key: cord-0004704-aloagowg authors: Diercke, Michaela; Beermann, Sandra; Tolksdorf, Kristin; Buda, Silke; Kirchner, Göran title: Infektionskrankheiten und ihre Codierung: Was kann sich durch die ICD-11 verbessern? date: 2018-05-30 journal: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz DOI: 10.1007/s00103-018-2758-3 sha: 78372e587507382ff55bfb37bf7e3c667f27513e doc_id: 4704 cord_uid: aloagowg The revision of the International Classification of Diseases (ICD) could change morbidity and mortality statistics significantly, which also affects the area of infectious diseases. Infectious diseases are classified according to their etiology, affected body system or the life period during which the episode occurs. Specific challenges arise from emerging pathogens and the respective necessary adaptation. For epidemiologic analysis ICD-10 does not always offer enough additional information. ICD provides the basis for international comparison of infectious disease morbidity and mortality statistics, but it is also used to collect data for surveillance and research purposes, e. g. the notification system for infectious diseases, syndromic surveillance systems and the evaluation of data quality by using secondary data sources. ICD-11 offers the chance to better represent epidemiological concepts of infectious diseases by adding more relevant information as affected body system or manifestation. Due to the complexity of coding, ensuring continuity of morbidity and mortality statistics could be challenging. Was kann sich durch die ICD-11 verbessern? Einleitung Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (International Classification of Diseases -ICD) wird mittels eines Vorschlagsverfahrens jährlich aktualisiert. Dennoch ist eine regelmäßige umfassende Revision der ICD erforderlich, um diese an den medizinischen Kenntnisstand und den technischen Fortschritt, z. B. die zunehmende digitale Erfassung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten und die Weiterentwicklung von IT-Tools für die Codierung, anzupassen. Durch die 11. Revision der ICD, die derzeit in einer Entwurfsversion vorliegt und im Jahr 2019 von der World Health Assembly verabschiedet werden soll, soll zudem die Interoperabilität mit anderen Klassifikationssystemen und Terminologien verbessert werden. Dabei ist die Möglichkeit der Fortschreibung von statistischen Trends, u. a. der Todesursachenstatistik, eine der wichtigsten Prämissen [1] . Ziel dieses Beitrages ist es, am Beispiel der Codierung von Infektionskrankheiten mittels ICD und ihrer Anwendung in der Praxis, insbesondere im Bereich Infektionsepidemiologie, Schwächen zu identifizieren und mögliche Verbesserungen aufzuzeigen, die bei der Entwicklung der ICD-11 und der anschließenden Implementierung in Deutschland berücksichtigt werden sollten. Infektionskrankheiten sind in der 10. Revision der ICD (ICD-10) vor allem im Kapitel I (Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten -A00-B99) zu finden, aber auch weitere Codes, insbesondere in den Kapiteln X (Krankheiten des Atmungssystems -J00-J99, z. B. J09-11 Influenza) und XVI (Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben -P00-P96), können zur Verschlüsselung bestimmter Infektionskrankheiten genutzt werden. Die Zuordnung zu den Kapiteln in der aktuellen ICD erfolgt demnach aufgrund unterschiedlicher Konzepte, teilweise nach auslösendem Agens, nach betroffenem Organsystem oder nach Lebensperiode. Schon in den ersten Versionen der ICD wurde deutlich, dass eine Zuordnung zu einzelnen Organsystemen gerade bei den Infektionskrankheiten schwierig ist. In der ersten ICD-Version im Jahr 1893, damals noch das "Internationale Todesursachenverzeichnis" (International List of Causes of Death -ILCD), wurden Infektionskrankheiten wie die Tuberkulose und die Syphilis, bei denen In der Abteilung für Infektionsepidemiologie am RKI werden die mithilfe von ICD codierten Daten zu Infektionskrankheiten in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. Die ICD ermöglicht den weltweiten Vergleich von Statistiken zu Infektionskrankheiten, so werden regelmäßig Daten an internationale Organisationen, wie z. B. die WHO, übermittelt. Zunehmend wird die ICD jedoch auch für die Erhebung von Surveillanceund Forschungsdaten eingesetzt, z. B. im Rahmen des Meldewesens (Identifizierung von Meldetatbeständen), aber auch in der syndromischen Surveillance akuter Atemwegsinfektionen, für den Aufbau neuerSurveillance-Systeme sowie für die Evaluation der Datenqualität vorhandener Systeme durch Abgleich mit Sekundärdaten. Infektionskrankheiten · ICD-11 · Codiersysteme · Epidemiologie · Surveillance The revision of the International Classification of Diseases (ICD) could change morbidity and mortality statistics significantly, which also affects the area of infectious diseases. Infectious diseases are classified according to their etiology, affected body system or the life period during which the episode occurs. Specific challenges arise from emerging pathogens and the respective necessary adaptation. For epidemiologic analysis ICD-10 does not always offer enough additional information. ICD provides the basis for international comparison of infectious disease morbidity and mortality statistics, but it is also used to collect data for surveillance and research purposes, e. g. the notification system for infectious diseases, syndromic surveillance systems and the evaluation of data quality by using secondary data sources. ICD-11 offers the chance to better represent epidemiological concepts of infectious diseases by adding more relevant information as affected body system or manifestation. Due to the complexity of coding, ensuring continuity of morbidity and mortality statistics could be challenging. Infectious diseases · Classification system · ICD · Epidemiology · Surveillance ICD. Durch die monokausale Statistik, bei der nur das Grundleiden eingeht, wird auch die Erfassung der Todesfälle durch Infektionskrankheiten erschwert [8] . So werden z. B. Sterberaten und Anzahl von Todesfällen durch schwere akute respiratorische Infektionskrankheiten auf der Grundlage der Todesursachenstatistik unterschätzt [9] . Für die Erfassung der Influenzaaktivität in der jeweiligen Saison sind neben der Datenerfassung über das Meldesystem weitere Erhebungsinstrumente erforderlich. Im Sentinel der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) werden seit 2013 akute Atemwegserkrankungen auch über ICD-10-Codes erfasst. Zusätzlich können neben der Einschätzung der Krankheitslast von akuten respiratorischen Erkrankungen auch weitere Parameter zur Einschätzung von Krankheitsschwere, Risikofaktoren, Komplikationen und Folgeerkrankungen (z. B. Lungenentzündung, Beatmungspflicht, akutes schweres Atemnotsyndrom) erfasst und analysiert werden. Diese elektronische Datenerhebung erfolgt im ambulanten Bereich im Rahmen der AGI über das SEED ARE -Modul (Sentinel zur elektronischen Erfassung von Diagnosecodes akuter respiratorischer Erkrankungen) sowie in Krankenhäusern über die ICD-10-codebasierte Krankenhaus-Surveillance schwerer akuter respiratorischer Infektionen -ICOSARI. Im ambulanten Bereich wird die syndromische Surveillance seit Gründung der AGI durch virologische Daten ergänzt [10] [11] [12] . Die syndromische Erhebung gewährleistet in Krisensituationen eine stabile Datengrundlage und kann durch die zum Meldesystem ergänzende Datenerhebung die Ärzteschaft und den Öffentlichen Gesundheitsdienst von höheren Meldeaufwänden entlasten [13, 14] . Mit dem Deutschen Elektronischen Melde-und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) soll die elektronische Meldung von gemäß Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern implementiert werden. Dabei sollen meldepflichtige Tatbestände unter anderem über die Verwendung der ICD automatisch identifiziert werden und der Meldepflichtige durch das Arzt-oder Krankenhausinformationssystem bereits bei Eingabe der (Verdachts-)Diagnose an seine Meldepflicht erinnert sowie im Meldeprozess unterstützt werden [15] . Der Großteil der Meldungen wird durch Labore erzeugt [16] . Da die Laborinformationssysteme häufig andere Klassifikationssyste-me bzw. Ontologien (z. B. die Logical Observation Identifiers Names and Codes -LOINC, Systematized Nomenclature of Medicine -SNOMED, häufig aber auch eigene Nomenklaturen) verwenden, ist die Interoperabilität mit anderen Klassifikationssystemen als ICD ein nicht zu unterschätzender Faktor für die erfolgreiche Implementierung von DEMIS. Dafür ist ein Mapping zwischen den verschiedenen Klassifikationssystemen unter Nutzung semantischer Verfahren erforderlich [17, 18] . Das RKI ist Mitglied in der ICD-11-Arbeitsgruppe des Kuratoriums für Fragen der Klassifikation im Gesundheitswesen (KKG), das derzeit die Implementierung der ICD-11 in Deutschland mit den relevanten Akteuren des Gesundheitssystems vorbereitet. In diesem Rahmen können die im Folgenden genannten Anforderungen sowohl in den internationalen Gremien als auch national eingebracht werden. Die grundlegende Umstrukturierung der ICD bietet viele Chancen, insbesondere die einer differenzierteren und korrekten Abbildung von Krankheiten. Gleichzeitig birgt die hohe Komplexität Gefahren wegen der durch sie bedingten Verzögerungen bei der Implementierung und der erschwerten Anwendbarkeit in der Praxis [1] . Dabei sollte die ICD-11 im Bereich Infektionskrankheiten folgende Anforderungen erfüllen: 4 Möglichkeit zur Fortschreibung der bisherigen Zeitreihen, 4 bessere Abbildung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Meldetatbestände, 4 Flexibilität bezüglich der sich verändernden epidemiologischen Situation und neu auftretender Erreger, 4 Ermöglichen einer multikausalen Todesursachenstatistik. Die wichtigste Anforderung an die aktualisierte ICD im Bereich Infektionskrankheiten ist die Fortschreibung der bisherigen Zeitreihen für die Gesundheits-berichterstattung, die Veröffentlichung der Meldedaten, die bisher auf ICD-10-Basis betriebenen syndromischen Surveillance-Systeme und die Todesursachenstatistik. Gleichzeitig begrenzt diese Anforderung aber die Freiheiten für die grundlegende konzeptionelle Umstrukturierung. Ebenso ist zu beachten, dass sich bereits bei der Einführung einzelner neuer Codes und in noch größerem Maße bei der Implementierung der neuen ICD-Version das Codierverhalten der Anwender ändert und auch bei Abwesenheit inhaltlicher Änderungen Surveillance-Artefakte zu erwarten sind [19] . Andererseits wird durch die ICD-11 nun die Möglichkeit geschaffen, auch seltene Krankheiten zu codieren und dadurch die Gesundheitsberichterstattung für Ereignisse, die bisher nicht ausreichend in den Gesundheitsdaten erfasst werden konnten, zu ermöglichen [20] . Bessere Abbildung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Meldetatbestände Auch bei der Umstellung von ICD-9 auf ICD-10 hatte man das Ziel verfolgt, das Spektrum bestimmter Krankheiten, darunter das der Infektionskrankheiten, besser zu erfassen. So verbesserte sich zwar die Erfassung deutlich, doch schon bei Einführung der ICD-10 konnten einige Infektionskrankheiten identifiziert werden, die nicht vollständig abgebildet wurden [21] . Gerade komplexe Krankheitsbilder, wie z. B. das der Sepsis, werden durch systematische Fehlcodierungen in den Gesundheitsdaten untererfasst [22] . [24, 25] . Ein wichtiger Parameter ist hier auch der positive Vorhersagewert ("positive predictive value" -PPV), der angibt, wie viele der eingegangenen Meldungen tatsächliche Fälle werden [26] . Während der PPV der ICD-9 noch sehr stark zwischen den einzelnen Infektionskrankheiten schwankte ([27]: 20,3 %-96,0 %), wird durch die verschiedenen Dimensionen der ICD-11 gerade in diesem Bereich eine Besserung erwartet. Die Nutzung von semantischen Technologien bei der Entwicklung der ICD-11 gewährleistet, dass die ICD-11 leichter um weitere Dimensionen ergänzt, aber auch besser mit anderen Klassifikationssystemen und Ontologien referenziert werden kann, allerdings wird dadurch auch die Komplexität erhöht [28] . Gerade im Bereich der Infektionskrankheiten sollte die ICD-11 ausreichend Flexibilität für die sich verändernde epidemiologische Situation, z. B. in Ausbruchssituationen, sowie für neu auftretende Erreger bieten. Hierbei ist zu prüfen, ob dies durch die zeitnahe Umwidmung von nichtvergebenen Schlüsselnummern weltweit oder im Rahmen der Anpassung der German Modification (GM) erfolgen sollte. Mit dem Überarbeitungsprozess der ICD-11 soll auch die multikausale Todesursachenstatistik gestärkt werden. Durch Einführung von unterstützender Software soll das Codierverhalten durch die Bereitstellung von Codierungsalgorithmen möglichst vereinheitlicht und gleichzeitig eine multikausale Todesursachenstatistik ermöglicht werden. Dies kann insbesondere Auswirkungen auf die Analyse seltener Todesursachen haben [29] . Die Chancen der ICD-11 liegen vor allem darin, dass Infektionskrankheiten zukünftig eindeutiger codiert werden können und ihre Codierung mehr relevante Informationen für die epidemiologische Bewertung enthält. Allerdings sollte bei der Auswertung von ICD-11-Codes aus Sekundärdaten berücksichtigt werden, dass die Datenerhebung in der Regel Abrechnungszwecken dient und die Daten hinsichtlich Repräsentativität, Vollständigkeit und Validität Limitationen aufweisen können. Durch die hohe Komplexität sowie Änderungen im Codierverhalten und Codierartefakte können zudem Verzerrungen in den Daten entstehen, die die Fortschreibung der Morbiditäts-und Mortalitätsstatistiken erschweren. Die ICD-11 wird derzeit in Feldstudien getestet und soll auf Grundlage der Ergebnisse angepasst und verbessert werden. Aus Sicht des RKI müssen die Auswirkungen der Änderung der Klassifikation auf die Trends von Infektionskrankheiten, z. B. im Rahmen von Mapping-Studien, evaluiert werden, um eine bessere Interpretation der Zeitreihen zu ermöglichen und ggf. Empfehlungen für die Anpassung der ICD-11 geben zu können. Revising the ICD: explaining the WHO approach History of the statistical classification of diseases and causes of death HUS active surveillance network Germany. Estimating true incidence of O157 and non-O157 Shiga toxin-producing Escherichia coli illness in Germany based on notification data of haemolytic uraemic syndrome Measles incidence and reporting trends in Germany Marked underreporting of pertussis requiring hospitalization in infants as estimated by capture-recapture methodology Access, use, and challenges of claims data analyses in Germany AConsensus German Reporting Standard for Secondary Data Analyses DieTodesursachenstatistik in Deutschland Zeitliche Trends in der Inzidenz und Sterblichkeit respiratorischer Krankheiten von hoher Public-Health-Relevanz in Deutschland Establishing an ICD-10 code based SARIsurveillance in Germany -description of the system and first results from five recent influenza seasons Evaluation einer ICD-10-basierten elektronischen Surveillance akuter respiratorischer Erkrankungen (SEED ARE ) in Deutschland Influenza und ambulant erworbene Pneumonie in hausärztlich tätigen Arztpraxen in Deutschland Nationaler Pandemieplan Teil I -Strukturen und Maßnahmen. RKI Nationaler Pandemieplan Teil II -Wissenschaftliche Grundlagen Deutsches Elektronisches Meldeund Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) Das Projekt DEMIS -Konzeptionelle und technische Vorarbeiten für ein elektronisches Meldesystem für den Infektionsschutz An OWL representation of ICD-10-CM for classifying patients' diseases Linked data and ontology reference model for infectious disease reporting systems Importance of ICD-10 coding directive change for acute gastroenteritis (unspecified) for rotavirus vaccine impact studies: illustration from a populationbased cohort study from Ontario, Canada Rare diseases in ICD11: making rare diseases visible in health information systems through appropriate coding The effectiveness of ICD-10-CM in capturing public health diseases Validation and optimisationofanICD-10-codedcasedefinitionfor sepsis using administrative health data Syndromic surveillance for influenza in two hospital emergency departments. Relationships between ICD-10 codes and notified cases, before and during a pandemic Accuracy of ICD-10 codes for surveillance of clostridium difficile infections How accurate are international classification of diseases-10 diagnosis codes in detecting influenza and pertussis hospitalizations in children? Updated guidelines for evaluating public health surveillance systems: recommendations from the Guidelines Working Group Utility of international classification of diseases, ninth revision, clinical modification codes for communicable disease surveillance Will Semantic Web Technologies Work fortheDevelopmentofICD-11? VerbesserteQualitätdernationalen und internationalen Todesursachenstatistik durch denKodierkernMUSE