Geogr. Helv., 75, 19–21, 2020 https://doi.org/10.5194/gh-75-19-2020 © Author(s) 2020. This work is distributed under the Creative Commons Attribution 4.0 License. su p p o rt e d b y B ook review Book review: Water justice Thomas Thaler Institut für Alpine Naturgefahren, Universität für Bodenkultur, Wien, Österreich Correspondence: Thomas Thaler (thomas.thaler@boku.ac.at) Published: 19 March 2020 Boelens, R., Perreault, T., and Vos, J.: Water Justice, Cambridge University Press, Cambridge, p. 392, ISBN 978- 1-107-17908-0, EUR 67.43, 2018. Wasser spielt eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft und deshalb waren und sind Fragen zur Ver- und Entsorgung, zu Gewässerschutz sowie des Zugangs zu Wasser immens wichtig und werden dementsprechend auch kontrovers dis- kutiert. Im Laufe der Geschichte wurden sie immer wieder neu formuliert und beantwortet. Diese existenziellen Fragen nach sauberem und trinkbarem Wasser, einer funktionieren- den Abwasserentsorgung sowie dem Schutz vor extremen hydrologischen Wetterereignissen, wie z.B. Hochwasser und Dürre, werden immer intensiv innerhalb der Gesellschaft dis- kutiert. Eine erhebliche Problematik betrifft das Eigentums- verhältnis. Soll oder darf die Versorgung öffentlich bzw. pri- vat organisiert werden? Das Streitgespräch, wie das wertvol- le Gut Wasser geregelt werden soll, sowie die Auseinander- setzungen, wer davon profitiert bzw. im Gegensatz dazu ver- liert, findet nicht erst mit der Ausbreitung des Neoliberalis- mus statt, wurde aber erst in den letzten Jahrzehnten in den wissenschaftlichen Diskussionen wiederentdeckt und stärker untersucht. Insbesondere die Debatte über einen fairen Zu- gang wurde innerhalb der wissenschaftlichen Auseinander- setzung im Bereich der Umweltgerechtigkeit (Environmental Justice), die ihren Ausgang in den Vereinigten Staaten von Amerika in den 1980er Jahren nahm, geführt. Die Thema- tik über das Recht auf sauberes Trinkwasser sowie das Recht auf Schutz vor Hochwasserereignissen wurde verstärkt dis- kutiert. Der Sammelband „Water Justice“, herausgegeben von Rutgerd Boelens, Tom Perreault und Jeroen Vos bei Cam- bridge University Press, greift die Frage nach einem ge- rechten Zugang zu Wasser und damit einhergehenden Kon- flikten auf, die vor allem durch die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und vor allem durch den Klimawandel ge- prägt sind. Es werden auch andere ökonomische und gesell- schaftliche Entwicklungen thematisiert, so z.B. Änderungen in der Landnutzung, wie die Entstehung von Megastädten global oder den Wandel innerhalb der Industrie, des Berg- baus sowie der Forst- und Landwirtschaft, der grundsätzlich zukünftig vermehrte Wassernutzung bedingen wird. Folglich werden zukünftig verstärkt bestimmte Personenkreise ihre Interessen auf die vorhandenen verfügbaren Oberflächen- und Grundwasserreserven beanspruchen. Der Band umfasst insgesamt 19 Kapitel, wo anhand von verschiedenen Beispielen rund um den Globus Wasserkon- flikte und das Verständnis von Wassergerechtigkeit aufge- zeigt werden. Diese beinhalten Exempel der städtischen Trinkwasserversorgung, die Ausschließung von Personen- gruppen zum Zugang von Grundwasserreserven, Hochwas- serschutz bzw. Verschmutzung der Wasserversorgung auf- grund von Schwerindustrie bzw. durch den Austritt von Quecksilber aus Bergwerken. Der Band beinhaltet unter- schiedliche kritische theoretische Konzepte aus der politi- schen Ökologie und kritischen Geografie, wie beispielsweise Konzepte der Hegemonie von Antonio Gramsci bzw. femi- nistische Arbeiten wie das Kapitel 18 von Lisa Bossenbro- ek und Margreet Zwarteveen, wo die Verteilung von Was- serreserven und -vorräten von ländlichen Gemeinden hin zu landwirtschaftlichen Exportprodukten aus der Sicht feminis- tischer Theoriearbeit untersucht wird. Anhand der Vielzahl unterschiedlicher Fallstudien aus dem Globalen Norden und Süden werden historische sowie zeitgenössische Konflikte und Gerechtigkeitskonzepte dargestellt. Der Sammelband wird in vier Themenschwerpunkte un- terteilt: (1) Re-Politisierung der Wasserversorgung (Kapi- tel 1 bis 5), (2) Gestaltung der Wasserinfrastruktur (Kapi- tel 6 bis 9), (3) Konflikte im Partizipationsprozess (Kapi- tel 10 bis 14), sowie (4) Diskurse und Imaginationen in der Gouvernementalität (Kapitel 15 bis 18). Der erste Schwerpunkt liegt auf der theoretischen Grund- lage der politischen Interventionen im Bereich der Wasser- Published by Copernicus Publications for the Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich & Association Suisse de Géographie. 20 T. Thaler: Book review: Water justice versorgung, wobei der Diskurs um die Wasserpolitik insbe- sondere in den vergangenen Jahren verstärkt in einem unpo- litischen Dialog geführt wurde. Vorrangig die Planung einer nachhaltigen Wasserpolitik beinhaltet zahlreiche Konflikte zwischen den konkurrierenden Vorstellungen und Ideen, wie man den Zugang, die Verteilung und den Schutz in der Was- serwirtschaft organisieren soll. Hier spielt auch die Frage nach der Deutung, wie Wassergerechtigkeit auszusehen hat, eine äußerst wichtige Rolle. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit den Herausforderungen der Wassergerechtigkeit in Hinblick auf umstrittene Entwicklungsparadigmen und Fort- schrittsglauben in der Vergangenheit. Hierbei liegt der Fokus darauf, wie der Staat Markt und Ingenieurswissenschaft, Ein- griffe in die Wasserversorgung und Hochwasserschutz für die Gesellschaft nach deren Gesichtspunkt und Deutung gestal- tet. Der dritte Abschnitt befasst sich mit den Mechanismen, die angewandt werden, um gezielt bestimmte Menschen von Wasserkonflikten auszuschließen und welche Gegenmaßnah- men (u.a. durch gezielte Zusammenarbeit mit anderen Ak- teuren*innen) von den betroffenen Personengruppen getrof- fen werden, um wieder wahrgenommen zu werden in der Beanspruchung ihrer Rechte und Ziele um das Gut Wasser. Der vierte und letzte Abschnitt beschäftigt sich vorwiegend mit den aktuellen Diskursen, wie z.B. virtuelles Wasser oder Konflikte von kulturellen Identitäten, wie beispielsweise die kulturellen Erinnerungen der Menschen im Huanuni-Flusstal auf dem bolivianischen Altiplano, die massiv von Wasserver- schmutzungen durch den Bergbau betroffen sind, der nicht immer im Einklang mit dem Schutz der Wasserressource er- folgt war. In den vier Abschnitten dieses Sammelbands werden ins- gesamt fünf Konfliktfelder untersucht, nämlich die intensive Nutzung von Wasser in der Landwirtschaft, die im Rahmen des Land Grabbing in den letzten Jahren massiv zugenom- men hat. Die Folgen haben wiederum massive Auswirkun- gen auf die lokale Wasserversorgung (Water Grabbing), die dadurch die Konflikte zwischen der Agrarindustrie und den lokalen Familien massiv verschärft haben. Der zweite Kon- flikt beschäftigt sich mit der Wasserverschmutzung durch In- dustrie und Bergbau, wie im Beispiel von Flint, Michigan (Vereinigte Staaten von Amerika). Dort mussten einkom- mensschwächere Haushalte im Vergleich zur weißen Mittel- schicht unter massiven Wasserverschmutzungen leiden. Die dritte Problematik betrifft die Auswirkung der Errichtung von Wasserkraftwerken, die meist in ländlichen, peripheren Regionen unter der Prämisse der nachzuholenden Entwick- lung bzw. Rückständigkeit der lokalen Bevölkerung argu- mentiert wird, wie Beispiele aus der Türkei oder Guatema- la zeigen. Des Weiteren werden Konflikte im Hochwasser- schutz, die häufig zu einem unterschiedlichen Schutzniveau innerhalb der Gemeinde führen können, betrachtet. Ein vier- ter zentraler Konflikt besteht in den Herausforderungen mit der Umleitung von Wasser zwischen verschiedenen Wasse- reinzugsgebieten, ländlichen und städtischen Regionen bzw. innerhalb einer Stadt, die nicht nur zur ungleichen Verteilung führen kann, sondern auch eine massive Auswirkung auf das Ökosystem haben kann. Der letzte Schwerpunkt liegt auf der Privatisierung der Wasserver- und Abwasserentsorgung, wo informelle Siedlungen keine Möglichkeit zu sauberem Was- ser oder einem funktionierenden Abwassersystem haben, da die Gebühren für die Nutzung der lokalen Bevölkerung weit über ihrem durchschnittlichen Haushaltseinkommen liegen. Der Band stützt sich auf umfassende Ansätze der Um- weltgerechtigkeit aus der Perspektive der politischen Öko- logie, wo Wasser neben einer materiellen Funktion vor al- lem aus der Vorstellung der Gesellschaft definiert wird und sich dadurch die Konflikte das Wasser betreffend auch über die Jahrhunderte hinweg immer wieder verändert haben und neu formuliert werden mussten. Dabei ändert sich eben auch die Situation der Konflikte, da immer wieder neue Wett- bewerber bzw. Entwicklungen, wie z.B. die Industrialisie- rung der Forst- und Landwirtschaft, Siedlungsentwicklun- gen etc., um die Ressource Wasser kämpfen. Wassergerech- tigkeit schließt die Frage nach der Verteilung ein, berück- sichtigt aber auch Fragen der kulturellen Anerkennung und politischen Beteiligung. Hierbei ist ein wichtiger Punkt die Berücksichtigung der Betrachtungsweise des menschlichen Handelns auf das jeweilige Ökosystem in Hinblick auf des- sen sozio-politischen Rahmen. Die große Herausforderung besteht in einer Verbindung der sich stetig verändernden politischen Konzepte und Ide- en mit gesellschaftlichen Vorstellungen sowie technologi- schen Entwicklungen mit einer immer wieder sich ändern- den Wassergerechtigkeit. Sokrates bemerkte, dass im antiken Griechenland „sozial gerecht“ über die Machthaber definiert wurde: Was sie als gerecht empfanden, war gerecht. Dieses Verständnis veränderte sich immer wieder im Laufe der Ge- schichte – bis heute, wo Wassergerechtigkeit immer stärker in Zusammenhang mit der ungleichen Verteilung und Diskri- minierung von bestimmten Personengruppen gebracht wird. Durch die Vielzahl der unterschiedlichen Fallstudien und des empirischen Materials rund um den Globus zeigt der Band nicht nur sehr gut die Pluralität innerhalb des Diskur- ses, wie man eigentlich Wassergerechtigkeit definieren kann, sondern auch, was das Ziel wäre und wie das Ziel der Was- sergerechtigkeit zu erreichen ist. Dabei wird sehr gut dar- gestellt, dass es eben keine einheitliche Definition gibt und sich diese über die Jahrhunderte hinweg stetig geändert hat bzw. sich in der Zukunft ändern wird. Diese Entwicklung wird auch durch neue wissenschaftliche Fachgebiete und -kenntnisse sowie technologische Entwicklungen gestärkt, wie beispielsweise die aktuelle Debatte in der Klimapolitik im Zusammenhang mit extremen hydrologischen Wetterer- eignissen belegt. Darüber hinaus haben auch die politischen Diskussionen des Neoliberalismus in den letzten Jahren da- zu geführt, dass der Diskurs nach der Nutzung der Ressour- ce Wasser nicht mehr ausschließlich der öffentlichen Hand zugeschrieben wird, sondern eine verstärkte Debatte in der Marktwirtschaft ausgelöst hat; mit all seinen Konsequenzen, Herausforderungen und neuen Konfliktfeldern. Geogr. Helv., 75, 19–21, 2020 www.geogr-helv.net/75/19/2020/ T. Thaler: Book review: Water justice 21 Der Sammelband stellt einen wichtigen Ansatz zur Dis- kussion nach Wassergerechtigkeit und eine wichtige Lektüre für die Leser*innen dar, die sich mit den Herausforderungen der Wassergerechtigkeit beschäftigen, wobei insbesondere auch die Widersprüche und Lösungsideen und -vorschläge in diesem Themenfeld sehr gut aufgezeigt werden, da es keine One-Fits-All-Ergebnisse gibt. Dies wird vor allem im Hinblick auf die zukünftigen Auswirkungen des Klimawan- dels noch viel stärker diskutiert werden müssen. Der Band zeigt nicht nur, dass Konflikte um das Wasser allgegenwärtig sind, sondern auch sehr unterschiedlich sein können, womit auch die Forderungen nach einem gerechten Zugang, Was- serschutz und -verteilung sehr unterschiedlich gesehen, in- terpretiert und diskutiert werden können. www.geogr-helv.net/75/19/2020/ Geogr. Helv., 75, 19–21, 2020