key: cord-0004701-mwktbdnf authors: Mohr, O.; Velasco, E.; Fell, G.; Burckhardt, F.; Poggensee, G.; Eckmanns, T. title: Die telefonische infektionsepidemiologische Bund-Länder-Lagekonferenz in Deutschland: Eine Zwischenbilanz nach drei Quartalen 2009 date: 2010-08-22 journal: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz DOI: 10.1007/s00103-010-1122-z sha: 370ad225264134d7b3fcabc6e19e5862026525ab doc_id: 4701 cord_uid: mwktbdnf Public health threats are increasingly triggered by events which span across international, national and state level jurisdictions. Innovative surveillance methods are needed to ensure adequate and timely response to such threats. In January 2009 the Department of Infectious Disease Epidemiology at the Robert Koch Institute (RKI) established a system of weekly telephone conferences with all competent authorities of the German federal states to identify, discuss and respond to infectious disease events in real-time. A regular and structured platform was developed for use between participants from state level public health authorities, the military and the RKI. During the first three quarters, 46 infectious diseases were covered, including mandatory reports of measles and meningococcal meningitis and outbreaks of cowpox, which does not have to be notified in Germany. Results of a targeted evaluation and a consistently high attendance rate both indicate that the teleconference has met additional needs for supplemental information exchange among participants. The telephone conference has proven to be a useful resource for rapid and direct communication, coordination and evaluation of signals for public health events in Germany. Originalien und Übersichten Hintergrund Alexander Langmuir definierte 1963 die "Surveillance von Krankheiten" als "eine kontinuierliche Beobachtung von Verteilung, Trends und Inzidenz durch systematische Sammlung, Konsolidierung und Evaluation von Berichten über Morbidität, Mortalität und anderer relevanter Daten". Diese Definition schloss eine Weiterleitung der Daten an alle ein, die diese Informationen benötigen [1] . Fünf Jahre später wurde auf der 21. Weltgesundheitsversammlung bezüglich der nationalen und globalen Surveillance übertragbarer Krankheiten zum Aspekt der Datenverbreitung hinzugefügt, dass die Daten zu Einrichtungen gelangen sollten, die Public-Health-Maßnahmen initiieren können [2] . Eine erweiterte Definition der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) von 1986 beinhaltet die Verbindung der Surveillance-Kette zur Nutzung der Daten für Prävention und Kontrolle. Hierzu gehört die Kapazität, Daten zu sammeln, zu analysieren sowie die Weitergabe von Daten an Public-Health-Programme [3] . Die aktive Form der epidemiologischen Surveillance beinhaltet, dass die Daten von der Institution, die die Surveillance durchführt, zum Beispiel per E-Mail oder Telefon angefordert werden. Bei der passiven Form eines epidemio-logischen Surveillance-Systems werden Fälle von im Gesundheitswesen tätigen oder anderen autorisierten Personen gemeldet, ohne dass aktiv nachgefragt wurde. Die das Surveillance-System koordinierende Instanz erwartet Meldungen, um diese dann auszuwerten. Ein Beispiel hierfür ist der Meldeweg meldepflichtiger Infektionskrankheiten gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG); der Arzt meldet eine Infektionskrankheit ( § 6 IfSG), das Labor einen Erregernachweis an das zuständige Gesundheitsamt ( § 7 IfSG). Dort werden die Informationen des Patienten zusammengeführt. Sind bestimmte Kriterien erfüllt, übermittelt das Gesundheitsamt die Meldungen an die zuständige obere Landesgesundheitsbehörde; in der Folge werden die Daten an das RKI weitergeleitet ( § 7 Abs. 3 IfSG). Ein weiteres Beispiel ist die Meldepflicht im Rahmen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV). Die IGV bilden das völkerrechtliche Fundament zur internationalen Bekämpfung von Infektionskrankheiten; neben verbindlichen Verpflichtungen enthalten sie eine Reihe maßnahmenorientierter Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dazu gehören Empfehlungen, die nach Feststellung einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite (GNIT) oder bei Vorliegen einer bestimmten Gefahr von der WHO aus-gesprochen werden können. Liegt ein solches Ereignis vor, so ist dieses immer gemeinsam mit den bereits durchgeführten Maßnahmen innerhalb von 24 Stunden nach der Bewertung an die WHO zu melden (Artikel 6 IGV) [4] . Im Rahmen der IGV gibt es auch eine aktive Komponente; sie besteht aus einer vorgeschriebenen Rückmeldung des Vertragsstaates auf WHO-Anfragen für die Bestätigung (oder Widerlegung) von Ereignissen, die der WHO weder durch Meldung noch durch Konsultation bekannt sind (Artikel 9.1 und 10 IGV) [5] . Indikatorbasierte Surveillance-Systeme beruhen auf einer strukturierten Datensammlung durch Routine-Surveillance, zum Beispiel Meldesysteme. Die ereignisbasierte (event-based) Surveillance hingegen bezieht unstrukturierte Informationen aus unterschiedlichen Quellen [6, 7, 8] . Zum Beispiel können webbasierte Informationsquellen zu einem frühen Erkennen von Ausbrüchen und einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit beitragen [9] . Im November 2002 erschien in einer chinesischen Zeitung ein Artikel, der ungewöhnlich hohe Fallzahlen an Patienten mit akuten respiratorischen Erkrankungen in Rettungsstellen von Krankenhäusern in der Provinz Guangdong beschrieb. Nach diesem frühen Hinweis auf SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome) be-richteten chinesische Medien in der Folge von respiratorischen Erkrankungen bei Krankenhauspersonal. Diese Ereignisse wurden vom Global Public Health Intelligence Network (GPHIN), einem von der Public Health Agency of Canada betriebenen webbasierten Frühwarnsystem, registriert [10, 11, 12] . Parallel wurde online im ProMED-Mail-System über den Ausbruch diskutiert, bevor die chinesische Regierung offiziell darüber berichtete [13] . Die WHO erhielt den ersten offiziellen Bericht aus China am 11. Februar 2003 [14] . In Deutschland existiert, ebenso wie in vielen anderen EU-Ländern, eine etablierte indikatorbasierte Surveillance. Um adäquat auf neue Bedrohungen reagieren zu können, kann sich der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) nicht mehr ausschließlich auf traditionelle Surveillance-Systeme verlassen [15, 16] . Am 13. Januar 2009 wurde von der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut (RKI) eine wöchentliche telefonische epidemiologische Bund-Länder-Lagekonferenz (EpiLag) eingeführt, an der überwiegend Vertreter der oberen Landesgesundheitsbehörden und des RKI, darüber hinaus gelegentlich Referenten für Infektionsschutz der obersten Landesgesundheitsbehörden und Vertreter der Bundeswehr teilnehmen. Ziel war es, für den ÖGD auf Länder-und Bundesebene eine Plattform zur Diskussion aktueller infektionsepidemiologischer Ereignisse zu schaffen und unabhängig von der Meldepflicht den Austausch über relevante Ereignisse zu verbessern. Hierzu zählen neben Ereignissen mit potenziell überregionaler infektionsepidemiologischer Relevanz auch Ereignisse, die ungewöhnlich sind oder bei denen Diskussionsbedarf besteht. Diese Herangehensweise entspricht einer ereignisbasierten Surveillance-Komponente. Die Kombination der indikatorbasierten Komponente aus der klassischen Surveillance mit einer ereignisbasierten Surveillance entspricht dem Konzept der "Epidemic Intelligence" (EI). Beiden Surveillance-Komponenten soll Beachtung geschenkt werden, da Signale von beiden zu Public-Health-Maßnahmen führen können [2] . Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, die Organisation, die Durchführung und den Inhalt der wöchentlichen EpiLag zu beschreiben und ihren infektionsepidemiologischen Nutzen für den ÖGD und damit für die Bevölkerung darzustellen. Die EpiLag bietet den Teilnehmern einen strukturierten, wöchentlichen und damit regelmäßigen Austausch über aktuelle infektionsepidemiologische Ereignisse. Alle Teilnehmer haben die Möglichkeit, über infektionsepidemiologisch relevante oder ungewöhnliche Ereignisse auf nationaler oder internationaler Ebene zu berichten und sie zu diskutieren. Ereignisse können auch in mehreren Telefonkonferenzen diskutiert werden. Weitere Informationen werden dem Weekly Threat Report des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) sowie der IGV Event Information Page der WHO entnommen. Weitere "Internetbased tools" (IBT), die als Quellen für die EpiLag dienen, sind das Early Warning and Response System (EWRS) und ProMED (. Tab. 1). Die Vorbereitung auf die EpiLag und die Erstellung des Protokolls beanspruchen pro Woche zwischen fünf und neun Stunden. Die EpiLag selbst dauert circa 30 Minuten. Der gesamte zeitliche Aufwand für das RKI liegt also zwischen fünf und zehn Stunden. Für die wöchentliche Vor-und Nachbereitung der EpiLag ist je ein im Turnus wechselnder Mitarbeiter der Abteilung für Infektionsepidemiologie verantwortlich. Bei der Konferenz selbst sind vom RKI zumindest der für das Sammeln und Zusammenstellen der Informationen verantwortliche Mitarbeiter und ein leitender Moderator anwesend. Die Teilnehmer der EpiLag wählen sich in die Telefon-Konferenz ein. Die wöchentlichen EpiLag-Protokolle der ersten drei Quartale 2009 wurden hinsichtlich Beteiligung, Häufigkeit diskutierter infektionsepidemiologischer Ereignisse und ihrer Informationsquellen ausgewertet. Um die Qualität der EpiLag zu evaluieren, führte das RKI zwischen dem 23.6. und dem 1.7.2009 einen Online-Survey (http://www.surveymonkey.com) durch. Es wurden 23 Fragen zu den Themen Logistik (zehn Fragen), Inhalt (fünf Fragen) und Qualität (acht Fragen) der Telefonkonferenz gestellt. Die überwiegende Zahl der Fragen konnte mit den vorgegebenen Antwortkategorien "stimme voll zu/stimme zu/neutral/stimme nicht zu/stimme gar nicht zu", "sehr gut/ gut/weniger gut/unzufrieden", "ja/nein" oder einem freien Textfeld beantwortet werden. Öffentlicher Gesundheitsdienst · Surveillance · Epidemic Intelligence · Telefonkonferenz · Infektionsepidemiologie Abstract Public health threats are increasingly triggered by events which span across international, national and state level jurisdictions. Innovative surveillance methods are needed to ensure adequate and timely response to such threats. In January 2009 the Department of Infectious Disease Epidemiology at the Robert Koch Institute (RKI) established a system of weekly telephone conferences with all competent authorities of the German federal states to identify, discuss and respond to infectious disease events in real-time. A regular and structured platform was developed for use between participants from state level public health authorities, the military and the RKI. During the first three quarters, 46 infectious diseases were covered, including mandatory reports of measles and meningococcal meningitis and outbreaks of cowpox, which does not have to be notified in Germany. Results of a targeted evaluation and a consistently high attendance rate both indicate that the teleconference has met additional needs for supplemental information exchange among participants. The telephone conference has proven to be a useful resource for rapid and direct communication, coordination and evaluation of signals for public health events in Germany. Public health service · Surveillance · Epidemiology · Infectious disease · Epidemic intelligence · Teleconference Ergebnisse Teilnahme Seit Einführung der EpiLag am 13.1.2009 lag die durchschnittliche Beteiligung der oberen Landesgesundheitsbehörden in den ersten drei Quartalen 2009 bei 78%. An den wöchentlichen Telefonkonferenzen nahmen in unregelmäßigen Abständen auch Vertreter der Bundeswehr sowie einzelne Referenten für Infektionsschutz der Bundesländer als Vertreter der obersten Landesgesundheitsbehörden teil. [18] . Als Beispiel für eine nicht-meldepflichtige Erkrankung, die in der Epi-Lag diskutiert wurde und damit einen Besonders bei internationalen Ereignissen, die über mehrere Wochen diskutiert wurden, zeigt sich, dass in der Epi-Lag unterschiedliche Informationsquellen genutzt wurden (. Tab. 3). Beim Online-Survey antworteten 22 Teilnehmer. Alle 16 oberen Landesgesundheitsbehörden waren vertreten, und sämtliche Befragten hatten eine ihr Bundesland repräsentierende Funktion. Mit der Logistik der wöchentlichen EpiLag waren die Teilnehmer generell zufrieden. Über 90% der Befragten gaben an, die Koordination der Telefonkonferenzen durch das RKI sei vollstän- Das Epidemic Intelligence (EI)-Konzept der EpiLag stellt den Teilnehmern Meldungen über Ereignisse aus der indikatorbasierten Surveillance sowie aus der eventbasierten Surveillance aus unterschiedlichen Quellen zur Verfügung. Informationen aus beiden Komponenten können mithilfe der EpiLag beschleunigt weitergegeben und evaluiert werden. Somit können auch Public-Health-Maßnahmen rascher eingeleitet werden. Mit Einführung der EpiLag wurde eine Informationslücke geschlossen. Die Implementierung eines nationalen EI-Surveillance-Systems sollte spezifisch auf Monitoring und Evaluation von Infektionskrankheiten, die die Gesundheit der Bevölkerung bedrohen, zugeschnitten sein [19] . Da sich die EpiLag als infektionsepidemiologische Plattform zwischen nationaler Ebene (RKI) und den zuständigen Landesgesundheitsbehörden bewährt hat, könnten auch zwischen den zuständigen Landesgesundheitsbehörden und lokalen Gesundheitsämtern Telefonkonferenzen eingerichtet werden, auf denen die Teilnehmer regelmäßig, strukturiert und zeitnah infektionsepidemiologische Ereignisse diskutieren. The surveillance of communicable diseases of national importance Report of the technical discussions at the twenty-first World Health Assembly Geneva Comprehensive plan for epidemiologic surveillance. US Department of Health and Human Services IGV) vom 23. Mai Surveillance gemäß den Internationalen Gesundheitsvorschriften What is epidemic intelligence, and how is it being improved in Europe? Epidemic intelligence in the European Union: strengthening the ties Meeting report: Epidemic intelligence in the EU Global surveillance, national surveillance, and SARS Global Public Health Intelligence Network (GPHIN). 7th Conference of the Association for Machine Translation in the Americas SARS and population health technology The Global Public Health Intelligence Network and early warning outbreak detection: a Canadian contribution to global public health The internet and the global monitoring of emerging diseases: lessons from the first 10 years of ProMED-mail Severe acute respiratory syndrome (SARS): status of the outbreak and lessons for the immediate future Epidemic intelligence: a new framework for strengthening disease surveillance in Europe Infectious diseases: preparing for the future The Early Warning and Reponse System for communicable diseases in the EU: an overview from 1999 to Joint ECDC/WHO visit for a European risk assessment 17-21 International epidemic intelligence at the Institut de Veille Sanitaire