key: cord-0004773-jvel1dba authors: Heininger, U. title: Risiken von Infektionskrankheiten und der Nutzen von Impfungen date: 2004 journal: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz DOI: 10.1007/s00103-004-0951-z sha: 4de500f00106e3c3af0274230a294c2d954c95a3 doc_id: 4773 cord_uid: jvel1dba Significant progress regarding hygiene, nutrition, and antimicrobial treatment as well as immunizations have lead to a significant decline of morbidity and mortality of infectious diseases in the recent past. Furthermore, immunizations are one of the most cost-effective tools for prevention. However, lack of perception of the substantial risks of complications associated with infectious diseases cause doubts about the necessity of immunizations today. This development is highly worrisome and needs to be adequately addressed by informing physicians and the public about the risks of vaccine-preventable diseases, efficiency, safety and benefits of available vaccines, as well as providing convincing arguments justifying current immunization recommendations. These activities are indispensable for successful implementation and continuation of current immunization programs. Hygiene, Ernährung und Therapiemöglichkeiten haben Schutzimpfungen in wesentlichem Maße zum Rückgang von Morbidität und Mortalität zahlreicher Infektionskrankheiten beigetragen. Impfungen gehören darüber hinaus zu den kosteneffektivsten Präventivmaßnahmen in der Medizin. Wer das Schicksal eines Patienten mit bleibenden Lähmungen nach Poliomyelitis oder das von Eltern, deren Kind an einer Meningitis durch Haemophilus influenzae Typ B verstorben ist, nachvollziehen kann, weiß den Wert der davor schützenden Impfungen zu schätzen. Wer dies nicht kann, wird möglicherweise Impfungen gegenüber skeptisch eingestellt sein. Denn gerade weil wegen der herausragenden Impferfolge einige präventable Krankheiten nicht mehr im Bewusstsein der Bevölkerung verankert sind, wird von manchen Laien -aber auch Ärzten -die Notwendigkeit des Impfschutzes angezweifelt, und vermeintliche und tatsächliche Impfnebenwirkungen werden gleichzeitig überbewertet [] . Der Herausforderung an die notwendige, fortgeführte Aufklärung über die nach wie vor bestehenden Risiken von Infektionskrankheiten müssen wir uns stellen. Enorme Fortschritte auf dem Gebiet der antimikrobiellen Therapie haben zu einer signifikanten Reduktion von Morbidi-tät, Mortalität und Letalität durch Infektionskrankheiten geführt. Dennoch bleibt unvermindert eine Vielzahl an Risiken durch Infektionskrankheiten bestehen: Langzeitschäden durch Komplikationen, unerwünschte Folgen der intensiven Therapie sowie die nach wie vor beachtliche Frühsterblichkeit durch fulminante, invasive Infektionen vor Beginn einer adäquaten Therapie. Als notwendige Voraussetzung für das Verständnis der unveränderten Notwendigkeit von Standardimpfungen sollen im Folgenden die wesentlichen Risiken der entsprechenden Krankheiten in Erinnerung gerufen werden. Die Diphtherie ist eine akute, lebensbedrohliche Infektionskrankheit der Atemwege, die durch das Toxin bildende Corynebacterium diphtheriae hervorgerufen wird. Sie verursachte noch in den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland jährlich Tausende von Todesopfern, vorwiegend im Kindesalter. Obwohl hier wegen der hohen Akzeptanz der Schutzimpfung mit Diphtherietoxoid heute nur noch vereinzelt Krankheitsfälle auftreten, ist die Diphtherie keineswegs eliminiert [2] [3] . Tetanospasmin interferiert mit den inhibitorischen Synapsen an der Muskelendplatte, indem es die Freisetzung von Neurotransmittern verhindert. Dies bedingt eine Dauerstimulation exzitatorischer Nerven, die so zu anhaltenden Muskelkontraktionen führt. Diese treten initial lokal im Bereich der ursprünglichen Eintrittspforte, später auch systemisch durch lymphatische bzw. häma-Pertussis tritt in Deutschland weiterhin endemisch auf, ferner muss etwa alle 4 Jahre mit Epidemien gerechnet werden. In jüngster Zeit ist ein epidemiologischer Wandel eingetreten, der zu vermehrten Krankheitsfällen bei Schulkindern, Jugendlichen und Erwachsenen geführt hat [7] . Neue Impfstrategien unter Berücksichtigung von Auffrisch-und Nachholimpfungen bei Jugendlichen und Erwachsenen sind deshalb in der Diskussion. Gegenwärtig (August 2004) empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) bereits eine generelle 5. Pertussisimpfung für Jugendliche im Alter von 9-7 Jahren sowie eine einmalige Impfung für folgende Erwachsene mit erhöhtem Infektionsrisiko und ohne adäquaten Immunschutz (d. h. ohne Impfung oder mikrobiologisch bestätigte Erkrankung innerhalb der vergangenen 0 Jahre): Zusammenfassung Fortschritte auf dem Gebiet der Hygiene, Ernährung und Infektionstherapie sowie Schutzimpfungen haben zu einem ausgeprägten Rückgang von Morbidität und Mortalität durch Infektionskrankheiten geführt. Impfungen sind zudem eine der kosteneffektivsten Präventivmaßnahmen. Dennoch wird ohne Wissen um die nach wie vor bestehenden Risiken von impfpräventablen Krankheiten die Notwendigkeit von Schutzimpfungen heutzutage oftmals angezweifelt. Dieser Besorgnis erregenden Entwicklung muss durch verstärkte Aufklärung und überzeugende Erläuterungen über die Risiken der verhinderbaren Infektionskrankheiten, über den Nutzen, die Sicherheit und die Effizienz der verfügbaren Impfstoffe und auch durch die Begründung der bei uns öffentlich empfohlenen Impfungen entgegengewirkt werden. Dabei sind Laien wie auch das Fachpersonal zu berücksichtigen. Nur so kann unser Impfprogramm erfolgreich umgesetzt und fortgeführt werden. Infektionskrankheiten · Risiken · Schutzimpfung · Aufklärung Abstract Significant progress regarding hygiene, nutrition, and antimicrobial treatment as well as immunizations have lead to a significant decline of morbidity and mortality of infectious diseases in the recent past. Furthermore, immunizations are one of the most cost-effective tools for prevention. However, lack of perception of the substantial risks of complications associated with infectious diseases cause doubts about the necessity of immunizations today. This development is highly worrisome and needs to be adequately addressed by informing physicians and the public about the risks of vaccine-preventable diseases, efficiency, safety and benefits of available vaccines, as well as providing convincing arguments justifying current immunization recommendations. These activities are indispensable for successful implementation and continuation of current immunization programs. Der herausragende Nutzen von Schutzimpfungen ist eindrucksvoll belegt [20] . . 1 und 2) . Der Erfolg eines Impfprogramms hängt aber nicht nur von der Effektivität eines Impfstoffes, sondern auch von der Effizienz des Programms ab. Eine hohe Effizienz ist nur bei ausreichender Akzeptanz der entsprechenden Impfung gewährleistet. Die aktuelle öffentliche Diskussion um Sinn und Notwendigkeit der allgemeinen Varizellenimpfung im frühen Kindesalter mag dies illustrieren: Der Nutzen der Impfung für das Individuum, d. h. Reduktion der Erkrankungswahrscheinlichkeit bzw. des Schweregrads der Krankheit und der Komplikationsrate, als auch für die Allgemeinheit (günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis) sind zweifelsfrei nachgewiesen [23] . Dennoch mag aus der Sicht des einzelnen Arztes die Notwendigkeit einer allgemeinen Impfung angezweifelt werden. Folgender Auszug aus dem Brief eines Praxispädiaters an den Autor (in seiner Funktion als STIKO-Mitglied) verdeutlicht dies: "In über 20 Jahren praktischer Kinderarzttätigkeit erleben wir die Varizellen als eine (bis auf exotisch seltene Superinfektionen, meist Streptokokken) unkomplizierte Kinderkrankheit, die bei uns (...) noch nie zu stationärer Einweisung geführt hat. ... Wenn die Varizellenimpfung tatsächlich empfohlen werden sollte, werden sich viele niedergelassene Kollegen nicht ernst genommen fühlen ..." Es ist offensichtlich, dass der nachgewiesene allgemeine Nutzen einer Impfung aus der individuellen Perspektive oftmals schwer zu erkennen ist, wenn das individuelle Komplikationsrisiko relativ gering ist bzw. sich wegen des endemischen Auftretens der entsprechenden Infektionskrankheit (im Ge- gensatz zum epidemischen Auftreten) ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt hat. Umfangreiche Aufklärungskampagnen und detaillierte Erläuterungen ) zu den Risiken der zu verhütenden Infektionskrankheit, 2) zum Nutzen, zur Sicherheit und zur Effizienz der verfügbaren Impfstoffe und 3) eine rationale Begründung der öffentlich empfohlenen Impfungen müssen sich daher sowohl an die Laien als auch an das Fachpersonal richten. In diesem Zusammenhang sind auch Hebammen und Pflegepersonal (insbesondere in der Pädiatrie) zu berücksichtigen, da diese Fachgruppen einen erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung von Eltern haben können. Dies alles sind unabdingbare Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung eines Impfprogramms. The success of immunizationshovelling its own grave? Diphtheria in the Russian Federation in the 1990s Tetanus immunisation in geriatric patients with accidental wounds: how much is needed African and European theatres of war 1939-1945 Clinical Findings in Bordetella pertussis Infections: results of a prospective multicenter surveillance study Bordetella pertussis infections and sudden unexpected deaths in children Epidemiologie. In: Heininger U (Hrsg) Pertussis bei Jugendlichen und Erwachsenen, 1. Aufl. Thieme Epidemiology of the post-polio syndrome Haemophilus influenzae type b disease: impact and effectiveness of diphtheria-tetanus toxoidsacellular pertussis (-inactivated poliovirus)/H. influenzae type b combination vaccines Epidemiology, diagnosis and prevention of viral hepatitis Consequences of delayed measles vaccination in Germany Is mumps virus an etiologic factor in juvenile diabetes mellitus Viruses in the mammalian male genital tract and their effects on the reproductive system Epidemiology of encephalitis in children. A prospective multicentre study Virus-associated immune thrombocytopenic purpura in childhood Consequences of confirmed maternal rubella at successive stages of pregnancy Complications of varicella in a defined central European population Varizellen -eine harmlose Kinderkrankheit? Congenital infections caused by varicella zoster virus and herpes simplex virus Vaccines, vaccination, and vaccinology Vaccine design, evaluation, and community-based use for antigenically variable infectious agents Efficacy of meningococcal serogroup C conjugate vaccine in teenagers and toddlers in England The costeffectiveness of routine childhood varicella vaccination in Germany Von Tier zu Mensch übertragbare Infektionskrankheiten Köln