteilen. Diese Parameter werden in gut evaluierten Scoringsystemen, wie International-Society-on-Thrombosis-and-Haemostasis(ISTH)-DIC-Score, verwendet um eine DIC zu erkennen und den Verlauf zu beurteilen [14] . Diese Scoringsysteme sind jedoch in manchen Situationen nur eingeschränkt beurteilbar (z. B. bei Infektionen, Leberfunktionsstörungen, Hämodilution oder Störungen der Thrombopoese). Daher ist die Beurteilung des Verlaufs (Messungen mehrmals täglich) notwendig, um die Dynamik der Gerinnungsstörung und das Ansprechen auf die Behandlung beurteilen zu können. Grundlage der Therapie einer DIC ist die kausale Therapie der Grunderkrankung. Außerdem muss abgeschätzt werden ob die hämorrhagische oder die thrombogene Komponente überwiegt [10] Generell erfordert die Behandlung einer akuten Episode einer TMA viel Erfahrung und ein koordiniertes Zusammenspiel aller beteiligten Abteilungen [9] . In den meisten Fällen ist eine intensivmedizinische Betreuung notwendig. Vor allem zerebrale Minderperfusion (bis hin zu ischämischen Insulten) und der Verschluss von Koronararterien führen zum Tod des Patienten. Daher hat die Verbesserung der Organperfusion in der Frühphase hohe Priorität. Die Unterbrechung des Autoimmunprozesses ist jedoch die kausale Therapie. Plasmaaustausch: Die Einführung der Plasmaaustauschtherapie in den 1970er-Jahren hat zu einer dramatischen Verbesserung der Mortalität geführt, diese liegt aber immer noch bei etwa 20 %. Dabei wird täglich das 1-fache Plasmavolumen (etwa 50 ml/kgKG) entfernt und mit Spenderplasma ("fresh frozen plasma", FFP, Octaplas ® , Octapharma ® , Langenfeld, Deutschland) ersetzt. Dadurch werden ultragroße von-Willebrand-Faktor-Multimere, Autoantikörper, Hämolyseendprodukte und Thrombozytenaggregate aus der Zirkulation entfernt und ADAMTS13 und normaler von-Willebrand-Faktor zugeführt. Diese Therapie wird ohne Unterbrechung durchgeführt, bis sich Thrombozytenzahl, Laktatdehydrogenase und Organfunktionen normalisiert haben. Bei schlecht respondierenden Patienten kann die Intensität auf das 1,5-fache Plasmavolumen bzw. 2-mal täglich auf das 1-fache Plasmavolumen gesteigert werden. Wenn diese Therapiemöglichkeit nicht besteht, sind 20 ml/ kgKG Plasma zu infundieren und der Patient umgehend in ein spezialisiertes Eine Pseudothrombopenie entsteht in vitro durch Thrombozytenaggregation im mit Ethylendiamintetraazetat (EDTA) antikoaguliertem Blut. Die Bestimmung der Thrombozytenzahlen aus Zitratblut kann helfen, diese klinisch irrelevante präanalytische Störung zu diagnostizieren. Weitere präanalystische Fehler (Abnahmefehler, Fehler beim Probentransport und der Probenaufarbeitung etc.) können eine Thrombopenie vortäuschen. Generell soll ohne Abklärung der Ursache der Thrombopenie keine Behandlung erfolgen. Das unkritische Verabreichen von Thrombozytenkonzentraten bei Thrombopenie stellt einen Kunstfehler dar. Vor jeder therapeutischen Intervention muss festgelegt werden, warum diese notwendig ist. Das Blutungsrisiko muss gegen das Risiko möglicher Komplikationen einer Behandlung abgewogen werden. Details zu spezifischen Therapien sind in den entsprechenden Abschnitten angegeben (. Tab. 5). Die Transfusion von Thrombozytenkonzentraten ist nur bei manifester Blutungsneigung aus thrombozytärer Ursache indiziert. Eine prophylaktische Gabe zur Verhinderung von Blutungen wird kontrovers diskutiert, ist jedoch in bestimmten Situationen sicher notwendig (rezente Blutungen, präoperativ etc.). Es existiert jedoch kein anerkannter Grenzwert, unter dem substituiert werden muss. Sicherlich kontraindiziert bzw. wirkungslos sind Thrombozytenkonzentrate bei TTP, TMA, HIT und ITP. Unerwünschte WirkungenvonThrombozytenkonzentraten sind Immunisierung (Transfusionsthrombopenie), Refraktärität, allergische Reaktionen, transfusionsassoziiertes Lungenversagen, Zitrattoxizität und Übertragung von Infektionen. Eine Übersicht dazu findet sich in [15] . Seit einigen Jahren sind 2 Substanzen zur Behandlung der Autoimmunthrombozytopenie zugelassen, die über Stimulation von Thrombopoietinrezeptoren auf Megakaryozyten die Thrombopoese stimulieren: die Thrombopoietinrezeptoragonisten (TPRA) Romiplostim (Nplate ® , Amgen, München, Deutschland) und Eltrombopag (Revolade ® , GlaxoSmithKline, Mississauga, Kanada; [16] ). Beide bewirken innerhalb von 3 Wochen einen deutlichen Anstieg der Thrombozytenzahlen bei den meisten Patienten. Romiplostim wird 1-mal pro Woche subkutan verabreicht (Dosis 1-9 μg/kgKG), Eltrombopag täglich oral gegeben (Dosis 25-75 mg/Tag). Auch wenn dazu klinische Studien noch fehlen können diese Substanzen auch bei manchen anderen Formen der Thrombopenie wirksam sein. Bei immunologisch mediierten Thrombopenien (ITP, TTP, HIT etc.) können Steroide durch ihren immunsuppressiven Effekt die Nachbildung der Antikörper reduzieren. Sie sind daher ein fester Bestandteil der Behandlung und werden üblicherweise in einer Dosis von 1 mg/ kgKG begonnen. Heparin-induced thrombocytopenia (HIT) in 2011: an epidemic of overdiagnosis Predictivevalueofthe4Tsscoringsystemfor heparin-induced thrombocytopenia: a systematic review and meta-analysis Platelets at the interface of thrombosis, inflammation, and cancer Is there a "magic" hemoglobin number? Clinical decision support promoting restrictive blood transfusion practices Heparin-induced Thrombocytopenia The frequency and clinical significance of thrombocytopenia complicating critical illness: a systematic review Bleeding and coagulopathies in critical care Inherited and acquired thrombotic thrombocytopenic purpura (TTP) in adults Treatment of thrombotic microangiopathy with a focus on new treatment options Blood coagulation and inflammation in critical illness : the importance of the protein C pathway Treatment of infectionassociated purpura fulminans with protein C zymogen is associated with a high survival rate Thrombocytopenia in critically ill patients Coagulopathy and platelet disorders in critically ill patients Guidelines for the diagnosis and management of disseminated intravascular coagulation. British Committee for Standards in Haematology Platelet transfusions for critically ill patients with thrombocytopenia Thrombopoietin receptor agonists: a critical review Drug-induced thrombocytopenia in critically ill patients Coagulopathy in critically ill patients: part 1: platelet disorders Evidence base for restrictive transfusion triggers in highrisk patients Heparin-induced thrombocytopenia in critically ill patients Die am schnellsten wirksame Behandlung einer Autoimmunthrombopenie ist die hochdosierte Gabe von IgG-Konzentraten (Dosis: je 1 g/kgKG an Tag 1 und 2). Die Wirkung setzt nach 1-2 Tagen ein und verschwindet nach 1-2 Wochen wieder. Diese Therapie ist teuer und nur als Notfallbehandlung bei lebensbedrohlichen Blutungen sinnvoll. Desmopressin erhöht nicht die Anzahl der Thrombozyten, kann aber die Wirkung der vorhandenen Plättchen verbessert. Desmopressin wird 1-mal täglich als Kurzinfusion gegeben (0,4 μg/kgKG, maximal 4 Tage) und bewirkt eine Ausschüttung von von-Willebrand-Faktor aus den Endothelzellen.