key: cord-018771-xqlb74px authors: Turinsky, Sebastian; Steuernagel, Claus title: Bluttransfusion date: 2013-04-04 journal: Praxis der Intensivmedizin DOI: 10.1007/978-3-642-34433-6_4 sha: doc_id: 18771 cord_uid: xqlb74px Bei einem 58-jährigen Patienten mit einem Hb-Wert von 6,5 g/dl, der nach operativer Ausschaltung eines Bauchaortenaneurysmas auf der Intensivstation unerwartet nachblutet, soll eine Bluttransfusion durchgeführt werden. Wenige Minuten nach der Anforderung aus der Blutbank treffen die bestellten Erythrozytenkonzentrate ein – es sind Erythrozytenkonzentrate der Blutgruppe A. Sie sind eindeutig auf den Namen des Patienten ausgezeichnet, die Identität des Patienten wird erneut überprüft. Der durchgeführte Bedside-Test zeigt aber die Blutgruppe B! Was muss der Intensivarzt nun tun? Bei einem 58-jährigen Patienten mit einem Hb-Wert von 6,5 g/dl, der nach operativer Ausschaltung eines Bauchaortenaneurysmas auf der Intensivstation unerwartet nachblutet, soll eine Bluttransfusion durchgeführt werden. Wenige Minuten nach der Anforderung aus der Blutbank treffen die bestellten Erythrozytenkonzentrate ein -es sind Erythrozytenkonzentrate der Blutgruppe A. Sie sind eindeutig auf den Namen des Patienten ausgezeichnet, die Identität des Patienten wird erneut überprüft. Der durchgeführte Bedside-Test zeigt aber die Blutgruppe B! Was muss der Intensivarzt nun tun? Die Gabe von Blut wurde erstmals erfolgreich im 17. Jahrhundert durchgeführt und zählt damit zu den ältesten medizinischen Therapiemaßnahmen. Bedingt durch ihren häufig lebensrettenden Effekt wurden Bluttransfusionen über einen langen Zeitraum sehr großzügig gehandhabt. Erst durch das Auftreten verschiedener unerwünschter Reaktionen und Nebenwirkungen rückte die Transfusion zunehmend in den Fokus wissenschaftlicher Studien und wurde in den letzten Jahren wie kaum ein anderes Thema der Intensivmedizin kritisch diskutiert. Hervorzuheben ist v. a. die Untersuchung von Hebert et al. zur Anämie bei Intensivpatienten, in der gezeigt werden konnte, dass Patienten durch eine restriktive Transfusionstherapie (Transfusion ab einem Hämoglobinwert <7 g/dl, Zielwert 9 g/dl) gegenüber Patienten, bei denen eine großzügigere Transfusionsstrategie angewendet wurde (Transfusion ab einem Hämoglobinwert <10 g/dl, Zielwert 12 g/dl), keinen Nachteil haben. Auch die zunehmende Verknappung an Blutprodukten wegen eines Mangels an potenziellen Spendern und einer Stagnation der Spendebereitschaft sowie steigende Herstellungspreise spielen eine weitere wesentliche Rolle bei der Indikationsstellung zur Bluttransfusion. Vor diesem Hintergrund stellen die 2008 erschienenen Querschnittsleitlinien sowie die 2010 erschienenen Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie) der Bundesärztekammer eine wesentliche Unterstützung für den transfundierenden Intensivmediziner dar. Erythrozytenkonzentrate Erythrozytenkonzentrate (EK) werden aus frischem Vollblut einer Einzelspende gewonnen. Durch Zentrifugation und Filtration des Vollbluts werden die Erythrozyten abgetrennt. Es bleiben Leukozyten und Thrombozyten (sog. »buffy coat«) sowie zellfreies Plasma übrig. land nur nach Entfernung der Leukozyten als sog. leukozytendepletierte EK zugelassen, um eine Übertragung zellständiger Viren und eine Immunisierung gegen Leukozytenantigene zu verhindern. 500 ml Vollblut ergeben ca. 220-330 ml EK mit einem Hämatokrit zwischen 50 und 75%, entsprechend einem Hämoglobingehalt zwischen 17 und 25 g/dl, und 250 ml Frischplasma. Durch Zugabe von Stabilisatoren und additiver Lösung werden der Energiehaushalt und die Stabilität der EK verbessert, sodass sie unter optimalen Umständen (erschütterungsfreier Kühlschrank mit kontinuierlicher Temperaturüberwachung +4°C ± 2°C) bis zu 49 Tage gelagert werden können. Ein »einfaches« leukozytendepletiertes EK kostet ca. 85 €, bei bestimmten Blutgruppe wie 0 Rh-negativ kommt noch ein Zuschlag von 10-20 € hinzu. Neben den am meisten verwendeten leukozytendepletierten EK stehen folgende besondere Zubereitungen zur Verfügung: Gewaschene Erythrozytenkonzentrate Diese können dann transfundiert werden, wenn trotz Leukozytendepletion eine Unverträglichkeitsreaktion beim Empfänger aufgetreten ist. Ein leukozytendepletiertes EK wird unmittelbar vor der Transfusion gewaschen und muss dann innerhalb von 6 h ohne weitere Lagerung transfundiert werden. Seit der generellen Einführung von leukozytendepletierten EK gibt es nur noch wenige Indikationen für gewaschene EK. Im Falle einer massiven, nicht zu stillenden Blutung ist eine Hämoglobinkonzentration im Bereich von 10 g/dl (Hämatokrit 30%) anzustreben, da Erythrozyten den Thrombozytenaktivator ADP freisetzen, die Thrombozyten in die Nähe der Gefäßwand abdrängen und dadurch einen günstigen Effekt auf die primäre Hämostase haben. Bei Vorliegen einer chronischen Anämie, z. B. im Rahmen eines Tumorleidens oder einer Nierenerkrankung, kommt es langfristig zu Adaptationsvorgängen, die zu einer Sicherung der O 2 -Versorgung führen. Dennoch kann die Anämie den Verlauf einer Erkrankung negativ beeinflussen und führt zu keiner besseren Toleranz bei weiteren Hämoglobinabfällen. Patienten mit einer chronischen Anämie sollten daher bei einer Hämoglobinkonzentration unter 7-8 g/dl (Hämatokrit <21-24%) transfundiert werden (Evidenzgrad 1 C), sofern andere Maßnahmen wie Eisensubstitution oder Gabe von Erythropoetin versagen. Sowohl der zunehmende Mangel an Blutprodukten als auch diverse andere Umstände wie die Ablehnung durch den Patienten oder eine verzögerte Verfügbarkeit von Blutprodukten im Notfall machen es erforderlich, Alternativen zur Transfusion von Fremdblut zu kennen. So kann in akut lebensbedrohlichen Situationen, z. B. bei schwerer Blutungsanämie, durch Beatmung mit einer FiO 2 = 1,0 eine Zunahme des physikalisch im Blut gelösten Sauerstoffs erreicht werden, die etwa dem Effekt der Transfusion von 1-2 EK entspricht. Bei der Anwendung von intravenösen Eisenpräparaten wie Eisencarboxymaltose (z. B. Ferinject) oder Eisensucrose (z. B. Venofer) handelt es sich um Therapieoptionen, die schnell wirken, mit geringem Risiko verbunden sind und nicht nur bei Patienten mit nachgewiesenem Eisenmangel zu einer Anhebung des Hämoglobinwerts und somit einer Reduktion von Transfusionen führen. Bei operativen Eingriffen mit erwartet größeren Blutverlusten (Richtwert >1 l) kann kurzfristig eine maschinelle Autotransfusion (MAT, engl. »cell salvage«) durchgeführt werden. Zahlreiche Untersuchungen konnten zeigen, dass die MAT insbesondere im Bereich der Herz-, Gefäß-und orthopädischen Chirurgie eine sichere und wirksame Alternative zur allogenen Transfusion darstellt. Möglicherweise ist es zukünftig möglich, durch Anwendung spezieller Filter die MAT auch bei onkologischen oder septischen Eingriffen einzusetzen. Durch die anschließende Schockgefrierung innerhalb von 6 h auf mindestens -30°C bleibt die Aktivität der labilen Gerinnungsfaktoren erhalten, und das GFP wird -je nach Lagerungstemperatur -für 1-2 Jahre haltbar gemacht. Die Plasmaspiegel der Gerinnungsfaktoren und Inhibitoren der Hämostase variieren sehr stark, besonders für Faktor VIII und Fibrinogen. Die Aktivität der Gerinnungsfaktoren V, VIII, IX und XI ist beim Apherese-GFP deutlich höher als beim Vollblut-GFP, die durchschnittliche Aktivität liegt bei 100 IE pro 100 ml, also 1 IE pro 1 ml GFP. Nach viermonatiger Lagerung muss eine serologische Untersuchung des GFP-Spenders auf spezifische Virusmarker (HIV, HBV, HCV) erfolgen, in dieser Zeit befindet sich das GFP in »Quarantänelagerung«. Erst wenn die serologischen Untersuchungen negativ verlaufen sind, kann das GFP verwendet werden. Einmal aufgetaute GFP müssen innerhalb von 6 h transfundiert werden. 250 ml GFP kosten etwa 50 €. Was? Neben seiner Funktion als Substrat für die Fibrinbildung ist Fibrinogen das Verbindungsmolekül für 6 Praxistipp 1 ml GFP enthält durchschnittlich 1 IE jedes Gerinnungsfaktors. Transfundiert man einem Patienten 1 ml GFP pro kg Körpergewicht, dann erhöht dies 5 den Spiegel der Gerinnungsfaktoren und Inhibitoren oder den Quickwert um etwa 1 IE/dl oder 1% und 5 den Fibrinogenwert um 2-3 mg/dl. Allergische Transfusionsreaktionen sind Folge von Antikörpern des Empfängers gegen Plasmaproteine des Spenders und treten mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 0,5% auf. Die klinische Symptomatik ist mit Urtikaria oder Hautrötung meist milde und nimmt nur selten schwere Formen wie Bronchospasmus oder anaphylaktischen Schock an. Eine akute intravasale Hämolyse und eine bakterielle Kontamination sollten ausgeschlossen und eine symptomatische Therapie wie bei anderen allergischen Reaktionen durchgeführt werden. Bei schweren anaphylaktischen Transfusionsreaktionen, wie sie häufiger bei Patienten mit IgA-Mangel und der Ausbildung von Anti-IgA-Antikörpern auftreten können, besteht die Indikation zur Transfusion gewaschener Blutprodukte. Eine bakterielle Kontamination von Blutprodukten ist sehr selten, und ein Großteil der kontaminierten Präparate führt nicht zu einer symptomatischen Infektion. Die klinische Manifestation gleicht denen der nichthämolytischen, fieberhaften und der hämolytischen Transfusionsreaktion, die daher im Rahmen der Diagnostik ausgeschlossen werden müssen. Es sollte eine mikrobiologische Diagnostik inkl. Blutkulturen sowohl des Empfängers als auch des Blutprodukts durchgeführt werden. Zudem sollte eine antibiotische Therapie eingeleitet werden. Eine transfusionsassoziierte virale Infektion, bedingt durch eine mit den gängigen Testverfahren nicht nachweisbare Virämie des Spenders, ist ebenfalls sehr selten (Hepatitis-B-Virus 1:500.000 bis 1:1.000.000, HIV-/ Hepatitis-C-Virus <1:1.000.000, CMV Einzelfälle). Eine virologische Abklärung sollte angestrebt und ggf. eine antivirale Therapie eingeleitet werden. Die Ursache eines »transfusion-related acute lung injury« (TRALI) sind leukozytenreaktive Antikörper meist im Spenderplasma, die über eine Aktivierung der Empfängerleukozyten zu einer Störung der pulmonalen Mikrozirkulation führen, die sich zunächst als Lungenödem und im Verlauf als ARDS darstellt. Seltener kann diese Reaktion auch durch leukozytenreaktive Antikörper im Empfängerplasma hervorgerufen werden oder ist gänzlich nichtimmunogen bedingt. Aufgrund der klinischen Symptomatik von rasch progredienter Dyspnoe mit Hypoxämie, die während oder bis zu 6 h nach der Transfusion auftreten kann, werden bis zu 70% der Patienten beatmungspflichtig. Therapeutisch stehen die Sicherung einer adäquaten Oxygenierung sowie eine Stabilisierung der Kreislauffunktion im Vordergrund. Über die Letalität des TRALI gibt es in der Literatur abweichende Aussagen -sie schwankt zwischen 10 und 25%. Dennoch ist sie die häufigste Todesursache nach der Transfusion von Blutprodukten. Offenbar kam es bei der initialen Blutabnahme zu einer Verwechslung des Patienten bzw. des Patientenbluts. Auch ein zweiter Bedside-Test zur Kontrolle zeigt erneut die Blutgruppe B. Da die Blutung klinisch fortschreitet und der Patient in den OP muss, entschließt sich der Intensivarzt zur Transfusion von Erythrozytenkonzentraten der Blutgruppe 0 Rhesus-negativ und GFP der Blutgruppe AB. Vor der Transfusion wird nochmals Blut zur Bestimmung der Blutgruppe und zum Kreuzen von Erythrozytenkonzentraten abgenommen. Querschnitts-Leitlinien (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie) Dtsch Ärztebl A multicenter, randomized, controlled clinical trial of transfusion requirements in critical care The 2010 Annual SHOT Report Strategies to reduce the use of blood products: a US perspective Transfusion strategies for acute upper gastrointestinal bleeding Hämotherapie der Blutgerinnung Im umgekehrten Fall, bei der Übertragung von Rhesus-positivem Blut auf einen Rhesus-negativen Patienten, muss 2-4 Monate nach der Transfusion eine serologische Untersuchung zur Feststellung von Antikörpern gegen den Rhesusfaktor erfolgen, da es bei der erneuten Gabe von Rhesus-positivem Blut zu einer Unverträglichkeitsreaktion kommen könnte. Bei Rhesus-negativen Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter sollte die Transfusion von Rhesus-positiven Erythrozytenkonzentraten unbedingt vermieden werden, da es durch die Antikörperbildung bei einer Schwangerschaft mit einem Rhesus-positiven Kind ebenfalls zu einer Rhesusunverträglichkeitsreaktion kommen kann. Ist im Rahmen einer lebensbedrohlichen Situation eine Transfusion mit Rhesus-positivem Blut unvermeidlich, so kann die Bildung von Antikörpern durch eine Immunisierung gegen das Rhesusantigen verhindert werden (Gabe von Anti-D-Immunglobulin, z. B. Rhophylac).Auch Thrombozytenkonzentrate sollen AB0kompatibel, bevorzugt AB0-gleich, transfundieren werden, da in Einzelfällen akute hämolytische Transfusionsreaktionen auftreten können. Ferner sollte auch bei Thrombozyten der Rhesus-Faktor-D berücksichtigt werden, da TK geringe Mengen an Erythrozyten enthalten.Die Transfusion von gefrorenem Frischplasma soll AB0-gleich oder AB0-kompatibel erfolgen (. Tab. 4.6). Als universell verträgliches Plasmapräparat gilt Plasma der Blutgruppe AB. Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von AB-Plasma in Mitteleuropa ist der generelle Einsatz dieser Blutgruppe jedoch nicht praktikabel. Bei einem lebensbedrohlich stark blutenden Patienten kann im Notfall mit der Transfusion folgender Blutkonserven sofort begonnen werden: